(Gegenwind 397, Januar 2021)

Germaniawerft um 1906
Germaniawerft um 1906

TKMS am Standort Kiel: Internationales Kompetenzzentrum für den U-Boot-Bau

Kiel: Kriegshafen und Marine-Rüstungsschmiede

Gegen Ende des Bundestagswahlkampfes sind dann doch noch Fragen über Krieg und Frieden diskutiert worden. Ausgelöst durch das Afghanistan-Desaster und die angesichts einer möglichen Rot-Grün-Rot-Regierung an die LINKE gestellte Gretchenfrage „Wie hältst Du es mit der NATO?“ Man darf gespannt sein, welche Rolle „die Friedensfrage“ in den anstehenden Koalitionsverhandlungen spielen wird.

Im folgenden etwas Aktuelles und Historisches zum Kieler Kriegshafen und seinen Rüstungswerften.

Milliarden-Rüstungsauftrag für Kieler Werft TKMS

Anfang Juli konnte Vollzug gemeldet werden: Der Bau von zwei U-Booten für die Deutsche Marine und von vier U-Booten für Norwegen ist unter Dach und Fach. Die Auslieferung der beiden Boote für die Deutsche Marine ist für 2032 und 2034 geplant. Ziel sei es, „ThyssenKrupp Marine Systems am Standort Kiel zu einem internationalen Kompetenzzentrum für den konventionellen U-Boot-Bau weiter zu entwickeln“, so das Unternehmen in seiner Pressemitteilung.

Als Kontrastprogramm dazu: Am 1. September fand in Kiel traditionell der Antikriegstag statt, auf der Redner*innen aus Friedens- und Gewerkschaftsbewegung in Hinblick auf die neue Bundesregierung ein radikales Umdenken forderten. Im Aufruf von Kieler Friedensforum und DGB hieß es:

„Deutschland steht auf dem siebten Platz der Länder mit den größten Rüstungsausgaben. Unter den TopTen-Staaten weist der deutsche Verteidigungshaushalt mit einem Plus von über fünf Prozent die größten Zuwachsraten auf. Für das laufende Jahr liegt er bei knapp 47 Milliarden Euro. Und wenn es nach der scheidenden Bundeskanzlerin ginge, sollte Deutschland bis 2030 die NATO-Zielvorgabe erfüllen und zwei Prozent des BIP für Verteidigung ausgeben. Dies entspräche einer weiteren Erhöhung des Wehretats um mehr als 20 Mrd. Euro. Mit der neuen ‚NATO 2030'-Strategie soll der Weg in zu einer Interventionsallianz für Militäreinsätze außerhalb des Bündnisgebiets bereitet werden. Durch eine Stärkung der nuklearen Abschreckung und durch Pläne für eine stärkere militärische Präsenz im indopazifischen Raum setzt die NATO gezielt auf Konfrontation gegenüber Russland und China. Die Entsendung der Fregatte Bayer in das südchinesische Meer ist Ausdruck der weltweiten militärischen Ambitionen der Bundesrepublik. Es ist höchste Zeit, das Ruder herum zu reißen!“

„Dialog“ über militärische Manöver in der Ostsee und Rüstungswirtschaft?

Wer über Krieg und Frieden spricht, sollte über Rüstungsproduktion und Militäreinsätze, die auch aus Kiel ihren Weg in die Welt nehmen, nicht schweigen.

Jemand, der das gerne tut, ist zum Beispiel Flottillenadmiral Christian Bock, der die Weltsicht der Bundesmarine im Zusammenhang mit Militäreinsätzen gleich auf zwei Veranstaltungen Anfang September präsentieren konnte. Zum einen auf dem vom Krause „Institut für Sicherheitspolitik (ISPK)“ veranstaltete „KISS - Kiel International Seapower Symposium“. Auf ihm debattierten Wissenschaftler, Politiker und Militärs unter weitgehendem Ausschluss der Öffentlichkeit über „offene Seewege, Bedrohungen durch Terror sowie die unterschiedlichen Ausstattungen der Staaten mit Seestreitkräften, Migration und Cyber-Kriminalität“ (Kieler Nachrichten 8.9.21).

Damit der Überblick nicht verloren geht, in welchen Ecken der Weltmeere sich deutsche Kriegsschiffe gerade befinden, hat das ISPK gemeinsam mit dem Deutschen Marinebund schon mal ein Nachrichtenportal geschaffen („German Navy Fleet Tracker“), das wöchentlich die aktuellen Infos liefert.

