(Gegenwind 396, September 2021)
Abschiebungshaft ist im Aufenthaltsgesetz vorgesehen, um eine Ausreise durchzusetzen. Betroffen davon können alle sein, die ausreisepflichtig sind, also kein Aufenthaltsrecht in Deutschland haben. Allerdings gibt es verschiedene Voraussetzungen, um einen Haftbefehl zu bekommen. Die drei norddeutschen Länder, die jahrelang ohne Abschiebehaftanstalt auskamen, haben jetzt eine gemeinsame Einrichtung mit 60 Plätzen geschaffen.
Das Gefängnis wurde in der ehemaligen Marinekaserne gebaut, die zwischenzeitlich auch schon als Erstaufnahme für Flüchtlinge diente. Die Planungen sind schon älter, kommen in Schleswig-Holstein aus der Zeit von Ministerpräsident Albig. Aber die Planungen dauerten länger als gedacht, und auch der Umbau dauerte länger. Das lag nicht nur, aber auch an der Covid-19-Pandemie. Seit dem 16. August ist jetzt eine Belegung mit 12 Gefangenen (vier pro Bundesland) möglich, die Kapazität soll dann Schritt für Schritt erweitert werden.
Drei Landesregierungen sind beteiligt, sie werden von CDU, SPD, FDP und Grünen gestellt.
Am 5. August hatten Innenministerium und das zuständige Landesamt zu einem Rundgang eingeladen. Nur wenige Details durften nicht fotografiert werden, sonst gab es keine Einschränkungen.
Die Einrichtung ist Teil des „Landesamtes für Migration und Flüchtlinge“ in Neumünster, dem früheren Landesamt für Ausländerangelegenheiten. Offiziell firmiert die Abschiebungshaft dort als „Abteilung 5“. Das Landesamt übernimmt ohnehin oft die Organisation von Abschiebungen im Auftrag von Ausländerbehörden, die Verantwortung für die Abschiebung und auch den Haftbefehls-Antrag bleiben allerdings dort.
Haftbefehle werden von Amtsrichtern erlassen, sie können von Richter*innen am Landgericht überprüft werden. Normalerweise kommen die Gefangenen schon mit einem Haftbefehl an, der auf Antrag der Ausländerbehörde in einem der drei Bundesländer beim zuständigen Amtsgericht beantragt wurde. Für die Überprüfung oder Verlängerung wird dann das Gericht in Itzehoe zuständig.
Um die 60 Insass*innen kümmern sich dann 72 Angestellte, dazu kommen Wachleute von einer Privatfirma - mit dieser Konstruktion will man auch auf mal hohe, mal niedrige Belegung reagieren, denn die 72 Angestellten des Landes müssen durchgehend bezahlt werden. Eine ähnliche Organisation gab es im Abschiebungsgefängnis in Rendsburg, damals war das aber Teil der Justiz, so dass die Justizangestellten auch in anderen Gefängnissen eingesetzt werden konnten.
Den Verantwortlichen ist beim Rundgang das Vokabular wichtig: Sie sprechen von „Wohngruppen“, nicht von Haftgruppen. Es ist eine „Einrichtung“, kein Gefängnis. Die Gefangenen eines Stockwerks bilden eine „Wohngruppe“ von bis zu 14 Männern, davon gibt es drei. Und dann kann es eine „Wohngruppe“ mit bis zu 9 Frauen geben, dort können auch Kinder untergebracht werden. Zusätzlich gibt es eine Flur mit neun Wohnräumen (oder Zellen), dort werden die Neuzugänge untergebracht. Einerseits können sie Tag und Nacht, Wochentags und am Wochenende eingeliefert werden, so dass man oft nicht sofort entscheiden kann, wo genau sie untergebracht werden. Außerdem müssen sie auf ansteckende Krankheiten untersucht werden.
Die Einteilung in „Wohngruppen“ hat dann nichts mit den drei Bundesländern zu tun, die die Gefangenen herschicken. Das soll ausschließlich danach geschehen, was die Gefangenen wünschen und wer zusammen passt.
Für alle Gefangenen gibt es einen eigenen „Wohnraum“, man könnte auch Zelle sagen. Der kann von innen auf- und zugeschlossen werden, die Angestellten (von denen einer in einem Glaskasten mitten im Stockwerk sitzt) können aber jede Tür mit ihrem Schlüssel „überschließen“, also zugeschlossene Räume öffnen und geöffnete abschließen.
