(Gegenwind 370, Juli 2019)
Am meisten wurden die Grünen vom Wahlergebnis überrascht: Stärkste Partei in Schleswig-Holstein, das seit 1949 überwiegend als „schwarzes“ Land galt, zumindest in den 11 Landkreisen. Zweiter Sieger wurde „Die Partei“, die ihre Stimmenzahl fast versechsfachte. Und gewonnen hat die Wahlbeteiligung: Wurde bei der letzten Europawahl noch 978.000 Stimmen abgegeben, waren es diesmal 1.356.900, also rund 387.000 mehr. Diese zusätzlichen Stimmen kamen den Parteien aber mit großen Unterschieden zugute.
Die Grünen hatten letztes Mal (2014) 120.000 Stimmen, dieses Mal 392.000. Sie haben die Stimmenzahl also mehr als verdreifacht. Im Durchschnitt landeten sie bei 29,1 Prozent und wurden damit stärkste Partei. Stärkste Partei wurden sie in den vier kreisfreien Städten und in fünf der elf Landkreise. Von den rund 387.000 zusätzlichen Stimmen durch die höhere Wahlbeteiligung holten sich die Grünen also rund 272.000. Das liegt wohl vor allem daran, dass die Grünen zur Zeit ein geschlossenes Bild abgeben, keine Diskussionen um den Kurs und die Führung haben und Probleme thematisieren, die die meisten Wählerinnen und Wähler für die wichtigsten Zukunftsfragen halten. Beigetragen zum guten Abschneiden haben sicherlich auch die Demonstrationen für eine bessere Klimapolitik, die zumindest mit dem Programm der Grünen übereinstimmen.
Gewonnen hat auch die CDU: 334.000 Stimmen waren es letztes Mal, 354.000 waren es diesmal. Allerdings gewannen sie eben von den 387.000 zusätzlichen Stimmen nur rund 20.000, damit lagen sie prozentual schlechter als letztes Mal. Statt 34,4 Prozent (2014) waren es diesmal nur 26,2 Prozent. In sechs Landkreisen wurden sie stärkste Partei, in den übrigen fünf Landkreisen und den vier kreisfreien Städten wurden sie zweitstärkste Partei.
Die FDP hat ebenfalls gewonnen, die Zahl ihrer WählerInnen stieg von 36.000 auf 80.000. Sie konnte die Zahl also mehr als verdoppeln. Hatte sie letztes Mal 3,8 Prozent aller Stimmen, waren es diesmal 5,9 Prozent.
Somit erfüllte sich die Hoffnung der Oppositionsparteien nicht, sie können bei diesen Wahlen gegen die drei aktuellen Regierungsparteien punkten. Alle drei haben dazu gewonnen, wenn auch sehr unterschiedlich viel, und zusammen konnten die drei Regierungsparteien 61,2 Prozent der Stimmen gewinnen.
Die SPD hat brutal verloren. Von 310.000 Stimmen 2014 stürzte sie diesmal auf 230.000 Stimmen ab, von 31,9 Prozent also auf 17,1 Prozent. Nicht nur, dass sie in keinem Kreis mehr stärkste Partei ist: Sie ist auch in keinem Kreis Schleswig-Holsteins zweitstärkste Partei. Im gesamten Bundesland landete sie hinter den Grünen und der CDU auf Platz drei. 2014 war sie noch in den vier kreisfreien Städten die stärkste, in den Landkreisen die zweitstärkste Partei. Das liegt vermutlich an den diffusen Bild, das die Partei bezüglich ihres Programms und des Spitzenpersonals bietet. Bei dem Programm fallen Anspruch und die Praxis in der „Großen Koalition“ in Berlin weit auseinander, und die Führungspositionen auf Bundesebene sind zur Zeit nicht besetzt. Auf Landesebene gibt es seit einigen Monaten eine Doppelspitze: Serpil Midyatli führt die Partei, Ralf Stegner die Fraktion im Landtag.
Die zweite Oppositionspartei im Landtag, die AfD, konnte Stimmen gewinnen: Von 66.100 Stimmen 2014 stieg sie auf 100.400 Stimmen jetzt. In Prozentzahlen ist das eine Steigerung von 6,8 auf 7,4 Prozent. In Kiel, Flensburg und Nordfriesland blieb sie gleich, in Schleswig-Flensburg verlor sie nach Prozenten sogar leicht - dort hat sich ja gerade die AfD-Fraktion im Kreistag zerlegt. In allen Kreisen kam sie allerdings über 5 Prozent.
Die dritte Oppositionspartei im Landtag, der SSW, tritt bei der Europawahl nicht an. Umso trauriger für die SPD, dass sie davon nicht profitieren konnte.