Vier Tage später war der Flottillenadmiral bereits wieder Gesprächspartner. Diesmal bei der von der Stadt Kiel als Öffentliches Forum in der Kieler Woche durchgeführte Veranstaltung „Im Spannungsfeld von Sicherheit und Umweltschutz - Ein Dialog über die Situation in der Ostsee“.

In der Ankündigung der Stadt zu dieser Veranstaltung hieß es: „Das Forum diskutiert die militärischen Manöver in der Ostsee sowie deren Auswirkungen auf Frieden, Stabilität und Umwelt. Vertreter*innen der Bundeswehr, Rüstungswirtschaft, Gewerkschaft, Umwelt-, Klima- und Friedensbewegung wollen mit interessierten Bürger*innen ins Gespräch kommen. Vor diesem Hintergrund werden auch die Bedeutung der Rüstungsindustrie für Kiel sowie Konversionsmöglichkeiten thematisiert, stehen jedoch nicht im Fokus.“ (Hervorhebung G.St.)

In dem Ratsbeschluss vom 13. Juni 2019 war die Verwaltung der Landeshauptstadt allerdings ausdrücklich mit der Ausrichtung eines öffentlichen Forums zum Thema „Rüstungsindustrie, ihre Bedeutung für Kiel und Konversionsmöglichkeiten“ beauftragt worden.

Neben Flottillenadmiral Christian Bock nahmen an dieser Veranstaltung teil: Vertreter*innen des Instituts für Sicherheitspolitik, des Rüstungskonzerns ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS), der IG Metall, von FridaysForFuture und Dr. Horst Leps und Ulla Klötzer von Seiten der Friedensbewegung.

Inwieweit diese Veranstaltung im Sinne von Frieden und Abrüstung hoffnungsvolle Signale aussenden konnte wäre einen eigener Artikel wert. (vielleicht auch pro und contra).

Wie alles begann

Die herausgehobene und verhängnisvolle Rolle Kiels als Kriegshafen und Rüstungsstandort wird durch zwei Ereignisse geprägt, die sich in diesem Jahr jähren.

Vor 150 Jahren, mit der Gründung des Deutschen Reiches, legt dessen Verfassung in ihrem Artikel 53 fest: „Der Kieler Hafen und der Jadehafen Wilhelmshaven sind Reichskriegshäfen.“

Vor 125 Jahren, am 1.10.1896, erwarb die Rüstungsschmiede Friedrich Krupp die Kieler Germania-Werft. Die Werft wurde zunächst gepachtet, ab 1902 dann übernommen und ihr Name in „Friedrich Krupp Germaniawerft“ geändert.

Durch beide Ereignisse geriet Kiel in das militaristische Korsett aus Marine und Rüstung. In der Folge hatte in Kiel der Marinebefehlshaber mehr Macht als irgendein anderer in der Stadt. Anschaulich vor Augen geführt wurde dies während der Novemberrevolution und des Kapp-Lüttwitz-Putsches.

Die Möglichkeiten Kiels, sich als Handelshafen auszuweiten, wurden seitens der Reichsregierung stark eingeschränkt. In Kabinettsverordnungen (1875/1883) wurde festgelegt, dass im gesamten Kieler Hafengebiet Kriegsschiffe Vorrang gegenüber der Handelsschifffahrt haben. Nach der Fertigstellung des Nord-Ostsee-Kanals (der damals Kaiser-Wilhelm-Kanal hieß) im Jahre 1895 versuchte Kiel noch einmal, sich aus der Umklammerung der Kriegsmarine zu lösen. Weil sich die Kieler Wirtschaft eine Belebung des Handels- und Warenumschlages versprach, entwarf der Magistrat einen Plan, in der Wiker Bucht einen Handelshafen anzulegen. Dieser Plan scheiterte jedoch am Widerspruch der Marineverwaltung, die diesen Standort für einen Torpedobootshafen beanspruchte. Die Stadt führte sogar einen Gerichtsprozess, um ihr Vorhaben durchzusetzen - unterlag aber, weil sich das Gericht auf die Reichsverfassung und Kabinettsverordnungen beziehen konnte.