Dazu gibt es in jedem Stockwerk Freizeiträume, das ist eine Küche, dazu Räume mit Fernsehen, Tischfußball oder Dartscheibe. Wir werden beim Rundgang darauf hingewiesen, dass die Gefangenen im Gegensatz zu Häftlingen Zugang zu Messern oder auch Dart-Pfeilen haben - das kann sich natürlich schnell ändern, falls es zu Gewalt kommt. In den einzelnen Wohnräumen oder Zellen gibt es Fernsehen, Klo und Waschbecken, auf jedem Stockwerk gibt es Duschen mit Einzelkabinen.
Draußen gibt es Sportplätze. Das sind kleine Flächen mit Fußballtoren, Basketball-Körben oder Geräten für Krafttraining, die von hohen Gittern umgeben sind, im Frauenbereich gibt es zusätzlich einen Sichtschutz, während man Männern durch die Gitterstäbe beim Sport zusehen kann. Es soll also normalerweise „innen offen“ sein, aber man ist auch darauf vorbereitet, schnell alles abzuschließen und die Gefangenen voneinander zu trennen.
Dazu kommt dann ein ärztlicher Bereich, in dem Untersuchungen stattfinden, dabei gibt es auch einen Röntgen-Apparat, einen Zahnarzt-Stuhl und einen Raum für psychologische Beratung oder Therapie, das soll vom entsprechenden Bereich des Krankenhauses Itzehoe auf Anforderung sichergestellt werden.
In der Einrichtung, also dem Gefängnis selbst gibt es eine Sozialberatung, die von der Diakonie wahrgenommen wird. Eine Verfahrensberatung, die bei Asylfolgeanträgen, Klagen gegen eine Abschiebung oder Haftbeschwerden helfen könnte, wollte die Landesregierung in ihrer Mehrheit nicht. Wenn es eine solche Verfahrensberatung gibt, soll sie allerdings Zugang erhalten.
Die Gefangen haben (auf Wunsch) ein Mobiltelefon ohne Kamera, sie haben auch Zugang zu einem Computer mit Internet-Anschluss. Sie können also aus dem Gefängnis heraus Kontakt mit Familienangehörigen, Freund*innen oder Beratungsstellen aufnehmen. Auch das ist ein Unterschied zum „normalen“ Gefängnis.
Die ganze Einrichtung kostet 6 Millionen Euro pro Jahr, das sind pro Haftplatz also 100.000 Euro. Davon bezahlt jedes Bundesland 2 Millionen. Falls es teuerer wird, muss Schleswig-Holstein das alleine tragen, danach sieht es aber im Moment nicht aus. Die Kosten fallen vor allem durch das Personal allerdings immer an, ob ein Haftplatz in Anspruch genommen wird oder nicht. Das ist natürlich relativ teuer pro Person, aber SPD und CDU wollen die Abschiebung und Abschiebehaft auch als Druckmittel, um mehr freiwillige Ausreisen zu erreichen. In normalen Jahren, in denen die Pandemie nicht Teile des internationalen Verkehrs zum Erliegen bringt, reisen ungefähr 1 Million Menschen aus Deutschland aus, deren Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist, ungefähr 25.000 werden abgeschoben.
Abschiebungshaft kann angeordnet werden, wenn eine Ausländerbehörde oder die Polizei (in der Regel Bundespolizei) jemanden festnimmt und eine Abschiebungshaftbefehl beantragt. Geregelt ist das in § 62 Aufenthaltsgesetz. Danach kann die Haft verhängt werden:
Wichtig ist auch, was nicht im Gesetz steht: Abschiebungshaft ist für niemanden ausgeschlossen. Es gibt kein „Mindestalter“, auch Neugeborene können in Abschiebungshaft, ebenso Ehepaare, Familien mit Kindern... Grundsätzlich muss aber die Richterin oder der Richter mehrere Punkte überprüfen, bevor ein Haftbefehl für normalerweise drei Monate erlassen wird:
Ausdrücklich ist es auch möglich, ein Mitglied einer Familie einzusperren, um die anderen am Untertauchen zu hindern.
