(Gegenwind 398, Dezember 2021)
Eine Vielzahl von Flüchtlingen in Deutschland bezieht Asylbewerberleistungen, weil sie im laufenden Asylverfahren sind oder über kein dauerhaftes Bleiberecht verfügen. Es ist daher wichtig, dass sich ihre Unterstützer mit der Materie des Asylbewerberleistungsrechts auskennen, um die richtigen Ratschläge zu geben.
Nach welchem Gesetz geflüchtete Menschen existenzsichernde Leistungen bekommen, ist von verschiedenen Kriterien abhängig. Aufenthaltsstatus, Aufenthaltszweck, Erlaubnis zur Beschäftigung sind die Hauptkriterien, die zu beachten sind. Hat man einmal festgestellt, dass ein Anspruch auf Asylbewerberleistungen besteht, ist weiter zu prüfen, nach welcher Norm diese Leistung zu gewähren ist. Abhängig ist das in erster Linie von der Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet.
Ob die Leistungen in der richtigen Höhe gewährt werden, lässt sich manchmal nur schwer feststellen. Der Blick aufs Konto hilft nicht weiter, weil der Überweisungsbetrag keinen Aufschluss darüber gibt, wie Erwerbseinkommen angerechnet wird und ob die Kosten der Unterkunft tatsächlich in voller Höhe im Rahmen der Leistungsberechnung anerkannt werden.
Um die Prüfung vorzunehmen, ob Leistungen in der richtigen Höhe gewährt werden, schaut man sich am besten den Leistungsbescheid an. Doch was tun, wenn der Geflüchtete keinen aktuellen Leistungsbescheid vorlegen kann?
Anders als im SGB II (als Hartz4 bekannt) bekommen Leistungsbezieher von Asylbewerberleistungen nicht zwingend für einen festen Zeitraum von 6 Monaten einen Leistungsbescheid. Wesentlich häufiger existieren Bescheide, in denen die Leistung für einen Monat ausgewiesen wird. Nur die Angabe im Bescheid, dass die Leistungen in gleicher Höhe weiter gewährt werden, wenn sich keine Änderung ergibt, lässt den Schluss zu, dass der Bescheid für einen längeren Zeitraum gilt oder zumindest die Leistungshöhe für einen längeren Zeitraum festlegt.
Bei derartigen Bescheiden handelt es sich nicht etwa um Dauerverwaltungsakte. Vielmehr stellt die Auszahlung des monatlichen Betrages jeweils einen eigenen Verwaltungsakt dar, der entsprechend angefochten werden kann und bei Bedarf auch muss.
Das bedeutet, dass sich die Anfechtung eines Bescheides nicht allein auf den Leistungsbescheid beschränken darf, sondern dass darüber hinaus die Verwaltungsakte angefochten werden müssen, die durch die Auszahlung des Geldes ergehen.
Die Prüfung eines Leistungsbescheides setzt voraus, dass verschiedene Aspekte der Lebensumstände des Geflüchteten bekannt und belegt sind:
Hat man einmal die Fakten abgefragt, fällt die Prüfung eines Leistungsbescheides nicht schwer. Dieses sind die häufigsten Fehlerquellen:
Das Gesetz sieht vor, dass nach einem Aufenthalt von 18 Monaten (bis zum 21.08.2019 waren es noch 15 Monate) ohne wesentliche Unterbrechung im Bundesgebiet nicht mehr die deutlich niedrigeren Leistungen nach § 3 AsylbLG gewährt werden, sondern ein Anspruch auf Analogleistungen nach § 2 AsylbLG besteht - also auf höhere Leistungen.
Es kommt dabei nicht darauf an, wie lange der Flüchtling einer bestimmten Gemeinde zugewiesen ist, sondern die belegbare Anwesenheit im Bundesgebiet ist von Bedeutung.
Die Umstellung auf Analogleistungen erfolgt automatisch. Es muss also kein Antrag gestellt werden.
Eine Umstellung auf Analogleistungen erfolgt dann nicht, wenn die Dauer des Aufenthalts rechtsmissbräuchlich beeinflusst wurde. Eine rechtsmissbräuchliche Beeinflussung liegt aber eher selten vor. Sie ist nicht schon dann gegeben, wenn ein Geflüchteter nicht freiwillig ausreist. Themen wie die Beschaffung von Identitätsnachweisen (Pass) können aber durchaus eine Rolle spielen.
Warum aber funktioniert die Umstellung auf Analogleistungen nicht reibungslos? Die Gemeinden, in denen die Flüchtlinge leben, sind - so hat es die Nachfrage ergeben - nicht befugt, die Leistungen von sich aus auf Analogleistungen umzustellen. Sie müssen, weil sie die Leistungen für die Kreise auszahlen, auf die Freigabe durch die Kreise warten. Und die Kreise sind wegen der höheren Leistungsansprüche bei Analogleistungen nicht daran interessiert, die Umstellung fristgerecht vorzunehmen.
