(Gegenwind 388, Januar 2021)

Impfzentrum Hamburg, Messehallen
Impfzentrum Hamburg, Messehallen. Fotograf: Hinnerk11 - CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=98922393

Pandemie, Lockdown und kein Ende

Impfung als Rettung?

Seit Weihnachten wird gegen Covid-19 geimpft

Die Infektionen mit dem neuen SARS-CoV-2-Virus bestimmen unser Leben. Täglich werden Zahlen der Infektionen, der Gestorbenen und der Inzidenz, der Infizierten pro 100.000 EinwohnerInnen veröffentlicht, alle drei oder vier Wochen gibt es die neue Verordnung mit den aktuellen Regeln zur Beschränkung der Kontakte. Im Dezember wurden jetzt die ersten Impfstoffe zugelassen, die Produktion hat begonnen. Bedeutet das Licht am Ende des Tunnels? Und wie lang ist der Tunnel noch?

Im Jahre 2020 ist Covid-19 in Deutschland zur Todesursache Nummer 8 geworden, im Dezember rückte die Pandemie aber auf die Nummer 3 der Todesursachen vor, nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs. Auch weltweit rückte die Krankheit in der Hitliste der Todesursachen weit nach vorne, inzwischen hat Covid-19 bei den Infektionskrankheiten die bisher führende Tuberkulose überholt - die stand seit Jahren mit 1,3 bis 1,5 Millionen Toten auf Platz 1, jetzt auf Platz 2. Dahinter folgen HIV (AIDS) und Malaria.

Seit Dezember 2020 sind jetzt erst einer, danach mehrere weitere Impfstoffe zugelassen worden. Neu sind dabei die mRNA-Impfstoffe von BionTech (Mainz) und Moderna. Sie arbeiten mit veränderter Boten-RNA der Viren. Normalerweise schleusen Viren ihre eigene RNA in Körperzellen ein, damit diese neue Viren produzieren. Die mRNA des Impfstoffes dagegen ist so verändert, dass nur die Spike-Proteine der SARS-CoV-2-Viren produziert werden, also die kleinen Arme, mit denen dieser Virus an Körperzellen andockt. Sobald sie produziert werden, wehrt sich der Körper dagegen. Anzeichen dafür sind, dass die Haut rund um die Impfstelle rot wird, man manchmal auch für einen Tag Kopfschmerzen oder Fieber bekommt. Diese Spike-Proteine sind natürlich harmlos - aber wenn später die echten Corona-Viren mit den Spike-Proteinen auftauchen, ist das Immunsystem schon trainiert und wehrt sie sofort ab. Diese Aktivierung des Immunsystems ist ungefähr zwei Wochen nach der zweiten Impfung abgeschlossen und wirksamer als die Abwehr nach überstandener Infektion.

Dagegen arbeitet der Impfstoff von von AstraZeneca (Schweden / Großbritannien) als Vektorviren-Impfstoff mit den an sich harmlosen Adenoviren, in die aber ein Teil der RNA von Corona-Viren eingesetzt wurde. Die Adenovieren können sich in Zellen des menschlichen Körpers nicht vermehren, aber sie lösen ebenfalls eine Abwehr des Immunsystems aus. Das „kennt“ danach die RNA des SARS-CoV-2-Virus und kann diesen auch abwehren.

Die Ergebnisse der Impfungen in Israel, wo mehrere Millionen Zweitimpfungen bereits gegeben wurden, berichten von Erfolgen: Rund 93 Prozent der doppelt Geimpften sind immun. Diejenigen, bei denen die Immunität nicht erreicht wurde, können sich nach wie vor infizieren, haben aber nur einen leichten Krankheitsverlauf. Nach Angaben der israelischen Krankenversicherung ist von den Geimpften, die sich danach infizierten, niemand mehr gestorben.

Unklar ist bisher die Wirksamkeit und Verfügbarkeit der drei chinesischen und des russischen Impfstoffes. Für keinen ist eine Zulassung in der EU beantragt worden, insofern ist auch nicht klar, ob er ausreichend getestet wurde. Russland hat der eigenen Bevölkerung mitgeteilt, der Antrag würde bei der EMA gestellt, die hat aber bekannt gegeben, dass es noch keinen Antrag gibt.

