(Gegenwind 396, September 2021)
Am 24. Juli 1985 wurde Mehmet Kaymakci auf offener Straße in Hamburg-Langenhorn erschlagen. Am 36. Jahrestag seiner Ermordung wurde im Rahmen einer Gedenkfeier eine Erinnerungsspulptur an Mehmet Kaymakci in der Straße Hohe Liedt aufgestellt.
Als der Maurer Mehmet Kaymakci an einem Juliabend 1985 noch in die typische deutsche Eckkneipe „Bei Ronnie“ im Norden Langenhorns ging, konnte er nicht ahnen, auf wen er dort treffen würde. Die drei Naziskins Frank-Uwe P., Mario B. und Bernd M., alle drei zur Tatzeit um die 20 Jahre alt. Laut Polizeibericht stritten sich die Drei mit Mehmet Kaymakci über Einwanderungspolitik: Es gäbe zu viele „Ausländer“ wie ihn in Deutschland. Als Mehmet Kaymakci nachts die Kneipe verließ, folgten sie ihm ein paar Straßen, bis sie ihn am Kiwittsmoorpark in der Straße Hohe Liedt angriffen. Sie fielen zu dritt über Mehmet Kaymakci her, schlugen und traten auf ihn ein, auch als er schon am Boden lag. Bis zur Bewusstlosigkeit. Aber da er noch leise röchelte, schleiften sie ihn hinter ein Gebüsch am Rand des Kiwittsmoorparks. Als Frank-Uwe P. zögerte, dabei mitzumachen, Mehmet Kaymakci einen schweren Steinblock auf den Kopf zu schmeißen, soll Bernd M. ihm laut Prozessakten gesagt haben: „Ich denke du bist ein Skinhead. Wenn du nicht mit anfasst, bist du ein Vaterlandsverräter.“ Dann zertrümmerten Frank-Uwe P. und Bernd M. dem bereits bewusstlosen Mehmet Kaymakci mit einem 94 Kilo schweren Steinblock den Schädel (siehe Gegenwind 328, Januar 2016).
Im Herbst 2018 las der jetzige Bezirksamtsleiter von Hamburg-Nord, Michael Werner-Boelz, als damaliger Bezirksabgeordneter der Grünen auf dem Onlineportal „Hamburg Global“ den zuerst dort veröffentlichten Beitrag des Autors: „Bei der Recherche für eine Veranstaltung über Neonazis in Hamburg bin ich dann auch auf deinen Artikel über die Ermordung von Mehmet Kaymakci gestoßen“, so Michael Werner-Boelz Anfang 2019 im Gespräch mit dem Autor, so „"dass ich hier einen Handlungsauftrag für meine Fraktion sehe eine angemessene Form der Erinnerung an diese Tat sicherzustellen“. Im Stadtteil Langenhorn gab es bis dahin „meines Wissens nach“, wie Michael Werner-Boelzes es zurückhaltend ausdrückt, keine Erinnerung oder Diskussion zu dem Mord. Am 17. Januar 2019 hat „die Bezirksversammlung den von mir initiierten Antrag, der von den Fraktionen von Grünen, SPD, Linke und CDU sowie der FDP-Gruppe eingebracht wurde dann einstimmig beschlossen“. Die Bezirksversammlung Nord hat 5.000 Euro für eine Gedenktafel genehmigt, die jetzt an der Straße Hohe Liedt aufgestellt wurde und sich zu einer Skulptur entwickelte.
„Es wird auf jeden Fall eine würdige Veranstaltung zur Anbringung der Gedenktafel vor Ort geben“, versicherte Michael Werner Boelz dem Autor bereits 2019: „Das Bezirksamt ist auch aufgefordert nach Möglichkeit Kontakt mit Hinterbliebenen herzustellen und diese in diesen Prozess einzubinden“. Dies gelang durch das Engagement und die Unterstützung der Ramazan-Avci-Initiative, die erklärte: „Nach eigenen, langwierigen Recherchen konnten wir Kontakt zu den Familienangehörigen von Mehmet, die in der Türkei und Holland leben, knüpfen.“
Aufgrund der Corona-Pandemie war es 2020 nicht möglich, dass die Familienangehörigen zur Gedenkveranstaltung kommen. Deshalb wurde die Gedenkskulptur erst am 24. Juli 2021 aufgestellt und eingeweiht.
