(Gegenwind 376, Januar 2020)
Der PUA wird meist mit dem Begriff „Rocker-Affäre“ beschrieben. Doch das ist irreführend. Ein Anknüpfungspunkt des PUA ist zwar die juristische Aufarbeitung einer Auseinandersetzung zwischen „Rockern“ aus dem Jahr 2010(Anm.). Aber die Problematik geht viel tiefer. Der PUA untersucht im Kern mögliche Missstände in Teilen der Landespolizei, der ehemaligen Polizeiabteilung des Innenministeriums und der Staatsanwaltschaft Kiel.
Die ersten Vorwürfe der Aktenmanipulation, von Mobbing, einer mangelnden Führungs- und Fehlerkultur und eines „Netzwerks“ in der Landespolizei kamen bereits Anfang 2017 auf. Die im November 2017 durch Innenminister Grote ausgetauschte Polizeispitze hatte die Vorwürfe Ende Mai 2017 noch als Kampagne gegen einzelne Personen abgetan und inhaltlich bestritten.
Von Grüner Seite haben wir bereits im Mai 2017 eine lückenlose Aufklärung der Vorwürfe gefordert und uns schon im Juli 2017 für die Einrichtung eines PUA öffentlich ausgesprochen. Dieser wurde dann im Februar 2018 beschlossen und hat im April 2018 mit der inhaltlichen Arbeit begonnen. Nach derzeitigem Stand hat sich der PUA knapp 400 Akten von der Landesregierung und deren nachgeordneten Behörden vorlegen lassen. Weitere Akten sind angefordert.
Für uns liegt neben der Führungs- und Fehlerkultur innerhalb der Landespolizei ein Hauptaugenmerk auf dem Einsatz von sogenannten V-Leuten und anderen Hinweisgebern. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern und auch dem Bund gab es in Schleswig-Holstein, trotz offenkundiger Bezüge des „NSU“ in unser Bundesland, keinen „NSU“-Untersuchungsausschuss. Daher haben wir jetzt gemeinsam die Gelegenheit, auch bei uns zu überprüfen, ob der Einsatz von V-Leuten rechtsstaatlichen Anforderungen in der Vergangenheit entsprach und welche Konsequenzen wir aus etwaigen Defiziten für die Zukunft ziehen müssen.
Der Untersuchungsauftrag gliedert sich in acht Kernkomplexe, die teilweise unterschiedliche Thematiken aus Justiz und Polizei behandeln und einen Zeitraum von knapp 16 Jahren (März 2003 bis Februar 2018) abdecken.
Vom Untersuchungsauftrag umfasst sind die Geschäftsbereiche des Innen- und Justizministeriums. Derzeit sind das Landeskriminalamt, die Staatsanwaltschaft Kiel und die (ehemalige) Polizeiabteilung des Innenministeriums im Fokus der Untersuchungen.
Inhaltlich stehen derzeit im Mittelpunkt Vertrauenspersonen, Infor-mant*innen und Hinweis-geber*innen und deren Einsatz, das Verbot der Rockergruppierung „Bandidos Neumünster“ aus dem Jahr 2010, die Führungs- und Fehlerkultur in der Landespolizei.
Im Rahmen der Beweisaufnahme hat sich der PUA seit Ende Januar 2019 im Kern mit dem ersten Komplex, dem sogenannten „Subway-Verfahren“ und dessen Auswirkungen, befasst. Hier geht es im Wesentlichen um den Umgang des Landeskriminalamtes (LKA) und der Staatsanwaltschaft Kiel mit verdeckt gewonnen Informationen, aber auch um den Umgang mit kritischen Ermittler*innen.
Die Aufarbeitung von möglichen Missständen im LKA durch Innenministerium, LKA und Staatsanwaltschaft Kiel, Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamt*innen und Mobbing-Vorwürfe wurden bereits im Rahmen der öffentlichen Beweisaufnahme thematisiert.