Die chinesischen und russischen Impfstoffe sind billiger als die europäischen, und einige Länder haben Notfall-Zulassungen auch ohne die eigentlich vorgeschriebene 3 Phase der Erprobung beschlossen. So werden in einigen ärmeren Ländern auch chinesische Impfstoffe verabreicht, die in China selbst noch nicht zugelassen sind.

Impfungen weltweit

Viel diskutiert wurde darüber, ob Deutschland oder die EU zu wenig Impfdosen bestellt hat. Denn Ende Januar waren in Israel 55 Prozent der Bevölkerung geimpft, in den Vereinigten Arabischen Emiraten waren es 34 Prozent, in Großbritannien 14 Prozent, in Portugal, Polen und Deutschland dagegen nur 3 Prozent, im EU-Durchschnitt noch etwas weniger.

Es wurde viel diskutiert, ob die EU zu spät oder zu wenig bestellt hat, weil die USA, Großbritannien und Israel offensichtlich schneller gestartet sind. Dazu muss man wissen: Alle Staaten, die genug Geld haben, haben im Sommer „blind“ bestellt. Es gab mehrere hundert Projekte zur Entwicklung eines Impfstoffes, von denen rund hundert einigermaßen aussichtsreich aussahen. Die EU hat pro Einwohnerin und Einwohner fünfeinhalb Impfdosen bestellt, die USA drei pro EinwohnerIn. Allerdings haben die USA dreimal so viel Geld pro Impfdosis zugesagt, Großbritannien und Israel doppelt so viel wie die EU. In den USA, Großbritannien und Israel „drohen“ oder drohten Wahlen, die Trump dann trotzdem verlor, bei Natanjahu und Johnson ist der Erfolg bei den WählerInnen noch nicht klar.

Da es sich aber um eine Pandemie handelt, ist es wichtig, zwei Drittel der Bevölkerung der Welt zu impfen. Und hier gibt es ein Problem: In den USA und in Europa werden sicherlich zwei Drittel der Bevölkerung geimpft, in der EU lediglich rund zwei Monate später als in den USA. Und die Impfdosen der Firmen, deren Entwicklung erst 2022 abgeschlossen ist, müssen dann trotzdem abgenommen werden, weil sie bestellt und bezahlt sind, auch wenn sie dann nicht mehr benötigt werden.

Problematisch ist die Situation in Afrika. Größere Impfprogramme gibt es bisher nur in Ägypten und Südafrika, in den übrigen Staaten fehlen Geld und Infrastruktur, zum Beispiel die für mRNA-Impfstoffe nötige Kühlkette. Solange dort die Pandemie weiter grassiert, sterben erstens Millionen Menschen, aber es entstehen auch ständig neue Mutationen des Virus, die vielleicht auch den erreichten Impfschutz überwinden. Sinnvoll wäre es also, nicht in den reichen Ländern alle und in den armen Ländern niemand zu impfen, sondern weltweit gleichmäßig. Insofern ist die Diskussion über die Geschwindigkeit in Deutschland, Großbritannien oder den USA etwas bizarr - alle Länder liegen an der Spitze, Deutschland weltweit auf Platz 6 von 190 Staaten.

Die Strategie der EU bedeutet: Alle fangen etwas später an, aber es wird gleichmäßig geimpft, die EU sorgt auch für die Impfungen in den sechs Westbalkan-Ländern, die gemeinsam wie eine Insel in der EU liegen. Arme Länder werden nicht benachteiligt, auch wenn Deutschland natürlich 30 Millionen Dosen an der EU vorbei bestellt und bezahlt hat und damit im Sommer ein bisschen besser dastehen wird als Griechenland oder Albanien - aber falls dann Urlaub in Griechenland oder Albanien möglich ist, sollten wir hoffen, dass es dort auch schnell geht.

Impfungen in Deutschland

In Deutschland wurde die gesamte Bevölkerung in sechs Gruppen eingeteilt, zuerst geimpft werden die Alten und das Pflegepersonal. Das ging am Anfang sehr langsam, weil viele von den mobilen Teams aufgesucht werden mussten. Erst seit Mitte Januar gibt es mehr als 100.000 Impfungen pro Tag, und bis Mitte März sollte die erste Gruppe bedient sein, Ende April dann die zweite Gruppe.