Danach gibt es die Möglichkeit der Haftprüfung (der Häftling beschwert sich über den Haftbefehl oder die Dauer der Haft) und einen Antrag auf Verlängerung der Haft durch die Ausländerbehörde, wo alles nochmal geprüft werden kann. Ob es bei einer Verlängerung der Haft ernsthaft geprüft wird, hängt auch davon ab, wie sehr der Häftling insistiert und Richterin oder Richter prüft - die Termine sind dann unterschiedlich lang.
Eine Abschiebung wird behandelt wie jede andere „Unterstützung“ auch, hier also Unterstützung bei der angeordneten Ausreise: Sie muss selbst bezahlt werden, nur bei Mittellosigkeit wird der Flug und die Verwaltung bezuschusst. Praktisch bedeutet das, dass der oder dem Gefangenen alles Geld abgenommen wird, bis auf einen kleinen Taschengeld-Betrag. Gefangene können deshalb nur schwer eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt beauftragen, ihnen bei einer Haftprüfung zur Seite zu stehen. Hier müssen Freiwillige, möglichst in Zusammenarbeit mit einer guten Beratungsstelle, einspringen. Manchmal können und wollen auch hier lebende Familienangehörige helfen, auch sie können einen Beistand organisieren und bezahlen.
In den Diskussionen, bei Protesten gegen Abschiebungshaft stehen oft abgelehnte AsylbewerberInnen im Mittelpunkt: Sollen sie abgeschoben werden, kommen sie in Abschiebungshaft, droht die Abschiebung ins Herkunftsland. Sie machen aber erfahrungsgemäß nur eine kleine Gruppe der Betroffenen aus.
Die größte Gruppe ist die der „Overstayers“: So nennt man diejenigen, die mit oder ohne Visum nach Deutschland eingereist sind, damals aber ganz normal und in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Bestimmungen. Sie sind dann irgendwann geblieben, obwohl sie hätten ausreisen müssen.
Beispiel: Eine junge Frau reist als Au-Pair-Mädchen aus einem Land in Südamerika ein. Sie hat eine Au-Pair-Stelle für ein Jahr, danach muss sie entweder ausreisen oder eine neue Aufenthaltserlaubnis aus einem anderen Grund beantragen. Das machen viele, oft ist es eine Aufenthaltserlaubnis für ein Freiwilliges Ökologisches Jahr, für eine Ausbildung oder ein Studium. Die meisten reisen aus. Es gibt dann aber einige, die bleiben und irgendwo unerlaubt arbeiten, z.B. um die Familie zu Hause zu unterstützen. Fallen sie bei einer Kontrolle auf, so haben sie normalerweise einen Pass, auch das Visumverfahren und die einjährige Aufenthaltserlaubnis als Au-Pair ist ja registriert. Nun aber können sie direkt von der Kontrolle in die Haft gebracht werden, wobei die Ausländerbehörde theoretisch auch ihr Versprechen, nun aber ausreisen, entgegennehmen könnte und ihr eine Duldung geben könnte. Diese „Overstayers“ sind oft die größte Gruppe in Abschiebungshaft.
Eine weitere große Gruppen sind voraussichtlich die Flüchtlinge, die ein Asylverfahren in einem anderen Mitgliedsstaat der EU laufen haben oder starten sollen, sie werden landläufig „Dublin-Fälle“ genannt. Hier kommt es zu Abschiebehaft-Anträgen, weil es Fristen gibt, innerhalb derer die Abschiebung gelingen muss, sonst geht die Verantwortung für das Asylverfahren auf Deutschland über. Dazu kommt eine größer werdende Gruppe von Flüchtlingen, die in einem anderen Mitgliedsstaat der EU anerkannt ist, die aber wegen fehlender Möglichkeiten im anderen Land nach Deutschland kommen. Hier dürfen sie sich als Touristen zwar jederzeit für 90 Tage aufhalten, allerdings müssen sie einen Pass, die Aufenthaltskarte und ausreichend Geld dabei haben - wenn sie Asyl beantragen oder Leistungen vom Sozialamt oder Jobcenter, werden sie schnell ausreisepflichtig. Hier gibt es keine Fristen, die Abschiebung kann solange versucht werden, bis sie klappt. Falls sie gute Gründe haben, in Deutschland zu leben, zum Beispiel eine/n EhepartnerIn, müssten sie im anderen Land einen Visumantrag stellen, einfach herkommen ist nicht vorgesehen.
