(Gegenwind 371, August 2019)
Am 27. Oktober soll eine Oberbürgermeisterin oder ein Oberbürgermeister für Kiel gewählt werden. Eines scheint schon klar: Es wird ein Oberbürgermeister. Denn bisher haben sich vier Kandidaten, aber keine Kandidatin gemeldet. Und dabei bleibt es wohl auch.
Oberbürgermeister, in Hansestädten Bürgermeister, werden in Schleswig-Holstein für sechs Jahre gewählt. Ein Oberbürgermeister ist der Chef der Verwaltung. In einigen Punkten kann und muss er selbständig handeln, bei grundsätzlichen Entscheidungen, beim Haushalt und anderen Fragen ist er an die Entscheidungen der Ratsversammlung gebunden. Er muss also auch in der Lage sein, mit verschiedenen Mehrheiten in der Ratsversammlung zusammen zu arbeiten.
Zur Zeit amtiert Ulf Kämpfer (SPD) seit 2014 in Kiel. Im Rat „regiert“ eine Kooperation aus SPD, Grünen und FDP mit 34 (18 + 12 + 4) von 59 Ratsmitglieder. Dagegen stehen CDU (14), Linke (4), AfD (3), SSW (2) und die Fraktion (2), also 25 Ratsmitglieder. „Die Fraktion“ ist eine Gemeinschaft aus zwei einzelnen Ratsherren, die den Piraten und der Partei angehören.
Ulf Kämpfer ließ schon frühzeitig keinen Zweifel daran, dass er Ende Oktober erneut als Oberbürgermeister kandidieren möchte. Das sagte er zum Beispiel auch auf einer öffentlichen Diskussion mit Daniel Günther, dem Ministerpräsidenten, nachdem zuvor spekuliert worden war, der SPD-Landesverband wünsche sich den Kieler OB als Spitzenkandidaten zur Landtagswahl. Da weiß Ulf Kämpfer natürlich, dass der Wahlkampf von Torsten Albig damals als OB mit der Kandidatur für den Posten des Ministerpräsidenten nach einem Teil der Amtszeit in Kiel nicht besonders gut ankam. Er hat sich also festgelegt und wurde auch vom SPD-Kreisparteitag ohne Gegenkandidaten nominiert.
Interessanter verlief die Diskussion bei den Grünen. Sie kommen mit Ulf Kämpfer und der Kooperation mit SPD und FDP einigermaßen gut zurecht, Ulf Kämpfer gilt auch eher als „rot-grüner“ Oberbürgermeister. Dann aber kam die Europawahl, und in Kiel bekamen die Grünen mehr Stimmen als SPD und CDU zusammen. Zwar kann man ein Europawahl-Ergebnis nicht ohne weiteres auf andere Wahlen, schon gar nicht auf eine Persönlichkeitswahl wie die OB-Wahl übertragen. Aber als einzige „Volkspartei“, mit 40.300 von knapp 110.000 Stimmen in der Stadt, gibt es einige Erwartungen. Die Grünen hatten vor Monaten eine „Findungskommission“ eingesetzt, die aus Mitgliedern der Fraktion, des Vorstands und der Mitgliederversammlung bestand und die gesamte Republik nach möglichen Kandidatinnen und Kandidaten, ausdrücklich wurden auch Gespräche mit passenden Personen außerhalb der Partei geführt. Letztlich wurde niemand gefunden - geeignete Kandidatinnen und Kandidaten gab es schon ausreichend, aber alle hatten vor kurzem als Bundestagsabgeordnete, Landrätin, Staatssekretärin oder auf einer anderen Position angefangen oder bereiteten sich gerade auf eine solche vor, oder es passte gerade aus anderen Gründen nicht. Mehrere boten an, sich in fünf Jahren, rechtzeitig vor der nächsten Direktwahl eines Oberbürgermeisters oder einer Oberbürgermeisterin, wieder ansprechen zu lassen - nur nicht jetzt im Herbst.
