(Gegenwind 386, November 2020)
In diesem Buch erzählt Florence vor allem ihre Kindheit. Sie kam in Hamburg zur Welt, ihre Eltern waren eine Studentin und ein Student aus Nigeria. Beide hatten im Grunde genommen keine Zeit für ihr Kind, auch wenn es nicht ihr einziges blieb. Sie suchten deshalb eine Pflegemutter, und nach einiger Zeit fanden sie die in Buxtehude, vermittelt von der dortigen Kirchengemeinde.
Doch es war alles nicht „offiziell“. Die Mama, wie die Autorin schreibt, kümmerte sich um das Kind, das Studentenpaar schicke ab und zu Geld, holte das Kind auch unregelmäßig und ohne Vorankündigung für ein Wochenende oder länger zu sich. So entwickelte das kleine Mädchen eine tiefe Liebe zur Mama und dem Bekanntenkreis, obwohl das Leben aus heutiger Sicht sehr, sehr ärmlich war. Die Mama hielt sich mit einigen Jobs in der Kirchengemeinde und Putzen mehr schlecht als recht über Wasser, immer wieder wurde auch in der Kirchengemeinde nach Spenden gefragt, um über die Runden zu kommen.
Zu den leiblichen Eltern entwickelte das Kind eine Distanz. Sie störten das normale Leben, vor allem, weil sie ohne Ankündigung auftauchten und das Kind aus seinem Zuhause rissen.
Zur Katastrophe wurde es, als die Eltern sich entschlossen, nach Nigeria zurückzukehren. Die Mama konnte sich nicht wehren, denn sie war nie offiziell Pflegemutter geworden. So wurde das achtjährige Kind aus Buxtehude aus dem gewohnten Leben gerissen, nach Lagos gebracht, wo sie nichts und niemanden kannte, auch die eigenen Eltern waren fremd geblieben. Dort konnte sie auch die Sprache nicht. Wenigstens da hatten die Eltern ein Erbarmen und meldeten sie bei der deutschen Schule an.
Es war die schwerste Zeit in ihrem Leben, auch wenn sie formell als Schwarze in einem afrikanischen Land, dem Land ihrer Staatsangehörigkeit lebte. Sie schrieb verzweifelte Briefe an ihre Mama, wollte zurück. Die Eltern nutzten dies: Wenn sie nicht parierte, bekam sie „Schreibverbot“ und musste Briefe heimlich schreiben und Leute finden, die sie außer Landes schmuggelten. Schließlich war es eine Lehrerin der deutschen Schule, die mit den Eltern ein ernstes Wort redete und durchsetzen konnte, dass das Kind wieder nach Hause durfte.
Hier war sie zwar zu Hause, erlebte aber immer mehr, wie es ist, als Schwarze in Deutschland zu leben. Sie fühlte sich als Deutsche, das wurde aber in der Schule, in der Arbeitswelt, auf der Straße oder auch später in der Uni nicht anerkannt. In der Schule gab es auch im jährlichen Rhythmus Diskussionen mit der Ausländerbehörde, die immer daran zweifelte, ob es Gründe gibt, den Aufenthaltstitel zu verlängern. Schließlich war sie nur hier, weil sie hier sein wollte, das reicht nicht jeder Behörde.
Mit 21 Jahren, der nigerianischen Volljährigkeit, erfüllte sie sich einen großen Wunsch: Sie ließ sich von ihrer Mama adoptieren und nahm den Nachnamen ihrer Mama an, hieß jetzt nicht mehr Shekete, sondern Brokowski-Shekete.
Sie studierte, wurde Lehrerin, und sie wurde immer erste. Nämlich erste Schwarze hier, erste Schwarze dort. Sie bekam teils Jahresverträge, dann meldete sie eine Selbständigkeit als Dozentin an, dann bekam sie mal wieder einen Vertrag. Aber: Da sie hier aufgewachsen war, hörte man ihr am Telefon das Schwarz-Sein nicht an. Und es gab eben auch Phasen, in denen die Schulen Bewerbungsschreiben an Lehrerinnen ohne Anstellung richteten, nach Listen. Solche Briefe bekam sie auch und musste dann sehr viel Überraschung beobachten, wenn sie zum Vorstellungsgespräch erschien.
Die zweite Hälfte ihres bisherigen Lebens handelt sie dann in wenigen Zeilen ab. Aus ihr wurde erst eine Schulleiterin, dann eine Schulrätin in Baden-Württemberg (natürlich: erste Schwarze...), und jetzt eine hoffentlich erfolgreiche Buchautorin. Übrigens macht sie auch Veranstaltungen, hoffentlich auch mal in Norddeutschland.
Reinhard Pohl