(Gegenwind 381, Juni 2020)
France Bloch-Sérazin und Suzanne Masson leisteten in Frankreich seit 1940 Widerstand gegen die deutsche Besatzung. Sie wurden verhaftet, zum Tode verurteilt und nach Lübeck ins Gefängnis gebracht. 1943 wurden sie in Hamburg hingerichtet.
Baya Maouche stammt aus Algerien, studierte in Hamburg und lebt heute in Lübeck. Sie hat in diesem Buch viele Informationen über die beiden Frauen zusammengetragen, um ihr Leben und Sterben nachzuzeichnen. Sie hat es auch erreicht, dass die Stadt Lübeck eine Gedenktafel für die Widerstandskämpferinnen anbrachte - in Lübeck-Lauerhof, wo sie die letzten Wochen ihres Lebens als Gefangene verbrachten.
Zunächst beschreibt die Autorin die innenpolitische Situation in Frankreich in den 1930er Jahren. Das ist wichtig, um die kommenden Ereignisse zu verstehen. In Frankreich gab es zeitweise eine Volksfront-Regierung, danach aber eine rechte Regierung, die teils auch die Stimmung schuf, durch die später die Zusammenarbeit der Regierung im unbesetzten Südfrankreich mit Deutschland bei der Verfolgung von Juden, aber auch bei der Verfolgung und Auslieferung französischer Widerstandskämpfer möglich war. Hier gibt es auch eine Geschichte, die in Frankreich nur unzureichend aufgearbeitet und veröffentlicht wurde. Allzugern wurde in Frankreich nach der Befreiung durch die alliierten Truppen die Legende gesponnen, die gesamte Nation habe Widerstand geleistet außer einzelne Kollaborateuren.
Noch im August 1939, also vor dem Zweiten Weltkrieg, verbot die französische Regierung zwei Zeitungen der Kommunistischen Partei. Und drei Wochen nach Beginn des Krieges wurde auch die Kommunistische Partei selbst verboten, auch unter Verweis darauf, dass die Sowjetunion im Pakt mit Hitler Polen angegriffen hatte, dessen Bestand ja unter anderem von Frankreich garantiert worden war.
Nach dem Einmarsch der Wehrmacht und dem Waffenstillstand sowie der Kapitulation wurde von der neuen Regierung Petain in Vichy eine Zusammenarbeit mit Hitler-Deutschland eingeleitet. Parallel dazu wurden Gesetze gegen Juden erlassen, die sie ähnlich wie in Deutschland aus dem öffentlichen Leben ausschlossen. Wer Widerstand leistete, wurde nicht nur nach Möglichkeit verhaftet, sondern auch nach Deutschland ausgeliefert. Dies geschah im Rahmen des „Nacht-und-Nebel-Erlasses“. Der war am 7. Dezember 1941 von Wilhelm Keitel für das Oberkommando der Wehrmacht in Kraft gesetzt worden. Er sah vor, Oppositionelle bei „Nacht und Nebel“ zu verhaften und aus besetzten Gebieten nach Deutschland zu bringen, ohne die Familien zu benachrichtigen und ohne sie zu dokumentieren. Das sollte zusätzlich Angst verbreiten, weil Menschen einfach „verschwanden“.
Der Widerstand in Frankreich wurde wesentlich von Frauen getragen. Die Geschichte dieser Frauen, vermutlich mehr als hunderttausend, ist kaum erforscht. Schriftliche Unterlagen hat kaum eine hinterlassen, weil das im besetzten Gebiet zu gefährlich gewesen wäre, bei Hausdurchsuchungen durfte ja nichts gefunden werden. Und Interesse der Historiker gab es kaum, die galt eher den Männern, die kämpften, Anschläge ausführten. Frauen übernahmen oft andere Aufgaben, versteckten Juden, versteckten abgeschossene Piloten der Alliierten oder bereiteten Anschläge vor.
France Bloch-Sérazin wurde 1913 geboten. Sie arbeitete 1940 im Widerstand in Paris, genauso wie ihr Mann, der aber bald verhaftet wurde. Sie war Chemikerin, bekam als Jüdin Berufsverbot, lebte von Privatunterricht. In ihrer Wohnung stellte sie Sprengstoff und Zündschnüre her, konstruierte auch Bomben. Im Mai 1942 wurde sie verhaftet, als politische Gefangen in der „deutschen Abteilung“ des Gefängnisses eingesperrt, musste Tag und Nacht Handschellen tragen. Im September 1942 wurde sie zum Tode verurteilt. Im November 1942 wurde sie nach Lübeck deportiert, im Januar 1943 in Hamburg geköpft.
Suzanne Masson wurde 1901 geboren. Sie war technische Zeichnerin. Für den Widerstand druckte und verteilte sie Flugblätter. Sie wurde im Februar 1942 verhaftet und im Mai 1942 nach Deutschland deportiert. Im Juni 1943 wurde sie nach Lübeck gebracht, dort vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt. Im November 1943 wurde sie in Hamburg geköpft.
Im Schlusskapitel beschreibt die Autorin die sehr mangelhafte Aufarbeitung dieses Teils des Nationalsozialismus. Der „Nacht-und-Nebel-Erlass“ sollte dafür sorgen, dass die Namen der Gefangenen und deren Hinrichtung nicht bekannt wird, und das ist teils bis heute gelungen.
Auch in Hamburg sind inzwischen Gedenktafeln am Gefängnis angebracht worden. Zur Enthüllung der Gedenktafeln gelang es leider nicht, die Kinder der Hingerichteten oder andere Familienmitglieder einzuladen, weil der Kontakt fehlte.
Das Buch von Baya Maouche ist ein Beitrag dazu, das Schicksal dieser beiden Frauen, vielleicht auch stellvertretend für viele andere, dem Vergessen zu entreißen. Im Anschluss an den Text werden Fotos und Dokumente abgedruckt, darunter auch das Todesurteil Suzanne Masson. Das Buch wurde privat gedruckt, es hat keine Buchnummer und kann deshalb von Buchhandlungen nicht bestellt werden.
Wer Interesse hat, kann es aber direkt bei der Autorin kaufen.
Reinhard Pohl