(Gegenwind 388, Januar 2021)

Pioneer Spirit der Firma Allseas' Solitaire
Das größte Verlegeschiff der Welt ist die „Pioneer Spirit“ der Firma Allseas' Solitaire (Foto: Allseas)

Umgang mit Sanktionsdrohungen:

Umweltstiftung zur Rettung der fossilen Vergangenheit

Mecklenburg-Vorpommern will „Nord Stream 2“ retten

Die Klimapolitik der Bundesregierung ist zu langsam - da sind sich Fachleute einig. Die versprochenen Ziele zur Reduzierung wurden 2020 trotzdem erreicht, allerdings nicht durch entschlossene Maßnahmen zum Klimaschutz, sondern durch die Pandemie. Diese Pandemie ging einher mit schrumpfender Wirtschaftsleistung und schrumpfenden Verkehr - und damit gab es eine Verbesserung der Klimabilanz. Jetzt geht es aber darum, diese Bilanz nicht durch undifferenziertes „Hochfahren“ der Wirtschaft wieder zu verschlechtern, sobald die Impfungen Wirkung zeigen. Vielmehr müssen die Erfolge bewahrt und ausgebaut werden.

Erdgas aus Russland

Eine Streitfrage ist die von der Großen Koalition in Berlin geförderte Nutzung von Erdgas als „Übergangstechnologie“, um einerseits von der Kohle und dem Atom wegzukommen, andererseits den Ausbau der Energie aus Wind und Sonne nicht zu sehr zu beschleunigen. Die Nutzung von Erdgas ist aus zwei Gründen umstritten.

Einerseits geht es um die Emissionen von CO2 und anderen klimaaktiven Gasen. CO2 ist das häufigste Gas, es dauert mehrere Hunderttausend Jahre, es (durch Pflanzen) wieder aus der Atmosphäre zu filtern. Dagegen ist Methan sehr viel schädlicher, hat auf das Klima die ungefähr 25-fache Wirkung. Allerdings ist es schon nach 12,5 Jahren in der Atmosphäre nicht mehr nachweisbar, wird also viel schneller abgebaut.

Methan wird bei der Förderung von Erdgas freigesetzt, und zwar in erheblichen Mengen. Allerdings wird Treibhausgas immer dem Land angerechnet, in dem es entsteht. Beim Erdgas wird das Methan also vor allem in Russland freigesetzt, auch wenn das Erdgas selbst dann in Deutschland verbraucht wird. Insofern ist die Verbrennung von Erdgas nach Meinung vieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern schädlicher als die Verbrennung von Kohle, aber die Schädlichkeit wird international vor allem Russland (Norwegen, Algerien) angelastet, nicht Deutschland - und deshalb ist ein Erdgas-Kraftwerk in Deutschland „sauberer“ als ein Kohlekraftwerk.

Andererseits geht es in dieser Diskussion um Russland. Deutschland bezieht sein Erdgas zu 50,7 Prozent aus Russland, 25.4 Prozent kommen aus Norwegen, 21,4 Prozent aus den Niederlanden. der Rest von 2,6 Prozent kommt aus dem Rest der Welt, meistens aber auch aus Europa. Russland hat aber Georgien und die Ukraine angegriffen, führt Kriege gegen Syrien und gegen Libyen. Deshalb werden immer wieder Sanktionen verhängt und auch gefordert, den Bezug von Erdöl und Erdgas einzuschränken - das sind Russlands wichtigste Exportprodukte.

Ob man das will oder nicht, ist eine politische Frage. Wenn man es will, sollte man aber gleichzeitig die dann fehlende Energie aus fossilen Quellen durch Energie aus erneuerbaren Quellen decken, also aus Wind und Sonne. Da hat die Bundesregierung zwei (künstliche) Deckel eingeführt, also den Zubau begrenzt. Diese Deckel für den Zubau von Solarenergie und Zubau von Windenergie (Zwang zur Ausschreibung) kann man einfach abschaffen und dadurch Erdgas komplett ersetzen - wobei die andere Hälfte der Gaslieferungen aus Norwegen und den Niederlande ja weiterhin zur Verfügung steht.