Der Charakter Kiels als Kriegshafen wurde zusätzlich durch die Entwicklung der Werftindustrie geprägt. 1865 war die Norddeutsche Werft/Germaniawerft, zwei Jahre später die Kaiserliche Werft gegründet worden; 1889 entstand aus der Eisengießerei Howaldt & Schweffel die Howaldt-Werft. Alle drei Werften profitierten vom deutschen Flottenprogramm, dass der Großadmiral von Tirpitz durchsetzte.

ThyssenKrupp Marine Systems
ThyssenKrupp Marine Systems

Krupp kauft Germania-Werft

Der Einstieg der Krupp AG bei der Germaniawerft bedeutete in gewisser Weise einen Quantensprung in der Kieler Werften-Landschaft und der Rüstungsproduktion. Die Kruppsche Germaniawerft konnte auf ihren acht Helligen die mit Abstand größten Kriegsschiffe bauen. Und vor allem spezialisierte sie sich auf den U-Boot-Bau. Der Schiffbaubetrieb am Ostufer der Hörn in Kiel-Gaarden wurde damit zum wichtigsten maritimen Rüstungslieferanten der Kaiserlichen Marine und später der Nazi-Kriegsmarine.

Am 4. August 1906 gleitet das erste U-Boot ins Wasser. Damit sind die Deutschen „spät dran“, denn die anderen imperialen Großmächte (Franzosen, Briten, Russen und US-Amerikaner) haben bereits mehrere davon. Kaiser Wilhelm II. und sein Großadmiral Alfred von Tirpitz setzten lange Zeit auf den Bau großer Panzerschiffe beim Wettstreit mit den anderen Kolonialmächten um den „Platz an der Sonne“. Doch drei Jahre später ist der U-Boot-Bau auch in Kiel in vollem Gange - in Kombination mit einer Weiterentwicklung der Torpedotechnik. Die Germaniawerft entwickelt sich bis 1918 zu einer der führenden U-Boot-Werften in Europa.

Nach der Novemberrevolution waren die Werften für einige Jahre gezwungen, auf die Produktion von Rüstungsgütern zu verzichten und stattdessen Handelsschiffe zu bauen, aber auch Lokomotiven und Güterwagen. Doch schon 1927 gab es bereits wieder Rüstungsproduktion in Kiel - entgegen des Versailler Friedensvertrages. Und 1928 fasste die Reichsregierung (unter Beteiligung der SPD) den Beschluss, mit dem „Panzerkreuzer A“ die Kriegsschiffproduktion wieder aufzunehmen. Trotz reichsweiter Massenproteste und eines Volksbegehrens (in dem sich über 1,2 Millionen gegen den Bau aussprechen) wird der Panzerkreuzer gebaut.. Das Schiff lief 1931 bei den Deutschen Werken in Kiel vom Stapel.

Nach der Machtübertragung an die Nazis Anfang 1933 wurde die Germaniawerft zu einem bedeutenden Auftragnehmer der Kriegsmarine; sie lieferte insgesamt 131 U-Boote.

HDW und ihr Faible für Diktatoren

Nach dem Ende des Faschismus wurde die durch britische Luftangriffe zu einem Großteil zerstörte Germaniawerft demontiert und das Unternehmen aufgelöst. Auf dem ehemaligen Areal der Helgen befindet sich heute der Norwegenkai. Die Alliierten wollten durch Demontage der Rüstungsbetriebe verhindern, dass Kiel je wieder zum Kriegsmarinehafen wird. Deshalb ließen die Alliierten nur Handelsschiffbau zu - die Howaldtswerke durften als einzige Werft weiter produzieren (sie sollten im Rahmen der Reparationsleistungen Reparaturen an Schiffen und Minenräumbooten durchführen).