Natürlich wird es auch abgelehnte Flüchtlinge in Abschiebehaft geben, die in ihr Herkunftsland abgeschoben werden sollen. Dass die Gruppe voraussichtlich im Gefängnis nicht so groß werden wird, liegt daran, dass in die wichtigsten Herkunftsländer zur Zeit nicht oder kaum abgeschoben wird. Das betrifft Syrien, Irak, Iran, Afghanistan, Jemen, Somalia oder Eritrea. Abgeschoben wird nach Georgien, Armenien, Russland - alle drei beteiligten Bundesländer sehen da kaum Probleme, so dass es häufig daran liegt, ob ein humanitärer Aufenthaltstitel in Frage kommt.
Oft ist Abschiebungshaft auch eine Frage der Beratung: Wer gut beraten ist, findet oft einen Ausweg, und sei es eine rechtzeitige Ausreise, um eine Abschiebung zu vermeiden.
Straftäter*innen sitzen nicht in Glückstadt. Sie werden nach einer Verurteilung zu einer Strafe von mehr als drei Jahren normalerweise abgeschoben. Dabei wird ihnen oft angeboten, in die Abschiebung einzuwilligen, dann kann sie vollzogen werden, wenn die Haft zur Hälfte abgesessen ist. Es gibt auch Abschiebungen nach zwei Drittel der Haftzeit, dann wird der Rest der Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Nach einer Abschiebung nach „Halbstrafe“ muss der Rest der Strafe abgesessen werden, falls die Straftäterin oder der Straftäter irgendwann später im Leben wieder nach Deutschland kommt.
Werden Straftäter*innen nicht aus der Haft heraus abgeschoben, sondern nach Verbüßung der Haftstrafe, werden sie ebenfalls nicht in Glückstadt untergebracht, sondern bleiben in dem Gefängnis, in dem sie ihre Haftstrafe abgesessen haben. In Glückstadt sitzen also nur „Unschuldige“, also Ausländerinnen und Ausländer, die gegen das Aufenthaltsrecht verstoßen haben.
Seit 2010 sind überall in Deutschland Abschiebehaft-Einrichtungen geschlossen worden. Seit 2015 übt die Bundesregierung wieder Druck aus, mehr Haftplätze für die Abschiebehaft zu schaffen - und das nahm der damalige SPD-Innenminister in Schleswig-Holstein zum Anlass, seinen Kollegen in Hamburg und Mecklenburg eine gemeinsame Abschiebehaftanstalt vorzuschlagen. Damals rechnete er noch damit, dass Ministerpräsident Albig so beliebt wäre, dass die SPD wieder mit Mehrheit regieren kann, um den Vorschlag auch umzusetzen.
Im Mai 2017 kam es anders, aber der neue CDU-Innenminister verhandelte weiter mit seinen Kollegen der Nachbarländer. Die Grünen stimmten in den Koalitionsverhandlungen mit schweren Bauchschmerzen zu, handelten aber ein Aufnahmeprogramm für Flüchtlinge aus Ägypten (vor allem syrische, sudanesische, eritreische und somalische Frauen) aus.
Allerdings gab es auch aus grüner Sicht Gründe, die für diese Einrichtung sprechen: Da die Abschiebungshaft grundsätzlich im Aufenthaltsrecht verankert ist, das nur auf Bundesebene verändert werden kann, gibt es auch in Bundesländern ohne Abschiebungshafteinrichtung Haftanträge. Dann werden die Gefangenen aber weit entfernt, in einer freien Zelle in einem anderen Bundesland, untergebracht. Das macht es für Angehörige, Freunde und Anwält*innen oft unmöglich, sie zu besuchen. Damit wird auch die Unterstützung in Haft, vielleicht auch Hilfe zur Abwendung der Abschiebung, unmöglich. Als es die Abschiebungshaft in Rendsburg noch gab, war sie ausschließlich für Männer eingerichtet - Frauen wurden nach Eisenhüttenstadt im Süden Brandenburgs gebracht, wo sie kaum Besuch oder Unterstützung bekommen konnten.
Die vergleichsweise liberalen Regelungen für die Abschiebungshaft in Glückstadt sind jetzt ebenfalls ein politischer Beschluss, an dem die Grünen in der Landesregierung mitgewirkt haben, um das Schlimmste zu verhindern. Sie können aber jederzeit eingeschränkt werden, wenn es innerhalb der Abschiebungshaft zu Problemen kommt.
Reinhard Pohl