Erdgas aus Übersee (China, USA) kann nur in Form von Flüssiggas (also tiefgekühlt) geliefert werden. Das wäre nur konkurrenzfähig, wenn man die Windenergie durch Auflagen einschränkt und das Flüssiggas subventioniert. Warum sollten wir das tun? In freier Konkurrenz würde niemand Flüssiggas kaufen. Und das ist unabhängig davon, ob es konventionell gefördert oder durch Fracking gewonnen wird. Fracking verschlechtert die Klimabilanz nochmal.

Planungen der Pipeline

Zur Zeit wird über die Pipeline „Nord Stream 2“ gestritten. Da in der Diskussion mehrere Argumente vermischt werden, ist es sinnvoll, sich zunächst das Projekt anzusehen.

„Nord Stream“ ist eine Pipeline, die aus der Nähe von St. Petersburg quer durch die Ostsee nach Greifwald (Lubmin) in Mecklenburg-Vorpommern verläuft. Dort wird das Gas über die OPAL-Pipeline nach Süden und über die NEL-Pipeline nach Westen (Niedersachsen) weitergeleitet.

„Nord Stream 1“ heißt eine Pipeline, die 2011 in Betrieb genommen wurde. Sie besteht aus zwei Leitungen und wird von einem Konsortium betrieben, das zur Hälfte aus der russischen Gazprom (51 Prozent) und zur Hälfte aus Wintershall, E.ON, Gasunie und Engie (49 Prozent) besteht. Die beiden Stränge haben eine Kapazität von etwas mehr als 55 Milliarden Normkubikmeter (eine Einheit für Gas) im Jahr, das entspricht einem Heizwert von etwas über 63 Giga-Watt (GW).

Dazu will Gazprom mit einer zweiten Firma, die allein russisch ist, eine zweite Pipeline bauen, die ungefähr die gleiche Kapazität hat. Die Kapazität beträgt ebenfalls rund 55 Milliarden Nm3 (entspricht 63 GW Heizwert), die Kapazität wird also verdoppelt. Auch die neue Pipeline besteht aus zwei Leitungen, die in der Nähe von St. Petersburg starten und quer durch die Ostsee nach Greifswald (Lubmin) verlaufen. Sie durchqueren russische und deutsche Gewässer, dazu internationale Gewässer, die allerdings zur ausschließlichen Wirtschaftszone von Finnland, Schweden und Dänemark gehören, die drei Staaten bekamen Bauanträge und haben sie genehmigt. Die Pipeline ist 1224 Kilometer lang. Den Anschluss auf deutscher Seite gewährleistet die EUGAL-Pipeline, die zur Zeit halb fertig ist und im Laufe des Jahres 2021 ganz fertig werden soll. EUGAL läuft praktisch parallel zur OPAL-Pipeline Richtung Süden und wird an der Grenze zur Tschechischen Republik an GAZELLE angeschlossen. Diese Pipeline mündet wiederum in die süddeutsche MEGAL-Pipeline.

Die Pipeline „Nord Stream 1“ sollte ursprünglich 4 Milliarden Euro kosten, es wurden dann 7,4 Milliarden Euro. Sie wurde von den beteiligten Firmen bezahlt, die zu 70 Prozent auf Kredite zurückgriffen. Diese Kredite wurden teils von der Bundesregierung aus Steuergeldern abgesichert.

Die Pipeline „Nord Stream 2“ sollte ursprünglich auch von einem Konsortium gebaut werden, das zur Hälfte aus Gazprom, zur Hälfte aus deutschen, österreichischen und französischen Firmen bestehen sollte. Diese stiegen jedoch aus, auch weil die Transportkapazität überhaupt nicht gebraucht wird. Die Kosten von 11 Milliarden Euro bezahlt Gazprom jetzt alleine. Russland plant, die Transportkapazitäten erforderlich zu machen, indem entsprechend weniger Erdgas durch vorhandene Pipelines durch die Ukraine und eventuell auch durch Belarus gepumpt wird, auch um Transitgebühren zu sparen oder diesen Ländern zu entziehen.

