(Gegenwind 388, Januar 2021)
2020 gab es auf der Welt mehr Flüchtlinge als 2019. In Syrien hat sich vor allem die soziale Lage im Regierungsgebiet, aber auch im Gebiet der türkischen Besatzung drastisch verschlechtert. Am Horn von Afrika sind durch den Krieg im Norden Äthiopiens, in den Truppen aus Eritrea eingriffen, neue Flüchtlingsströme erzeugt worden. Die Sicherheitslage in Afghanistan ist unstabiler geworden, durch das angekündigte Abkommen zwischen den USA und den Taliban entstand neuer Druck auf diejenigen, die ohnehin ihre Zukunft nicht in dem Land sehen. In Deutschland kamen nur noch 100.000 Flüchtlinge an, obwohl im Koalitionsvertrag eine „Obergrenze“ von 200.000 vereinbart ist - man hätte also Flüchtlinge aus Bosnien, Griechenland, Libanon oder Libyen leicht aufnehmen können.
Insgesamt zählte das „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge“ im Jahre 2020 122.170 Asylanträge, davon waren aber 102.581 Erstanträge. Die anderen kamen als Folgeanträge von Leuten, die schon vorher in Deutschland lebten. Ein Viertel der Folgeanträge kamen von Menschen aus Syrien, jeweils über 1.000 von Menschen aus Afghanistan, Irak und Russland.
Bei den Erstanträgen dominierten wiederum Asylanträge aus Syrien mit über 36.000, also mehr als ein Drittel aller Asylanträge. Aus keinem anderen Land wurde eine fünfstellige Zahl erreicht, auf die syrischen Anträge folgten die aus Afghanistan (9.900), aus dem Irak (9.800) und aus der Türkei (5.800), alle anderen Herkunftsländer lagen unter 5.000.
Der Rückgang der Zahlen hängt natürlich mit der Pandemie zusammen: Verkehrsverbindungen wurden stark reduziert, gleichzeitig wurden die Grenzkontrollen erheblich verschärft. Dafür entstanden an den Grenzen „wilde Lager“, die die Ausbreitung der Pandemie fördern - nur dass sich dafür niemand zuständig fühlt. Nur die Regierung Jordaniens besorgte Impfstoff und ließ in einer großen Aktion syrische Flüchtlinge in den Lagern an der Grenze impfen, eine sehr sinnvolle Aktion.
Die Zahl der positiven Entscheidungen ist nach wie vor hoch:
Entscheidungen | 38.710 |
positiv | 34.489 = 89 % |
negativ | 55 = 0,1 % |
Flüchtlingsschutz | 18.833 |
subsidiärer Schutz | 15.464 |
Abschiebeschutz | 192 |
Dublin-Entscheidungen | 4.166 |
Es lohnt sich mittlerweile, bei den anerkannten syrischen Flüchtlingen auch die Einbürgerungszahlen anzusehen. Wer einen blauen Pass hat, kann sechs Jahre nach der Ankunft eingebürgert werden - subsidiär Geschützte nach sieben Jahren.
Ansonsten kann man davon ausgehen, dass syrische Flüchtlinge so gut wie nie abgelehnt werden. Die eingeleiteten Dublin-Verfahren werden weitgehend ergebnislos enden, vor allem wenn sich die Betroffenen dagegen wehren, so dass sie dann 2021 ihr Asylverfahren bekommen und anerkannt werden.
Es wurden nur 4.137 Folgeanträge registriert. Einen Folgeantrag können subsidiär Geschützte stellen, wenn sie männlich sind und sich dem Militärdienst entzogen haben - der Europäische Gerichtshof sieht hier durchaus die Gefahr einer persönlichen Verfolgung, was dann die Flüchtlingsanerkennung bedeuten kann. Voraussetzung ist natürlich, dass es sich um junge Männer handelt, für die die Gefahr konkret ist.
Das BAMF hat im Jahre 2020 über 10.803 Anträge entschieden. Rund die Hälfte bekommt im Asylverfahren ein Bleiberecht, dazu kommen positive Entscheidungen der Verwaltungsgerichte, deren Zahl sich aber nicht auf die Jahre der Ablehnung zuordnen lässt.
Entscheidungen | 10.803 |
positiv | 4.586 = 42 % |
negativ | 2.809 = 26 % |
Flüchtlingsschutz | 1.540 |
subsidiärer Schutz | 496 |
Abschiebeschutz | 2.550 |
Dublin-Entscheidungen | 3.408 |
Auch hier ist klar: Die meisten Dublin-Entscheidungen führen nicht zu einer Abschiebung, sondern zu einem normalen Asylverfahren nach ein paar Monaten, weil wegen der Pandemie viele Abschiebungen nicht möglich waren. Dann werden weitere 1.500 positive Entscheidungen folgen.
Auffällig ist die hohe Zahl der Bleiberechts-Entscheidungen, die „nur“ einen Abschiebeschutz vorsehen. Das bedeutet, dass das BAMF keine Verfolgung annimmt, aber wegen einer Krankheit, wegen Kindern, wegen fehlender Verwandter oder Freunde in Afghanistan dort keine Perspektive besteht.
Allerdings sollte man im Auge behalten, dass der Anteil der positiven Entscheidungen in den letzten Jahren langsam gewachsen ist, nur ein Viertel der Anträge wird abgelehnt. Was hier „Dublin-Entscheidung“ heißt, kann auch eine „unzulässig“-Entscheidung aus anderem Grund sein, zum Beispiel bei Folgeanträgen.