So empfahl die Findungskommission, die auch mit Ulf Kämpfer gesprochen hatte, diesen als Grüne zu unterstützen, ausdrücklich nicht als Kandidaten der Grünen. Während der Mitgliederversammlung zu diesem Punkt kandidierte Philipp Schmagold aus eigenem Antrieb, hatte aber letztlich mit 24 Stimmen (Ulf Kämpfer: 68 Stimmen) keine Chance, 19 Mitglieder waren gegen beide oder enthielten sich. Vorher hatte es zwei kurze Vorstellungsreden gegeben, anschließend gab es eine dreistündige Befragung mit vielen zusätzlichen Debattenbeiträgen. Dabei zeigt sich, dass Philipp Schmagold beim Thema Energie und Umweltschutz eigene Vorstellungen hatte und auch gegen Ulf Kämpfer punkten konnte, der sich aber auf allen Gebieten auskannte und zu allen Gebieten etwas sagen konnte, ohne allerdings der grünen Mitgliederversammlung nach dem Munde zu reden.
Das Votum war überzeugend, so dass vermutlich auch eine zum Redaktionsschluss laufende Initiative für einen Mitgliederentscheid kaum Chancen hat: Fast alle aktiven Mitglieder waren ja anwesend, und ein Mitgliederentscheid hat nicht die Möglichkeit zur Befragung der Kandidaten.
Die CDU nominierte nahezu einstimmig am gleichen Wochenende, an dem sich auch die Grünen trafen, Andreas Ellendt als Kandidaten. Der 55-jährige Chemielehrer ist bisher in der Stadt kaum bekannt, hatte auch in der CDU noch keine herausragenden Positionen. Er ist Vorsitzender des Ortsverbandes Mettenhof und gehört dort auch dem Ortsbeirat, nicht aber der Ratsversammlung an.
Während „Die Partei“ (siehe Gegenwind 366, Seite 46) und die Linke eigene Kandidaten ins Rennen schickten, wollte die FDP das nicht. Sie lud am 4. Juli die Kandidaten von SPD und CDU zu einer öffentlichen Diskussion ein. Die Kandidaten von Linker und Partei sollten sich dort nicht vorstellen, das stellte der Kreisvorsitzende Ingmar Soll als Vorausscheidung dar, als er die Versammlung begrüßte. Es waren rund hundert Interessierte gekommen - enttäuschend für die FDP: nur 30 FDP-Mitglieder waren darunter.
Die Fragen drehte sich im ersten Teil fast nur um den Autoverkehr, die Schadstoff-Messungen und ihre Überschreitung am Theodor-Heuss-Ring und die möglichen Maßnahmen des Landes und der Stadt. Dabei stellte Ulf Kämpfer sein Konzept der Verkehrswende vor: Kurzfristig könnte man nur durch die bereits angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkung, die Sperrung der Zu- und Abfahrten, die Umleitung der LKW von den Skandinavien-Fähren durch die Innenstadt (Ziegelteich / Schützenwall) die Schadstoffe Mikrogramm für Mikrogramm senken, um von einem Durchschnitt von 60 auf die vorgeschriebenen 40 Mikrogramm zu kommen. Langfristig müsste man ein Jobticket schaffen, den Öffentlichen Personennahverkehr ausbauen und auf umweltfreundliche Busse umstellen, möglichst auch die lange geplante Stadtbahn bauen, Fahrradverkehr fördern und so weiter.
Der CDU-Kandidat Andreas Ellendt outete sich als „grüner Christdemokrat“ und Radfahrer. Das Ergebnis der Europawahl war ebenso angekommen wie die Demonstrationen der Schülerinnen und Schüler jeden Freitag, Ellendt unterrichtet selbst an der Gelehrtenschule, dem Gymnasium in der Feldstraße. Er will auf jeden Fall die Auffahrt aus dem Gewerbegebiet Stormarnstraße auf den Theodor-Heuss-Ring erhalten, um die dortigen Gewerbetreibenden nicht in Existenznöte zu bringen, will aber sonst auch auf Busse und das Fahrrad setzen - nur die Stadtbahn sieht er kritisch, wenn er den Bau auch nicht bekämpft wie die CDU-Ratsfraktion, von deren Position er sich distanzierte.