Aber von der Umstellung auf Analogleistungen sind nicht nur die Regelsatzhöhen abhängig, es besteht auch ein Anspruch auf Mehrbedarf für Alleinerziehende. Zudem haben minderjährige Kinder, die mit einem Elternteil in einer Haushaltsgemeinschaft leben, welches Analogleistungen erhält, auch ohne die 18-monatige Wartezeit einen Anspruch auf Analogleistungen.
Die nicht vorgenommene Umstellung kann somit erhebliche finanzielle Einbußen bedeuten. Aktuell liegen hier Fälle vor, in denen es zu Nachzahlungen nach erfolgreicher Anfechtung von mehreren tausend Euro gekommen ist.
Ein Augenmerk ist zumindest dann auf die gewährte Regelbedarfsstufe zu richten, wenn der Flüchtling als Alleinstehender oder Alleinerziehender in einer Gemeinschaftsunterkunft wohnt. Denn für diesen Fall sieht das Gesetz vor, dass nur Leistungen der Regelbedarfsstufe 2 gewährt werden. Der Geflüchtete wird also so behandelt, als würde er mit allen anderen Bewohnern in der Unterkunft eine Bedarfsgemeinschaft bilden, d. h. durch gemeinschaftliches Wirtschaften Einsparungen erzielen.
Da dieses offensichtlich abwegig ist, ist die Rechtsfrage, ob diese Regelung mit dem Grundgesetz zu vereinbaren ist, beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Doch bis es dort zu einer Entscheidung kommt, wird einige Zeit vergehen. Bis dahin erhalten die betroffenen Flüchtlinge Monat für Monat zu wenig Geld. Von einer möglichen positiven Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts werden aber nur diejenigen für die Vergangenheit profitieren, die ihre Leistungsbescheide angefochten haben. Alle anderen gehen leer aus.
Die Kosten der Unterkunft sind im Leistungsbezug vollständig zu berücksichtigen, so lange sie angemessen sind. Selbstverständlich kann man sich fragen, ob die Kosten zugewiesenen Wohnraums, dessen Gebühren sich nach den entsprechenden Satzungen der Städte und Gemeinden richtet, angemessen sind, wenn man Gebührenbescheide sieht, nach denen Unterkunftskosten in Höhe von 1.400 Euro für 2 kleine Zimmer zu zahlen sind. Gerade im Hamburger Randgebiet, aber auch in einzelnen Gemeinden der Lübecker Bucht werden derartige Gebühren verlangt.
Die juristische Anfechtung derartig überzogener Gebührensatzungen kann jedoch nicht Aufgabe der einzelnen Flüchtlinge sein. Das finanzielle Risiko wäre erheblich bei fraglicher Erfolgsaussicht.
Der Einzelne muss sich daher darauf konzentrieren, dass die ihm entstehenden Unterkunftskosten vollständig in seinen Leistungsbescheiden berücksichtigt werden. Denn die Gebühren für die Unterkunft sind so lange angemessen und damit in tatsächlicher voller Höhe zu berücksichtigen, bis eine wirksame Kostensenkungsaufforderung des Leistungsträgers ergangen ist. Mit einer solchen Aufforderung hat der Flüchtling die Möglichkeit - aber auch die Pflicht -, seine Suchbemühungen fortlaufend zu belegen. Solange er sich also intensiv um angemessenen Wohnraum bemüht und seine Suche dokumentiert, sind die tatsächlichen Kosten der Unterkunft im Leistungsbezug zu berücksichtigen.
Faktisch anders handeln verschiedene Gemeinden im Hamburger Randgebiet, die automatisiert nach sechs Monaten nur noch die Kosten der Unterkunft in Höhe der von ihnen aufgestellten Mietobergrenze berücksichtigen. Doch das fällt oft erst spät auf, weil die Gemeinden die Mahnungen an die Bewohner der Unterkünfte erst nach drei Jahren versenden. Entsprechend sind die Geflüchteten mit Schulden in erheblicher Höhe - im fünfstelligen Bereich - konfrontiert, die sie nicht tilgen können und bei denen sie auf den Erlass durch die Gemeinden angewiesen sind.
Beim Bezug von Leistungen nach § 3 AsylbLG besteht ein Anspruch auf Übernahme der Stromkosten, da seit dem 01.09.2019 die Verbrauchsausgaben für Strom nicht mehr in den Bedarfssätzen berücksichtigt sind. Sofern mit der Unterkunft auch Strom zur Verfügung gestellt wird, dürfen dafür keine Strompauschalen vom Regelsatz abgezogen werden. Wenn der Flüchtling einen eigenen Energieversorgungsvertrag abgeschlossen hat, sind die Kosten dafür zusätzlich vom Leistungsträger zu übernehmen.
