(Gegenwind 388, Januar 2021)

Corona. Geschichte eines angekündigten Sterbens
Cordt Schnibben und David Schraven (Hg.): Corona. Geschichte eines angekündigten Sterbens. dtv Verlagsgesellschaft, München 2020, 367 Seiten, ISBN 978-3-423-26281-1, 18,90 Euro

Tagebuch der Katastrophe

Was wirklich geschah

Gerade zur Pandemie des neuen Corona-Virus SARS-CoV-2 wimmelt das Internet von Falschmeldungen. Da ist es gut und hilfreich, wenn seriöse Journalistinnen und Journalisten berichten, was wirklich geschah und welche Folgen das hatte. Insofern ist dieses Buch zu empfehlen, auch um viele andere Berichte richtig einordnen zu können.

Das Buch beschreibt die erste Welle der Corona-Pandemie in Form eines Tagebuches. Eingeteilt ist das Geschehen in vier Phasen: Die chinesische Phase, die italienische Phase, die amerikanische Phase und die brasilianische Phase. Natürlich wird auch viel über das Geschehen in Deutschland geschrieben, aber Deutschland war eben in der ersten Phase dieser Pandemie unauffällig.

Die tagebuchähnliche Einträge beginnen - nach einer ausführlichen Einleitung - am 30. Dezember. Es wird deutlich, dass viele Fachleute in China vorher über das Virus und die drohende Pandemie Bescheid wussten, das wurde aber in der Diktatur unterdrückt. Heute werden teils frühere Warnungen auch von der chinesischen Führung als berechtigt anerkannt, heute weiß man natürlich auch, dass das Virus schon früher übergesprungen ist, aber anfangs eben völlig unauffällig war, in Frankreich ist im November 2019 ein Todesfall dokumentiert.

Am 30. Dezember wurde das neu entdeckte Virus von China bekannt, einen Tag später offiziell der Weltgesundheitsorganisation gemeldet. Allerdings war das Virus schon drei Wochen bekannt, und es dauerte noch weitere zwei Wochen, bevor man zugab: Es verbreitet sich von Mensch zu Mensch. Wäre China demokratisch, wäre das einen Monat früher bekannt geworden, und die Welt hätte einen Monat früher mit der Vorbereitung beginnen können - ob das auch geschehen wäre, ist natürlich unklar.

Aber am 3. Januar setzen sich Olfert Landt und Christian Drosten zusammen. Christian Drosten ist nicht auf offizielle Mitteilungen der WHO angewiesen, er kennt genug Kolleginnen und Kollegen in China und hat bereits mehr Informationen als die WHO. Und Olfert Landt ist Biochemiker und kann einen Test entwickeln, sobald er die genetische Struktur des neuen Virus kennt. Sie beschließen, etwas zu entwerfen.

Auch in den USA gibt es am 3. Januar ein Treffen, Die Seuchenbehörde weiß über das neue Virus Bescheid. Aber der Präsident hat dafür keine Zeit. Das Treffen beschäftigt sich mit der Situation im Irak, es wird beschlossen, den Kommandanten der iranischen Auslandstruppen, General Suleimani, zu töten. Das geschieht dann am gleichen Tag.

Am 4. Januar berichtet die WHO öffentlich über die Entdeckung des Virus. Die WHO ist eine Organisation von Regierungen in der UNO, sie darf nicht selbst ermitteln, sondern nur Berichte der Mitglieds-Regierungen verwenden. Aber sie setzt zur Meldung, die über Twitter kommt, zwei Hashtags: #china und #pneumonia. Jetzt kennt man die exakte Todesursache, die diese Infektion verursacht. In der Folge berichten auch „Lübecker Nachrichten“ und „Kieler Nachrichten“ über beunruhigende Nachrichten aus China über eine neuartige Lungenkrankheit. Am 9. Januar erklärt Christian Drosten in einem Interview der „Süddeutschen Zeitung“, es handele sich um ein neuartiges SARS-Virus.

Im Folgenden wird sehr detailliert über die internen Auseinandersetzungen in China berichtet. Ärzte und Journalisten machen sich Sorgen darüber, dass sich die Epidemie rasend schnell ausbreitet - die Partei und in der Folge die Polizei stoppen sie, verpflichten sie zum Schweigen. Aber chinesische Forscher entschlüsseln das Genom und stellen das ins Internet, ohne die Partei um Erlaubnis zu fragen - und am 10. Januar hat Christian Drosten seine ersten beiden Test-Entwürfe fertig, abgewandelt aus vorsorglich entwickelten Tests auf SARS-Viren. am 13. Januar hat Olfert Landt den Test-Kit fertig und schickt ihn mangels Pandemie in Deutschland nach Hongkong und, Todsünde für China, an die Gesundheitsbehörde in Taiwan - kostenlos als deutsches Geschenk mit der Bemerkung: „Testen Sie, ob es funktioniert.“ Die Versuche am gleichen Tag ergeben: funktioniert. Das war und ist die Grundlage dafür, dass Deutschland die erste Welle weit besser als viele andere Länder überstand. Der Chef der Seuchenbehörde warnt das Weiße Haus zwar auch und bittet dringend um einen Termin beim Präsidenten. Die Bitte wiederholt er mehrfach, bekommt dann den Termin Ende Februar.

