(Gegenwind 380, Mai 2020)
Die junge Frau (25 Jahre) kam im November 2019 aus Togo. Sie wurde auf dem Flughafen München von der Bundespolizei abgefangen, gefälschte Papiere erkannt, durfte nicht einreisen und Asyl beantragen. Stattdessen gibt es ein stark verkürztes „Flughafenverfahren“: kurze Anhörung, Asylantrag abgelehnt, zurückgewiesen. Dazu: „Zurückweisungshaft“. So klar scheint es nicht, wenn man mit ihr spricht: Ihr Mann war Oppositionspolitiker, ist in der Landzeitdiktatur 2017 ermordet worden. Sie floh nach Ghana, das wie Togo zur Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft gehört. Man kann das Land wechseln, im anderen Land arbeiten, ähnlich wie in der EU. Aber sie floh dann zwei Jahre später weiter nach Deutschland, denn auch die Polizei oder Spitzel können ins Nachbarland kommen.
Togo wurde 38 Jahre lang von Eyadéma Gnassingbé regiert, und als er 2005 starb, übernahm dessen Sohn Faure Gnassingbé. Doch im Flughafenverfahren gibt es nur eine Klagefrist von drei Tagen und keine Rechtsanwälte, die Frist hat die jugen Frau aus Togo verpasst. Also: Zurückweisung und Abschiebung.
Letztlich macht die versuchte Abschiebung Schlagzeilen: Die Bundespolizei plant sie für Anfang Mai. Dafür soll ein Charterflugzeug nur für diese eine Person gemietet werden. Mit der Regierung in Lomé sind die Beziehungen wohl gut: Obwohl der Flughafen wegen der Corona-Pandemie geschlossen ist, ein Einreiseverbot besteht, will die Diktatur die Landebahn für den Charterflug der Bundespolizei öffnen. Und damit niemand meckert, hat die Bundespolizei auch ein Hotelzimmer für 14 Tage gebucht, dort soll die Regimegegnerin in Quarantäne leben. Das kostet über 100.000 Euro. Dabei hat die junge Frau keine Familie in Togo mehr, ihr einziger Verwandter, der Onkel, lebt in Deutschland. Nach Protesten wurde sie am 8. April aus der Abschiebehaft entlassen und in die Erstaufnahme gebracht. Offiziell abgesagt ist die superteure Abschiebung aber nicht.
Der Fall zeigt: Bei Abschiebungen geht es nicht um Effizienz, auch nicht um Zahlen oder Geld. Finanziell wäre es vermutlich sinnvoll, den Asylantrag dieser Regierungsgegnerin etwas sorgfältiger zu prüfen, dann dürfte sie hier leben. Eine 25-jährige Frau wird sich problemlos einleben können. Es geht um Ordnung: Wer falsche Papiere hat, darf nicht einreisen. Wer nicht einreisen darf, bekommt kein ordentlichen Asylverfahren. Und wer abgelehnt wird, muss ausreisen oder abgeschoben werden - koste es, was es wolle.
2019 gab es 22.097 Abschiebungen (2018: 23.617).
Wichtigster Zielstaat war wiederum Italien mit 2.692 (2018: 2.926) Abschiebungen, gefolgt von Albanien, Frankreich und Georgien (2018: Albanien, Serbien, Kosovo). Das sind aber häufig keine Abschiebungen ins Herkunftsland, sondern es sind auch Abschiebungen innerhalb des Asyl in ein anderes europäisches Land.
Interessant ist eher, auf bestimmte Länder zu schauen, in die AusländerInnen ohne Aufenthaltsrecht abgeschoben werden. Das sind keineswegs hauptsächlich abgelehnte AsylbewerberInnen, es sind oft auch andere, deren Aufenthaltsrecht abgelaufen ist - die zum Beispiel nach Ablauf eines Aufenthaltstitels für ein Studium, ein Au-Pair-Jahr oder anderes hier blieben, aber irgendwann bei einer Kontrolle auffielen. Oft handelt es sich auch um BesucherInnen, die mit zeitlich begrenztem Visum kamen und dann blieben.
