(Gegenwind 387, Dezember 2020)

Flandernbunker mit einer Klasse der Kieler Hebbelschule 2016, der ersten vertraglichen Kooperationsschule des Vereins Mahnmal Kilian
Flandernbunker mit einer Klasse der Kieler Hebbelschule 2016, der ersten vertraglichen Kooperationsschule des Vereins Mahnmal Kilian.
Foto: Jens Rönnau

25 Jahre Verein Mahnmal Kilian und der Flandernbunker

Verbunkerte Kieler Geschichte

Große Ziele brauchen Zeit - auch wenn klar ist, dass doch eigentlich sofort etwas geschehen müsste

Im Oktober 2020 feierte der Verein Mahnmal Kilian im Kieler Flandernbunker sein 25. Gründungsjubiläum - zusammen mit zahlreichen Vertreter*innen der Gesellschaft und Reden des schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten, des Kieler Oberbürgermeisters und des Vorsitzenden der Bürgerstiftung schleswig-holsteinischer Gedenkstätten.

Die deutsche Erinnerungskultur bezüglich des Umgangs mit der Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus erreichte eine breitere Ebene zunächst mit der jungen Generation der 1960er Jahre und schließlich durch die amerikanische Fernsehserie „Holocaust“ 1971, welche den Diskurs in größere Gesellschaftskreise und in die politische Ebene hob. Auch in Kiel kamen entsprechende Debatten und Taten allmählich in Gang, angefangen mit einem Denkmal zum Matrosenaufstand im Stadtzentrum 1982 über ein kleines Denkmal zum ehemaligen „Arbeitserziehungslager Nordmark“ im Stadtteil Russee 1985 oder einem Wandgemälde zum Ersten und Zweiten Weltkrieg im Stil des kritischen Realismus auf den Wänden des Kieler „Iltisbunkers“ im Stadtteil Gaarden 1989 - alles von mehrjährigen Debatten in der Kieler Ratsversammlung und in den Medien begleitet, die seitdem in bestimmten Intervallen gelegentlich wieder aufleben.

Der Wert einer Bunkerruine

In den 1980er Jahren startete auch eine langjährige Debatte um ein markantes Kriegsrelikt in der Kieler Förde: Die Ruine des gesprengten U-Bootbunkers Kilian (Foto rechts oben, 1994), der 1941-1943 mit Hilfe von rund 1.000 Zwangsarbeitern errichtet und 1946 von den Alliierten gesprengt worden war. Auslöser der Debatte war der Niedergang der Kieler Werft HDW (Howaldtswerke Deutsche Werft GmbH), die ihren Stammsitz im Stadtteil Neumühlen-Dietrichsdorf aufgegeben und das Gelände an die Stadt Kiel und das Land Schleswig-Holstein veräußert hatte. Während das Land dort die Etablierung der Fachhochschule Kiel plante, wollte die Hafengesellschaft der Stadt einen Umschlagshafen am Ufer errichten - und in dem Zuge die martialischen Ruinenteile des Bunkers entfernen, die sich auf rund 170 Metern vom Land ins Fördewasser parallel zur Schwentinemündung erstreckten.

Doch die Kieler Stadtplaner und die politischen Spitzen erkannten den historischen Wert der Bunkerruinen und sorgten für einen Denkmalstatus, den die stadteigenen Hafenbetriebe - vergeblich - gerichtlich anfochten. In Politik, Wirtschaft und Medien hatte sich eine insgesamt 16 Jahre währende Debatte um das Für und Wider eines solchen Denkmals in Kiel entsponnen, die neben allen Wirtschaftsfragen weitgehend unausgesprochen ein Jahrzehnte altes Problem der Deutschen zutage förderte: Das fortwährende Verdrängen der Geschichte des Nationalsozialismus, obwohl sich viele Wissenschaftler, Institutionen und Initiativen schon lange für diesbezügliche Aufklärung eingesetzt hatten, darunter der Arbeitskreis zur Erforschung des Nationalsozialismus, die Kirchen, Pädagogen oder die Gesellschaft für Kieler Stadtgeschichte.