Größte der kleinen Parteien war und ist „Die Linke“, die letztes Mal mit 36.400 Stimmen noch vor der FDP lag. Diesmal konnte sie zwar 50.400 Stimmten gewinnen, liegt damit aber hinter der FDP. Nur in Flensburg und Kiel landete die Linke oberhalb der 5-Prozent-Hürde, sonst überall unterhalb. 3,7 Prozent lautete das landesweite Ergebnis, das bei der vorigen Europawahl noch bei 4,5 Prozent gelegen hatte. Für die erhoffte Rückkehr in den Landtag ist also noch viel zu tun.
An zweiter Stelle der kleinen Parteien landete diesmal „Die Partei“, die von 5.600 auf 31.500 Stimmen (2,3 Prozent) stieg.
Für Schleswig-Holstein wichtig ist noch das Abschneiden der Piraten. Diese bekamen diesmal 12.300 Stimmen (0,9 Prozent), letztes Mal waren es noch 14.800 Stimmen (1,5 Prozent) gewesen. Aber ihr Spitzenkandidat lebt in Schleswig-Holstein, und die Stimmen aus ganz Deutschland reichten für einen Sitz im Parlament.
Vielleicht für einige LeserInnen noch interessant: Die DKP sank von 566 auf 516 Stimmen, die MLPD von 331 auf 311 Stimmen. Beide bekamen damit 0,0 Prozent. Mehr als 10.000 Stimmen bekamen nur noch die Tierschutzpartei, die Familienpartei und die Freien Wähler.
Die Grünen wurden nicht nur stärkste Partei, die Stimmen stiegen von 4.400 (2014) auf jetzt 14.600 oder 37,1 Prozent. Sie bekamen auch mehr Stimmen als die CDU (6.800 / 17,3 %) und SPD (5.700 / 14,4 %) zusammen. Dabei hat die CDU leicht gewonnen, die SPD stark verloren. Die AfD stieg von 1.600 auf 2.500 Stimmen, blieb nach Prozenten bei 6,3 Prozent. Sie ist jetzt in der Ratsversammlung nicht vertreten, da sie zur Kommunalwahl mangels KandidatInnen nicht antreten konnte, würde aber wohl über fünf Prozent kommen. Die Linke stieg von 1.900 auf 2.300 Stimmen, die FDP von 800 auf 2.000 Stimmen. Bemerkenswert noch die Partei: Sie stieg von 300 auf 1.700 Stimmen und kam damit auf 4,2 Prozent.
In der Ratsversammlung sind jetzt SPD, CDU, Grüne und SSW fast gleich stark. Das könnte sich ändern, wenn die Grünen im Aufschwung bleiben und die SPD ihren Sinkflug fortsetzt. Aber da der SSW traditionell hier sehr stark ist, an der Europawahl aber nicht teilnimmt, ist es noch schwerer als ohnehin, diese Wahl als Maßstab für die nächste Kommunalwahl zu nehmen.
Auch in Kiel bekamen die Grünen mehr Stimmen als CDU und SPD zusammen. Die Zahl der Stimmen stieg für die Grünen von 14.300 auf 40.300 (37 %), für die CDU von 17.500 auf 18.300 (16,8 %), für die SPD sanken sie von 25.900 auf 17.900 (16.4 %). Der dritte Platz ist für die SPD besonders schmerzlich, weil der SPD-Oberbürgermeister am 27. Oktober zur Direktwahl antritt und wiedergewählt werden will. Dabei wird er allerdings nicht nur von seiner Partei, sondern auch von den Grünen, dem SSW und voraussichtlich auch der FDP unterstützt, so dass seine Aussichten trotzdem gut sind.
AfD und Linke lagen bei der Europawahl in Kiel über 5 Prozent, FDP und „Die Partei“ knapp unter 5 Prozent.
Die Stimmen für die Grünen stiegen von 9.600 auf 28.600 (31,6 %), damit wurden sie auch hier stärkste Partei. Die CDU wuchs von 17.100 auf 18.400 Stimmen (20,4 %), die SPD sank von 21.400 auf 17.600 Stimmen (19,4 %). Auch hier lässt sich das Ergebnis nicht ohne weiteres auf die nächste Kommunalwahl übertragen, weil hier die GAL als Abspaltung von Grünen und Linken kommunal auftritt.
Von den kleineren Parteien kam nur die AfD mit 6.800 Stimmen über die 5 %, die Linke und die FDP landeten mit jeweils ungefähr 4.200 Stimmen knapp drunter. „Die Partei“ kam hier mit 2.700 Stimmen auf 3 %.
Auch in Neumünster wurden die Grünen, die von 2.400 auf 7.800 Stimmen (27,1 %) zulegten, stärkste Partei. Ihnen kam aber zugute, dass die CDU von 8.900 auf 7.000 Stimmen (24,4 %) absackte. Die SPD verlor drastisch, von 9.700 Stimmen (2014) auf 5.300 Stimmen (18.4 %).