Ein paar Länder seien hier genannt,
in Klammern die Abschiebungen aus 2018:
Albanien | 1.528 | (2.147) |
Georgien | 1.177 | (1.085) |
Serbien | 1.007 | (1.451) |
Kosovo | 697 | (1.229) |
Marokko | 696 | (722) |
Mazedonien | 686 | (1.046) |
Algerien | 575 | (567) |
Russland | 498 | (422) |
Armenien | 431 | (345) |
Türkei | 429 | (277) |
Nigeria | 404 | (195) |
Afghanistan | 361 | (283) |
Tunesien | 319 | (344) |
Ghana | 198 | (210) |
Gambia | 80 | (144) |
Iran | 39 | (22) |
Irak | 30 | (35) |
Guinea | 26 | (16) |
Somalia | 9 | (7) |
Eritrea | 2 | (0) |
Übrigens sind die meisten Abgeschobenen Männer. Rund ein Viertel sind Frauen, 2019 waren es 4.974. Die meisten dieser Frauen wurden nach Frankreich, Albanien und Italien abgeschoben. Nimmt man die Liste der Länder oben, waren es Albanien (389), Serbien (347), Mazedonien (322), Georgien (319), Russland (210), Kosovo (192) und Armenien (190).
3.806 Abgeschobene waren Kinder oder Jugendliche. Hier waren die wichtigsten Abschiebestaaten Albanien (387), Serbien (327), Mazedonien (289), Georgien (249), Russland (213), Kosovo (184) und Armenien (123).
Am meisten verdient haben die Lufthansa und ihre Töchtergesellschaften, andere Fluggesellschaften folgen erst in weitem Abstand. Es gibt einige Länder, die die Nutzung der eigenen Staatslinie zur Bedingung für's Akzeptieren von Abschiebungen machen.
Von den etwas über 20.000 Abschiebungen waren 8.423 „Dublin-Abschiebungen“, unter diesen Abgeschobenen waren 2.119 Frauen und 1.489 Kinder.
Nicht so bekannt ist, dass es nicht nur Abschiebungen gibt, sondern auch Vorgänge, die sich für die Betroffenen so ähnlich anfühlen. So gab es 2019 auf 13.689 „Zurückweisungen“, d.h. Leute die einreisen wollten wurden an der Einreise gehindert. Die meisten Zurückweisungen gab es auf dem Flughafen Frankfurt (3.501) und an der Landgrenze zu Österreich (5.893).
Hauptgrund für Zurückweisenden waren fehlendes Geld. Gerade bei visumfreien Touristen wird das oft kontrolliert, ob diese sich den Aufenthalt leisten können, denn sie dürfen als Touristen ja nicht arbeiten.
Es gab außerdem 2.934 Zurückschiebungen, das betrifft alle, denen die Einreise gelungen ist, die aber in der Nähe der Grenze kontrolliert und wieder zur Grenze zurückgebracht wurde. Das betraf 2.801 Menschen an Landgrenzen, die meisten in der Nähe der Grenze zur Tschechischen Republik (845), die meisten waren Ukrainer.
Die beiden Bundesländer Schleswig-Holstein und Hamburg schoben fast gleich viele ab: Schleswig-Holstein 457 (392) Personen, Hamburg 456 (520) Personen. Das entspricht, wie auch die anderen Zahlen der Bundesländer, ungefähr der Größe der Bundesländer, wobei Städte etwas mehr abschieben als Landkreise - auch weil sich Menschen, die ohne Aufenthaltserlaubnis Arbeit suchen, eher in Städten aufhalten.
Die meisten Abschiebungen meldet Nordrhein-Westfalen mit 6.359, die wenigsten Bremen mit 93 - und das sind eben das größte und das kleinste Bundesland.
2019 sind 3.538 Abschiebungen gescheitert, davon 1.692 wegen Gegenwehr, 135 wurden von Ärzten gestoppt, in 29 Fällen gab es Selbstverletzungen, 437 Mal weigerten sich die Bundespolizisten, in 596 Fällen die Piloten, in 105 Fällen hatte eine Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt im letzten Moment Erfolg, in 16 Fällen verweigerte der Zielstaat die Annahme, in 362 Fällen fiel der Flug aus, in 28 Fällen waren die Papiere nicht fertig.
Es scheiterten aber auch 28.944 geplante Abschiebungen, weil die Landespolizei die Abzuschiebenden nicht rechtzeitig bei der Bundespolizei ablieferte. Hier unterscheidet die Bundespolizei nur zwischen den Fällen, in denen die Landespolizei rechtzeitig abgesagt hat (17.399) und denen, in denen einfach niemand kam (11.007). Meistens wird es wohl so sein, dass der Landespolizei etwas dazwischen kam.