1950 wurde der Neubau von Seeschiffen wieder freigegeben und 1956 wurde Kiel Stützpunkt der Bundesmarine. Die 1967 vereinigte HDW (aus HDW Kiel, HDW Hamburg, Deutsche Werft Hamburg) war von Anfang an nicht wählerisch, was ihre Geschäftspartner betraf. 1967 belieferte man die Militärdiktatoren in Griechenland; Mitte der siebziger Jahre bestellte der Schah von Persien in der Bundesrepublik ein halbes Dutzend U Boote. Als die ersten Rümpfe bei der HDW auf Kiel gelegt waren, jagte Chomeinis Revolution den Schah aus dem Lande. Es wurden Käufer für die sechs Unterseeboote gesucht - und gefunden: Zwei davon wurden klammheimlich dem chilenischen Diktator Pinochet zugeschlagen. Daraufhin kam es in Kiel zu einer Reihe von politischen Aktionen. Den aktivistischen Höhepunkt erreichte das Engagement des Chile-Arbeitskreises Anfang September 1982, als etwa zwei Dutzend DemonstrantInnen die U-Boot-Schwimmdocks der HDW für ungefähr eine Stunde besetzten. Mitte 1985 schloss HDW ein Abkommen mit dem Apartheid-Regime Südafrikas über die Lieferung von U-Booten.

Und 2005 stieg dann auch ThyssenKrupp wieder in das Kieler Rüstungswerften-Geschäft ein und will nun in der geschilderten Tradition das Kieler „Kompetenzzentrum für den U-Boot-Bau“ weiter ausbauen. Bevorzugtes Absatzgebiet ist gegenwärtig vor allem auch das Pulverfass Naher Osten (Israel und Ägypten).

Widerstand der Werftarbeiter*innen gegen Rüstungsproduktion ohne durchschlagenden Erfolg

Im Vorfeld des 1. Weltkrieges hatten die in der II. Internationale zusammengeschlossenen sozial-demokratische Parteien auf zahlreichen Konferenzen gegen Militarismus, Aufrüstung und Kriegsvorbereitung protestiert. In Erklärungen von drei am 15. August 1909 in Kiel tagenden Vollversammlungen, an denen insgesamt 8.000 Personen teilnahmen, wurde insbesondere vor den Folgen des Rüstungswettlaufs beim Marineschiffbau gewarnt. „Besonders die Arbeiter Kiels, des größten Kriegshafens und Flottenbauarsenals, haben daher allen Grund zu beklagen, daß sie ihr Brot nicht im Dienst segensreicher Arbeitstätigkeiten verdienen können und protestieren daher gegen die Auslassungen der Kapitalistenpresse, die bösartig verschweigt, daß der Kriegsschiffbau die Arbeitergroschen frißt und eine Beschäftigung an Kulturarbeiten für viele Tausende unmöglich macht,“ hieß es in einer Erklärung. Die deutsche Sozialdemokratie fand aber in den folgenden Jahren keine gemeinsame Strategie gegen Aufrüstung und Kriegsvorbereitungen. Das von Rosa Luxemburg und den Parteilinken propagierte Kampfmittel „Massenstreik“ war bereits auf dem SPD-Parteitag im Jahre 1906 von August Bebel und der Parteitagsmehrheit als undurchführbar verworfen worden.

Am 5.8.1914 verkündete dann die sozialdemokratische „Schleswig-Holsteinische Volks-Zeitung“: „Es ist berechtigt, und es ist notwendig, und es ist gut, wenn Deutschland sein Schwert zieht, wenn Deutschlands Söhne nun überall bereitstehen, um das Land ihrer Väter, das Fortbestehen ihres Volkes zu verteidigen.“

Nach der Zerschlagung des Faschismus hatten die Betriebsräte der Werften 1945 angesichts der zum größten Teil zerstörten Rüstungsstadt Kiel (80 Prozent der Gebäude lagen in Schutt und Asche) gelobt, dass auf den Werften nie wieder Kriegsschiffe und U-Boote gebaut werden sollten. Im Zuge der Wiederaufrüstung der BRD und der Eingliederung in die NATO war diese Vorstellung aber bald Makulatur. Ab 1960 lief die U-Boot-Produktion auf der HDW wieder auf vollen Touren.

Im Mai 1985 war es auf der HDW zur Gründung eines gewerkschaftlichen „Arbeitskreises Alternative Produktion“ gekommen. Als Reflex auf Initiativen dieses Arbeitskreises wurde daraufhin im November 1987 auf Unternehmerseite die „Direktionsabteilung Diversifikation“ geschaffen. Ihrem Selbstverständnis nach sollten hier Konzepte für die Entwicklung von Spezialschiffen und Umwelttechnik erarbeitet werden. Nach Ende der Systemkonkurrenz 1989/90 verschwand beides, betrieblicher Arbeitskreis wie Direktionsabteilung, schnell in der Versenkung.

Günther Stamer

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