(Gegenwind 376, Januar 2020)

Said AlDailami: Jemen. Der vergessene Krieg
Said AlDailami: Jemen. Der vergessene Krieg. C. H. Beck - Verlag, München 2019. 264 Seiten, 16,95 Euro.

Buch

Im Schatten des Syrienkrieges

Seit 2015 wird eine Jahrtausende alte Kultur zerbombt: Der Jemen, der weit vor unserer und erst recht der islamischen Zeitrechnung Königreiche und Hochkulturen schuf. In der Kolonialzeit war das Land aus strategischen Gründen zwischen Großbritannien und dem Osmanischen Reich umstritten, nach dem Ersten Weltkrieg konnte das traditionelle Königtum, gleichzeitig die religiöse Herrschaft über die dort lebenden Zaiditen, sich wieder durchsetzen.

Die moderne Zeit begann dann in den 60er Jahren: 1962 wurde der Norden eine Republik, unterstützt (oder vereinnahmt) von Ägypten und Präsident Nasser, der Süden wurde 1967 unabhängig und als Sozialistische Republik Teil des Ostblocks.

Seit 1990 ist Jemen ein Staat. Allerdings ging die Vereinigung schon bald in einen Bürgerkrieg über, und mit dem Sieg des Norden wurde aus der Vereinigung eine feindliche Übernahme. Bis 2011, als im Zuge des Arabischen Frühlings Großdemonstrationen starteten, regierte ein sehr konservativer, autoritärer und korrupter Langzeit-Präsident das Land.

Der heutige Krieg dauert bereits seit 2015 an. Im Grunde handelt es sich aber um ein Bündel von Konflikten, die größtenteils viel älter sind, sich gegenseitig überlagern und beeinflussen. Im Süden gibt es immer noch eine Unabhängigkeitsbewegung, die von den Vereinigten Arabischen Emiraten unterstützt wird, zumindest heimlich. Im Norden gibt es eine zaiditische Bewegung, die wohl noch dem 1962 gestürzten Königtum ihres Anführers nachtrauert, zumindest aber eine Politik unabhängig von Saudi-Arabien, wenn auch auf streng religiöser Grundlage, führen möchte. Dazu kommen eine Reihe von Milizen, die im Sinne von Al-Qaida oder des „Islamischen Staates“ eine ganz andere Ordnung wollen.

Im Krieg schlossen die zaiditische „Ansar Allah“, auch „Huthi-Bewegung“ genannt, ein Bündnis mit dem gestürzten, aber noch einflussreichen Ex-Präsidenten Ali Saleh. Saudi-Arabien startete die Intervention, weil eben diese Bewegung unerwartet erfolgreich operierte und den Iran, den erklärten Feind Saudi-Arabiens, als Verbündeten gewann. Saudi-Arabien agierte im Rahmen des Golf-Kooperationsrates und eines Bündnisses sunnitischer Staaten, ist aber zunehmend allein - Katar wurde ausgeschlossen, und die Vereinigten Arabischen Emirate agieren mehr und mehr auf eigene Rechnung, wollen wohl nicht den Jemen besiegen, sondern teilen.

Der Autor ist ehemaliger Jemenite, aber eigentlich Deutscher und Bundeswehr-Offizier. Ich habe einige Jemeniten gebeten, das Buch zu lesen und mir ihre Meinung mitzuteilen - nicht alle wollen das versuchen. Denn der Nachname des Autors birgt die „Nachricht“, er gehörte der Huthi-Bewegung an. Tut er aber nicht, aber genau das spricht er in seinem Buch an: Er erläutert ausführlich die Geschichte des Landes und seine Gesellschaftsordnung, spricht die Rolle der Familie an und erwähnt dabei, dass jede bekannte Familie einem „Lager“ zugeschlagen wird, was in seinem Fall nicht stimmt, wohl aber im Falle vieler seiner Familienmitglieder mit dem gleichen Nachnamen, die heute im Jemen leben.

Er spricht auch die kulturellen Probleme an: Angegriffen wird der Jemen vom Nachbarn Saudi-Arabien. Für viele Menschen im Jemen bedeutet das, dass sie als uralte Kulturnation von einem Wüstenstaat angegriffen werden, den es vor einigen Jahrzehnten noch gar nicht gab, der - in den Augen einiger - geschichtslos und kulturlos agiert, getrieben von Machtstreben, verbündet mit den USA und Israel und geschmiert von den Öl-Einnahmen aus den letzten achtzig Jahren.

Es ist das erste Buch, dass die Hintergründe eines der zerstörerischten Kriege auf der Welt beschreibt. In Deutschland liegt der Krieg im Schatten des Syrien-Krieges, deshalb wird hier relativ wenig darüber berichtet. Eine Ausnahme ist vielleicht Schleswig-Holstein, denn zwanzig Jahre lang wurden Flüchtlinge aus dem Jemen nur in Neumünster angehört, also bundesweit von allen Erstaufnahmen hierher geschickt, weshalb hier die mit Abstand größte Jemenitische Gemeinde zu Hause ist.

Reinhard Pohl

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