Allerdings gab es auch ein Gutachten der russischen Sberbank, die nach Krediten gefragt wurde: Sie schätzt, dass sich die Pipeline wirtschaftlich nicht lohnt, weil sie nicht gebraucht wird und das Erdgas wegen des billigen Stroms aus Wind und Sonne beim Verkauf in Deutschland nicht einmal die Transportkosten wieder einbringen wird. Die Opposition in Russland vermutet, dass bei der Planung Korruption eine große Rolle spielt: Es wird russisches Steuergeld über Gazprom an russische Bauunternehmer geleitet, die Präsident Putin nahe stehen, der Betrieb der Pipeline und der Gasverkauf interessiert diese Unternehmen nicht, die Verluste des Gasverkaufes bleiben bei dem Staatskonzern Gazprom und somit beim russischen Steuerzahler.

Die Sberbank schätzt die Kosten auf russischer Seite auf 19,5 Milliarden US-Dollar. Das schließt die Zuleitungen auf russischem Gebiet mit ein, betrifft also nicht nur die Ostsee-Pipeline. Wenn die Pipeline Erdgas nach Deutschland leiten sollte, könnten jährlich 700.000 US-Dollar Transit-Gebühren an die Ukraine eingespart werden. Die Sberbank schätzt aber auch, dass der Erdgas-Bedarf in Deutschland durch den Ausbau der Windenergie sinkt und deshalb die neue Pipeline nie mehr als 60 Prozent ihrer Kapazität erreichen wird. So wäre einziger Profiteur das russische Unternehmen „Stroitransgas“ des Oligarchen Genndi Timtschenko, während die Gazprom Verluste machen wird. Präsident Putin sorgte nach der Veröffentlichung des Gutachtens dafür, dass die Gutachterin bei der Sberbank entlassen wurde.

Mögliche ökologische Schäden der Pipeline können daraus resultieren, dass die Ökologie im Meer durch den Bau und Betrieb gestört wird. So werden Laichplätze von Dorschen durchschnitten. Außerdem könnte - unwissentlich - in der Ostsee versenkte Munition, auch chemische Munition während des Baus aufgewirbelt werden. Ferner wird die Pipeline mit einer hochgiftigen Glutaraldehyd-Lösung gereinigt, diese und das Erdgas selbst können über Lecks ins Wasser geraten. Der Bau einer Unterwasser-Pipeline ist mindestens 50 Prozent teuerer als eine Überland-Pipeline es wäre, allerdings entfallen die Transitgebühren.

Die neue Pipeline ist jetzt bis auf die letzten 120 Kilometer fertig, der Weiterbau wurde 2020 durch US-Sanktionen gestoppt. Fremdfirmen, die zum Beispiele die Verlegeschiffe für die Rohre gestellt haben, zogen sich vom Bau zurück. Russische Schiffe mit diesem Standard gibt es nicht, der war aber Bestandteil der dänischen Baugenehmigung. Russland hat jetzt ein Verlegeschiff in die Ostsee verlegt, dass die Standards nur zur Hälfte erfüllt, damit erklärten sich Dänemark und Deutschland einverstanden. Das Verlegeschiff musste jetzt nur von Gazprom an einen neu gegründeten Investmentfonds in Samara (Süd-Russland) verkauft und anschließend zurückgemietet werden, um Gazprom vor Sanktionen aus den USA zu schützen.

Sanktionsdrohungen

Die USA haben zu Ende 2019 Sanktionen gegen die Pipeline beschlossen, um Europa vor einer zu großen Abhängigkeit von russischem Erdgas zu schützen, wie das US-Parlament erklärte. Die Sanktionen wurden von Demokraten und Republikanern getragen, es werden also mit einem Regierungswechsel kaum Änderungen eintreten.