Da die Hafenbetriebe weiterhin den Abriss des Denkmals anstrebten, gründeten engagierte Kieler Bürger*innen im Oktober 1995 den „Verein Mahnmal Kilian“ zum Erhalt der Bunkerruine, dem alsbald Hunderte beitraten, darunter Wissenschaftler*innen, Jurist*innen und Politiker*innen aus Stadt und Land bis hin zur damaligen Ministerpräsidentin. Der Verein führte eine weitreichende Kampagne in der Stadt und überregional, die begleitet war von Ausstellungen, Vorträgen, Publikationen und Aktionen, darunter die Debatte mit dem einstigen Kapitän des auf dem Grund der Bunkerruine ruhenden U-Bootes mit Kriegstoten und die Herausgabe des Buches „Stolperstein der Geschichte“ 1997. Insbesondere aber entwickelte der Verein pädagogische Konzepte für den Umgang mit der Geschichte um dieses Denkmal und die gesamte Kieler Geschichte in Bezug auf den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg. Für tausende Menschen wurden Führungen auf dem Ruinengelände durchgeführt, immer wieder gezielt auch für Journalist*innen und Politiker*innen aus Stadt, Land und Bund. Schulklassen besuchten und arbeiteten an diesem außerschulischen Lernort, Künstler*innen und Schauspieler*innen entwickelten Projekte für den Ort.

Allen Mühen zum Trotz wurde die Bunkerruine im November 2000 abgerissen - und damit auch ein eingetragenes Kulturdenkmal und ein völkerrechtlich geschütztes Kriegsgrab. Dem lagen Entscheidungen von Ratsversammlung und Landeskabinett zugrunde. Der Verein Mahnmal Kilian stand vor der Frage der Auflösung - oder der Weiterführung seiner Vermittlungskonzepte mit anderen Mitteln.

25 Jahre Mahnmal Kilian, Feier am 20. Oktober 2020 im Flandernbunker mit (vlnr) Ministerpräsident Daniel Günther, Prof. Dr. Dr. Gerhard Fouquet von der Bürgerstiftung SH Gedenkstätten, Vereinsvorsitzender Dr. Jens Rönnau, Oberbürgermeister Dr. Ulf Kämpfer und Bunker-Teamleiterin Anja Manleitner
25 Jahre Mahnmal Kilian, Feier am 20. Oktober 2020 im Flandernbunker mit (vlnr) Ministerpräsident Daniel Günther, Prof. Dr. Dr. Gerhard Fouquet von der Bürgerstiftung SH Gedenkstätten, Vereinsvorsitzender Dr. Jens Rönnau, Oberbürgermeister Dr. Ulf Kämpfer und Bunker-Teamleiterin Anja Manleitner. Foto Dieter Wöhlk.
Foto: Jens Rönnau

Der Flandernbunker

Durch Zufall stand zeitgleich der ehemalige „Flandernbunker“ im Stadtteil Wik zur Zwangsversteigerung, gelegen am Haupttor des Kieler Marinestützpunktes am Tirpitzhafen - dem einstigen „Reichskriegshafen“ von 1871. Dieser 1943/44 errichtete Bunker hatte seinen Namen nach dem künstlich geschaffenen Mythos des einstigen Marinekorps Flandern erhalten, das im Ersten Weltkrieg erfolgreich die belgischen Flanderngebiete erobert und gehalten hatte. Im Zweiten Weltkrieg war der Bunker (Foto Seite 4) die Kommandantur des Marineoberkommandos Ost, das für den gesamten Ostseeraum zuständig war. Zweieinhalb Meter dicke Wände und eine fast vier Meter starke Decke schützten Soldaten und Zivilisten darin vor den verheerenden Bombenangriffen der Kriegsgegner. Am 7. Mai 1945 wurde dort das deutsche Kommando an die britischen Alliierten übergeben.

Im Februar 2001 ersteigerte der Verein diese Kriegsruine, die seit ihrer Entfestigung mit großen Öffnungen in Wänden und Dach Jahrzehnte dem Wetter ausgesetzt gewesen war. Stück für Stück wurde der Bunker saniert, der 2004 ebenfalls unter Denkmalschutz gestellt worden war. Da alle Finanzmittel dafür mühsam zusammengetragen werden mussten, zogen sich diese Arbeiten bis zum Jahr 2020 hin. Heute erstreckt sich vor dem Bunker ein großer barrierefreier Vorplatz, im Inneren gibt es für alle drei Ebenen einen Aufzug und Platz für mehrere Ausstellungen, Büros, Toiletten, Werkstatt, Veranstaltungsraum und ein kleines Archiv.

