(Gegenwind 384, September 2020)

Streuobstwiese
Gemeinsam mit dem BUND gestaltete der Meldorfer Gartenverein eine Streuobstwiese.

Demokratie und Selbsthilfe

Meldorfer Gartenverein steht alleine da und braucht Eure Hilfe

Geschichte aufarbeiten, das kann auch einmal etwas Erfreuliches sein. Zum Beispiel beim Grunderwerbverein zu Meldorf e.V.

Ja, ich weiß: Selbstversorgung mit „Gartenfrüchten“, das klingt für einige eher spießig nach Bundeskleingartengesetz, Unkraut Hacken oder Frostgare. Vor rund 170 Jahren, genauer: 1851, war es überhaupt nicht spießig, einen demokratischen Verein zu gründen. Das nämlich hatte ein gewisser Advocat Stange in Meldorf angeregt und ein gutes Dutzend Leute haben ihn dabei unterstützt. Ein Verein, in dem die Regel galt, dass man auch ungebildeten Standes, unadelig oder sonst wie ‚un’ sein durfte. Ein Verein, in dem alle das gleiche Stimmrecht hatten. Ja, auch Frauen waren dabei, wenn auch in der Minderheit. Bedenke: Das war alles vor der Zeit, als die ersten Suffragetten die ersten Frauenrechte in England durchsetzten.

Das Anliegen dieses demokratischen Vereins war aber nicht nur, dass alle Mitglieder das allgemeine, freie und gleiche Stimmrecht hatten. Es ging vielmehr um soziale Fragen. Zum einen sollte eine Krankenversicherung Lebensrisiken sozial absichern. Zum anderen sollten alle Leute die Chance haben, eigene Lebensmittel produzieren können. Die Leute litten schon mehrere Jahrzehnte Hunger. Schon Anfang des 19. Jahrhunderts verpachteten mildtätige Menschen Land an Bedürftige, als allererster ein Kirchenmann in Kappeln an der Schlei. Eine echte Selbsthilfe von Hungrigen war der Grunderwerbverein zu Meldorf. Sie kauften seit 1851 Land, was Leute des ‚gebildeten’ Standes finanzierten und teilten das Land zu gleichen Teilen unter allen InteressentInnen auf. Es wurde gelost. Die Liste dieser ersten InteressentInnen enthält über hundert Namen.

Die Obrigkeit tat sich allerdings schwer, diesem Interesse nachzukommen und die Satzung des Vereins zu akzeptieren. Zehn Jahre lang bis 1861 wurde gefeilscht, bis dieses kollektive Eigentum von Gartenland genehmigt wurde. 1862 ging das Land in Vereinseigentum über und die demokratischen Regeln durften nun hochoffiziell angewendet werden. Ein paar Jahre später wurde der Verein dann erneut bewertet. Hier betonten dann die Meldorfer Kirchspielvogteien, dass der Advocat Stange nun nicht mehr in Meldorf wohne. Sinn des Vereins, der unter dem Namen ‚demokratischer Verein’ gegründet werden solle, sei es ja doch nur, gemeinsam Land zu besitzen, um es dann zu bestellen. Das demokratische Anliegen des Vereins wurde heruntergespielt. Das soziale Anliegen des Vereins war das ‚nur’, das übrig blieb.

Seit dem Schulunterricht der 70er Jahre heraus assoziierte ich mit 1848 nur die nationale Einigung Deutschlands, die der feudalisierte Herr Bismarck dann zustande gebracht habe. Selbsthilfe assoziierte ich immer nur mit dem Genossenschaftswesen. Ich betrachtete es als unabhängig von der romantisch nationalen 48er Bewegung. Aber seit ich in den alten Papieren des Grunderwerbvereins stöbere, passt diese Zuordnung nicht mehr. Eigentlich ja auch völlig logisch: die soziale Frage lässt sich ohne Demokratie nicht lösen. Gleichheit kann auch vor dem Gesetz nicht ohne soziale Gleichheit entstehen. Allerdings wird diese Selbstverständlichkeit bis heute heruntergespielt, so wie die Obrigkeiten des Grunderwerbvereins sie herunter gespielt haben. Deshalb möchte ich folgendes erreichen:

Um in diesem Sinne die Geschichte des Grunderwerbvereins aufzuarbeiten, benötigen wir Hilfe. Studis der Geschichte, des Rechts, der Gesellschaft, der Politik, wir brauchen Eure Hilfe, indem Ihr Seminar- und oder Abschlussarbeiten über unseren Verein schreibt. Das historische Material ist umfassend und liegt in den Archiven in Kopenhagen, Berlin und Meldorf. Das nötige Geld dafür müssen wir mit FundRaising oder CrowdFunding beschaffen. Das wird schon klappen, aber Euer Interesse müsst Ihr selber mitbringen.

Weitere Infos bekommt Ihr, wenn Ihr an garten@freistern.de schreibt.

Christian Sternberg

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