In der dritten Gruppe kommen dann alle dran, die in großen Unterkünften leben (Flüchtlinge, kasernierte Polizei und Soldaten, Schlachthofarbeiter), aber auch diejenigen, die viel mit anderen Menschen zu tun haben: VerkäuferInnen, PolizistInnen, BusfahrerInnen.

Ab dem Juni ist dann der Rest der Bevölkerung dran.

Schleswig-Holstein

In Schleswig-Holstein gibt es 28 Impfzentren, deren Adressen alle auf der „Corona-Seite“ der Staatskanzlei stehen. Zu Beginn gab es wenig Impfstoff und viel Nachfrage, so dass die Telefonleitungen und Internet-Seiten für eine Terminvereinbarung hoffnungslos überlastet waren. Dass „man nicht durchkommt“, wie viele sagten, stimmt nicht: Die Leitungen waren ja gerade überlastet, weil am Buchungstag jeweils 12.000 bis 18.000 Termine in einer halben Stunde vereinbart wurden.

Diese Verfahren, was vor allem ältere Menschen nervt, wurde dann abgelöst durch eine nettere Form: Alle Menschen über 90, dann über 85 Jahren bekamen einen Brief mit einer Code-Nummer, dazu eine Telefonnummer, die dann die ganze Woche über erreichbar war. Schlagartig hörten die Beschwerden auf, gleichzeitig nahm die verfügbare Menge an Impfstoff von Woche zu Woche zu.

Die Impfzentren starteten auch gestaffelt, ab dem 1. März sind alle aktiv. Ab Mai gibt es dann mehr Impfstoff als Kapazitäten zum Impfen, aber Ende Juni ist die Hälfte der Bevölkerung doppelt geimpft. Zur Zeit (18. Februar) erfolgen rund 2.600 Impfungen pro Tag.

Am 18. Februar waren in Schleswig-Holstein 179.125 Impfungen verabreicht worden, davon 65.808 Zweitimpfungen.

Hamburg

Auch in Hamburg wurde die Vereinbarung von Impftermine zügig auf Anschreiben umgestellt. Seit Ende Februar werden ältere Menschen gestaffelt nach Geburtsjahr angeschrieben, Ende Februar waren alle dran, die dieses Jahr 75 Jahre alt werden, Anfang März alle 74-Jährigen.

Im Impfzentrum in den Messehallen können 7.000 Impfungen pro Tag vorgenommen werden. Theoretisch können also alle Hamburgerinnen und Hamburger bis Ende Oktober doppelt geimpft werden. Zur Zeit erfolgen rund 1.600 Impfungen pro Tag, weil nicht mehr Impfstoff produziert werden kann.

Am 18. Februar waren in Hamburg 110.222 Impfungen verabreicht worden, davon 38.921 Zweitimpfungen.

Impfgegner

Wie bei allen Impfungen gibt es auch Gegner dieser Impfung. Sie argumentieren meistens damit, die Impfungen wären gefährlich. Da an der Infektion schon 70.000 Menschen in Deutschland gestorben sind, an der Impfung niemand, verharmlosen sie meistens gleichzeitig die Infektion mit Verweis auf das Alter der Verstorbenen oder anderen Erkrankungen, die auch verantwortlich für den Tod gewesen sein könnten.

Während viele verantwortliche Politikerinnen und Politiker herausstellen, dass es ein Glück ist, dass innerhalb eines Jahres ein Impfstoff entwickelt werden konnte, ist gerade das für Impfgegner verdächtig: Sie bezweifeln, dass die Zulassung ordnungsgemäß erfolgt ist, dass der Impfstoff ausreichend erprobt ist.

Diese Geschwindigkeit ist nur erklärlich, wenn man betrachtet, dass der mRNA-Impfstoff seit 20 Jahren erforscht und erprobt wird, oft auch anhand von Corona-Viren. Im Januar 2020 wurde der genetische Bauplan des neuen Virus von chinesischen Wissenschaftlern entschlüsselt und ohne Erlaubnis der Regierung ins Internet gestellt, bereits Ende Januar 2020 gab es deshalb in Deutschland einen zuverlässigen Test, und seitdem wurden auch die vorhandenen Test-Impfstoffe dem neuen Virus angepasst. Dabei haben die Firmen, die Impfstoffe entwickeln, die Ergebnisse relativ offen ausgetauscht. Sie stehen zwar im Wettbewerb, aber viel Geld ist mit Impfstoffen nicht zu verdienen - große Gewinne machen Firmen mit Medikamenten gegen chronische Krankheiten, gegen die es keine Impfungen gibt, zum Beispiel AIDS-Medikamenten.

