(Gegenwind 379, April 2020)
Covid-19 hat die globalisierte Wirtschaft des Neoliberalismus schon jetzt in einem Ausmaß getroffen, das bald an die letzte Finanz- und Wirtschaftskrise heranreichen dürfte oder über sie hinaus gehen wird. Das Virus hat die Weltwirtschaft infiziert und legt sie lahm, wie es kein Streik der letzten Jahrzehnte auch nur ansatzweise vermocht hatte.
An den Finanzmärkten hat die Corona-Pandemie eine Panik ausgelöst. Die Aktienmärkte sind innerhalb von Wochen um bis zu 30 % eingebrochen. Das Virus trifft auf eine Weltwirtschaft mit „Vorerkrankungen“. Insofern ist das Virus „nur“ ein Brandbeschleuniger - hatten doch schon Ende des letzten Jahres Ökonomen die Weltwirtschaft auf bevorstehende Turbulenzen hingewiesen (siehe Gegenwind 375, Dezember 2019).
Vielleicht wird sich die Pressekonferenz vom 13. März in Berlin, auf der Bundeswirtschaftsminister Altmaier (CDU) und Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) bekannt gaben, dass im Bundeshaushalt ein „Milliarden-Schutzschild für Betriebe und Unternehmen bereit stehe, dessen Volumen nicht begrenzt sei“, einstmals so ins kollektive Gedächtnis einprägen, wie die Schabowski-Pressekonferenz zur Maueröffnung. Jetzt werden also Geldhähne für die Unternehmen geöffnet - „und es wird nicht gekleckert, es wird geklotzt. Es ist genug Geld vorhanden, um die Krise zu bekämpfen. Darauf kann sich jeder und jede verlassen.“
Nach dem Abflauen der Pandemie wird dann aber bestimmt eine Diskussion darüber entstehen, wer letztlich die Kosten für die staatlichen Hilfen tragen soll. Derzeit wird beispielsweise das Kurzarbeitergeld aus Reserven der Bundesanstalt für Arbeit gezahlt. Das heißt, die Finanzierung erfolgt aus einer Solidarkasse der Beschäftigten. Oder anders gesagt: Die Regierung vergibt großzügig unsere eigenen Gelder, statt zusätzliche, von der EZB finanzierte Budgets bereitzustellen.
In einigen Kommentaren in den Medien deutet sich derzeit schon an, dass die Neoliberalen so schnell wie möglich wieder zur schwarzen Null zurückkehren wollen und im EU-Rahmen die Drangsalierung vor allem Italiens durch eine Verschärfung des „Stabilitätspaktes“ fortsetzen wollen. Damit würden dann aber die Kosten der Corona-Krise auf die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung in Deutschland und der EU abgewälzt. Das Totsparen der staatlichen und öffentlichen Einrichtungen zulasten der Menschen würde sich fortsetzen.
Es sei noch einmal daran erinnert: Im vergangenen Jahr, als der Kapitalismus noch gesünder wirkte, hatte die Bertelsmann-Stiftung eine Studie veröffentlicht, aus der hervor ging, dass „jedes zweite Krankenhaus überflüssig sei.“. Es gebe „Potential für eine Verringerung der Klinikanzahl“.
Wohin diese Entwicklung eines kaputtgesparten, gewinnorientierten Gesundheitswesen führt, zeigt aktuell das Beispiel Italien: 1975 gab es in Italien 10,6 Krankenhausbetten pro 1.000 Bürger*innen, jetzt sind es 2,6. Im Zeitraum von 2009-2017 wurden 46.500 Arbeitsplätze im Gesundheitswesen abgebaut. Jetzt können Ärzt*innen und Pflegekräfte nicht mehr allen Erkrankten helfen, sondern müssen abwägen, wer behandelt wird. Die Kapazitäten genügen nicht, und lebensrettende Beatmungsgeräte fehlen, um alte oder schwerkranke Menschen zu behandeln.