Mit Inkrafttreten der Sanktionen am 19. Dezember 2019 zog die Schweizer Firma „Allseas“ ihre modernen Verlegeschiffe aus der Ostsee ab, und Russland schickte eigene weit weniger moderne Schiffe. Diese konnten erst Anfang 2021 mit dem Weiterbau starten, der lag also rund 13 Monate still. Da die dänischen und deutschen Baugenehmigungen nur bis Ende 2020 reichten, mussten für 2021 neue Genehmigungen beantragt werden.

Ob sich die USA wirklich um eine Abhängigkeit Europas vor Russland sorgen, wird von vielen Beobachterinnen und Beobachtern bestritten. Es handelt sich eher um den Versuch, einen Konkurrenten zu schädigen, denn die USA haben die Erdgasförderung in den letzten Jahren erheblich gesteigert und bieten selbst Exporte von Flüssiggas an.

Im Moment ist aber der Gaspreis so niedrig, dass sich der Export weder für Russland noch für die USA lohnt. So ist unklar, ob Russland wirklich an der Fertigstellung der Pipeline Interesse hat - vermutlich will Gazprom im Jahre 2021 sowieso nicht mehr Gas exportieren und benötigt die Pipeline nicht dringend. Dennoch haben die „Akademik Tscherski“ und die „Fortuna“, jetzt nicht mehr im Eigentum der Gazprom, die Arbeiten im Januar wieder aufgenommen.

Interesse am Weiterbau hat das Land Mecklenburg-Vorpommern. Um diesen Weiterbau abzusichern, ohne unter Sanktionen zu fallen, gründete Ministerpräsidentin Schwesig (SPD) mit Zustimmung von SPD, CDU und Linken die „Stiftung Klima- und Umweltschutz MV“. Sie soll das Klima und die Umwelt schützen, aber auch Röhren für Pipelines kaufen und Bauunternehmen mit Verlegeschiffen in der Ostsee zur Verfügung stellen. Die Stiftung wurde von Land Mecklenburg-Vorpommern mit 200.000 Euro aus Steuern ausgestattet und erhielt sofort eine Spende von Gazprom über 20 Millionen Euro. Dafür steht in der Satzung, das die Gazprom-Firma „Nord Stream AG“ Stiftungsrat und Vorstand bestimmen darf. Diese sollen wohl, so das Kalkül des Landtages und der Ministerpräsidenten, die Sanktionen (Reiseverbote) auf sich ziehen.

Gazprom hat noch weitere Spenden über rund 40 Millionen Euro angekündigt, dafür soll die Stiftung auch Maschinen kaufen und den Baufirmen schenken. Auf Antrag von SPD und CDU musste der Landtag am 6. Januar eine Sondersitzung machen, um die Stiftung zu gründen.

Die Grünen kritisierten die „Klimastiftung“ als Mogelpackung, ähnlich äußerten sich „Fridays for Future“ und andere. Auch in der SPD ist die Stiftung nicht unumstritten, der SPD-Außenminister Heiko Maas erklärte, es wäre eine Entscheidung der Landes-SPD, nicht der Bundes-SPD, diese Stiftung zu gründen. Manuela Schwesig bezeichnete das Erdgas als „Brückentechnologie“ und sagte, die Pipeline drohe ohne die Umweltstiftung zu einer 11-Milliarden-Investitionsruine zu werden.

Das „Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung“ trat in Gestalt der bekannten Klimaforscherin Claudia Kemfert auf: Erdgas als Brückentechnologie sei eine Brücke ins Nichts. Claudia Kemfert weiter: „Statt Fake-Umweltstiftungen zu gründen, die dem Klimaschutz schaden, sollte man in Mecklenburg-Vorpommern die bisherige Politik des konsequenten Ausbaus der erneuerbaren Energien fortsetzen.“

Das Justizministerium von Mecklenburg-Vorpommern hat die Stiftung nach ihrer Gründung am 6. Januar ausführlich geprüft und sie am 7. Januar genehmigt.

