(Gegenwind 393, Juni 2021)


Freie Fahrt für freie Dosen?

Umwelthilfe klagt gegen Grenzhandel

Ganz Europa zahlt Dosenpfand. Große Ausnahme: Dänen, die in dänischen Supermärkten dänisches Bier kaufen. Voraussetzung: Die Dänen wohnen nördlich der deutschen Grenze, und die Supermärkte liegen südlich davon. Es dürfen natürlich auch deutsche Dosen aus deutschen Supermärkten sein, die unsere nördlichen Nachbarn bei uns kaufen. Das ist egal. Die einzige Bedingung für die Pfandfreiheit: Die Käufer versprechen schriftlich, Bier und Blubberwasser erst hinter der Grenze zu trinken. Gegen diese bizarre Regelung klagt jetzt die Deutsche Umwelthilfe vor dem Verwaltungsgericht Schleswig. Es geht um viel Müll, viel Geld und viele Arbeitsplätze.

Fangen wir mit dem Müll an: Freiwillige in Dänemark sammeln jährlich rund 150 Tonnen Müll aus der Natur. Die Hälfte davon besteht aus den pfandfreien Dosen der Grenzgeschäfte - 75 Tonnen Plastikbeschichtetes Metall. Die Zahlen errechnete der Umweltverband „Danmarks Naturfredningsforening“, der die Sammelaktion organisiert. Die rund eine halbe Millionen Dosen sind aber noch nicht einmal die Spitze des Eisbergs. Nach Schätzung der Naturschützer landen sogar Zwei-drittel der 650 Millionen pfandfrei gekauften Dosen in der Natur oder in der Müllverbrennung.

Warum wird so ein Unfug zugelassen? Aus gutem Grund, weil von Rechts wegen Pfand nur erheben darf, wenn der Kunde das Leergut wohnortnah zurückgeben kann. Alles andere wäre eine Sondersteuer und für den Handel eine Wettbewerbs-Verzerrung. Sondersteuern und Wettbewerbs-Verzerrung will die Verpackungsverordnung der EU ausdrücklich verhindern.

Aber: Die Verpackungsverordnung der EU soll neben dem Handel auch die Umwelt schützen. Die Klage der Deutschen Umwelthilfe kann herausfinden, welche der beiden Aufgaben in Zukunft schwerer ins Gewicht fällt. Der Gedanke liegt nahe, dass die Zeit gegen das Dosenpfand spielt.

So funktioniert es

In den Grenzläden kann jeder einkaufen. Bezahlt wird in Euro oder Kronen. Pfandfrei kaufe ich ein, wenn ich zwei Voraussetzungen erfülle. Erstens: Die Dosen müssen in folienumhüllten Gebinden gekauft werden, zum Beispiel als eingeschweißter 24er-Pack Bier. Zweitens: Ich weise nach, dass ich im Ausland wohne, und ich versichere schriftlich per „Exporterklärung“, dass das Bier sofort außer Landes geschafft wird.

650 Millionen Dosen bei nur sechs Millionen Bewohnern Dänemarks? Das wären hundert Dosen pro Nase und Jahr, die Nasen von Säuglingen mitgerechnet! Kann das wirklich wahr sein? In etwa ja, mit der Einschränkung, dass ein kleinerer Teil der Ware in heillos überladenen Kofferräumen und PKW-Anhängern mit schwedischen Kennzeichen landet.

Die Zahl von 650 Millionen Dosen ist dennoch schwer vorstellbar. Sie wird aber in die Welt gesetzt von Leuten, die es wissen müssen: von der Interessengemeinschaft der Grenzhändler (IGG), die sich aus dänischen und deutschen Unternehmen zusammensetzt.

Damit sind wir beim Thema Geld und Arbeitsplätze: Die Mitglieder der IGG beschäftigen nach eigenen Angaben rund 3000 Mitarbeiter. Die beteiligten Firmen betreiben 60 Grenzläden, und zwar in Nordfriesland, in und um Flensburg sowie auf Fehmarn. In normalen Jahren werden damit 800 Millionen Umsatz erwirtschaftet. Das sind fast zehnmal mehr als zum Beispiel die bekannte Flensburger Brauerei erzielt.

Die Grenzmärkte von Fakta, Fleggard und Co. sorgen also dafür, dass erhebliche Mengen an Beschäftigung, Wohlstand und Steuern von Dänemark nach Deutschland abfließen. Wenn das Geschäft Schaden nimmt, entweder durch Einführung von Dosenpfand oder durch Corona-bedingte Grenzsperrungen, bekommen es Menschen und Kommunen im Norden Deutschlands bitter zu spüren.

Nebelkerzen

Also haben sich Grenzhändler, Politik und Verwaltung in den letzten Wochen mächtig ins Zeug gelegt, um mit geschickt geworfenen Nebelkerzen Verwirrung zu stiften.