Im Rahmen von möglichen Abwägungsprozessen der Ermittlungsbehörden zwischen der Verfolgung von Straftaten auf der einen Seite und dem Erhalt von Hinweisgebern*innen durch gewährte Vorteile auf der anderen Seite ist zwischenzeitlich der Fall des ehemaligen „Präsidenten“ der „Legion 81“, einer Unterstützergruppe der „Hells Angels Kiel“, in den Focus des PUA gerückt. Bereits zwischen Herbst 2012 und Frühjahr 2014 wurde über diese Vorfälle intensiv in den Medien berichtet.
Dieser sogenannte „Präsident“, der vom Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR ausgebildet worden sein soll und für das Landeskriminalamt eines anderen Bundeslandes als V-Mann gearbeitet haben soll, hatte im Jahr 2012 dem LKA und der Staatsanwaltschaft Kiel umfangreiche Informationen zu Mitgliedern aus der Rocker- und Neonazi- Szene sowie zum NSU geliefert. Dessen umfangreiche Aussage sorgte bundesweit für den Einsatz von über 1200 Polizist*innen. Dieser Einsatz stand, nach bisherigen Erkenntnissen, jedoch in keinerlei Verhältnis zu den gelieferten Ergebnissen.
Der Hinweisgeber kam, wie wohl von diesem mit seiner Aussage beabsichtigt, in ein Zeugenschutzprogramm und aus der Staatskasse wurden hunderttausende von Euro an Entschädigungen gezahlt. Strafverfahren wegen Mordes, die auf der Aussage dieses Hinweisgebers beruhten, endeten mit Einstellungen oder Freisprüchen.
Bereits im Jahr 2003 soll ein anderes Landeskriminalamt die Kolleg*innen in Kiel vor diesem Hinweisgeber gewarnt haben, da dieser sich als unzuverlässig erwiesen habe. Der Generalbundesanwalt soll zu diesem Hinweisgeber im Jahr 2012 festgestellt haben, dass dieser bewusst wahrheitswidrige Angaben gemacht habe, indem er Sachverhalte frei erfunden und reale Vorgänge aufgebauscht habe. Für den PUA ist daher erforderlich zu untersuchen, ob ein möglicher Deal, Aussage gegen Zeugenschutzprogramm und geringere Freiheitsstrafe, rechtsstaatlich sauber abgelaufen ist.
Zuletzt hat der PUA im September 2019 einen Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Kiel, der im fraglichen Zeitraum als Abteilungsleiter für Organisierte Kriminalität mit der Bearbeitung von sogenannten „Rocker-Verfahren“ betraut war, durch einstimmigen Beschluss zum Betroffenen gemacht. Betroffene sind Personen, gegen die sich nach dem Sinn des Untersuchungsgegenstandes der Untersuchungsauftrag richtet.
Mit einem Abschlussbericht dürfte wohl erst 2022, also kurz vor Ende der Legislaturperiode zu rechnen sein. Die-se lange Dauer hat verschiedene Ursachen.
Zum einen ist der Untersuchungsauftrag thematisch und zeitlich sehr weit gefasst. Es dürfte sich wohl um den umfangreichsten Untersuchungsauftrag seit 1947 in Schleswig-Holstein handeln.
Zum anderen hat der PUA immer wieder von außen kommende Verzögerungen erfahren. Das erfolgreiche Begehren des PUA, eine ausreichend weite Aussagegenehmigung für Beamt*innen der Landespolizei vom Innenministerium zu bekommen, hat die Beweisaufnahme verzögert. Auch die begrenzte Bereitschaft einiger Zeug*innen an der Aufklärung aktiv mitzuwirken, sowie unerklärliche Erinnerungslücken von Zeug*innen, führen dazu, dass der PUA langsamer als erwartet mit seiner Aufklärungsarbeit vorankommt.
Im dritten Komplex untersucht der PUA derzeit das Verbot der „Bandidos Neumünster“ aus dem Jahr 2010 und dessen bis Anfang 2013 dauernde gerichtliche Überprüfung. Eine Kernfrage des Untersuchungsauftrages ist, ob das Innenministerium über den Einsatz von Vertrauenspersonen, Informant*innen und Hinweisgeber*innen sowie deren jeweilige Stellung in der Hierarchie der entsprechenden Rockergruppen im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Rockerkriminalität informiert war.
