(Gegenwind 368, Mai 2019)
In der Ida-Ehre-Schule in Hamburg-Eimsbüttel entdeckte die AfD Antifasticker, startete mit Hilfe ihres Denunziationsportals „Neutrale Schule“ im März 2019 eine Kampagne gegen „verfassungsfeindliche linksextremistische Aktivitäten“ und scheiterte. Die Schule hielt dem Druck stand, eine breite Solidarisierung setzte ein.
Ein kleines lächelndes Gespenst des Kommunismus mit einem Glitzerumhang, links den Hammer, rechts die Sichel, schwebte an einem langen Stiel über der von über tausend Jugendlichen besuchten Spaßdemonstration „Antifaschistisches Halloween - Dem Rechtem Spuk entgegentreten“ am 31. Oktober in Hamburg-Altona. Veranstalterin war die Jugendgruppe „Antifa Altona Ost“, AAO, von der die AfD Sticker im Oberstufenhaus der Ida-Ehre-Schule aufgespürt hat - darunter einen für die Halloween-Demo, auf der ein Kürbis ein Hakenkreuz zermalmt. Als die AAO die Halloween-Demo initiierte konnte sie ahnen, dass ihre Aktivitäten an Schulen von der AfD beobachtet werden würden. Denn im September 2018 ging das das Denunziationsportal „Neutrale Schulen“ der AfD online. Hamburg war dass erste Bundesland, mittlerweile gibt es derartige Aufforderungen zur Online-Denunziation etwa auch in Berlin. Bei letzterem gab es bereits 6.900 Hinweise, so der dortige bildungspolitische Sprecher der AfD-Fraktion Franz Kerker auf Anfrage der Zeitung „Welt“, darunter wohl auch Spam, aber „wir hatten es auch mit Verstößen zu tun“. Von den aus Sicht der AfD wichtigen Anliegen hätten fast alle durch „Tipps, wie man am besten mit seiner Kritik auf den Lehrer zugeht“, gelöst werden können, so Kerker zur „Welt“.
Auch in Sachsen-Anhalt scheint der AfD nichts spektakulär Ausschlachtbares erfahren zu haben: „Vorfälle wie in Hamburg wurden uns nicht gemeldet“, zitiert die „Welt“ Hans-Thomas Tillschneider, von der AfD-Landtagsfraktion, unter den 7.000 Meldungen an das Denunziationsportal sei „viel Spam“ gewesen.
Die Aufforderung, Verstöße gegen das nach rechts verschobene „Neutralitätsgebot“, wie die AfD es versteht, zu melden, wirkt aber bereits durch die Existenz der Meldeportale selbst, wenn ihnen nicht offensiv kontra gegeben wird. An vielen Schulen wird breit darüber diskutiert, wie mit der Bedrohung umzugehen sei. Schulen die sich klar dazu bekennen, dass Schule nach Auschwitz antifaschistisch sein muss, sind klar die Ausnahme. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, GEW, hat sich allerdings deutlich gegen die „Denunziationsplattformen“ ausgesprochen. Die GEW hat die AfD-Portale bundesweit mit einer Webside zur rechtlichen Beratung für Lehrkräfte gekontert und „ermutigt ihre Mitglieder, sich nicht einschüchtern zu lassen“. In Hamburg hat die Schulbehörde hat das Meldeportal der AfD zwar auch als „Aufruf zum Denunziantentum“ kritisiert. Aber die SPD-geführte Behörde geht den Hinweisen der AfD trotzdem nach - so musste eine Schule auf Aufforderung durch ihren Dienstherren einen AfD-kritischen Beitrag von ihrer Internetseite nehmen.
Die AfD-Fraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft ist bundesweit führend dabei, fortwährend zu versuchen, über die parlamentarische Kleinarbeit die politische Bildung an den Schulen zu beeinflussen. Sehr zielstrebig ist hierbei Dr. Alexander Wolf, mittlerweile Fraktionsvorsitzender der AfD. Die Denunziation gegen die Ida-Ehre-Schule wird vor allem von ihm betrieben. Anfänglich sah es so aus, als sei ihm ein Coup gelungen: Zuerst stellten Wolf und Detlef Ehlebracht von der AfD am 1. März eine Schriftliche Kleine Anfrage, SKA, an den Senat - am Vorabend der Hamburger Frühjahrsferien, in denen es nahezu unmöglich ist, sich mit den betroffenen Lehrkräften zusammenzusetzen. Titel der Anfrage: „Betreff Verfassungsfeindliche linksextremistische Aktivitäten an der Ida Ehre Schule unter Duldung des Lehrerkollegiums und der Schulleitung“. Die Schulbehörde forderte vom Schulleiter der Ida-Ehre-Schule, IES, umgehend Antworten auf die Fragen der AfD, die ohne eine ausreichende Klärung der Zusammenhänge innerhalb von vier Tagen erfolgen musste. Gleichzeitig schickte die Schulbehörde die Schulaufsicht in das Oberstufenhaus der IES. Am 8. März meldete der rotgrüne Senat in seiner Antwort auf die SKA der AfD Vollzug: „Die Schulaufsicht hat die Hausverwaltung beauftragt, die genannten Aufkleber im Klassenraum und hinter der Eingangstür zu entfernen