(Gegenwind 382, Juli 2020)

Boeing 737 D-ABEK der Lufthansa am Flughafen Hamburg
Claus-Joachim Dickow, 10. August 2013 (freie Lizenz, Wikimedia)

Abschiebungsbeobachtung am Flughafen Hamburg:

Nur gucken, nichts anfassen

Jahresbericht März 2019 bis Februar 2020 veröffentlicht

Seit 2018 gibt es wieder eine Beobachtung der Abschiebungen am Hamburger Flughafen. Die EU verlangt es, allerdings war es zwischenzeitlich von niemandem finanziert worden. Dafür kommen vor allem die Bundesländer Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern in Frage, die diesen Flughafen für Abschiebungen nutzen. Seit 2018 finanziert Hamburg die Beobachtung durch einen Beobachter des Diakonischen Werkes. In den Koalitionsverhandlungen zwischen SPD und Grünen wurde im Mai vereinbart, diese Finanzierung auch in den nächsten Jahren fortzusetzen.

In den letzten Jahren sind die Abschiebungen zunächst gestiegen: 2014 waren es 10.884, 2015 waren es 20.888, 2016 waren es 25.375. Danach sind sie langsam wieder gesunken: 2017 waren es 23.966, 2018 waren es 23.617, 2019 waren es 22.097. Nur ein kleiner Teil wird über den Flughafen Hamburg abgewickelt, 2017 waren es 950 Abschiebungen, 2018 waren es 885 Abschiebungen, 2019 waren es 788 Abschiebungen.

Zu den Zielstaaten und den Zahlen für Hamburg und Schleswig-Holstein siehe: Gegenwind 380 (Mai 2020), Seite 7.

Der Beobachter hat in dem einen Jahr 124 Abschiebungen beobachtet. Davon waren 117 einzelne Abschiebungen. 4 waren „Sammelcharter“, bei denen ein Charterflugzeug 50 oder 80 Menschen gleichzeitig abschiebt. 2 waren Kleincharter, also ein Flugzeug für eine Person oder eine Familie. 1 Abschiebung war eine Rückholcharter, wobei das Land, in das die Abschiebung erfolgen soll, Flugzeug und Polizei nach Hamburg schickt und die Abzuschiebenden dort schon übergeben bekommt.

Von den 124 Abschiebungen wurden 20 vom Beobachter beanstandet, das sind 16 Prozent. Die meisten wurden anschließend im „Flughafenforum“ beraten, dort sind Polizei und Innenministerien auch vertreten, außerdem Wohlfahrtsverbände und Flüchtlingsräte.

Beanstandungen

Grundsätzlich beanstandet der Beobachter schon länger, dass es für Kinder während der Abschiebung, die sich manchmal lange hinzieht, keinen getrennten Bereich gibt. Sie sind dort mit eingesperrt, wo alle eingesperrt sind, und bekommen auch Auseinandersetzung zwischen Polizei und anderen Abzuschiebenden mit. Trotz dieser Beschwerden wird daran aber nichts geändert.

Bei mehreren Abschiebungen beklagt der Beobachter, dass Kinder von einer Polizistin benutzt wurden, um Mutter oder Eltern unter Druck zu setzen. So wurde ein 12jähriges Mädchen von ihr bedroht, sie würde alleine abgeschoben, als ihre Mutter zusammenbrach. Das Mädchen wurde von der Polizistin ausdrücklich zur Mutter geschickt, ihr das auszurichten. Der Vertreter der Ausländerbehörde wies die Polizistin dann darauf hin, dass eine solche Trennung verboten wäre. Die Abschiebung wurde am Schluss insgesamt abgebrochen.

In einem anderen Fall sagte eine Polizistin zum achtjährigen Sohn, er sollte seiner Mutter sagen: Wenn die Abschiebung abgebrochen werden müsste, würde die gesamte Familie in Deutschland keine Wohnung mehr bekommen, nichts zu essen bekommen und nichts zu trinken bekommen. Auch hier wurde das achtjährige Kind ausdrücklich beauftragt, das der Mutter auszurichten, also zu dolmetschen oder zu berichten. Daraufhin weinte das Kind durchgehend bis zur Abschiebung selbst.

Bei späteren Besprechungen sagten die Innenministerien zu, Kinder nicht mehr für Drohungen zu verwenden, Kinder auch nicht mehr als Dolmetscher zu verwenden. Da es gegen die eine Polizistin (übrigens aus Boostedt) schon ein Disziplinarverfahren gab, sie soll einer anderen Abgeschobenen gegen ihren Willen Medikamente eingeflößt haben, wurde dieses eingestellte Verfahren gleichzeitig mit dem neuen Verfahren nochmal aufgenommen. Der Beobachter merkt allerdings an, dass das Innenministerium ihn in beiden Fällen nicht als Zeugen vernommen hat.

