(Gegenwind 376, Januar 2020)
Es beginnt mit Problemen bei der Einreise. Der Schriftsteller aus Luxemburg legt seinen Pass vor und will direkt auf dem Flughafen in Sanaa ein Visum. Das ist bei Unionsbürgern normal, sie müssen ein Visum nicht vorher beantragen, sondern bekommen es einfach, wenn sie sich bei der Einreisekontrolle anstellen. Diesmal klappt es aber nicht auf Anhieb: Gibt es „Luxemburg“ wirklich, und ist es ein Staat? Erst als ein Offizier dazu gerufen wird, klärt es sich auf. Wir schreiben den 28. Dezember 2008, und der Luxemburger darf dann doch einreisen.
Fast einen Monat hält sich Guy Helminger, der vor allem in Köln lebt, im Jemen auf. Vor allen lebt und fotografiert er in Sanaa, aber er macht auch Ausflüge in die Umgebung sowie nach Aden und nach Hadramaut.
Es fällt auf: Wenn er mit Passanten (so gut wie nie mit Passantinnen) ins Gespräch kommt, wird er meistens nach kurzer Zeit eingeladen, bekommt zu Hause einen Tee und oft auch richtig was zu essen, wird Freunden und Bekannten vorgestellt. In einer Passage seines Reiseberichtes sinniert er darüber, dass es umgekehrt überhaupt nicht klappt: Kommt ein Araber nach Luxemburg oder Köln, kann er dort monatelang auf den Straßen spazieren gehen, kein Einheimischer wird ihn einfach so zu sich nach Hause einladen, sein Haus und sich selbst fotografieren lassen. Gastfreundschaft ist eben etwas, was nur bestimmte Völker kennen, andere überhaupt nicht.
Dem Reisenden geht es vor allem um die Menschen, mit denen er spricht, die er besucht. Dabei gibt es auch immer wieder Probleme, vor allem mit der Polizei. Diese holt ihn aus einer Demonstration von Frauen heraus, er darf nur vom Bürgersteig aus fotografieren, aber nicht zwischen den Frauen rumlaufen. Auch als er in Aden fotografiert, wird er festgenommen: Die Zahl der Fotos ist größer als bei normalen Touristen, das hat Verdacht erregt. Nach einigen Stunden kann das aber geklärt werden. In Hadramaut wird er mit Steinen beworfen: Hier leben, wie er weiß, Stranggläubige, die schon 2009 al-Qaida sympathisierten. Er kann das nur vermuten, mit den Steinewerfern sprechen will er lieber nicht.
An vielen Stellen kommt ihm zugute, dass er Deutscher ist: Nur weil eine Moschee geschlossen ist, bedeutet das nicht, dass er nicht reinkommt, von Ausnahmen abgesehen. Viele Menschen freuen sich ausdrücklich, dass sich ein Deutscher, auch wenn er kein Arabisch spricht, für sie und das Land interessiert, Fotos und Erfahrungen veröffentlichen will. Und er kann in Sanaa im „Deutschen Haus“ wohnen.
Immer wieder fällt ihm die Geschlechtertrennung auf. Mehrfach wird er daran gehindert, mit Frauen zu sprechen - wobei die durchaus wollen, aber anwesende Männer verhindern oder unterbrechen es. Aber oft bleiben die Frauen einfach unsichtbar, halten sich in anderen Zimmern oder Stockwerken auf, sind öffentlich nicht präsent, setzen sich in Veranstaltungen nach hinten, verschleiern sich, schweigen.
Andere Hürden versucht er zu überwinden. So besucht er auch einen Ort, in dem Mitglieder der schwarzen Minderheit leben, die Achdam. Er spricht auch mit Menschenrechtsaktivisten, die aber nur unter der Bedingung Auskunft geben, dass er von ihnen keine Fotos macht und ihre Namen nicht nennt. 2009 galt der Jemen in Europa noch als Demokratie, viele merkten erst 2011, dass die Bevölkerung des Jemen schon damals anderer Meinung war und bis heute anderer Meinung ist.
Alle Informationen und Fotos sind aus der Zeit vor dem Krieg, damals gab es „nur“ Auseinandersetzungen mit der Huthi-Miliz, mit al-Qaida und mit Hirak. Heute muss man natürlich wissen, dass viele der abgebildeten Häuser nicht mehr existieren. Und wenn man im Internet das „Deutsche Haus“ findet, sieht man dort: Die Seite wird seit Oktober 2011 nicht mehr aktualisiert, aber viele Tagebucheinträge des Autors kann man dort immer noch nachlesen - auch auf Arabisch.
Reinhard Pohl