Und dann gab es noch zwei Personen, die irrtümlich abgeschoben wurden, aber zurückgeholt worden sind. In beiden Fällen waren es syrische Flüchtlinge, einer wurde nach Bulgarien, der andere nach Rumänien abgeschoben. Dabei war übersehen worden, dass sie gegen die Abschiebung geklagt hatten. Die Bundespolizei gab in beiden Fällen an, der Fehler habe beim BAMF gelegen.
2019 fielen in 46.112 Fällen Entscheidungen, eine Person müsse Deutschland verlassen. Das betraf vor allem AsylantragstellerInnen aus Nigeria, Irak und Afghanistan. Insgesamt war ein Drittel deren, die ausreisen sollten, AsylbewerberInnen: 15.389. Die übrigen waren aus anderen Gründen hier.
Im Jahre 2019 reisten insgesamt aber 232.616 Personen aus, die Abschiebungen eingeschlossen - mehr als 90 Prozent also ohne Abschiebung. Wichtigste Zielstaaten bei den Ausreisen waren die Türkei, China und Indien. Unter denen, die ausreisten, waren auch 5.580 Personen, die nach Afghanistan reisten - davor: 6.821 nach Syrien, 5.935 in den Irak, 5.644 nach Nigeria. Im gleichen Zeitraum reisten allerdings 117.797 Menschen nach Rumänien aus.
Unter den Ausgereisten waren 37.624 abgelehnte AsylbewerberInnen, die meisten aus Serbien, Albanien und Mazedonien. Nach Afghanistan reisten 1.766 abgelehnte Flüchtlinge aus, nach Armenien 1.022.
Am 31. Dezember waren 249.922 Menschen in Deutschland zur Ausreise verpflichtet. Sie haben meistens eine Duldung, einige auch nur eine Grenzübertrittsbescheinigung. Von ihnen lebten 10.151 in Schleswig-Holstein und 8.769 in Hamburg. Von ihnen waren 152.015 abgelehnte Asylbewerber, 6.458 in Schleswig-Holstein und 3.893 in Hamburg.
Von denen, die zur Ausreise verpflichtet waren, waren mit folgenden Staatsangehörigkeiten registriert:
Hamburg | 8.769 |
aus Afghanistan | 1.070 |
aus Russland | 686 |
aus Ghana | 634 |
aus Serbien | 445 |
aus Irak | 431 |
Schleswig-Holstein | 10.151 |
aus Afganistan | 2.489 |
aus Irak | 1.490 |
aus Armenien | 983 |
aus Russland | 697 |
aus Iran | 541 |
Abgeschoben wird nur eine Minderheit derjenigen, die „ausreisepflichtig“ sind. Es ist eine reine Ordnungsmaßnahme des Staates. An Einzelnen wird demonstriert, dass die Ausreiseaufforderung ernst gemeint ist und auch vollstreckt werden kann. So soll erreicht werden, dass möglichst viele aufgeben und selbst ausreisen.
Auffällig ist, dass Deutschland die Bereiche „Asyl“ und „normales Leben“ strikter trennt als die meisten anderen Mitgliedsstaaten der EU. In den meisten Ländern kann jemand, dessen oder deren Asylantrag abgelehnt wurde, relativ einfach in einen anderen Status wechseln, zum Beispiel studieren, eine Ausbildung absolvieren oder Arbeit finden: Das wird als Grund zum Bleiben akzeptiert. In Deutschland werden nur zaghaft Lösungen als „Ausnahme“ geschaffen. Das erkennt man an der Ausbildungsduldung (vgl. Gegenwind 379, Seite 10), der Beschäftigungsduldung und dem Fehlen einer Duldung für's Studium, die z.B. die FDP seit längerer Zeit fordert. Deutschland ist insofern stärker auf „Ordnung“ bedacht, statt pragmatisch und im Sinne der Menschen zu handeln.
Allerdings haben die Bundesländer Möglichkeiten, Ausreisepflichtige auch von Seiten der Behörden aus besser und bleiberechtsfreundlicher zu beraten und so aus eigenem Interesse Abschiebungen zu vermeiden. Leider werden in Presseerklärungen und Statistiken der Landesregierung meistens nur die Zahl der Ausreisepflichtigen mit der Zahl der Abschiebungen in Verbindung gesetzt.
Besser wäre es, die Zahl humanitärer Lösungen lobend zu erwähnen.
Reinhard Pohl
alle Zahlen: BT-Drucksache 19/18201 vom 19.3.2020