(Gegenwind 392, Mai 2021)
Der Fahrradklima-Test wird regelmäßig vom Allgemeinen Deutschen Fahrradklub (ADFC) durchgeführt und ist längst zur verkehrspolitischen Institution geworden. Er ist ein wichtiger Gradmesser für die Zufriedenheit der Radfahrer*innen. In Zeiten von Klimawandel und Klimaschutz und der notwendigen Förderung nachhaltiger Verkehrsformen zu Lasten des motorisierten Individualverkehrs können sich die Radler*innen damit bei der Politik Gehör verschaffen.
Der ADFC-Fahrradklima-Test wurde vor mehr als 30 Jahren vom ADFC gemeinsam mit dem Verkehrsexperten Tilman Bracher entwickelt. An der ersten Umfrage 1989 - zum Fahrradklima in ihrer Stadt - nahmen 4000 Radfahrer*innen teil. Erlangen erhielt damals als Siegerin das „Goldene Rad“ und Saarbrücken als Rangletzte die „Rostige Speiche“.
Der vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) im Rahmen des Nationalen Radverkehrsplans geförderte ADFC-Fahrradklima-Test ist die weltweit größte Befragung zum Radfahrklima. Alle zwei Jahre wird beurteilt, wo Städte beim Radverkehr punkten und wo noch nachgebessert werden muss.
Vom Start bis zur Bekanntgabe der Ergebnisse vergeht fast ein halbes Jahr. In dieser Zeit müssen die Städte genug Stimmen sammeln, um es in die Wertung zu schaffen. Damit fundierte Ergebnisse erzielt werden können, müssen pro Stadt mindestens 50 Teilnahmen vorliegen. Bei größeren Städten sind mindestens 75 beziehungsweise 100 Abstimmungsergebnisse nötig.
Die Teilnehmer*innen bewerteten folgende Kriterien: Fahrrad- und Verkehrsklima, Stellenwert des Radverkehrs, Sicherheit sowie Komfort beim Radfahren, Infrastruktur und Radverkehrsnetz. Bewertet wird nach dem Schulnoten-System. Das Städteranking und die detaillierte Notenvergabe der Radfahrenden haben sich als wichtiges Zufriedenheitsbarometer für fahrradfreundliche, lebenswerte Städte etabliert. Um das sprichwörtliche „Äpfel mit Birnen vergleichen“ zu vermeiden, wurden 2018 erstmals die Städte in sechs statt wie vorher in vier Kategorien unterteilt. Außerdem werden seitdem jeweils die Spitzenreiter und die Aufholer ermittelt. Letztere Kriterien haben auch die Berichterstattung belebt. Städte können jetzt für Furore sorgen, aus den Niederungen aufsteigen, es aufs Treppchen schaffen, überraschende oder beste Aufholer werden. Bei schlechten Werten sind sie die Absteiger, die Schlusslichter oder sogar etwas wie Underdogs.
Der Fahrradklimatest ist keine repräsentative Befragung, weil die Struktur der Teilnehmer nicht alle gesellschaftlichen Bereiche abdeckt. Soll sie laut ADFC auch nicht sein. Die Umfrage wendet sich gezielt an Radfahrer und nicht an die gesamte Bevölkerung. Für Städte ist sie deshalb eher als „Kundenbarometer“ geeignet.
Im Herbst 2020 wollte der ADFC zum neunten Mal wissen, wie es um die Fahrradfreundlichkeit in deutschen Städten und Gemeinden bestellt ist. Der Themenschwerpunkt lag auf dem Radfahren in Zeiten von Corona. Bei den 27 Fragen ging es darum, ob man sich auf dem Rad sicher fühlt, wie gut die Radwege sind und ob die Stadt während der Pandemie das Fahrradfahren besonders fördert.
Die Vorstellung der Ergebnisse Mitte März kam genau zur richtigen Zeit. Das Engagement der Radfahrenden kann sich sehen lassen. Knapp 230.000 Radfahrer*innen haben insgesamt 1.024 Städte und Gemeinden bewertet. Im Vergleich: 2018 haben knapp 170.000 Bürgerinnen und Bürger das Fahrradklima in 683 Städten beurteilt. Aber in der eigentlichen Sache, dem Fahrradklima konnte den Städten keine guten Noten attestiert werden. Das Fahrradklima stagniert, ist weiterhin nur ausreichend (3,9).