Flüssiggas-Förderung als Angebot?

Die größten Erdgas-Förderländer sind die USA (20 Prozent) und Russland (17.3 Prozent). In weitem Abstand folgen dann der Iran (6,1 Prozent) und Kanada mit 4,8 Prozent, dahinter Katar mit ebenfalls 4,8 Prozent. Das ist zusammen die Hälfte des Erdgases weltweit.

In den letzten 50 Jahren haben die USA und die Sowjetunion, seit 1992 Russland sich an der Spitze der Weltförderung mehrmals abgelöst. Die USA war bis 2001 auf Platz 1, wurde dann von Russland bis 2008 verdrängt, gewann den Platz 1 ab 2009 wieder. Allerdings wird die Förderung schwieriger, Russland hatte 2011 die bisher höchste Förderung, in den USA war es 2015. Seitdem nehmen in beiden Ländern die Fördermengen ab.

Die größten Verbraucher von Erdgas sind auch die USA (21,6 Prozent) und Russland (12.1 Prozent), gefolgt von China und dem Iran. Deutschland liegt weltweit auf Platz 7, mit rund 101,5 Milliarden Kubikmeter verbraucht es etwa 2,8 Prozent der Weltproduktion.

Flüssiggas spielt dabei kaum eine Rolle. Im Jahre 2019 nahm die EU insgesamt 1,4 Milliarden Kubikmeter Gas aus den USA ab. Jetzt soll aber in Brunsbüttel eine neue Entladevorrichtung (Terminal) für Flüssiggas, auch LNG genannt, gebaut werden. Insgesamt kostet das Projekt 450 Millionen Euro. Da es sich für die beteiligten Firmen nicht lohnt, haben Bund und Land jeweils einen Zuschuss, eine Subvention von 50 Millionen Euro zugesagt. Außenminister Maas bezeichnete das auch direkt als Angebot an die USA: Sie könnten über Brunsbüttel in Zukunft mehr LNG nach Deutschland exportieren, sollten aber bitte die Sanktionen gegen die Ostseepipeline beenden.

Flüssiggas muss auf minus 160 Grad gekühlt werden, dafür passt die 600-fache Menge in einen Tank, verglichen mit Erdgas. Es kann als Treibstoff für Schiffe oder LKW eingesetzt werden, ebenso zur Erzeugung von Prozesswärme in der Industrie. Es kann auch einfach aufgetaut und in das normale Erdgasnetz eingespeist werden.

Welche Kapazität der Terminal in Brunsbüttel haben wird, wollen die Investoren nicht veröffentlichen. Geschätzt wird er auf 3 bis 4 Milliarden Kubikmeter im Jahr (gerechnet in normalem Erdgas). Allerdings sind die bisher gebauten LNG-Terminals in den Niederlanden oder in Belgien nur zu einem sehr geringen Prozentsatz ausgelastet, vermutlich wird nur ein Bruchteil des LNG wirklich geliefert, weil es in Deutschland und in Europa einfach nicht absetzbar ist.

Klimaschutz und Zukunftsfähigkeit

Bevor eine Pipeline Erdgas transportiert, muss sie gebaut werden. Zwei Millionen Tonnen Stahl, die für die „Nord Stream 2“ gebracht werden, werden unter Freisetzung von drei Millionen Tonnen Kohlendioxid hergestellt.

Wenn die Pipeline dann 55 Milliarden Nm3 Erdgas im Jahr transportiert, das hier zum Heizen oder zur Stromerzeugung verbrannt werden, werden 110 Millionen Tonnen Kohlendioxid freigesetzt.

Die Pumpen, die das Gas verdichten und mit 220 Atmosphären Druck in die Leitungen pressen, setzen pro Jahr 1,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid frei.