Seit Mitte Mai 2017 haben verschiedene regionale Medien die Behauptung aufgestellt, dass es sich bei dem „Präsidenten“ der streng hierarchisch organisierten „Bandidos Neumünster“ um eine Quelle des LKA gehandelt haben soll. Einem Medienbericht ist ferner zu entnehmen, dass dieser „Präsident“ die „Bandidos Neumünster“ in der mündlichen Verhandlung über das Vereinsverbot vor dem Oberverwaltungsgericht Schleswig vertreten haben soll.
Bislang hat sich im Rahmen der öffentlichen Beweisaufnahme des PUA zumindest bestätigt, dass das Innenministerium im fraglichen Zeitraum von einer Quelle des LKA im Kreis der „Bandidos Neumünster“ wusste. Ab welchem Zeitpunkt diese Kenntnis auf welcher hierarchischen Ebene im Innenministerium vorhanden war, konnte noch nicht abschließend aufgeklärt werden.
Klar ist jedoch, dass die Kenntnis über eine Quelle bei den „Bandidos Neumünster“ den verantwortlichen Mitarbeiter*innen des Innenministeriums während des laufenden Verbotsverfahrens bekannt war und es entschieden wurde, diesen Umstand nicht den Richter*innen des Oberverwaltungsgerichts Schleswig bekannt zu geben. Wer diese Entscheidung zu verantworten hat, ist noch nicht geklärt. Unstrittig ist jedoch, dass der mit der Entscheidung des Verfahrens betraute Senat des Oberverwaltungsgerichts Schleswig sich diese Information vom Innenministerium zur Entscheidungsfindung gewünscht hätte.
Nach meiner Auffassung wäre die Weitergabe der Information zu einer Quelle in der verbotenen Organisation sogar rechtsstaatlich geboten. Denn wie kann ein faires Verfahren gewährleistet werden, wenn dem mit der Entscheidung betrauten Gericht wichtige Informationen vorenthalten werden? Gerade seit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum ersten „NPD-Verbot“ aus dem Jahr 2003 sollte die Exekutive diesbezüglich sensibilisiert sein. Es obliegt im Rahmen der Gewaltenteilung gerade nicht der Exekutive zu entscheiden, welche Informationen von Relevanz sind. Die Judikative muss selbst die Möglichkeit haben zu beurteilen, ob das Vorhandensein von Vertrauenspersonen in einer Organisation von Relevanz für die laufende gerichtliche Überprüfung ist.
Dieser dritte Komplex könnte Anfang 2020 abgeschlossen werden. Es sind hier noch eine ehemalige Abteilungsleiterin und die verantwortlichen Innenminister anzuhören.
Voraussichtlich könnte der PUA im Februar 2020 mit der Aufklärung weiterer Komplexe vorankommen. Nach dem Einsetzungsbeschluss wird insbesondere zu untersuchen sein, ob und welche internen Überwachungsmaßnahmen es in der Landespolizei wegen der Weitergabe interner Informationen im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Rockerkriminalität gab, wie in der Landespolizei mit Mobbing-Vorwürfen umgegangen wurde und wie sich die Personalführungskultur innerhalb der Landespolizei seit 2009 entwickelt hat. In diesem Rahmen wird auch zu untersuchen sein, ob es innerhalb der Führung der Landespolizei ein „Netzwerk“ gab, welches Einfluss auf Entscheidungen in seinem Sinne genommen haben könnte.
Burkhard Peters
Landtagsabgeordenter von Bündnis 90 / Die Grünen und Mitglied im Untersuchungsausschuss
Anmerkung: Damit ist das sogenannte „Subway-Verfahren“ gemeint, genannt nach einem Imbissrestaurant in Neumünster, in dem es zu einem bewaffneten Angriff von Rockern der Gruppe „Bandidos“ auf Unterstützer der „Hells Angels“ kam.