(Gegenwind 380, Mai 2020)

Rut Afewerki

„...sondern möchte dann wissen, woher ich wirklich komme“

Interview mit Rut Afewerki aus Kiel-Mettenhof

Gegenwind:

Wo bist Du geboren?

Rut Afewerki:

Ich bin in Rendsburg geboren.

Gegenwind:

Woher kommen Deine Eltern?

Rut Afewerki:

Die kommen aus Eritrea, beide.

Gegenwind:

Wo bist Du aufgewachsen?

Rut Afewerki:

In Kiel-Mettenhof. Ich wohne dort, seitdem ich zwei Jahre alt bin.

Gegenwind:

Was ist Dein Zuhause?

Rut Afewerki:

Mettenhof natürlich. Der Stadtteil ist ganz speziell. Ich bin da jetzt zum zweitenmal innerhalb des Stadtteils umgezogen mit meiner WG. Ich fühle mich dort sehr wohl. Es ist grün, es ist ruhig, es ist unser Zuhause.

Gegenwind:

Wie oft passiert es Dir, dass Du Leute triffst, die nicht glauben, dass Du hier Zuhause bist?

Rut Afewerki:

Es ist eigentlich Ausnahmen. Eigentlich nur, wenn ich auf Menschen treffe, die mich nicht kennen. Sie hören mich dann vielleicht deutsch sprechen. Aber oft gehen sie davon aus, dass ich neu hier bin. Ich sehe vielleicht eritreisch aus, ich habe ja auch eritreische Wurzeln. Dass ich auch eine von den Neuen, den neu angekommenen Eritreern bin, wird aber angenommen, und dann kommt immer die Frage, woher ich denn komme. Denn dass ich mein Zuhause in Mettenhof sehe, ist für einige etwas unwahrscheinlich, denn ich sehe nicht so aus.

Gegenwind:

Welche Reaktionen gibt es dann? Wird akzeptiert, dass Du doch Kielerin bist? Oder gibt es auch welche, die nach der Erklärung das immer noch nicht akzeptieren?

Rut Afewerki:

Ich würde sagen, persönlich bin ich eine Zeitlang sehr genervt gewesen von dieser Frage, weil ich mich selbst natürlich als Kielerin sehe. Ich habe wohl oft auch etwas schnippisch geantwortet. Und wenn ich dann sagte, dass ich aus Kiel komme, war das Gespräch schon fast beendet. Mittlerweile denke ich, dass es manchmal auch eine berechtigte Frage ist. Sie zeigt für mich auch manchmal Neugierde. Ich kann mittlerweile unterscheiden, wer neugierig fragt und wer unglaubwürdig fragt und denkt, das geht ja gar nicht, Du hast ja eine dunkle Hautfarbe, Du kannst gar nicht aus Kiel kommen. Daran merke ich dann auch, wer vor mir steht, wenn ich antworte, dass ich aus Kiel komme. Dann werden vielleicht weitere Fragen gestellt, aber ich habe dann ja auch das Recht, meinem Gegenüber Fragen zu stellen. Und entweder kommen wir in dieses neugierige Gespräch rein, oder die andere Person ist nicht zufrieden mit der Antwort, dass ich auch Kiel komme, sondern möchte dann wissen, woher ich wirklich komme.

Es ist sehr unterschiedlich. Aber ich habe zum Glück eher die Erfahrung gemacht, dass ich neugierige Menschen um mich herum habe, die wirklich wissen wollen, wie denn meine Geschichte war, was ich denn vielleicht erlebt habe. Eritrea ist auch nicht so ein bekanntes Land, so dass manche da auch mehr erfahren möchten.

Gegenwind:

Erinnerst Du Dich an die frühe Kindheit? Haben Dir Deine Eltern erzählt, dass Du vielleicht später Schwierigkeiten haben wirst? Oder wann hast Du gemerkt, dass Du anders aussiehst als andere Kinder?

Rut Afewerki:

Ich erinnere mich sehr gut an meine Kindheit. Ich war hier im Kindergarten nicht das einzige schwarze Kind. Ich war auch nicht die einzige Ausländerin. Das hat es mir natürlich erleichtert. Aber für ein Kind im Kindergarten ist das noch nicht so wichtig. Aber rückblickend hatte ich keine Konfrontation damit, jede und jeder war gleich wie die anderen, das war uns egal.

In der Grundschule war es dann so, dass ich nicht das einzige ausländische Kind war, aber das einzige schwarze Kind in meiner Klasse, und zwar bis zur zehnten Klasse das einzige schwarze Kind. Da habe ich das öfters gemerkt, dass ich anders bin oder anders aussehe. Ich war auch leiser und zurückhaltender. Eine spezielle Begegnung hatte ich nicht. Persönlich hatte ich Probleme mit meinen Haaren. Die sahen natürlich immer ganz anders aus, ich habe ja einen Afro, ganz viele Locken. Das sieht natürlich anders aus als bei den Gleichaltrigen im Teeniealter, die glatte Haare hatten und ganz andere Frisuren machen konnten als ich. Sobald ich das durfte von meiner Mama, habe ich sie dann wirklich täglich geglättet, damit ich weniger auffalle, das war wohl mein Hintergedanke. Später mit 14 oder 16 Jahren hatte ich dann natürlich andere Probleme, ich habe damals nicht so darüber nachgedacht, was das bedeutet. Meine Familie und Freude haben es mir irgendwann verboten, weil meine Haare natürlich kaputtgegangen sind davon. Ich habe dann auch aufgehört und während der Ausbildung dann die Haare offen getragen.

