(Gegenwind 380, Mai 2020)

JVA Hamburg-Fuhlsbüttel
JVA Hamburg-Fuhlsbüttel

Corona im Gefängnis

In den Haftanstalten ist die Corona-Pandemie eine besondere Bedrohung

„Es fehlt an Transparenz auf allen Ebenen“, erklärte Manuel Matzke, Sprecher der Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO), dem Autor Ende März zum Umgang der Justizverwaltungen der Bundesländer mit der Ansteckungsgefahr für Gefangene durch das Coronavirus. Dies gelte von den Ministerien zu den Haftanstalten und von dort aus zu den Gefangenen und Angehörigen.

„Die selbst produzierte Ungewissheit macht es nicht leichter, weder für Gefangene, noch für Bedienstete“, so Manuel Matzke. In Schleswig-Holstein werden Neuzugänge in den Justizvollzuganstalten für mindestens 14 Tage in hierfür eingerichteten Zugangsabteilungen unter Quarantänebedingungen isoliert. Außerdem „wurden in den Justizvollzugseinrichtungen die Außenkontakte der Gefangenen sukzessive begrenzt“, so Oliver Breuer vom Justizministerium in einer Erklärung vom 26. März weiter: „Lockerungen und Ausführungen wurden auf das notwendige Minimum reduziert, die Durchführung von Gemeinschafts-, Familien- und Einzelbesuchen von Gefangenen sind seit dem 12. März ausgesetzt. In begründeten Einzelfällen können Einzelbesuche mit Trennscheibe oder vergleichbaren infektionsschützenden Sicherungsmaßnahmen durchgeführt werden. Zudem erhalten Ehrenamtliche und sonstige dritte Personen keinen Zutritt in die Anstalten, sofern nicht besondere Gründe ein Betreten zwingend erforderlich und unaufschiebbar machen.“

Seit Mitte März gilt in den meisten Bundesländern ein rigides Besuchsverbot, in Schleswig-Holstein wie auch in Hamburg - Gefangene können nur noch in begründeten Ausnahmefällen von ihren Rechtsbeiständen besucht werden, und dies oft auch nur mit Trennscheiben. Begründet wird dies damit, dass die Gefängnisse frei vom Coronavirus seien. „Damit dies hoffentlich so bleibt, haben wir derzeit ein Besuchsverbot verhängt“, teilte etwa auch ein Sprecher des hessischen Justizministeriums laut dpa mit. Angehörige haben bis mindestens 20. April kein Besuchsrecht, allerdings werden ersatzweise Telefonate und teilweise auch Videogespräche erlaubt, wie in Hessen oder auch Rheinland-Pfalz. In einigen Bundesländern gibt es dafür Hilfsmittel, etwa Tabletcomputer, in anderen nicht. Die Besuchsverbote werden von den Justizverwaltungen und Gefängnisleitungen als probates Mittel angepriesen, um die Ansteckungsgefahr zu minimieren. Der nordrhein-westfälische Minister der Justiz Peter Biesenbach erklärte: „Vor dem Hintergrund der dynamischen Entwicklung des Corona-Virus sind Maßnahmen erforderlich, wie wir sie bisher nie getroffen haben.“

Damit ist ein Zusammenspiel von vorzeitigen Haftentlassungen und Aufschiebung von Inhaftierungen einerseits und dem unzureichenden Ersatz von Besuchen durch Telefonate und vermehrtem Einschluss für das verbliebene Gros der Gefangenen gemeint. Zusätzlich wird der Jugendarrest ebenso ausgesetzt wie der Vollzug von Vollstreckungshaftbefehlen: Damit kommen diejenigen nicht mehr in Haft, die nicht in der Lage sind eine Geldstrafe zu zahlen und deshalb ersatzweise ins Gefängnis müssen. Diese Ersatzhaftstrafen sind schon lange umstritten: Sie seien unverhältnismäßig und treffen die Ärmsten, die keine Möglichkeit haben, eine Geldstrafe zu bezahlen - etwa Obdachlose, die mehrmals beim Schwarzfahren erwischt worden sind. In Berlin etwa wurden Mitte März 271, in Hamburg 42 Gefangene entlassen, die Ersatzhaftstrafen absitzen mussten. Auch in Schleswig-Holstein wurde die Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen ausgesetzt und Gefangene in Ersatzfreiheitsstrafen auf Antrag entlassen.