Impfung erfolgreich, Pandemie zu Ende?

Wenn alle Impfstoffe entwickelt sind und wirksam sind, hat Großbritannien im Jahre 2021 viermal so viel Impfstoff wie benötigt, die EU dreimal so viel, Kanada sechsmal so viel, die USA mehr als viermal so viel.

Dagegen wird es in Russland, China, Brasilien oder Argentinien, in Indien oder in Mexiko 2022 gerade so reichen.

Länder wie Peru oder Venezuela, Iran oder Thailand werden erst 2023 genug Impfstoff beschafft haben. Das gilt auch für die etwas wohlhabenderen Länder in Afrika, also Kenia oder Tansania, Gabun oder Botswana, Namibia und Südafrika.

Bis 2024 dauert es in fast allen Ländern Afrikas, außerdem in Indonesien oder der Mongolei, In Afghanistan oder Pakistan, in Bolivien oder Nicaragua. Hier wird die Infektion noch jahrelang grassieren, und jederzeit können StudentInnen oder Geschäftsreisende, TouristInnen oder LKW-FahrerInnen sie von dort in andere Länder bringen. Das können dann 2023 oder 2024 auch Mutationen sein, die den Impfschutz in Europa oder Nordamerika überwinden können. (siehe auch: Stern 7/2021, Seite 26/27)

Deshalb wäre es sinnvoll, nicht so sehr auf die letzten 30 Prozent der Bevölkerung in den reichen Ländern zu starren, sondern darauf, wann in den ärmsten Ländern wenigstens die Hälfte der Bevölkerung geimpft ist. Denn vorher ist niemand sicher. Insofern kann man auch die Impfgegner vernachlässigen, kein Land muss 100 Prozent der Bevölkerung impfen.

Auf Dauer werden wir mit diesem Virus leben müssen wie mit dem HI-Virus und AIDS. Jedes Jahr infizieren sich 1,7 Millionen Menschen mit dem HI-Virus, rund 700.000 sterben jährlich an AIDS. Wir haben uns daran gewöhnt, weil in Europa und Nordamerika Medikamente verfügbar sind - sehr teuer, aber wirksam. Die Menschen sterben in armen Ländern, deshalb die Gewöhnung. Wir sehen ab und zu noch die Plakate „Kondome schützen“ und wissen, dass sich in Deutschland jedes Jahr 2000 oder 3000 Menschen infizieren.

Bedrohlicher ist sicherlich: Die letzte Pandemie ereignete sich 1918/19. Der Erreger, das H1N1-Virus, tötete rund 50 Millionen Menschen weltweit, vielleicht auch mehr. Es vergingen 100 Jahre bis zur nächsten Pandemie, wieder eine Zoonose, die vom Tier auf den Menschen übersprang.

Inzwischen gab es einige SARS- und MERS-Epidemien, die aber in Asien durch geeignete Hygiene-Maßnahmen (Mundschutz, Abstand, Kontaktreduzierung) gestoppt werden konnten. Die Menschen dort wussten also sofort, was zu tun ist, und konnten auch die Zahl der Toten in ihren Ländern gering halten. In Europa und Amerika gelang dies nicht so schnell. In Deutschland gab es zwar 1919 auch eine Mundschutzpflicht und Schulschließungen, aber keine persönliche Erinnerung daran, nur Einträge in den Schulbüchern - die Hygiene-Gegner konnten hier ihre kruden Theorien leichter verbreiten als in Südkorea, Vietnam oder Taiwan, wo die Menschen persönliche Erfahrungen mit solchen Infektionen haben.

Auf die nächste Pandemie werden wir nicht so lange warten müssen. Wenn die Vielfalt des Wildlebens, die Biodiversität, weiter so eingeschränkt wird, die Landwirtschaft immer industrieller wird, kann in wenigen Jahren der nächste Erreger auftauchen.

Wer auf Lockerungen hofft, kann sicher sein, dass diese mit Fortschreiten der Impfungen weltweit möglich sind. Wer zurück zum Leben vor 2020 will, träumt vergeblich.

Reinhard Pohl

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