Ziele und Inhalte

Was will der sich heute bewusst immer noch so nennende „Verein Mahnmal Kilian“ inhaltlich erreichen? Es geht ihm um mehr, als die bloße Erinnerung: In der Unterzeile heißt es „Verein für Vermittlung von Geschichte zur Friedensförderung und Völkerverständigung“. Dahinter steckt die Überzeugung, dass die bloße Kenntnis historischer Begebenheiten nicht das Ziel ihrer Vermittlung sein darf. Ziele sollten vielmehr Aufklärung und Orientierung sein, damit eine demokratische Gesellschaft in der Lage ist, Zusammenhänge und Handlungsoptionen zu erkennen.

In diesem Sinne pflegt der Verein das Prinzip von vernetztem Arbeiten: temporäre oder dauerhafte Partner sind neben Schulen, Hochschulen und Bildungseinrichtungen die Stadt und Landeseinrichtungen wie das Kieler Stadtarchiv oder der Landesbeauftragte für politische Bildung, die Bundeswehr und ihre Traditionsverbände, Geschichtsvereine, Opferverbände, Friedensinitiativen, Flüchtlingsorganisationen, politische Stiftungen, die zahlreichen Auslandsgesellschaften bis hin zu Kultureinrichtungen und Künstler*innen aller Gattungen. Mit ihnen werden gemeinsame Projekte wie Vorträge, Diskussionen, Ausstellungen oder das „Café International“ realisiert - ein Fest der Völker- und Kulturenverständigung, das seit 2018 durchgeführt wird.

Für Schulklassen, Soldaten und Gruppen aller Art werden im Flandernbunker Führungen und Workshops angeboten. Dabei werden auch unterschiedliche Gruppen zusammengebracht wie Schulklassen von Gymnasien mit Berufsschulen, Menschen der sogenannten Mehrheitsgesellschaft mit Menschen unterschiedlicher Kulturen, Religionen oder Herkunft. Bombenkrieg, Flucht, Verfolgung und Massenmord sind ebenso Themen wie Debatten zu Religion, Militär, Frieden und Demokratie. Gern gesehen sind auch Initiativen von außen, die im passenden Fall im Flandernbunker realisiert werden können. So haben dort Schulklassen und Künstlerverbände ebenso Ausstellungen verwirklicht wie freie Historiker*innen oder Amnesty International. Laientheater und professionelle Theater haben Aufführungen realisiert, Musiker*innen unterschiedlichster Stilrichtungen hatten Auftritte. Filmemacher*innen haben ihre Werke gezeigt und diskutiert, Wissenschaftler*innen neueste Forschungen referiert, Zeitzeug*innen haben berichtet und sich der Diskussion gestellt. Mit der Akademie des Marinebundes und der Landesarbeitsgemeinschaft der schleswig-holsteinischen Gedenkstätten und Erinnerungsorte hat der Verein Mahnmal Kilian ebenso eine zweitägige Tagung durchgeführt wie mit der Landeshauptstadt Kiel oder mit dem Verein Freunde der Festung Friedrichsort. Seit 2000 ist der Verein an der inhaltlichen Gestaltung der Landesgedenkstättentagungen beteiligt. Für das Jahr 2021 wird die Ausstellung „Bomben und Traumata. Unheimliche Hinterlassenschaften des Krieges“ zusammen mit Psycholog*innen, dem Kampfmittelräumdienst Schleswig-Holstein, dem Umweltministerium und den Kieler Nachrichten erarbeitet. Es geht in allen Projekten um eine gemeinsame Erinnerungsarbeit mit Gegenwartsbezug.

Zu diesem Prozess gehört es auch, dass der Verein „Mahnmal Kilian“ seinen Namen beibehalten hat, damit ein Denkanstoß für den mühevollen Prozess der öffentlichen Anerkennung der Notwendigkeit einer Aufklärung auch unbequemer deutscher Vergangenheit gegeben bleibt.

Im Jahr 2022 - mehr als ein halbes Jahrhundert nach Beginn der breiten Debatten zum Umgang mit den Verbrechen des Nationalsozialismus - wird auch die Stadt Kiel einen wesentlichen eigenen Beitrag zur Vermittlung dieser Zeit realisieren: Bis dahin soll ein Zentrum zur Geschichte des 20. Jahrhunderts mit Schwerpunkt auf der NS-Zeit eröffnet werden. Aktuell werden die Optionen ausgelotet, wie diese Arbeit mit den verschiedenen längst bestehenden Einrichtungen, Initiativen und Verbänden sinnvoll verzahnt werden kann.

Jens Rönnau

Zur Startseite Hinweise zu Haftung, Urheberrecht und Datenschutz Kontakt/Impressum