In NRW wurden am 25. März 1.000 Gefangene entlassen, die entweder Ersatzfreiheitsstrafen absitzen mussten oder kurz vor der regulären Haftentlassung standen. „Es ist gut, dass Nordrhein-Westfalen mit der größten Gefangenenpopulation Ersatzfreiheitsstraflerinnen entlassen hat“, so Manuel Matzke von der GG/BO gegenüber dem Autor: „Bayern kümmert sich um Menschen in Gefangenschaft dagegen erfahrungsgemäß erst, wenn sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einschaltet.“ Bayern vertritt gegenüber Gefangenen bundesweit den rigidesten Kurs - hat allerdings auch ohne außerplanmäßige Entlassungen 1.000 freie Haftplätze, die bei Ausbruch der Pandemie in den Gefängnissen für Quarantäne- und Krankenstationen genutzt werden können. In den meisten Bundesländern gab es bis zu den Entlassungen im März kaum freie Haftplätze und Zellentrakte.

Dabei werden in anderen Bundesländern die unsozialen Ersatzhaftstrafen zwar ausgesetzt, aber nicht infrage gestellt. Es geht nur darum, die derzeitige Ausnahmesituation zu managen. So erklärte ein Sprecher des Justizministeriums in Baden-Württemberg letzte Woche gegenüber der Funke Mediengruppe: „Die Vollstreckung dieser meist sehr kurzen Ersatzfreiheitsstrafen verursacht einen hohen Durchlauf in den Justizvollzugsanstalten, vorläufig werden diese Personen deshalb nicht zum Haftantritt geladen.“ Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben: Verurteilte, die trotz ihres prekären Daseins die Corona-Pandemie überleben, dürfen danach zur Haft antreten: „Die betroffenen Personen, die die kommenden Tage zum Strafantritt geladen worden wären, müssen weiter mit einer Vollstreckung ihrer Freiheitsstrafe rechnen.“ Dies ist in anderen, nicht grünschwarz regierten Bundesländern noch nicht festgelegt worden.

Beinhart ist Baden-Württemberg wie alle anderen Bundesländern bei den Gefangenenbesuchen: Die sind derzeit verboten - bis auf Ausnahmen für die Rechtsbeistände. Das Justizministerium von Rheinland-Pfalz erklärte ähnlich: „In den Justizvollzugseinrichtungen des Landes finden Besuche ab sofort grundsätzlich nicht mehr statt, da das Infektionsrisiko zu hoch und die Sicherheit und Ordnung durch jeden einzelnen Besuch gefährdet ist“. Dafür gäbe es keinen Notwendigkeit, erklärt eine Sprecherin der GG/BO: „Die WHO hat einen Leitfaden für Haftanstalten veröffentlicht“, erklärte Mila Eichler im Gespräch mit dem Autor, „daraus lässt sich ableiten, dass die Einschränkung der Besuche nicht empfohlen wird - aktuell scheint das leider bundesweite Realität zu sein.“ In Bielefeld in NRW wandte sich laut Westfalenblatt ein Häftling der offenen Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne mit einem anonymen Brief an den Nordrhein-westfälischen Justizminister Peter Biesenbach, CDU: „Wir sind etwa 60 Mann in unserer Außenstelle. Wir stehen seit fast zwei Wochen unter Ausgangssperre und Besuchssperre und leben in einer Art Wohngruppenvollzug zusammen.“ Der Sprecher der JVA, Frank Baucke, widersprach im Westfalenblatt: Die meisten Gefangenen „gehen draußen einer Arbeit nach“. Dass die Kombination von Arbeitspflicht - sonst geht der Freigängerstatus verloren - und der Ansteckungsgefahr am Arbeitsplatz bei gleichzeitigem Verbot, an den Wochenenden zu ihren Familien zu dürfen plus Besuchsverbot in der JVA für Unmut unter den Gefangenen sorgt, ist naheliegend, wie ein Gefangener unter dem Artikel kommentiert: „Keine Hygiene, kein Desinfektionsmittel und eine absolute Ausgangssperre. Dafür jeden Tag 60 Personen, die draußen in allen möglichen Firmen arbeiten gehen. Das heißt, sie gehen einer normalen Arbeit nach, dürfen aber nicht mehr nach Hause zu den Familien.“ Immerhin gilt auch dort eine Aufhebung des Handyverbotes. Außerdem habe die JVA jede Menge Gesellschaftsspiele und Rätselzeitschriften bestellt, um den Gefangenen vor allem an den Wochenenden die Zeit zu verkürzen. In dem anonymen Brief wird kritisiert, es gebe seit zwei Wochen „keinen Tropfen Desinfektionsmittel - weder für Hände noch zur Flächendesinfektion“.

