(Gegenwind 388, Januar 2021)

Landtagsabgeordnete Amina Touré (Die Grünen) zu Besuch im Frauenhaus Kiel
Landtagsabgeordnete Amina Touré (Die Grünen) zu Besuch im Frauenhaus Kiel

Zu wenig Plätze im Frauenhaus

Viertausend Abweisungen im Jahr

Schleswig-Holstein lässt den Bedarf ermitteln

Reicht die Hilfe, die von Gewalt betroffenen Frauen in Schleswig-Holstein bekommen? Es gibt die Polizei, Notruf-Nummern, Beratungsangebote und Frauenhäuser, die sich auch vernetzen, zum Beispiel in den KIK-Netzwerken. Alles gut also? Um das herauszufinden, beauftragte die Landesregierung das Forschungsinstitut ZOOM e.V., den Bedarf herauszufinden und mit den Angeboten zu vergleichen. Das Ergebnis ist 183 Seiten stark und liegt nach einem Jahr vor.

Die Vernetzung, so ein Ergebnis, ist gut, aber nicht gut genug. Insbesondere in den Kreisen sind einige Gebiete nicht ausreichend vertreten, einige mögliche (und notwendige) Netzwerkpartnerinnen und Netzwerkpartner sind noch nicht dabei. In den KIK-Netzwerken („Kooperations- und Interventions-Konzept“) treffen sich in jedem Kreis oder kreisfreien Stadt die Frauenfacheinrichtungen mit der Polizei, der Jugendhilfe, Migrationseinrichtungen, Wohnungslosenhilfe, Gerichtshilfe, Schulen, Suchtberatung, Staatsanwaltschaften und Jobcentern. Die Treffen finden zweimal bis viermal im Jahr statt.

Es gibt auch Hindernisse und Probleme, die aus benachbarten Rechtsbereichen kommen: Einigen Frauen kann nicht nachhaltig geholfen werden, weil sie eine Wohnsitzauflage haben oder ihre aufenthaltsrechtliche Situation prekär ist. Auch gibt es deutliche Mängel, dass bei Sorgerechtsverfahren die häusliche Gewalt nicht ausreichend berücksichtigt wird.

Es gibt auch ganz praktische Fälle: Die Polizei trifft in einem akuten Fall von Gewalt in einer Wohnung ein, aber die Wegweisung des Gewalttäters sowie die Übermittlung der Daten an Beratungsstellen funktionieren nicht, weil dazu eine Einverständniserklärung nötig ist - die aber aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse nicht klappt.

Bundestagsabgeordneter Matthias Stein (SPD) zu Besuch im Frauenhaus Kiel
Bundestagsabgeordneter Matthias Stein (SPD) zu Besuch im Frauenhaus Kiel

Beratungsstellen

Auch bei Beratungsstellen treten solche Probleme auf. Sie müssen ihr Angebot noch ausbauen, um auch Frauen mit Behinderung und Flüchtlingsfrauen zu erreichen. Die meisten Standorte der Beratungsstellen sind zudem in den Kreishauptstädten. Mögliche Hilfesuchende aus dem Kreis sind nur zu 22 bis 44 Prozent unter den Klientinnen, obwohl sie rund 80 Prozent der Bevölkerung repräsentieren - wer auf dem Dorf wohnt, kann anscheinend nicht immer die Beratungsangebote erreichen.

Frauenhäuser

Die Frauenhäuser sind überlastet und müssen viele abweisen. Die durchschnittliche Auslastung lag bei 96 Prozent und konnte durch zusätzliche Finanzierung der Landesregierung auf 94 Prozent gesenkt werden - das reicht noch nicht, um kurzfristig bei Notfällen auch mehrere Personen (zum Beispiel eine Frau mit Kindern) aufnehmen zu können.

Die Gutachterinnen schlagen vor, das Angebot auf 403 Plätze aufzustocken und perspektivisch weitere 101 Plätze zu schaffe. So könnte die Belegung auf 84 Prozent gesenkt werden, und es könnte perspektivisch spätestens nach dem zweiten Anruf jeder von Gewalt betroffenen Frau ein Aufnahmeangebot gemacht werden.

Übergreifend

Nicht direkt Thema des Gutachtens, aber in die Betrachtung eingeflossen ist die Situation der Therapiemöglichkeiten. Davon gibt es zu wenig, sie sind aber wichtig für die Stabilisierung der in Frauenhäuser aufgenommenen Frauen, besonders um sie auf ein eigenständiges Leben nach der Frauenhaus-Phase vorzubereiten.

Außerdem gibt es systemische Probleme. Söhne ab 14 Jahren dürfen nicht im Frauenhaus leben, weil dies nur für Frauen und Kinder ist. Für Frauen im Rollstuhl gibt es höchstens 25 Plätze landesweit. Kein Angebot gibt es für obdachlose Frauen oder für drogenabhängige Frauen, auch diese können von Gewalt betroffen sein und Hilfe benötigen.

Die Bezahlung der Mitarbeiterinnen ist schlecht, auch weil eine betriebliche Altersvorsorge ganz fehlt. So dauert es, freie Stellen zu besetzen: Eine Beratungsstelle braucht 155 Tage, um eine Nachfolgerin zu finden und einzustellen, im Frauenhaus dauert es durchschnittlich 222 Tage, eine Stelle neu zu besetzen. Das führt zur Überlastung der Mitarbeiterinnen, was dann wieder die Neubesetzung einer freien Stelle erschwert.

Bundestagsabgeordnete Cornelia Möhring (Die Linke) zu Besuch im Frauenhaus Kiel
Bundestagsabgeordnete Cornelia Möhring (Die Linke) zu Besuch im Frauenhaus Kiel

Wie soll es weitergehen?

Zur Zeit gibt es noch keinen bundesweit gültigen Richtlinien über die Finanzierung von Frauenhäusern. Deshalb gibt es in Schleswig-Holstein das „Finanzausgleichsgesetz“ (FAG), die Kommunen bekommen das Geld für die Frauenhäuser zweckgebunden vom Land. Die Gutachterinnen empfehlen, diese Finanzierung auf die Frauenberatungsstellen auszuweiten, die bisher Anträge beim Kreis und beim Land stellen müssen.

Der Personalschlüssel sollte nach diesem Gutachten bei 1 : 6 liegen.

Und die Frauenhäuser?

Die Landesarbeitsgemeinschaft der Autonomen Frauenhäuser, deren Adresse regelmäßig reihum von Frauenhaus zu Frauenhaus wechselt, will nicht mehr 3.000 bis 4.000 Abweisungen im Jahr aussprechen müssen. Zur Zeit gibt es 349 Plätze in den 16 Frauenhäusern Schleswig-Holsteins, die jetzige Regierung hat 30 davon neu finanziert (vor drei Jahren waren es noch 319 Plätze). Dazu kommen 15 kommunal finanzierte Plätze.

Dagegen fordert die LAG, eine Belegung von höchstens 75 Prozent, das wäre zu erreichen, wenn es landesweit 750 Plätze gäbe. Das sind einige mehr als die 403 Plätze, die das Gutachten fordert.

Reinhard Pohl

Das Gutachten kann bei der Redaktion bestellt werden:
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