Die AfD kam mit 2.800 Stimmen auf 9,6 Prozent, die FDP mit 1.500 Stimmen auf 5,3 Prozent, die Linke mit 1.000 Stimmen auf 3,6 Prozent.
Die CDU bekam knapp 18.000 Stimmen und damit fast genauso viel wie 2014, ihr Anteil sank auf 31,1 Prozent. Die Grünen wurden hier zweitstärkste Partei, sie stiegen von 3.400 auf 12.100 Stimmen, das sind 21 Prozent. Die SPD sackte von 12.400 auf 10.300 Stimmen ab, das sind 17,8 Prozent.
Die AfD kam hier auf 5.100 Stimmen oder 8,9 Prozent, nach 2.300 Stimmen beim letzten Mal. Die Linke erreichte 2.000 Stimmen (3,5 Prozent), die FDP 4.500 Stimmen (7,8 Prozent).
Stärkste Partei wurde die CDU, die ihr Ergebnis von 23.900 auf 24.900 Stimmen verbessern konnte, das bedeutete jetzt 27,3 Prozent. Die Grünen konnten sich von 8.200 auf 23.600 Stimmen (25,8 %) steigern und damit dicht heranrücken. Die SPD stürzte von 21.700 auf 15.900 Stimmen (17,5 Prozent) ab.
Die AfD liegt auch hier mit 8.400 Stimmen (9,2 %) auf Platz 4, 2014 kamen sie auf 5.200 Stimmen. Es folgen die FDP mit 5.800 Stimmen (6,3 Prozent) und die Linke mit 3.200 Stimmen (3,5 %).
Die CDU liegt auch hier auf dem Platz 1, sie konnten die Zahl der Stimmen von 21.100 (2014) auf 23.400 (30,4 %) steigern. Die Grünen wuchsen von 6.000 auf 22.600 Stimmen (29,3 %) und rückten damit dicht an die CDU heran. Die SPD verlor: 2014 hatte sie noch 16.200 Stimmen, jetzt nur noch 12.600 (16,3 %).
In Nordfriesland landete die FDP knapp vor der AfD, beide bekamen rund 4.400 Stimmen und 5,7 %. Dahinter liegt die Linke, die 2.400 Stimmen (3,2 Prozent) bekam.
Die CDU konnte sich hier von 25.500 Stimmen auf 28.600 Stimmen (29,4 %) verbessern. Die Grünen steigerten sich von 6.900 auf 24.600 Stimmen (25,4 %). Die SPD sackte von 22.600 auf 18.500 Stimmen (19 %) ab.
Auch in Ostholstein blieb die AfD mit 7.800 Stimmen (8,1 %) auf Platz 4, gefolgt von der FDP mit 6.000 Stimmen (6,2 %) und der hier traditionell schwachen Linken, die 2.800 Stimmen (2,9 %) erreichte. Die Linke hat sich hier schon durch internen Streit aus dem Kreistag katapultiert.
Im Kreis Pinneberg nahmen die Grünen von 13.300 auf 43.300 Stimmen zu, mit 28,9 % wurden sie stärk-ste Partei. Die CDU konnte sich von 36.400 auf 39.200 Stimmen (26,1 %) verbessern, das reichte aber nur noch für Platz 2. Die SPD stürzte von 34.800 auf 26.000 Stimmen ab, das sind 17,4 % oder Platz 3.
Die AfD kam mit 11.700 Stimmen (7,8 %) auf Platz 4, gefolgt von der FDP mit 9.500 Stimmen (6,3 %). Die Linke kam auf 5.500 Stimmen, das sind 3,7 Prozent.
Auch im Kreis Plön wurden die Grünen mit 19.800 Stimmen (29,8 %) stärkste Partei, nachdem sie 2014 noch 6.200 Stimmen erhalten hatten. Die CDU steigerte sich von 17.000 auf 18.200 Stimmen (27,3 %), die SPD stürzte von 15.700 auf 11.700 Stimmen (17,6 %) ab.
Die AfD kam mit 4.800 Stimmen (7,3 %) auf Platz 4, gefolgt von der FDP mit 3.600 Stimmen (5,4 %). Die Linke erreichte hier 2.000 Stimmen (3,1 Prozent).
Auch hier gewannen die Grünen für sie selbst überraschend: von 12.000 Stimmen 2014 kamen sie jetzt auf 39.800 Stimmen (29,3 %). Die CDU gewann auch, von 36.300 auf 38.900 Stimmen (28,7 %), blieb damit aber knapp auf Platz 2. Die SPD verlor von 31.300 auf 22.600 Stimmen (16,6 %).
Auf Platz 4 landete die AfD mit 9.200 Stimmen (6,8 %). Die FPD liegt mit 7.500 Stimmen (5,6 %) dahinter, die Linke kam auf 4.200 Stimmen oder 3,1 %.