Der JVA-Sprecher Frank Baucke: „Wir können nicht jedem Häftling seine Flasche Desinfektionsmittel geben. Die hat draußen auch nicht jeder. Wir haben aber genug Toilettenpapier und Papierhandtücher“. Und die Toiletten würden mehrmals täglich geputzt. „Abstand, Hygiene und Gefahrenvermeidung gibt es definitiv nicht“, kommentiert der anonyme Gefangene: „Natürlich gibt es keine Infizierten, denn es gibt ja auch keine Tests. Inhaftierte, die krank sind werden mit handelsüblichen Mitteln behandelt. Einen Doktor gibt es nur im absoluten Notfall. Menschen, die einer Risikogruppe angehören werden nicht anders behandelt als die anderen.“ Diese Darstellung deckt sich mit anonymen Berichten von zwei Gefangenen aus der JVA Plötzensee in Berlin, die auf der Internetseite der GG/BO dokumentiert sind: „Die Zustände sind katastrophal, es gibt keine Seife oder Desinfektionsspender, Putzmittel steht nur spärlich von Seiten der Anstalt zur Verfügung und die Bediensteten melden sich vermehrt krank, was dazu führt, dass Gefangene früher eingeschlossen werden müssen.“

So sind die Gefangenen doppelt unfrei: Eingesperrt und mehr als sonst isoliert in ihren Zellen und nicht frei in ihrer Wahl, sich gegen vor dem Coronavirus zu schützen. Und werden nur unzureichend informiert: „In Sachsen wurde ein Beamter positiv auf COVID-19 getestet“, so Manuel Matzke von der GG/BO, „das Ministerium möchte nicht einmal die betreffende JVA nennen“. Aus Sicht der GG/BO würde ein angemessener Umgang mit Corona anders aussehen: „Neben Transparenz durch Veröffentlichung der Pandemiepläne“, so Mila Eichler von der GG/BO Soligruppe Leipzig, „befürworten wir auch die Freilassung von nicht gefährlichen Gefangenen über 60 Jahren sowie solchen mit Autoimmun-, Herz- oder Lungenkrankheiten, Diabetes, Krebs oder HIV - da diese zu den Risikogruppen gehören.“

In der zweiten Märzhälfte wurde bekannt, dass in Hamburg die ersten beiden Gefangenen an Covid-19 erkrankt sind: Am 23. März gab es erste Berichte, dass in der Justizvollzugsanstalt Glasmoor in Norderstedt ein Gefangener im offenen Vollzug erkrankt ist. „Der etwa 30 Jahre alte Gefangene befindet sich in seinem Haftraum in Quarantäne. Er zeigt keine Symptome“, teilte Dennis Sulzmann, Sprecher der Justizbehörde, am gleichen Tag mit und bestätigte so den ersten Bericht des Hamburger Abendblattes. Einen Tag später ging der grüne Justizsenator Till Steffen von sich aus an die Öffentlichkeit und erklärte, auch in der JVA Fuhlsbüttel, im geschlossenen Vollzug, gäbe es einen bestätigten Corona-Fall: Ein 34-jähriger Gefangener würde ab sofort in regulärer Haftraumquarantäne isoliert. Die Pressesprecherin der Hamburger Justizbehörde, Dr. Marayke Frantzen, erklärte dem Autor gegenüber eine Woche später, am 31. März: „Beide Gefangenen befinden sich jeweils in Haftraumquarantäne auf den Isolierstationen“, und es gäbe bisher keine weiteren Erkrankten in den JVAs. „Beide Gefangene zeigen bisher nur leichte oder gar keine Symptome“, so die Pressesprecherin Dr. Marayke Frantzen zum Autor: „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir darüber hinausgehend schon aus Datenschutzgründen keine detailliertere Auskunft zum jeweiligen Gesundheitszustand geben“.

Gaston Kirsche

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