Erdgas macht in Deutschland ungefähr ein Viertel der Primärenergie aus und liegt insofern auf Platz 2 hinter dem Erdöl (34 Prozent) und vor der Kohle (21 Prozent). Wind und Sonne liegen bei 15 Prozent, Atomkraft bei 6 Prozent.

Sinnvoll wäre es, nicht nur die Atomenergie und die Kohle durch erneuerbare Energien zu ersetzen, sondern auch Erdöl und Erdgas. Der jetzige Neubau von Pipelines (die mit russischem Erdgas oder mit US-Gas gefüllt werden) legt Deutschland für weitere 30 Jahre auf die Verbrennung fossiler Energien fest, denn die Investoren in Pipelines und Terminals wollen natürlich, dass sich ihre Investitionen verzinsen.

Politische Diskussion

Zur Zeit verteidigt die SPD Mecklenburg-Vorpommern ihre Parteinahme für die Ostsee-Pipeline, indem sie sich gegen „Fracking-Gas“ aus den USA wendet. Teile der Bundes-SPD verteidigen aber gleichzeitig die Subventionen für den geplanten LNG-Terminal in Brunsbüttel, weil damit das Angebot diversifiziert werde und die USA besänftigt werden könnten. Und die SPD Niedersachsen verteidigt ihren LNG-Terminal in Stade, weil Fracking-Gas eine „Brücken-Technologie“ sei.

Allerdings: Erdgas ist Erdgas, ob flüssig oder gasförmig, und stammt aus fossilen Quellen, es sollte in der Erde bleiben.

Die CDU kritisiert die Ostsee-Pipeline, weil sie die Politik Russlands kritisiert, will aber das Projekt nicht stoppen. Es ist genehmigt und finanziert. Da die klimawirksamen Gase zu einem großen Teil nicht Deutschland, sondern den Förderländern zugerechnet werden, kann Deutschland durch den Ersatz von Kohle durch Gas seine Klimabilanz aufhübschen, nur dass die Erde dabei trotzdem über die Klinge springt.

Die Grünen wenden sich gegen fossile Energie und plädieren für Energieeinsparung (als Ziel Nummer 1) und erneuerbare Energien (als Ziel Nummer 2), sind aber in Schleswig-Holstein in der Koalition an den Beschluss gebunden, den LNG-Terminal zu subventionieren. Ebenso befinden sich die Grünen in Hamburg in einer Koalition mit der SPD, die dort ebenfalls Erdgas befürwortet. Das tun in Schleswig-Holstein auch der Oberbürgermeister von Kiel und die Oberbürgermeisterin von Flensburg, beide in der SPD und beide mit einem neuen Gas-Kraftwerk in der Stadt. Die Grünen, in beiden Städten stark, verweisen ab und zu darauf, ein Gaskraftwerk könnte auch mit erneuerbaren Gas betrieben werden, gewonnen aus landwirtschaftlichen Abfällen. Doch bisher kommt das Biogas in Schleswig-Holstein aus Mais-Monokulturen - im Gegensatz zu Dänemark, wo die langjährige CO2-Steuer dafür sorgt, dass solche Fehlentwicklungen nicht möglich sind. Der schleswig-holsteinische Landesparteitag der Grünen hat sich klar gegen den Bau des LNG-Terminals in Brunsbüttel positioniert.

In Mecklenburg-Vorpommern stellten sich die grünen ebenfalls gegen die Pipeline und die Verbrennung von Erdgas. Sie sind allerdings im Landtag nicht vertreten.

Wie es weitergeht, wird auch bei der Bundestagswahl im September 2021 entschieden. Pipelines wie die Ostsee-Pipeline „Nord Stream“ und andere Bauwerke wie ein LNG-Terminal in Brunsbüttel begründen aber auch Rechte der Investoren auf mehrere Jahrzehnte Nutzung oder eine hohe Entschädigung. Das schränkt die politischen Möglichkeiten auf Veränderung ein.

Reinhard Pohl

Diskussionsbeiträge dazu:
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