(Gegenwind 388, Januar 2021)

Leuchtturm des Nordens geht an das „Kollektiv Afrodeutscher Frauen (KOA)“

Preis für antirassistische Solidarität 2020

Am 10. Dezember, dem Internationalen Tag der Menschenrechte, verlieh der Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein e.V. seinen Preis „Leuchtturm des Nordens“ an das KOA. KOA fördert das Empowerment Schwarzer Frauen und Mädchen in Schleswig-Holstein. Aus Sicht des Flüchtlingsrates verfolgt das Kollektiv dieses Ziel beeindruckend erfolgreich.

Besonders ist der Flüchtlingsrat davon beeindruckt, dass KOA das Ziel nicht im Hinterzimmer, sondern öffentlich und offensiv verfolgt.

Dieses Jahr stand die Preisverleihung auch im Zeichen der Corona-Pandemie. Man traf sich im Offenen Kanal, wo die Preisverleihung für die Öffentlichkeit aufgenommen wurde, der Film ist auf der Internetseite des Flüchtlingsrates zu sehen. Die PreisträgerInnen des Vorjahres, die Seebrücke Kiel, hielt die Laudatio - dazu wurde die Rede von Marie-Luise Bayrhammer per Video eingespielt. Selbstkritisch sagte sie, dass der Protest gegen Rassismus in Initiativen wie der Seebrücke oft rein weiß ist, People of Color seien in vielen Gruppen und Organisationen kaum bis gar nicht vertreten.

Mariam Touré vom KOA bedankte sich für den Preis und schilderte auch, wie die Initiative zustande gekommen ist und was KOA heute macht. Die Rede vom Mariam Touré ist im Anschluss abgedruckt. Vertreten war KOA durch Mariam Touré, Marissa Zavazava und Lara Engelhardt, der Preis wurde von Aurelie Bile Akono und Martin Link vom Flüchtlingsrat übergeben.

Er ist leider undotiert. Aber verdient.

Reinhard Pohl

Mariam Touré bei der Dankesrede für den Leuchtturm des Nordens 2020

„Wir sprechen für uns und sind zeitgleich solidarisch“

Sehr geehrte Damen und Herren, lieber Martin, liebe Nathalie,

vielen Dank für eure freundlichen Worte! Wir freuen uns sehr über diese Ehrung!

Mein Name ist Mariam Touré, als Vorständin des Kollektiv afrodeutscher Frauen, kurz KOA, darf ich gemeinsam mit Marissa Zavazava und Lara Engelhardt den Preis für unsere Initiative heute entgegennehmen. Im Namen von KOA möchte ich mich beim Flüchtlingsrat bedanken und betonen, dass wir uns über diese Ehrung sehr freuen.

Vor über zwei Jahren haben wir uns in einem Wohnzimmer zusammengefunden und haben in einer kleinen Gruppe überlegt, wie wir Schwarze Frauen und Mädchen in Kiel vernetzen können. Wie wir einen Raum schaffen können, für Schwarze, afrodeutsche, afrikanische und afrodiasporische Frauen, mit unterschiedlichen Biografien, Interessen, Wünschen und Diskriminierungserfahrungen. Dabei haben wir uns von bestehenden Schwarzen Initiativen, wie EachOneTeachOne und der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland inspirieren lassen.

Im Sinne von ADEFRA, einem Forum von und für Schwarze Frauen in Deutschland, das sich in den 80er Jahren gebildet hat, haben wir uns das Empowerment Schwarzer Frauen und Mädchen auf die Fahnen geschrieben.

Was wir mit Empowerment meinen, ist die Selbstbestimmung, die Selbstorganisation und das Selbstbewusstsein Schwarzer Frauen zu stärken. Mit vollem Selbstbewusstsein stehen wir hier und fordern keine Räume mehr, wir schaffen und beanspruchen sie. Selbstbewusst formulieren wir, dass es Initiativen und Räume wie unsere braucht.

Unsere wichtigste Aufgabe sehen wir darin, uns selbst zu vernetzen und uns gegenseitig zu stärken. Das mag für Menschen, die das Gefühl nicht kennen, in der Minderheit zu sein, seltsam klingen. Aber genau das ist das Wunderbare an diesem Raum. Wir müssen uns nicht erklären. Wir teilen Erfahrungen und unsere Geschichten. Aber das Schöne ist eben auch, dass wir uns in unserer Unterschiedlichkeit sehen und uns respektieren. Während die Mehrheitsgesellschaft uns Schwarze Menschen als homogene Gruppe wahrnimmt, so sehen wir uns als Individuen mit Stärken und Schwächen.

Die Tatsache, dass es uns gibt, stößt nicht nur auf Wohlwollen. Wenn marginalisierte Personen sich zusammentun, Räume beanspruchen, Forderungen an die Gesellschaft und die Politik richten, werden Selbstverständlichkeiten infrage gestellt. Es bedeutet Arbeit, es bedeutet Unbequemlichkeit, es bedeutet den Verlust von selbstverständlich geglaubten Deutungshoheiten und letztlich die Abgabe von Macht. Von Anfang an haben wir hohe Ansprüche an uns formuliert. Wir arbeiten, wir sind unbequem, wir deuten und beanspruchen Macht. Denn als Gestalter:innen dieser Gesellschaft, haben wir das Recht, uns und unsere Ideen zu vertreten.

