(Gegenwind 375, Dezember 2019)

Kristin Helbert: Der Syrien-Krieg. Lösung eines Weltkonflikts
Kristin Helbert: Der Syrien-Krieg. Lösung eines Weltkonflikts. Herder Verlag, Freiburg 2018, 256 Seiten, 22 Euro.

Wenig Hoffnung

Trotzdem: Empfehlungen für den Umgang mit Syrien

In Syrien tobt seit 2011 ein Krieg. Die Journalistin Kristin Helberg berichtet schon lange - früher aus dem Land, jetzt vor allem über das Land, weil Russland und der Iran sie nicht mehr einreisen lassen. In diesem Buch erklärt sie den Krieg und eine mögliche Lösung in fünf Kapiteln.

Zunächst geht es um die Akteure. Und da stellt sie vorn Anfang an klar fest: Natürlich gibt es Gute und Böse. Ausländische Staaten haben Interesse, aber die Diktatur mordet. Dabei zeigt sie auch, wie der Diktator hetzt und spaltet: Alawiten gegen Sunniten, Sunniten gegen Christen, Christen gegen Drusen. Die stärksten Stützen des Regimes sind die Partei, das Militär, aber auch bestimmte Wirtschaftsbosse, die inzwischen bedeutender sind als die Staatspartei.

Im zweiten Kapitel geht sie auf die innere Ordnung von vier Gebieten ein. Sie beschreibt die Herrschaft im Assad-Gebiet, im Gebiet der oppositionellen Gruppen (wobei das ein breites Spektrum ist), im Gebiet des „Islamischen Staates“ und schließlich im Gebiet der Föderation, hierzulande meistens „kurdisch“ genannt. Dabei beschreibt sie auch das Gebiet der Föderation als „nicht frei“, aber „weniger unterdrückt“. Denn auch dort gibt es eine Ein-Parteien-Herrschaft, eben von der PYD.

Das dritte Kapitel beschreibt den Aufstand gegen die Diktatur von 2011 bis heute. Die Überschrift zeigt schon die Richtung: „Warum die Revolution scheiterte“. Denn dass der Aufstand gescheitert ist, ist für die Autorin klar. Dabei ist er zuerst nicht militärisch gescheitert, schließlich stand Assad im Herbst 2015 kurz vor der Niederlage. Der Widerstand ist gescheitert, weil der demokratische Teil kaum unterstützt wurde, der islamistische Teil dagegen reichlich Geld und Waffen bekam. Sie führt das darauf zurück, dass die USA nicht wollten und die EU uneinig war. Es gab immer mal Unterstützung für die demokratische Opposition, aber sie war nie verlässlich.

Im viertel Kapitel geht es um die ausländischen Akteure. Dabei unterscheidet sie drei Gruppen: Russland und der Iran haben einen Plan, wollen die Macht erobern und machen Syrien zu einer Kolonie. Sie „retten“ Assad nicht, erlauben ihm aber, weiter Hunderttausende zu töten. Europa, die USA, Israel, Saudi-Arabien und Katar haben keinen Plan und kein Ziel. Sie unterstützen hier und da, haben auch die Koalition gegen den „Islamischen Staat“ angeführt, die Förderation entstehen lassen, lassen sie aber dann wieder im Stich. Sie haben die demokratische Opposition ermutigt und gefördert, dann aber schnell im Stich gelassen. Als viertes beschreibt sie die Politik der Türkei, des Irak, Jordaniens und des Libanon. Sie passen sich an - haben zum Beispiel erst den Sturz von Assad unterstützt, dann sein Verbleiben an der Macht akzeptiert, nachdem Russland interveniert hatte und klar gemacht hatte, dass vielleicht Assad, nicht aber die Diktatur beseitigt wird.

Im fünften Kapitel geht es um Elemente zu einer Lösung. Zunächst macht die Autorin klar, dass die Rechtlosigkeit in diesem Krieg, in dem Hunderte von Krankenhäusern zerstört wurden, in dem die Diktatur über zweihundert Mal Giftgas gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt hat, zu einer Rechtlosigkeit in der internationalen Politik führt. Jeder darf dort bombardieren, man muss sich bloß absprechen (außer mit Einheimischen). Russland stimmt zu, dass Israel die iranischen Truppen bombardiert. Russland und Iran stimmen zu, dass die Türkei einmarschiert. Die Türkei stimmt zu, dass die USA von der Türkei aus bombardieren.

Zum Schluss gibt sie Empfehlungen, wie die EU mit dem Krieg umgehen sollte. Dabei ist ihr als Erstes wichtig, dass es keine Normalisierung der Beziehungen zur Diktatur geben darf. Das schließt auch ein, dass es keine Abkommen zur Abschiebung von Flüchtlingen mit Assad geben darf. Als zweites empfiehlt sie, auf keinen Fall dem Assad-Clan Geld für einen Wiederaufbau zu geben. Denn inzwischen sind die Flüchtlinge weitgehend enteignet, und ein „Wiederaufbau“ würde die Vertreibung der Hälfte der Syrerinnen und Syrer zementieren. Militärisch empfiehlt sie den Rückzug, wenn Europa nicht bereit ist, Zivilisten zu schützen. Das wäre aus ihrer Sicht die einzig akzeptable Begründung dafür, militärisch aktiv zu bleiben. Viertens will sie Kriegsverbrecher weltweit verfolgen. Damit beginnt Deutschland bekanntlich, nur wird diese Möglichkeit von syrischen Flüchtlingen bisher zu wenig genutzt. Fünftens will sie die Machtkämpfe zwischen externen Akteuren durch Verhandlungen entschärfen. Das schließt für sie Verhandlungen mit der Regierung des Iran und auch mit der PKK ein. Auch Russland sollte eingebunden werden. Sechstens will sie die bedingungslose humanitäre Hilfe für syrische Flüchtlinge mit dem Ziel der Einbürgerung hier. Das schließt ein, dass auch eine große Zahl von Flüchtlingen aus dem Libanon hier aufgenommen werden muss. Die jetzigen 50.000 Plätze in der gesamten EU bedeuten, dass wir die hiesige Bevölkerung um 0,0001 Prozent wachsen lassen - da geht noch was. Siebtens und Letztens will die das zivile Engagement in Syrien und von Syrerinnen und Syrern fördern und finanzieren. Gerade die hier lebenden SyrerInnen haben das hiesige Gesellschaftssystem kennen gelernt und kennen das System in Syrien, sie können Modelle für eine friedliche Zukunft entwickeln.

Reinhard Pohl

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