Der DGB hat in einer gemeinsamen Erklärung mit der Bundesregierung und dem Arbeitgeberverband angesichts der Corona-Krise einmal mehr die Sozialpartnerschaft beschworen: „Das Zusammenspiel von Politik und Sozialpartnern wird auch jetzt dazu beitragen, dass Menschen in Arbeit und Unternehmen am Markt bleiben.“ Arbeitgeber seien gefordert, „zu vielfältigen, pragmatischen und einvernehmlichen Lösungen zu kommen, damit Beschäftigung und Löhne gesichert werden. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sind gefordert, über Zeitausgleiche (z.B. Überstundenabbau) oder kurzfristige Inanspruchnahme von Urlaub, die Betreuung ihrer Kinder sicher zu stellen.“
Der DGB fordert darüber hinaus Sonderregelungen für Geringverdiener. „Wenn nur 60 oder 67 Prozent des Lohnausfalls bei Kurzarbeit ersetzt werden, bedeutet das für viele Beschäftigte erhebliche Einkommensverluste. Da müssen Auffanglösungen her“, so der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann. Die Arbeitgeber bekämen 100 Prozent der Sozialabgaben bei Kurzarbeit erlassen. „Mit einem Teil davon könnte man das Kurzarbeitergeld auf 80 bis 90 Prozent aufstocken.“
Und ver.di-Vorsitzender Frank Werneke stellt fest: „Die betroffenen Beschäftigten im Handel etwa in Supermärkten, Drogeriemärkten oder in entsprechenden Warenlagern, dürfen nicht schlechter gestellt werden als andere Berufsgruppen der so genannten kritischen Infrastruktur und brauchen eine Garantie auf Kinderbetreuung, wie sie etwa auch für die Beschäftigten im Gesundheitswesen vorgesehen ist.“
Und: Es gebe allein im Einzelhandel jeden Tag rund 50 Millionen Kundenkontakte. Deswegen müsse der Schutz der Beschäftigten höchste Priorität genießen. „Es müssen wirksame Schutz- und Hygienemaßnahmen angeordnet und die Arbeitgeber zu deren Einhaltung verpflichtet werden.“ Dazu gehöre etwa die Ausweitung der Möglichkeiten für bargeldlose Bezahlung per Giro- oder Kreditkarte sowie per Mobiltelefon. Des Weiteren müssten Pausen zum Händewaschen enger getaktet und ausgeweitet werden.
Kritisch zu den bisherigen gewerkschaftlichen Äußerungen merkt das Münchner „Institut für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung (isw)“ zwei Punkte an:
1. Für den Fall, dass ein Unternehmen nicht ausreichend Arbeit für die Belegschaft hat, gibt es eine gesetzliche Regelung (§ 615 BGB), die in der Praxis aber kaum zur Anwendung kommt. Darin heißt es (für Laien übersetzt): Erhält der Lohnabhängige als ein Teil des Arbeitsvertrages, nicht ausreichend Arbeit zugeordnet, muss der „Dienstberechtigte“ weiterhin Lohn zahlen. Der Arbeiter ist NICHT „zur Nachleistung verpflichtet“, sagt das BGB damit. Aber was passiert derzeit in der betrieblichen Praxis? Arbeitszeitkonten kommen zum Einsatz, im Interesse des Unternehmens. Beschäftigte werden aufgefordert, nach Hause zu gehen, Zeiten aus ihrem Arbeitszeitkonto zu entnehmen oder diese Konten ins Minus laufen zu lassen, um später nachzuarbeiten. Das immer wieder beschworene „unternehmerische Risiko“ wird so auf die Beschäftigten übertragen.
2. Die Meldungen gleichen sich derzeit: Unzählige Betriebe und Behörden schicken ihre Mitarbeiter*innen ins Homeoffice. Als wäre es normal, wird von Unternehmen derzeit vorausgesetzt, dass Beschäftigte zuhause einen Arbeitsplatz einrichten. Mit solchen Homeoffice-Konzepten werden Kosten auf die Beschäftigten verlagert. Auch hier gibt es eine eindeutige Rechtssituation: Die erforderlichen Arbeitsmittel sind vom Unternehmen zu beschaffen. Dies ergibt sich aus BGB § 670. Damit stehen den Beschäftigten auch Aufwandsentschädigungen für Miete, Energie und Reinigung der Arbeitsräume zuhause zu - die Unternehmen umgehen diese Pflicht derzeit mit dem Argument „Ausnahmezustand Corona“.