Auch bei anderen Themen, die relativ kurz angesprochen wurden, zeigten sich wenig Unterschiede. Beide wollen den Wohnungsbau ankurbeln, insbesondere für mehr Wohnungen im Rahmen der Sätze des Jobcenters sorgen, Ellendt nur schneller und nachdrücklicher als bisher. Dabei verteidigte sich Ulf Kämpfer gegen die Vorwürfe, es ginge alles zu langsam und spielte sich nur im Bereich der Luxuswohnungen ab: Die jetzt fertiggestellten Projekte wie die Bebauung des Schloss-Quartiers wäre weit vor seinem Amtsantritt geplant worden, sie seien nur jetzt fertig geworden. Seine Planungen dagegen wären jetzt gerade erst im Bau, im laufenden Jahr gäbe es Baugenehmigungen wie noch nie. Er verwies auf die Bebauung der Martha-Insel, also des Gebietes zwischen dem Sophienblatt und den Bahngleisen, wo ein großer Anteil Sozialwohnungen enthalten sei.
Deutliche Unterschiede zeigten sich nur in der Frage, wie der Magistrat, also die „Regierung“ der Stadt Kiel, organisiert werden sollte. Jetzt ist der Oberbürgermeister gleichzeitig Wirtschaftsdezernent und damit Ansprechpartner für mögliche Investoren in der Stadt. Das will Ellendt ändern, er will einen eigenen Wirtschaftsdezernenten, der sich auf diese Aufgabe konzentrieren und damit mehr schaffen könnte. Warum, so Kämpfer, Investoren wollen beim dritten Gespräch ohnehin den Oberbürgermeister selbst sprechen, bei der Personalunion hätten sie das sofort.
Insgesamt zeigte sich in der Diskussion, dass Ulf Kämpfer wegen seiner Tätigkeit als Oberbürgermeister ein breiteres Wissen hat, viele Zahlen und Vorgänge hat er parat, die sein Konkurrent nicht kennt. Insofern musste er aufpassen, nicht als arrogant zu erscheinen - immer mal wieder erwähnte Ulf Kämpfer, bisherige Erfolge seien allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Rathaus zu verdanken, nicht ihm als Oberbürgermeister.
Nach Ende der Veranstaltung wurde über die Unterstützung abgestimmt, wobei nur die neun FDP-Mitglieder mit einer Funktion im Vorstand abstimmungsberechtigt waren. Mit 6 zu 3 Stimmen beschloss die FDP die Unterstützung von Ulf Kämpfer, den sie ja jetzt schon in der Rathaus-Kooperation unterstützen.
Der SSW hatte die Kandidaten auch schon eingeladen und sich anschließend für Ulf Kämpfer ausgesprochen, der damit von der SPD, den Grünen, der FDP und dem SSW relativ breit unterstützt wird.
Die Linke hat sich auf Björn Thoroe als Kandidaten geeinigt. Der 34-Jährige saß von 2010 bis 2012 im Landtag und vertritt die Linken jetzt in der Ratsversammlung im Innen- und Umweltausschuss. Er erhofft sich Stimmen von Grünen, die der Empfehlung zur Wahl des SPD-Kandidaten Ulf Kämpfer nicht folgen mögen, und will sich vor allem für die soziale Frage, den Wohnungsbau und auch ökologische Fragen stark machen.
Die Partei hat Florian Wrobel aufgestellt, der sich ja im Gegenwind 366 bereits vorgestellt hat. Die Partei hat die Zahl der Stimmen bei den Europawahlen von 1.000 (2014) auf 5.000 (2019) steigern können.
Beide Parteien machen sich Hoffnungen darauf, dass die vielen Anhängerinnen der Grünen sich bei allen Kandidaten umsehen, wenn die Grünen keinen eigenen Kandidaten an den Start bringen, werden es aber gegen Ulf Kämpfer schwer haben.
Reinhard Pohl