Spitzenreiter beim ADFC-Fahrradklima-Test 2020 sind: Bremen, Karlsruhe, Göttingen, Nordhorn, Baunatal und Wettringen. Sie liegen vorn, jeweils in ihrer Größenklasse.
Als Aufholer konnten sich Frankfurt am Main, Wiesbaden, Würzburg, Böblingen und Landau in der Pfalz klassifizieren.
Während der Corona-Pandemie haben mehr Bürgerinnen und Bürger in ihrer Freizeit das Fahrrad genutzt. Die repräsentative Bevölkerungsumfrage „Fahrrad-Monitor 2020“ verzeichnet einen Anstieg um 25 Prozent. Die Studie liefert Zahlen, Daten und Fakten über die Auswirkungen der COVID 19-Pandemie auf das Mobilitätsverhalten der deutschen Bevölkerung mit besonderem Fokus auf das Fahrrad. Auch der ADFC-Fahrradklima-Test zeigt eindeutig diesen Trend. Radfahrende gaben an, dass Corona die Bedeutung des Fahrrads gesteigert habe. Handfeste Verbesserungen für den Radverkehr während der Corona-Pandemie sahen die meisten Befragten allerdings nicht (Gesamtnote 5,0). Positiv schnitten hier nur die Großstädte über 500.000 Einwohner ab. In einigen Großstädten über 500.000 Einwohner*innen wurden Fahrradförderung und Werbung fürs Radfahren positiver bewertet als beim letzten ADFC-Fahrradklima-Test 2018, auch das Sicherheitsgefühl und der Spaß beim Radfahren konnten sich hier leicht verbessern.
Am wichtigsten sind Radfahrenden ein gutes Sicherheitsgefühl (81 %), die Akzeptanz von Radfahrenden durch andere Verkehrsteilnehmer*innen (80 %) sowie ein konfliktfreies Miteinander von Rad- und Autoverkehr (79 %). Besonderes genervt sind die Radfahrenden über den laschen Umgang mit Falschparkern (4,8), schlechte Baustellenführungen (4,7) und zu schmale Radwege (4,7). Konflikte mit Kraftfahrzeugen sind nach wie vor ein großer Kritikpunkt.
Weiterlesen: ADFC-Fahrradklima-Test 2020: Frankfurt steigt in die Fahrrad-Spitzenklasse auf. www.adfc.de
Insgesamt haben sich ca. 11.000 Menschen an der Befragung beteiligt. 54 Städte und Gemeinden sind in die Wertung gekommen. Als kleinste Stadt hat es Büsum geschafft. Kiel hat sich deutlich verbessert und ist auf der Bundesliste 3 Plätze aufgerückt. Zurückzuführen ist dieser Trend auf den erfolgreichen Start der Sprottenflotte als öffentliches Fahrradverleihsystem und der Veloroute 10. Sie zeigt Wirkung und ist ein gutes Beispiel für ganz Schleswig-Holstein.
Städte mit deutlicher Verbesserung sind: Kiel (3,84 > 3,54), Geesthacht (3,74 > 3,33), Ahrensburg (4,31 > 3,91) und Schenefeld (4,54 > 4,23)
Städte mit deutlicher Verschlechterung sind: Eutin (3,69 > 4,33) und Büchen (3,46 > 3,80).
Weiterlesen: ADFC-Fahrradklima-Test in SH: Engagierte Städte im Aufwärtstrend. www.sh.adfc.de
Genau 4.257 Hamburger*innen haben am ADFC-Fahrradklima-Test teilgenommen. Die schlechte Fahrradinfrastruktur lässt Hamburg bei einer Durchschnittsnote von 4,1 stagnieren. Hamburg liegt damit im Mittelfeld der Städte über 500.000 Einwohner. Vor allem wünschen sich Hamburgs Radfahrer*innen eine höhere Akzeptanz als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer*innen. Gepunktet hat Hamburg bei dem Fahrradverleihsystem StadtRAD-System, bei der Fahrradmitnahme in Bussen und Bahnen, sowie bei der Werbung für den Radverkehr.
Weiterlesen: Hamburg wieder nur „ausreichend“: großer Nachholbedarf bei sicherer Radinfrastruktur. www.hamburg.adfc.de
Ellen Pahling (ADFC SH)