Zu befürchten ist auch, dass gerade prekär Beschäftigte, in „Minijobs“ schuftende, aber auch die, die sich als „Freie“ oft genug von einem Job zum nächsten hangeln, in Kürze vor großen Problemen stehen werden. Viele werden voraussichtlich bald ganz ohne Einkommen dastehen, z.B. in der Gastronomie, im Messebau oder der Veranstaltungstechnik. Auch die anderen, Befristete, Minijobber und Zweitjobberinnen oder hinzuverdienende Rentner und Rentnerinnen, werden in Not geraten. Bleiben sie zuhause, verlieren sie ihr Einkommen und vielleicht den Job, gehen sie weiter Pakete oder Pizza ausfahren, werden sie möglicherweise krank und infizieren danach andere. Dass sie - wie die Banken und Konzerne oder auch Teile des Mittelstands - unter einen „Rettungsschirm“ der Politik geholt werden, ist zweifelhaft.
Zu fordern wären aus Sicht der Beschäftigten daher jetzt vor allem:
„Im Kampf gegen das Virus sind militärische Vokabeln üblich geworden, faktisch herrscht der „Verteidigungsfall“. Die Herrschenden sehen, dass eine schwere Verunsicherung der Bevölkerung einen weitgehenden gesellschaftlichen Konsens für diktatorische Maßnahmen schafft.“ So Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Linken (junge welt 19.3.20).
In diese Feststellung passt, dass die Bundesregierung jetzt im Zusammenhang mit den mangelnden medizinischen Kapazitäten die Bundeswehr ins Spiel bringt. Die Bundeswehr beginne „erste Amtshilfe für das zivile Gesundheitswesen zu leisten“ heißt es. Denn die Truppe „verfüge über besondere Fähigkeiten“, die zum Einsatz kommen könnten, „wenn zivile Stellen überfordert sind“. Hier wird also schon mal der „Notstand“ geübt und der Bevölkerung nahe gebracht, wie sinnvoll der Einsatz der Bundeswehr im Inneren sein könne (seit 1968 liegen die „Notstandsgesetze“ schließlich in der Regierungsschublade).
Ein weiteres Feld im Verteidigungsfall bilden die Möglichkeiten technikgestützter Überwachung. Von den Erfahrungen in China, Hongkong oder Südkorea inspiriert, äußert der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, das Auslesen von Mobilfunkdaten sei „eine gute Möglichkeit, um Kontaktpersonen von Infizierten aufzuspüren“. Das Robert-Koch-Institut und das Heinrich-Hertz-Institut der Fraunhofer Gesellschaft würden derzeit gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium prüfen, ob Standortdaten von mit dem Coronavirus infizierten Handynutzern verwendet werden könnten, um mögliche Kontaktpersonen zu ermitteln, teilte Wieler mit. „Die Frage ist, ob unsere Gesellschaft so etwas akzeptieren kann“, schränkte er ein und schlug vor, dass die Menschen freiwillig ihre Daten für den Gesundheitsgedanken „spenden“ sollten.
Die Datenschutzbeauftragte des Landes Schleswig-Holstein, Marit Hansen, warnt vor der „Freiwilligkeit“. „Ich befürchte, dass aus der Idee einer freiwilligen Spende ein gar nicht mehr freiwilliger Gruppendruck entsteht - ganz nach der Parole: ‚Wer nicht mitmacht und alle seine Daten hergibt, gefährdet die Gesellschaft’“. Hansen warnte weiter: „Wer solche genauen Informationen aber sammelt und ja wohl auch mit anderen Daten zusammenführen will, hat damit Zugriff auf die vollständigen Bewegungen und Aufenthaltsorte im Leben der Betroffenen.“ Damit ließen sich „Muster und Veränderungen im Leben“ der Betroffenen feststellen. „Beispielsweise können Erkenntnisse zu politischen Meinungen - Besuch von Demonstrationen oder Partei-Veranstaltungen - sowie zu Freunden, Bekannten, Freizeitverhalten, Reisetätigkeiten und sogar zu Geschwindigkeitsüberschreitungen beim Autofahren abgeleitet werden“, gibt die Datenschützerin zu bedenken.
Versammlungs- und Streikverbote, Einschränkung der individuellen Bewegungsfreiheit, Ausbau des Überwachungsapparats - aber gleichzeitig Aufrechterhaltung der „Freizügigkeit“ für den globalen Warenverkehr, Aufrechterhaltung großer Teile des Produktionsbetriebs (und warum müssen eigentlich gerade Baumärkte geöffnet bleiben, während Spielplätze geschlossen werden?). Das sind nur einige der gesellschaftlichen Widersprüche in Zeiten der „Corona-Krise“. Das Leben wird, selbst wenn es am Ende wieder zur Normalität zurückkehrt, auf andere Weise normal sein, als wir es vor dem Ausbruch gewohnt waren.
Günther Stamer