Ab dem 23. Januar, eine Woche zu spät, beginnt die chinesische Regierung, erst Wuhan und dann die Provinz Hubei abzuriegeln. Eine Woche zu spät - aus heutiger Sicht. Denn solche Pandemien gab es schon früher. Die Archäologie in Europa kennt ganze Jahrtausende, in denen es fast keine Gräber gab, die Bevölkerung ganzer Regionen also wohl ausgestorben war. Die Pest forderte im Mittelalter Millionen Tode, ein Drittel der europäischen Bevölkerung starb. Ähnliche Epidemien gab es in China. Die Spanische Grippe tötete weltweit 50 Millionen Menschen. Nur ist das heute, mit unseren Möglichkeiten, nicht mehr akzeptabel. Einen Monat nach Auftauchen des Virus ist der Gencode entschlüsselt, drei Tage später ein Test entwickelt. Die Spanische Grippe (oder „Lungenpest“, so der deutsche Name) tauchte 1918 und 1919 auf, tötete Millionen - und der Virus wurde 1931 entdeckt, 13 Jahre später. Außerdem war Europa 1918 an das millionenfache Sterben gewöhnt, nicht nur die Spanische Grippe, auch der Genozid in der Türkei interessierte viele Menschen einfach nicht. Das ist im Januar 2020 anders.

In der Folge spaltet sich die Welt auf. China entschließt sich, die Ausbreitung des Virus mit allen Mitteln zu bekämpfen. Es nutzt dazu die Handys aller Einwohner, Video, Polizei und Militär. Verbietet sogar das Einkaufen von Lebensmitteln, es wird bespitzelt und denunziert. Viele asiatische Länder haben Erfahrungen mit der Bekämpfung von SARS- und MERS-Viren, die damals durch solche entschlossene Politik gestoppt werden konnten. Dabei sind die Länder unterschiedlich demokratisch. So setzt auch Südkorea den Datenschutz komplett außer Kraft, verfolgt nicht nur alle Bürger, sondern gibt auch Infektionen ohne Rücksicht bekannt.

In Deutschland beginnt eine akribische Verfolgung der Kontakte, allerdings nicht öffentlich. Kontakte werden festgestellt, angerufen, in Quarantäne gesteckt. Der erste Infektionsherd in München, ein Autozulieferer mit chinesischem Besitzer, wird komplett eingekreist, die Infektion gestoppt. Erst später kommen wieder Infektionen, erst von Rückkehrern aus Italien, dann ganz massiv aus einem Skigebiet in Österreich.

Dagegen wird die Pandemie in Italien, Spanien, Großbritannien und den USA unterschätzt. In Italien werden „leichte Fälle“ in Altersheimen betreut, um Krankenhäuser frei zu halten - mit katastrophalen Folgen. Die Regierungschefs in Großbritannien, USA und Brasilien machen die Einschätzung zu einer politische Frage, wollen sich von dem „chinesischen“ Virus nicht beeinflussen lassen.

Das Buch endet am 22. Mai. Die Pandemie hat die ganze Welt erfasst, die Zahl der Toten nähert sich der Millionen-Grenze oder hat sie schon überschritten. Die Zahl der Toten in China weicht erheblich von der wirklichen Zahl ab, ähnliche ist die Situation in Russland und anderen Staaten ohne freie Presse. Auch in anderen Staaten wie Indien, Nigeria oder Ägypten gehen Statistik und Wirklichkeit weit auseinander, aber dort vor allem, weil die Möglichkeiten fehlen, Tote zu registrieren und zu testen.

Das Buch schließt mit einem Ausblick auf den Sommer und die für den Spätherbst erwartete zweite Welle. Die Autorinnen und Autoren wissen nicht, dass diese zweite Welle viermal so schlimm sein wird.

Am Schluss kommt noch eine Widerlegung der häufigsten Lügen im Internet. Dabei geht es um den Plan, die Viren aus dem Labor, um 5G-Masten und CO2-Rückstau in Masken, um Desinfektionsmittel und Heiltees. Eben alles, was Panikmacher und Geschäftemacher erfinden, um Leichtgläubige abzuzocken. Leichtgläubige werden aber das Buch nicht kaufen, weil sie lieber Youtube-Filme sehen. Alle anderen sollten diese erstklassige Informationsquelle nutzen.

Reinhard Pohl

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