Und ich trage sie auch heute offen und bin ganz stolz darauf, so auszusehen und ab und an auch mal damit anzuecken, was mir aber egal ist, so sehe ich eben auch. Ich bin eben anders.

Gegenwind:

Wie oft wirst Du auf das Wetter angesprochen? Glauben Leute, Kälte macht Dir mehr aus? Wenn es in Kiel über 30 Grad ist, ist es für Dich ja egal...

Rut Afewerki:

Ja, tatsächlich, aber andersrum. Ich mecker immer, wenn es warm wird. Denn immer, wenn es über 25 Grad wird, dann stöhne ich rum, und dann werde ich eher angesprochen „aber Du solltest das doch aushalten können“. Dann erkläre ich, dass ich einfach einen schwarzen Afro habe, der die Sonne ausgesprochen gut aufnimmt. Aber ich werde eher nicht direkt angesprochen, man reagiert nur auf mich. Es ist meine Schuld, dass mich Leute ansprechen. Aber dann erwarten sie, dass ich die Sonne besser abkann als sie. Ich kann natürlich weniger einen Sonnenbrand bekommen, das ist wohl wahr, ich brauche auch weniger Sonnenmilch. Ich mag eigentlich das typische Kieler Wetter und nicht so sehr die Wärme. Wenn es regnet und grau ist, dann bin ich eben zu Hause.

Gegenwind:

Hast Du irgendwann angefangen, gezielt Kontakte zu anderen Schwarzen oder zu schwarzen Frauen zu suchen?

Rut Afewerki:

Ich bin sehr in der eritreischen Kultur aufgewachsen. Mama und Papa haben sie mir auf jeden Fall gut vermittelt. Ich kenne viele eritreische Familien. Aktuell und seit ein paar Jahren sehne ich mich auch danach, andere afrikanische Kulturen kennen zu lernen. Da bin ich gerade bei, mehr zu erfahren über den Kontinent Afrika, denn ich weiß eigentlich zu wenig. Die eritreische Kultur kenne ich, ich war auch schon in Eritrea. Aber ich will andere afrikanische Kulturen und andere afrikanische Menschen kennen lernen.

Gegenwind:

Gab es für Dich schon Erfahrungen mit anderer Behandlung? Hat eine Kindergärtnerin, eine Lehrerin, ein Uni-Dozent Dich besonders behandelt?

Rut Afewerki:

Ich hatte einmal eine Situation, da war ich mit meiner besten Freundin beim Arzt. Sie hat mich begleitet, einfach weil ich nicht alleine hingehen wollte. Und der Arzt hat mich dann untersucht und hat sich dann zu ihr umgedreht nach der Untersuchung und hat ihr dann erklärt, was ich denn hätte. Worauf sie dann ganz verduzt geantwortet hat, warum sagen Sie mir das, sagen Sie das doch Ihrer Patientin. Sie war total verwirrt, und ich war lässig geblieben, weil nur jemand denkt, dass ich kein Deutsch spreche. Aber ich war im Nachhinein sehr erschrocken darüber, dass auch ein Gebildeter, er hat ja Medizin studiert, gar nicht davon ausgegangen ist, mich anzusprechen. Vielleicht kann ich ja tatsächlich kein Deutsch, so dass die Gefahr droht, dass ich nicht antworte, sondern meine dolmetschende Begleitung. Das hat mich verblüfft, aber das war ein einprägender Moment.

Ich der Schule ging es mir gut, ich hatte nette Lehrer, die manchmal darauf eingegangen sind, dass ich anders aussehe, wenn andere Schüler mich geärgert haben oder was Böses gesagt worden ist.

Gegenwind:

Wie reagieren Eritreer auf Dich, die neu in Deutschland sind? Freuen sie sich, eine deutsche Eritreerin kennen zu lernen?

Rut Afewerki:

So wie ich das erlebe: Ja. Ich bin Deutsche, bin ihnen aber näher. Meine Eltern können die Sprache besser und helfen auch, sie dolmetschen auch. Ich versuche aktuell auch mehr Kontakt zu bekommen und helfe, wo es geht. Aber ich nehme an sie sehen sofort, dass ich Deutsch spreche und ihnen auch helfen kann.

Gegenwind:

Seit kurzem gibt es Treffen von schwarzen Kielerinnen und Kielern. Warum macht Ihr sowas?