Asylanträge aus dem Irak haben nicht so gute Chancen, dass ist aber sehr von der Region abhängig, aus dem die Flüchtlinge kommen. Die Autonomieregion Kurdistan gilt als ruhiger und sicherer als der arabische Teil des Landes.
Entscheidungen | 12.852 |
positiv | 4.696 = 37 % |
negativ | 4912 = 38 % |
Flüchtlingsschutz | 3.376 |
subsidiärer Schutz | 566 |
Abschiebeschutz | 754 |
Dublin-Entscheidungen | 3.244 |
Die meisten „unzulässig“-Entscheidungen betreffen Dublin-Entscheidungen, aber es gibt auch AntragstellerInnen, die das Asylverfahren von sich aus abbrechen.
Die Türkei hat sich in den letzten Jahren zu einem der wichtigsten Herkunftsländer von Flüchtlingen entwickelt. Viele von ihnen geben als Asylgrund nicht mehr an, Kurdin oder Kurde zu sein, es geht um die umfangreichen Verfolgungen der Gegnerinnen und Gegner Erdogans. Sie werden in den Schauprozessen wahlweise beschuldigt, die Gülen-Bewegung oder die PKK (oder beides) zu unterstützen. Dazu gibt es viele Prozesse, in denen es um eine Unterstützung des Putsches gegen die Regierung geht oder auch schlicht um Beleidigung des Präsidenten oder des Staates, dazu reicht schon ein zweideutiger Satz bei Facebook.
Entscheidungen | 9.977 |
positiv | 4.289 = 43 % |
negativ | 4.711 = 47 % |
Flüchtlingsschutz | 4.220 |
subsidiärer Schutz | 31 |
Abschiebeschutz | 38 |
Dublin-Entscheidungen | 977 |
Einzelne Antragsteller werden immer wieder von der Bundesregierung aus den Unterkünften genommen und bekommen einen Aufenthaltstitel, um Streit mit der Regierung dort zu vermeiden - das ist vor allem bei „Prominenten“ der Fall, wirkt sich aber kaum auf die Zahlen aus.
Insgesamt bekamen 43 Prozent aller Asylanträge eine positive Entscheidung des Bundesamtes. Da viele Ablehnungen von Gerichten korrigiert werden, kann man davon ausgehen, dass die Hälfte aller AntragstellerInnen ein Bleiberecht erhält, die übrigen reisen entweder aus oder versuchen, mit Hilfe von Beratungsstellen ein Bleiberecht aus humanitären Gründen zu bekommen.
2019 gab es übrigens noch etwas mehr als 142.000 Asyl-Erstanträge, 2020 nur noch 102.000 Asyl-Erstanträge.
Zahlen zu allen Entscheidungen aller Herkunftsländer sind auf der Internet-Seite des BAMF hinterlegt. Sie können auch bei der Redaktion angefordert werden.
Hamburg konnte zum Redaktionsschluss die Gesamtzahl der 2020 aufgenommenen Flüchtlinge noch nicht nennen. Von Januar bis Ende November waren es 3.540 (Vorjahr: 4.992).
Hauptherkunftsländer waren Afghanistan (ungefähr ein Viertel), es folgen Syrien, Albanien und Ghana (jeweils 8 bis 10 Prozent). Die Zusammensetzung der Herkunftsländer entspricht nicht den Bundeswerten, weil in jedem Bundesland Anträge aus unterschiedlichen Herkunftsländern angehört werden, AntragstellerInnen aus Ghana werden also von anderen Bundesländern nach Hamburg geschickt, während Hamburg AntragstellerInnen aus dem Jemen nach Schleswig-Holstein schickt.
Rund 1.000 AsylbewerberInnen lebten im Dezember 2020 in den Zentralen Aufnahmeeinrichtungen (Ankunftszentrum, Harburger Poststraße, Kaltenkirchener Straße, Sportallee und als Quarantänelager Neuer Höltingbaum). Gleichzeitig waren etwas mehr als 28.000 Flüchtlinge in Folgeunterkünften untergebracht.
Abschiebungen gab es rund 20 pro Monat, zumindest im zweiten Halbjahr.
Schleswig-Holstein nahm 2020 genau 3.804 AsylbewerberInnen auf. 2019 waren es noch 4.183. Die meisten kamen aus Syrien (30,9 %), es folgten der Irak (20,7 %), Afghanistan (17.4 %), die Türkei (3,5 %) und der Iran (3,5 %).
In den vier Landesunterkünften in Neumünster, Boostedt, Rendsburg und Bad Segeberg waren Ende des Jahres 1.620 Flüchtlinge untergebracht, es blieben 730 freie Plätze. 4.165 Flüchtlinge wurde im Laufe des Jahres in die Kreise verteilt, also mehr als neue kamen. Damit wollte das zuständige Landesamt auch die Situation in den Landesunterkünften entspannen, weil bei einem Covid-19-Ausbruch Quarantäne-Bereiche eingerichtet werden müssen.
Im ganzen Jahr 2020 gab es 129 Abschiebungen und zusätzlich 72 Abschiebungen wegen eines Dublin-Verfahrens. 2019 waren es noch 329 Abschiebungen und 157 Dublin-Abschiebungen, hier erwies sich 2020 die Pandemie als das größte Problem für die Behörden.
Reinhard Pohl
Diskussionsbeiträge dazu:
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