Nebelkerze 1: Gerichtsbeschlüsse haben die Pfandfreiheit für rechtens erklärt. Fakt ist aber: Es ist gerade mal ein Verfahren bekannt: Ein Händler aus Fehmarn erwirkte vor 18 Jahren gegen den Landkreis Ostholstein eine einstweilige Verfügung. Seitdem dürfen er und alle Kollegen an skandinavische Kundschaft pfandfrei verkaufen. Gegen die Verfügung ist der Landkreis als zufriedener Verlierer nie angegangen. Ein Urteil in der Hauptsache hat er nie angestrebt - wozu auch auf Gewerbesteuer verzichten?

Nebelkerze 2: Es läuft sowieso bei der EU ein Prüfverfahren gegen die Pfandfreiheit, und das wird im Herbst entschieden. Fakt ist aber: Es geht im Verfahren gar nicht um Umweltschutz. Geprüft wird, ob durch die Pfandfreiheit eine rechtswidrige staatliche Beihilfe entstanden ist. Antragstellerin ist die dänische Handelskammer „Dansk Erhverv“. Und nach allen Nachrichten aus Brüssel wird „Dansk Erhverv“ das Verfahren verlieren.

Dunkle Wolken über den Grenzläden

Wäre das Dosenpfand für sie der Tod? Nein. Das Ex und Hopp mit der pfandfreien Dose ist nur einer von mehreren Gründen, südlich der Grenze einzukaufen. Es gibt genug Verlockungen, die auch bei Erhebung von Dosenpfand bestehen bleiben.

Die entscheidenden Kaufanreize sind die Steuern. Dänemarks Alkoholsteuer ist etwa doppelt so hoch wie unsere. Dazu kommt eine Zuckersteuer, die wir bei uns noch gar nicht kennen. Und egal was die Dänen bei uns kaufen, egal ob sie Bier, Cola, Schokolade, halbe Schweine oder Milch in die Einkaufswagen häufen, an der Kasse können sie sich immer über unsere Mehrwertsteuer freuen. Sie beträgt nur „schlappe“ 7 oder 19 Prozent. Zuhause wären es satte 25.

Aber dennoch: Ein Umsatzrückgang ist bei Einführung von Dosenpfand mit Sicherheit zu erwarten und nicht folgenlos zu verkraften. Der Landrat des beklagten Kreises Schleswig-Flensburg rechnet mit einem Umsatzrückgang „im zweistelligen Prozentbereich“. Das wären zehn Prozent oder mehr, entspräche also mindestens dem kompletten Umsatz der oben erwähnten Flensburger Brauerei. Aber bis dahin fließt noch viel Wasser ins Meer und viel billig gekaufter Doseninhalt durch dänische Kehlen.

Nebelkerze 3: Das Problem wird sich bald von selbst erledigen. Denn in einer deutsch-dänischen Erklärung von 2015 hat die dänische Regierung angekündigt, sich um ein geordnetes Rücknahmesystem für Dosen zu kümmern, die in Deutschland gekauft wurden. Darauf setzt auch Schleswig-Holsteins Umweltminister Albrecht. Fakt ist aber: Kopenhagen hat sich damals weit aus dem Fenster gelehnt. Der dänische Einzelhandel müsste das System aufbauen und wehrt sich dagegen. Er sieht nicht ein, warum er für die Billigkonkurrenz aus dem Süden Kosten und Mühen aufwenden soll.

Andererseits arbeiten die meisten Ketten beiderseits der Grenze, zum Beispiel Calle, Fakta oder Lidl. Für die könnte Dosenrücknahme zumutbar und machbar werden.

Nebelkerze 4: Die IGG spricht auf ihrer Webseite von „Reisenden“, die in den Grenzläden pfandfrei einkaufen. Fakt ist aber: Diese „Reisenden“ sind keine Urlauber, die sich auf der Heimkehr mit ein wenig „Reiseproviant“ versorgen. Es geht in Wirklichkeit um Hamsterfahrten. Zehnmal 24 Dosen Bier als Reiseproviant für die halbstündige Heimreise von Flensburg nach Hadersleben? Das könnte selbst den härtesten Alkoholiker überfordern.

Interessen

Übrigens hat eine Anfrage der Partei Die Linke im Bundestag ergeben, dass die Bundesregierung die Pfandfreiheit für falsch hält. Aber für die Durchführung der Pfandvorschriften sind die Länder zuständig, und Kiel denkt nicht daran, sich mit den Grenzkreisen und der Grenzbevölkerung anzulegen.

Die Deutsche Umwelthilfe wartet jedenfalls nicht mehr, sondern hat sich für ihre Klage wegen Untätigkeit als erstes den Kreis Schleswig-Flensburg herausgepickt. Auch wenn die Zeit gegen die Pfandfreiheit spielt, lohnt es sich trotzdem, vor Gericht auf Zeit zu spielen. Schon das Urteil in der ersten Instanz wird wohl nicht so schnell kommen. Ein Gang durch alle Instanzen kann danach noch viele Jahre dauern. Viele Jahre guter Umsätze für die Grenzregion, aber auch viele Jahre voller fehlgeleiteter Abfälle.

Werner Hajek

Diskussionsbeiträge dazu: redaktion@gegenwind.info

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