Es gab aber bereits 2020 eine kleine Gedenkkundgebung, zu der die Ramazan-Avci-Initiative gemeinsam mit Gülüstan Avci, der Witwe von Ramazan Avci und Faruk Arslan, Überlebender des Brandanschlags von Mölln 1992, eingeladen hatten: „‚Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen: darin liegt der Kern dessen, was wir zu sagen haben’, sagte Primo Levi, Überlebender von Auschwitz. Im Sinne, dass wir unsere Geschichte selber bestimmen und selber erzählen wollen, werden wir uns zum 35. Jahrestag der Ermordung von Mehmet Kaymakci am Tatort versammeln, um an Mehmet Kaymakci zu erinnern.“ Auch wenn Familienangehörige nicht vor Ort sein konnten - es gab Beiträge aus der Familie, so von seiner Großnichte aus Holland: „Selbst nach Jahrzehnten später kann man in den Gesichtern meiner Familienmitglieder noch Schmerz und Trauer sehen, wenn es um den Tod von meinen Großonkel geht“, so Dilan Siki: „Einer der Gründe, warum wir noch die Spuren dieses widerlichen Angriffs tragen ist, dass die Mörder, die unseren Onkel brutal ermordet haben, durch die widerliche Haltung des Richters mit milde Strafen davon gekommen sind.“
Michael Werner-Boelz sprach auch bereits vor einem Jahr am Kiwittsmoorpark - als neuernannter Bezirksamtsleiter von Hamburg-Nord setzt er sich weiterhin für eine würdige Erinnerung ein, betonte die Notwendigkeit von Erinnerung an die Opfer rassistischer Gewalt in Hamburg: „Und auch in der jüngeren Vergangenheit blicken wir auf rassistisch motivierte Mordanschläge zurück. So wurde am 27. Juni 2001 Süleyman Tasköprü durch den NSU ermordet“, erinnerte Michael Werner-Boelz und fuhr fort: „Wenn man die Geschichte dieses Landes und dieser Stadt betrachtet, stellt man leider immer wieder auch fest, dass zumindest Teile der staatlichen Institutionen bei der Verfolgung rechtsextremistischer Straftaten versagen. Das war insbesondere bei der Mordserie des NSU so.“ Auch die Bezirksversammlung Nord positioniert sich klar. Gemeinsam erklärten alle Fraktion (ohne die AfD) am 4. Mai: „Wir freuen uns, dass die Planungen so gut voranschreiten. Das Ziel ist es, einen würdigen Gedenkort für Mehmet Kaymakci zu schaffen. Mit der geplanten feierlichen Einweihung im Beisein seiner Verwandten möchten wir gemeinsam erinnern und ein deutliches Zeichen gegen Rassismus, Ausländerhass und Rechtsextremismus setzen. Denn rassistische, menschenfeindliche Haltungen haben keinen Platz in Hamburg-Nord.“
In Absprache mit Angehörigen von Mehmet Kaymakci bereiteten Michael Werner-Boelz, die Initiative zum Gedenken an Ramazan Avci und Faruk Arslan monatelang gemeinsam für den 36. Jahrestag der Ermordung, den 24. Juli 2021, eine Gedenkveranstaltung vor, an der Familienangehörige von Mehmet Kaymakci beteiligt wurden: Die beiden Neffen Yener und Yildiz Kaymakci reisten aus Haymana an zur Einweihung der Gedenkskulptur, bei deren Gestaltung die Familie einbezogen wurde.
Am 36. Jahrestag der Tat fand so am Tatort eine würdevolle Gedenkveranstaltung statt, es wurden bewegende Reden gehalten, eine Gedenkskulptur, die an Kaymakci erinnert, wurde eingeweiht, Blumen abgelegt. Geschaffen wurde die Säule mit einem großen steinernen Buch obenauf mit den Lebensdaten von Mehmet Kaymakci und drei Infotafeln auf türkisch, englisch und deutsch zum tödlichen rassistischen Angriff auf ihn von dem aus Vietnam eingewanderten Künstler Van Ngan Hoang.
Der Bruder Ahmet Kaymakci war zu krank, um zu kommen, aber die beiden Neffen von Mehmet Kaymakci erinnerten an den Sommer 1985. Ihr Onkel kam nicht in die Türkei, es gab keine Schokolade aus Deutschland: „Einen Tag im Sommer redeten die Familienmitglieder wieder darüber, dass Onkel Mehmet kommt“, erinnerte sich der ältere der beiden Neffen in seiner Rede: „Ich war außer mich vor Freunde und sah mich schon in Schokolade schwimmen. Soweit ich das in diesem Alter verstanden habe, sprach die Familie wieder über seine Zukunft“. Yener Kaymakci begriff als fünf-jähriger, das etwas anders war: „Aber irgendwas war seltsam, das spürte ich.“ Die Familienmitglieder waren tief traurig, sie weinten. Aber manchmal weint man ja auch aus Freunde.
In Gesprächen der Familie über Mehmets Kommen fiel immer wieder das Wort ‚Nazi Monster’. Sie sagten „Nazi Monster hätten Mehmet getötet.“
Erst Jahre später verstand der damals fünfjährige Neffe, dass nicht Monster aus einem Märchen gemeint waren, sondern Menschen zu mordenden Monstern geworden waren: „Statt meines Onkels, der mir bunte Bonbons schenkte, die mir Leben und Freude schenkte, kam ein schwarzer Sarg aus Hamburg nach Haymana. Jahrzehnte vergingen, der Schmerz unserer Familie ließ nie nach, aber wie hier in der Türkei wurde es einfach nach einer Weile ‚Schicksalsschlag’ genannt und mein Onkel wurde weitgehend vergessen. Denn nichts erinnerte an ihn. Bis heute.“
Auch Faruk Arslan, der die Gedenkveranstaltung moderierte, und Gülüstan Ayaz, die Witwe von Ramazan Avci, sprachen von dem Schmerz der Angehörigen der Opfer rassistischer Morde. Der fürsorgliche Umgang der Angehörigen miteinander war beeindruckend. Bezirksamtsleiter Michael Werner-Boelz betonte in seiner diesjährigen Rede, wie wichtig antirassistische und antifaschistische Initiativen seien - gerade auch, weil Polizei und Justiz manchmal auf dem rechten Auge blind seien. Hamburgs zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank, ebenfalls von den Grünen, betonte in ihrer Rede, wie wichtig es sei, die Opfer nicht zu vergessen.
Am Tag nach der Gedenkveranstaltung sagte Yener Kaymakci zum Autor: „Ich habe ein Gefühl, als ob mein Onkel jetzt endlich würdig begraben wurde, dafür bin ich denen dankbar, die das Gedenken organisiert haben. Mein Onkel kam damals plötzlich im weißen Tuch in die Türkei und wurde in Deutschland, wo er lebte, vergessen. Dass hat sich jetzt endlich geändert.“
Gaston Kirsche