Rut Afewerki:

Aus mehreren Gründen. Der erste Grund ist, dass in Kiel mehrere kleine oder mittelgroße Vereine existieren, die voneinander aber nichts wissen. Viele haben auch nie zusammen gearbeitet. Das wollen wir beenden, die Vereine sollen bleiben, aber vielleicht können wir einen Dachverband gründen oder organisieren. Der kann dann auftreten besonders für die kleineren Vereine. Und ich würde gerne die Kultur aus Ghana oder Kongo oder Kamerun kennen lernen, das interessiert mich, davon habe ich bisher gar keine Ahnung. Ich würde gerne wissen, was man da isst, was man da tanzt, ich interessiere mich für Geschichten von Einzelnen. Das Zusammenkommen soll dann dort stattfinden, irgendwie unter einem Dach.

Gegenwind:

Diskutiert Ihr da auch über Rassismus in Kiel?

Rut Afewerki:

Bis jetzt hatten wir das Thema Rassismus noch nicht wirklich angesprochen. Aber Rassismus erlebt hat jemand, der erst mit 30 Jahren nach Kiel gekommen ist, und auch ich, die seit fast 30 Jahren in Deutschland lebe. Es gibt viele Parallelen, aber es ist eine andere Zeit, in der wir Rassismus erlebt haben. Ich bin ja deutsch, ich kann mich selbst nicht als Eritreerin sehen. Aber ich werde manchmal damit konfrontiert, dass ich nicht deutsch genug bin, weil man mir ansieht, dass ich anders bin. Die Älteren, die ihre Kindheit in einem afrikanischen Land erlebt haben, dann hierher gekommen sind, da gibt es einige Parallelen, aber auch viele Unterschiede. Das besprechen wir, das erkennen wir auch.

Über den Alltagsrassismus hier haben wir noch nicht gesprochen. Aber einmal hat da ein Mann erzählt, dass er hier gelebt hat, als das Wort „Negerkuss“ noch auf den Schaumküssen stand. Da war ich total verblüfft: Das stand früher noch drauf? Ich habe einen Zeitzeugen gesehen, der wusste etwas, was für mich unvorstellbar war, dass das hier in den Regalen stand und zu kaufen war. Ich habe oft die Diskussion, dass dieser Begriff noch benutzt wird, obwohl es ja auf der Packung nicht draufsteht. Das ist sehr spannend, über die diese Unterschiede und die gleichen Geschichte miteinander zu reden.

Gegenwind:

Erwartest Du etwas von der Stadt Kiel? Sollte die Stadt etwas organisieren, damit alle sich heimischer fühlen.

Rut Afewerki:

Räume. Ich habe ja von diesem Dach erzählt, das die schwarze Community haben will. Wir wollen uns ja treffen. Wir haben jetzt die „Türkische Gemeinde“, da dürfen wir uns gerade treffen. Das ist auch supertoll. Aber es wäre schon sehr toll, würde es die Möglichkeit geben, tatsächliche Anlaufstellen zu haben. Der eritreische Verein „Daero Eritrea e.V.“ zum Beispiel, für den wäre es gut, wenn er eine Adresse hätte, wo man einfach hingehen kann, und die Leute wissen dann, da wird uns geholfen. Im Moment machen wir den Kontakt bei „Whats-app“, eine virtuelle Adresse sozusagen. Räume wären schon toll.

Interview: Reinhard Pohl

Titelblatt Kiel - Mein Zuhause

Zeitschrift „Kiel - Mein Zuhause“

Was ist Zuhause, was ist Heimat? Gibt es einen Unterschied? Kann man mehrere Heimaten haben? Mit diesen Fragen haben sich im vergangenen Jahr Kieler*innen im Rahmen eines Projektes zu den Internationalen Wochen gegen Rassismus beschäftigt. Es wurde gedichtet, interviewt, gezeichnet, modelliert, erforscht und miteinander diskutiert.

Die Texte und Werke sind zu einer Zeitschrift zusammengeflossen. Das Interview mit Rut Afewerki stammt aus dieser Zeitschrift.

Fast alle Autor*innen bewegen sich in mindestens zwei Kulturen, sind in zwei Ländern beheimatet, sprechen neben Deutsch mindestens eine weitere Sprache. Sie alle leben und arbeiten in Kiel. Für einige von ihnen ist Kiel ein Zufluchtsort, der ihnen Schutz und ein Leben in Frieden bietet, andere haben sich das Leben in Kiel nicht freiwillig ausgesucht, da sie als Kind von „Gastarbeiter*innen“ mit nach Kiel gezogen sind, andere haben eine lange Familientradition hier. Was aber alle miteinander verbindet: Kiel ist ihr gelebtes und geliebtes Zuhause.

Die Zeitschrift ist ein Kooperationsprojekt des Referats für Migration der Landeshauptstadt Kiel und der Diakonie Altholstein mit dem Regionalen Beratungsteam gegen Rechtsextremismus, der vhs-Kunstschule, dem Zuwanderungsbeauftragter des Landes Schleswig-Holstein und dem Kieler Forum für Migrant*innen. Gemeinsam soll ein Zeichen gegen Rassismus, vor allem gegen Alltagsrassismus gesetzt werden.

Weitere Informationen zum Zeitschriftenprojekt gibt es beim Referat für Migration der Landeshauptstadt Kiel (E-Mail: referat-migration@kiel.de), auf der Website www.kiel.de/meinzuhause oder www.diakonie-altholstein.de/de/meinZuhause.

Petra Iwahn

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