In einem anderen Fall wurde eine Mutter, die zusammen mit ihrem Säugling abgeschoben wurde (Ghana), auf dem Flughafen ihr Geld weggenommen, sie hatte 300 Euro gespart. Die Ausländerbehörde wusste von dem Geld, hatte es ihr aber beim Abholen zu Hause gelassen. Es war die Bundespolizei, die hier zugriff. Das kann sich besonders verheerend auswirken, weil in diesem Fall der Vater nicht abgeschoben wurde, er darf in Deutschland bleiben, die Mutter mit Säugling musste alleine nach Ghana fliegen. Dort ist sie dann ohne Schutz und, dank der Bundespolizei, auch ohne Geld - und damit jeder Art von Druck und Zwang wehrlos ausgeliefert. Im Flughafenforum kam am überein, in solchen Fällen den Einzelfall zu betrachten und nicht einfach Geld wegzunehmen.

Problematisiert wurde vom Beobachter auch die Medikamentenvergabe. Er hat eine Armenierin getroffen, die durch das Verabreichen von „Tavor“ durch die Polizei nahezu bewusstlos auf dem Flughafen ankam und auch dort nochmal dieses Beruhigungsmittel bekam, damit sie sich nicht wehrt. Er merkte auch an, dass die Frau an beiden Handgelenken Verbände trug, aus denen Blut sickerte. Sie wurde nach der Durchsuchung in einem Rollstuhl transportiert und sagte dem Beobachter, sie wäre von der Polizei misshandelt, gewürgt und geschlagen worden. Die Polizei gab allerdings an, dass nichts passiert sei, im Polizeiprotokoll stand auch nichts.

Hamburg ist der einzige Flughafen, der Schwerkranke mit Ambulanzflugzeugen abschiebt. Der Beobachter beschreibt eine solche Abschiebung: Der schwerkranke Vater wurde mit schwerer, chronischer Lungenkrankheit im Ambulanzflugzeug, Mutter und Kinder gleichzeitig im Linienflug nach Belgrad abgeschoben. Die Abschiebung kostete mehr als 20.000 Euro. Die Ausländerbehörde sagte aber, die Familie wäre schon mehrmals in Deutschland gewesen, um Asyl und Behandlung zu bekommen, und diese Kosten wären gerechtfertigt, weil die Behandlung teurer gewesen wäre.

In einem anderen Fall wurde eine junge Frau mit schwerem Hirnschaden im Rollstuhl nach Armenien abgeschoben. Auf dem Flughafen erreichte den anwesenden Hamburger Arzt ein ärztlichen Gutachten des behandelnden Arztes, dass die Frau nicht transportfähig sei. Daraufhin wurde die Abschiebung nicht abgebrochen, sondern der Hamburger Arzt begleitete die schwerkranke Rollstuhlfahrerin spontan bis nach Eriwan. Um Flugzeug war außer dieser Kranken eine Frau mit schwerer Krebserkrankung und eine Person, die eigentlich Dialyse braucht. Das Innenministerium meinte aber, dass die Personen während des Fluges nicht in Gefahr waren, weil der Arzt ja mitgeflogen ist. In Armenien sind dann die armenischen Behörden zuständig, nicht die hiesigen.

DolmetscherInnen

Wenn Menschen aus Schleswig-Holstein oder Mecklenburg-Vorpommern abgeschoben werden, haben sie in Hamburg normalerweise keine Dolmetscher, weil das den Ausländerbehörden zu teuer ist. Die Innenministerien geben an, dass bei der Abholung durch die Polizei zu Hause DolmetscherInnen dabei wären, dort könnten sie alles fragen und alle Informationen erhalten. Die DolmetscherInnen werden dann wieder nach Hause geschickt, wenn die Fahrt nach Hamburg beginnt.

Für die Hamburger Abgeschobenen sind Dolmetscher auch auf dem Flughafen.

Der Beobachter weist darauf hin, dass auch Abzuschiebende ein Recht auf Information haben, sie müssen über Verfahren und Ablauf informiert werden. Und er wendet sich nochmal dagegen, Kinder zum Dolmetschen zu benutzen. Wenn es für die Innenministerien in Kiel und Schwerin zu teuer ist, diese Rechte durch die Anwesenheit von DolmetscherInnen sicher zu stellen, sollen sie Dolmetscher per Telefon dazu holen, so der Tipp.

Reinhard Pohl

Der Bericht ist bei der diakonie-hamburg.de zu finden.

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