(Gegenwind 372, September 2019)
Nach einem spannenden Start im Jahr 2008 und steter Basisarbeit in den folgenden Jahren bekommt die „Refugio Stiftung Schleswig-Holstein“ in diesen Tagen ein frisches Outfit. Der neue Vorstand möchte mit einem aktuellen Konzept an alte Verbindungen anknüpfen und noch mehr Freund*innen finden.
Frau Gohar Aramili (Daten sind aus Personenschutzgründen geändert) als Angehörige der armenischen Minderheit aus Aserbaidschan geflüchtet, wohnt seit 2012 in Preetz. Seit Jahren leidet sie unter schweren depressiven Episoden und ist dazu seit einem Jahr an Brustkrebs erkrankt. Zusätzlich belastet sie die Trauer um eine im ersten Lebensjahr auf der Flucht verstorbene Tochter und die Sorge um ihre beiden 13 und 16 Jahre alten Kinder, die bei Verwandten in Armenien leben. Nach der Krebsdiagnose konnte Frau Aramili am Wohnort eine Psychotherapie beginnen, musste diese aber wegen Verständigungsschwierigkeiten mit dem Therapeuten abbrechen. Aktuell besucht sie einmal wöchentlich eine psychosoziale Beratungsstelle in Kiel. Die begleitenden Gespräche entlasten sie sehr und unterstützen sie bei der Krebsbehandlung und bei der Verarbeitung ihrer traumatischen Flucht- und Verlusterfahrungen. Eine Übernahme von Dolmetscher- und Fahrtkosten wurde von der Krankenkasse abgelehnt, die Dolmetscherkosten aber schließlich vom zuständigen Landkreis übernommen. Die „Refugio Stiftung Schleswig-Holstein“ überweist zurzeit die wöchentlichen Fahrtkosten und trägt dadurch zur Stabilisierung der Lebensumstände der hoch belasteten Frau bei.
Die „Refugio Stiftung Schleswig-Holstein“wurde 2008 in Kiel gegründet und unterstützt seitdem die Behandlung und Versorgung von traumatisierten geflüchteten Menschen durch finanzielle Zuschüsse und öffentliche Einflussnahme. Sie wird von einem ehrenamtlichen Vorstand aus Fachleuten für Bildung, Finanzen, Justiz und Therapie geleitet und finanziert sich ausschließlich aus eigenen Erträgen, Zustiftungen und privaten Spenden. Seit ihrer Gründung hat sich die Refugio Stiftung Schleswig-Holstein zur Aufgabe gemacht, Überlebenden von Folter und anderen Menschenrechtsverletzungen - und dazu gehören auch Opfer von Kriegshandlungen und Misshandlungen während der Flucht - Heilung und Verbesserung ihrer Lebensbedingungen zu ermöglichen und zwar unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft oder ihrer politischen oder religiösen Überzeugung.
Geflüchteten Menschen mit sogenannten „Traumafolgestörungen“ steht nach europäischem und internationalem Recht eine professionelle medizinische und psychotherapeutische Versorgung zu. Darum unterstützt die „Refugio Stiftung Schleswig-Holstein“ die Arbeit der bestehenden öffentlichen und frei-gemeinnützigen Beratungsstellen und andere psychiatrische und psychotherapeutische Einrichtungen durch Zuwendungen wie im folgenden Fall, in dem ein fachärztliches Gutachten eine voreilige Abschiebung verhindern konnte.
Frau Jelena L. (Daten sind aus Personenschutzgründen geändert) kam als schwerst misshandelte Überlebende eines rassistisch (antizigan) motivierten Überfalls mit aus Serbien nach Deutschland und bedurfte dringend medizinischer und psychotherapeutischer Behandlung. Sie traute sich nicht, alleine die Unterkunft und Wohnung zu verlassen, vermied fast alle Kontakte und wich jeder Begegnung mit Männern panikartig aus. Mit der Diagnose einer posttraumatischen Belastungs- und Panikstörung erhielt sie eine psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung mit mehreren Krankenhausaufenthalten und ambulanter Versorgung und eine gesetzliche Betreuung durch eine Betreuerin, die sich um ihre Belange kümmerte. Schon während der laufenden Therapie forderte die zuständige Ausländerbehörde Frau L. auf, Deutschland zu verlassen und erteilte ihr eine Meldeauflage für montags, dienstags und donnerstags um 8:30 Uhr und die „Androhung einer Auflage wegen vorübergehender Aussetzung der Rückführung“, nach der sie sich von 21 bis 6 Uhr in einer zugewiesenen Unterkunft aufhalten sollte. Die Betreuerin erwirkte in Zusammenarbeit mit einem Rechtsanwalt, der Beratungsstelle und der Psychotherapeutin ein aktuelles fachärztliches Gutachten über den instabilen Zustand von Frau L. und konnte damit bei der Ausländerbehörde eine vorläufige Aussetzung der Abschiebung (Duldung) ohne Auflagen erreichen. Da Frau L. Leistungen nach dem AsylbLG erhält, wurden die Gutachterkosten von der „Refugio Stiftung Schleswig-Holstein“ übernommen.
Die „Refugio Stiftung Schleswig-Holstein“ berücksichtigt bei der Förderung und Unterstützung von Überlebenden von Folter, Kriegshandlungen und Menschenrechtsverletzungen im Sinne eines ganzheitlichen Verständnisses von Therapie und Traumabewältigung vor allem Maßnahmen und Einrichtungen, die die körperlichen, seelischen, sozialen und spirituellen Aspekte betroffener Personen umfassen. Über die Förderrichtlinien der Stiftung informiert ausführlich die Website www.refugio-sh.de. Den Berichten des Beauftragten für Flüchtlings-, Asyl- und Zuwanderungsfragen des Schleswig-Holsteinischen Landtags, Stefan Schmidt, zufolge gibt es allgemein in Schleswig-Holstein in den letzten Jahren viele Verbesserungen hinsichtlich der Aufnahme, Unterbringung, Beratung und Betreuung von Schutzsuchenden. Diese Verbesserungen geschehen häufig im Stillen und sind selten spektakulär. Dazu gehört auch die Versorgung traumatisierter Geflüchteter. Dennoch wird nur ein Bruchteil der Betroffenen fachärztlich behandelt. So bleibt die angemessene Versorgung von traumatisierten Überlebenden von Kriegshandlungen und Menschenrechtsverletzungen eine große Herausforderung für alle engagierten Bürgerinnen und Bürger - und nicht zuletzt auch für die „Refugio Stiftung Schleswig-Holstein“.
Ingrid Neitzel
Refugio Stiftung Schleswig-Holstein, p.A. Klausbrooker Weg 148, 24106 Kiel, Tel.: 04101-29250, Mail: info@refugio-sh.de,
Bankverbindung: (IBAN) DE61 2107 0020 0022 471700 - Spenden sind steuerbegünstigt!
Vorstand: Ingrid Neitzel (Vorsitzende), Wolfgang Gottschalk, Kai Axel Ketelsen, Karl Neuwöhner