Das ändert sich allerdings, sobald Analogleistungen bezogen werden, weil in den Bedarfssätzen des SGB XII Verbrauchsausgaben für Strom enthalten sind.
Ein verbreitetes Problem ist die nicht fristgerechte Auszahlung der Leistungen. Städte und Gemeinden machen die Auszahlung von der Geltungsdauer der Aufenthaltsgestattung oder Duldung abhängig. Da jedoch die für die Verlängerung zuständigen Ausländerbehörden Termine gar nicht oder zu spät vergeben, erhalten auch die Flüchtlinge die Leistung zu spät.
Ob juristische Schritte dagegen anzuraten sind, sollte im Einzelfall geprüft werden.
Die Unrichtigkeit eines Bescheides zu erkennen ist das eine, ihn sachgerecht korrigieren zu lassen das andere.
Hilfreich können neutrale Beratungsstellen sein, die nicht finanziell von den Städten und Gemeinden abhängig sind. Denn es hat sich leider gezeigt, dass nahezu alle Beratungen zum Asylbewerber-leistungsrecht in Schleswig-Holstein, die von Wohlfahrtsverbänden in Gemeinschaftsunterkünften im Rahmen des Betriebes der Unterkünfte angeboten werden, nicht neutral erfolgen. Die Beratung wird eher im Sinne der Auftraggeber (Landesamt für Migration, Städte/Gemeinden) als im Sinne der Geflüchteten betrieben. Das ist insoweit verständlich, als dass auch in Zukunft die lukrativen Betreuungsaufträge erhalten bleiben sollen. Für die Bewohner ist das Handeln jedoch negativ, weil sie über die rechtswidrigen Bescheiden nicht aufgeklärt werden und so zu niedrige Leistungen erhalten.
Denn nahezu alle Bescheide von Alleinstehenden oder Alleinerziehenden in Gemeinschaftsunterkünften sind falsch.
Es geht ums Geld. Leider stehen die Interessen der Flüchtlinge dabei oft im Hintergrund.
Aber selbst, wenn die Fehlerhaftigkeit der Bescheide erkannt und darüber beraten wurde, scheuen sich zu viele Flüchtlinge, sich gegen diese Bescheide zu wehren. Sie haben Angst, dass sich ihre Wehrhaftigkeit negativ auf ihre ausländerrechtlichen Verfahren auswirkt.
Wenn es um das Asylbewerberleistungsrecht geht, sind jedoch Sozialgerichte zuständig. Ein direkter Zusammenhang zu den asyl- oder ausländerrechtlichen Verfahren besteht nicht.
Asylbewerberleistungsbescheide können mit Überprüfungsanträgen, Widersprüchen, und Klagen angefochten werden. Aufgrund des Umstandes, dass die Rechtsbehelfsbelehrungen in 80 % der Leistungsbescheide unzutreffend sind, steht in diesen Fällen die Jahresfrist für den Widerspruch zur Verfügung.
In der Regel wird Beratungshilfe für die außergerichtliche Tätigkeit eines Rechtsanwalts sowie Prozesskostenhilfe für das Gerichtsverfahren gewährt. Ein finanzielles Risiko besteht damit nicht.
Bereits dieser Umstand sollte die Flüchtlinge und ihre Unterstützer veranlassen, nicht selbst Widersprüche einzulegen und Klagen einzureichen. Denn auch hier gilt: „Schuster bleib bei Deinen Leisten“. Die grobe Kenntnis von Fehlerquellen im Asylbewerberleistungsrecht reicht häufig nicht aus, um ein Verfahren erfolgreich abzuschließen.
Das Jahr neigt sich dem Ende zu - trotzdem ist jetzt keine Zeit, zu verschnaufen. Denn die falschen Bescheide des Jahres 2020 können nur noch bis zum 31.12.2021 angefochten werden. Die Zeit reicht aus, um Überprüfungsanträge zu stellen und Widersprüche einzulegen.
Eine Gruppe Kieler Sozialrechtler ist bereit, auch in der kurzen Zeit bis zum Jahresende die erforderlichen Verfahrensschritte landesweit unkompliziert einzuleiten. Die Kontaktaufnahme kann telefonisch oder per Mail erfolgen, die Unterlagen nebst Vollmacht können per Mail übersandt werden oder auf die dafür eingerichtete Cloud hochgeladen werden.
Selbstverständlich binden wir gern auch weitere interessierte und im Bereich des Asylbewerberleistungsrechts versierte Kollegen ein.
Und für Wohlfahrtsverbände, die sich angesprochen fühlen und „ihre“ Bewohner vor Ort durch uns zum Asylbewerberleistungsrecht beraten lassen wollen, führen wir gerne in den Gemeinschaftsunterkünften kurzfristig Vor-Ort-Termine durch.
Sabine Vollrath
Fachanwältin für Sozialrecht