Die Grünen kamen auch hier auf Platz 1, sie steigerten sich von 7.500 Stimmen 2014 auf jetzt 28.900 Stimmen (30,4 %). Die CDU gewann ebenfalls von 25.400 auf 27.500 Stimmen (29 %), das reichte für Platz 2. Die SPD hatte 2014 noch 19.900 Stimmen, jetzt nur noch 15.300 (16,2 %)
Auf Platz vier kam die AfD mit 5.700 Stimmen (6 Prozent), gefolgt von der FDP mit 5.700 Stimmen oder 5 Prozent. Die Linke erhielt 3.100 Stimmen (3,3 %).
Hier gewann die CDU 34.000 Stimmen (27,1 %), letztes Mal hatte sie noch 32.100 Stimmen. Die Grünen nahmen von 9.300 auf 33.900 Stimmen zu (26,9 %), knapp hinter der CDU. Die SPD nahm von 27.800 auf 21.100 Stimmen (16,8 %) ab.
Die AfD kam mit 10.300 Stimmen (8,2 %) auf Platz 4, gefolgt von der FDP mit 8.400 Stimmen (6,7 %). Auf Platz 6 liegt die Linke mit 4.600 Stimmen (3,7 %).
Auf Platz 1 liegt die CDU, die ihre Stimmen von 16.700 auf 17.300 (28,8 %) steigern konnte. Knapp dahinter die Grünen, die von 4.500 auf jetzt 16.100 Stimmen (26,9 %) kamen. Die SPD rutschte von 13.000 auf 9.800 Stimmen (16,4 %).
Auf Platz 4 die AfD mit 4.700 Stimmen (7,8 %), gefolgt von der FDP mit 3.700 Stimmen (6,1 %). Die Linke kam auf 2.200 Stimmen oder 3,6 %.
In Stormarn steigerten sich die Grünen von 12.100 auf 36.300 Stimmen (29,3 %). Sie liegen damit vor der CDU, die sich von 31.800 auf 33.200 Stimmen (26,8 %) steigern konnte. Die SPD schrumpfte von 29.600 auf 20.000 Stimmen (16,2 %).
Die AfD kam auf 9.800 Stimmen (8 %), die FDP auf 8.500 Stimmen (6,9 %). Die Linke erreichte 4.200 Stimmen (3,4 %).
Bei den Europawahlen entscheiden sich die Menschen freier, wen sie wählen wollen, weil sie nicht taktisch in Koalitionen oder einer künftigen Regierung denken. Die „Spitzenkandidatur“ ist relativ wirkungslos, weil es eine sehr unverbindliche Absprache ist, gegen die die Staats- und Regierungschefs im Europäischen Rat ohne weiteres verstoßen können und dürfen. Ein Grund für die „freie Vergabe“ der Wählerstimmen ist damit auch die relative Machtlosigkeit des Parlaments, aber auch die Unübersichtlichkeit der gleichzeitigen Wahl in 28 Staaten. In jedem Staat gibt es eine eigene Stimmung, und die neue Zusammensetzung des Parlaments ist kaum vorhersagbar.
Das neue Parlament hat wieder 751 Sitze. Davon erreichten die Grünen 74 (bisher 50). Die Sozialdemokraten bekamen 153 Sitze (bisher 191). Die Liberalen kletterten von 67 auf 106 Sitze, was an der besonderen Situation in Frankreich liegt. Dagegen sankt die Europäische Volkspartei (in Deutschland CDU) von 221 auf 179 Sitze. Die Linke nahm von 52 auf 38 Sitze ab. Die Fraktionen rechts-außen müssen sich noch sortieren und entscheiden, ob sie zwei oder drei Fraktionen bilden. Zur Zeit sind es eher drei Gruppen mit jeweils 50 bis 60 Abgeordneten, aber auf der Rechten spalten man sich gerne, streitet sich und wechselt auch Partei und Fraktion, die gewählten AfD-Abgeordneten gab es nach den letzten Wahlen bald nicht mehr. Wären sich die Rechtsextremisten einig, könnten sie aber die zweitstärkste Fraktion nach der EVP/CDU bilden.
Interessanter würde die Europawahl, wenn das Parlament Gesetzgebungskompetenz bekäme, die Kommission oder die Kommissionschefin wählen könnte und auch die Wahlen gerechter würden, dass z.B. rund 1 Million WählerInnen eine/n Abgeordnete/n wählen würden.
Aus Schleswig-Holstein kommen jetzt durch die Zufälle der Listen vier Abgeordnete ins Parlament: Niclas Herbst (CDU), Delara Burkhardt (SPD), Rasmus Andresen (Grüne) und Patrick Breyer (Piraten).
Reinhard Pohl