Mariam Touré, Marissa Zavazava und Lara Engelhardt von KOA, die den Preis entgegennahmen

Und das tun wir. Hier in Kiel. Mit Veranstaltungsreihen wie dem „Black History Month“ oder der „Homestory Deutschland“. Wir möchten Schwarzes Leben in Kiel sichtbarer machen. Das ist nicht nur für uns und andere Schwarze Menschen wichtig, sondern auch für den Rest der Gesellschaft. Wir wollen unseren Beitrag dazu leisten, dass die Vielfältigkeit in unserer Gesellschaft auch sichtbar ist.

Die Autorin Carolin Emcke sagte so treffend, dass es keine Bedingungen geben darf, die erfüllt sein müssen, damit jemand als Mensch anerkannt und geschützt wird. Dass dieser Satz für zu viele Menschen von theoretischer Natur ist, bezeugen und erleben wir in einer grausamen Regelmäßigkeit, in Deutschland und weltweit. In diesem Jahr so schmerzhaft mit George Floyd, Breonna Taylor, Tony McDade und zu vielen mehr. Wir können es uns einfach nicht mehr leisten, immer wieder von vorne mit Debatten über die Existenz von Rassismus, Sexismus, Queerfeindlichkeit, Ableismus, Klassismus und weiteren Unterdrückungskategorien zu beginnen. We need to move on!

Es fehlt nämlich nicht an Erfahrungsberichten, es fehlt nämlich nicht an wissenschaftlichen Erkenntnissen, die diese Phänomene beschreiben.

Für viele Menschen sind die Lebensrealitäten, Herausforderungen und Wünsche Schwarze Menschen, erst durch die Black Lives Matter-Bewegungen im Juni bewusst geworden. Viele weiße Menschen haben vorher nicht wahrgenommen, dass es uns, Schwarze Deutsche, gibt. Dabei gibt es uns schon so lange und wir gestalten diese Gesellschaft ebenso lange mit.

Anti-Schwarzer-Rassismus ist kein US-amerikanisches Phänomen, es findet in Deutschland tagtäglich statt. Und auch das Anklagen gegen diesen Rassismus gibt es nicht erst seit Juni diesen Jahres. Wir tun das seit Jahrzehnten und Jahrhunderten.

Wir haben ein Recht auf Selbstvertretung und benötigen die Vertretung durch andere nicht. Was wir wollen ist, dass man uns sieht, uns hört. Was wir fordern ist Selbstbestimmung, Respekt und Anerkennung.

Vorherige Generationen Schwarzer Frauen in Deutschland haben den Weg für uns geebnet mit dem Selbstverständnis unterwegs zu sein, dass wir heute an den Tag legen. Schwarze, feministische, lesbische Frauen in Deutschland haben gemeinsam mit der Afroamerikanerin Audre Lorde hier die afrodeutsche / Schwarze feministische Bewegung in den 80ern gestartet, die dazu geführt hat, dass so viele Schwarze Frauen bis heute Worte für ihre Bedürfnisse, ihre Wut, ihre Freude und ihr Sein gefunden haben. Worte zu finden, für das, was man erlebt, ist ein großer Schritt in Richtung Selbstermächtigung.

Diese Selbstermächtigung ist wichtig, um Forderungen zu stellen und Selbstakzeptanz zu finden in einer Gesellschaft, die mit ihrem Rassismus noch lange nicht abgeschlossen hat. In so einer Welt und in so einer Gesellschaft ist es notwendig, dass wir uns selbst weiterbilden, als Schwarze Frauen. Dass wir uns gegenseitig unterstützen. Dass wir uns gegenseitig feiern und uns gegenseitig stärken. Dass wir uns den Raum schaffen, in dem wir einfach wir sein können.

Viele von uns wachsen vereinzelt als Schwarze Menschen auf. Viele von uns kennen nur die eigene Familie als Schwarze Gruppe. Im Erwachsenenleben dann viele Geschwister kennenzulernen, die Erfahrungen wie Wünsche teilen, ist ein unglaubliches Gefühl von Stärke.

Das Kollektiv hat uns gegenseitig gestärkt. Wir sind Schwarze Frauen, Schwestern, Freund:innen, Mitstreiter:innen.

Wir sind auf Demonstrationen, bei denen wir für unsere Rechte einstehen, aber auch für jene, die andere, aber ebenfalls schmerzvolle Erfahrungen in dieser Gesellschaft machen.

Wir sprechen für uns und sind zeitgleich solidarisch. Wir bilden diese Gesellschaft weiter durch Workshops, Vorträge und durch unsere Präsenz auf Social Media. Wir lassen Menschen daran teilhaben, durch Veranstaltungen und schaffen zeitgleich Räume, die nur für uns und für das gegenseitige Empowerment da sind.

Was in einem Wohnzimmer mit einer kleinen Gruppe begonnen hat, ist mittlerweile zu einer Initiative von über 60 Schwarzen Frauen aus Kiel und Umgebung avanciert und wir versprechen, dass wir noch sehr, sehr viel vor haben.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und einen großen Dank an den Flüchtlingsrat. Wir sind stolz und froh über diesen Preis!

Mariam Touré

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