beziehungsweise die Wandaufschrift zu übermalen“, man habe sich „von der unverzüglichen Aufnahme dieser Arbeit überzeugt“. Die AfD-Fraktion gab nun die SKA mit den Antworten des Senates und der enthaltenen Vollzugsmeldung der Schulaufsicht an die dominierende Lokalzeitung „Hamburger Abendblatt“ weiter. Dort fand sich schnell ein Redakteur, der den Nachrichtenwert erkannte: „Es ist ein sehr ungewöhnlicher Vorgang, dass die Schulbehörde die Schulaufsicht in eine Schule schickt, um Aufkleber und Graffiti zu entfernen,“ so Jens Meyer-Wellmann in seinem Blog, „weil diese aus ihrer Sicht nicht nur gegen das Neutralitätsgebot verstoßen, sondern auch politische Werbung für eine vom Verfassungsschutz beobachtete Organisation darstellen.“
Denn neben der Schulbehörde agierte auch die zweite beteiligte Landesbehörde, der Inlandsgeheimdienst, unterstützend für die AfD. Der Redakteur fragte dort an und bekam vom dortigen Presssprecher Marco Haase zu lesen: „Selbst erklärtes Ziel der linksextremistischen Gruppierung ist die Verteidigung des multikulturellen Anspruchs Altonas gegen alle Aktivitäten, die aus ihrer Perspektive heraus als ‚Rechts’ definiert werden, und der Organisierung der antifaschistischen und antikapitalistischen Arbeit des Stadtteils.“ In der Antwort des Hamburger Verfassungsschutzes ist auch die Rede von „Erkenntnissen“ über „Kontakte zu anderen linksextremistischen Gruppierungen“. Und um die Sache rund zu machen, heißt es ohne jeden konkreten Anlass: „Eine generelle Aussage zum Thema ‚Militanz’, die alle Antifa-Gruppierungen betrifft: Bei antifaschistischen Gruppierungen ist zumindest Gewaltausübung gegen Personen, welche dem rechten Spektrum zugeordnet werden, grundsätzlich akzeptiert.“
Auf ihrer ersten Lokalseite titelte das „Hamburger Abendblatt“ am 19. März, dem zweiten Schultag nach den Frühjahrsferien: „Linksradikale agieren ungestört an Schule“: Das AfD-Online-Portal „Neutrale Schulen“ sei zwar „umstritten“, aber nun habe es Konsequenzen: Die Schulbehörde habe eine Begehung der Ida-Ehre-Schule durchgeführt, „um Vorwürfen nachzugehen, dort verbreite die vom Verfassungsschutz beobachtete Gruppierung ‚Antifa Altona Ost’ linksradikale Propaganda - mit stillschweigender Duldung von Lehrern und Schulleitung.“ Ein Höhepunkt der Nacherzählung der AfD-Anfrage ist eine freie Assoziationskette zu den G20-Auseinandersetzungen: Auf einem Aufkleber „ist dort über dem italienischen Schriftzug ‚Siamo tutti Antifascisti’' ein Vermummter vor brennenden Barrikaden zu sehen - eine Szenerie, wie man sie aus den Hamburger G20-Tagen im Sommer 2017 kennt.“ Auf dem Aufkleber ist tatsächlich Feuer zu sehen, der Bezug zu G20 ist frei erfunden. Die Behauptung, Antifagruppen seien für Sachbeschädigungen beim G20-Gipfel verantwortlich, ist beweisfrei.
Bis auf die Grünen und die Linke übertrafen sich die anderen Fraktionen in der Hamburgischen Bürgerschaft in ersten Reaktionen auf die Anfrage der AfD und den Artikel im „Hamburger Abendblatt“ auf Anfrage der Redaktion im Ruf nach Ordnung: „Wenn extremistische Netzwerke, egal welcher Couleur, an unseren Schulen aktiv werden, ist das nicht zu akzeptieren“, erklärte etwa SPD-Schulpolitikerin Barbara Duden dem „Abendblatt“. Dennis Gladiator, Innenpolitiker der CDU sagte: „Wir haben bei G20 gesehen, wie gefährlich Linksextremismus ist. Dieser darf nicht verharmlost und schon gar nicht unterstützt werden. Es ist ein Skandal, wenn an Schulen solche extremistische Werbung geduldet wird.“ Die FDP-Fraktionschefin Anna von Treuenfels-Frowein sieht ein „Versagen“ des Senats. Der Schulsenator „hätte auch ohne das fragwürdige AfD-Portal über die extremistischen Äußerungen Bescheid wissen und Maßnahmen ergreifen müssen“.
Alleine die Linken-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus solidarisierte sich von Beginn an mit der Ida-Ehre-Schule: „Wir begrüßen es, dass sich Jugendliche antifaschistisch engagieren“. Antifaschismus sei eine Notwendigkeit. „Das zeigt sich auch darin, dass schon Aufkleber mit antifaschistischen Inhalten mit Gewalttätigkeit gleichgesetzt werden“, so Boeddinghaus.
AfD-Fraktionschef Alexander Wolf dagegen nahm den haltlosen Vorwurf der G20-Militanz aus dem Artikel auf und erklärte treuherzig, dies mache ihn nach den „Vorgängen rund um den G-20-Gipfel umso fassungsloser“. Die Schulbehörde, so Wolf, müsse nun nachlegen und „gemeinsam mit dem Landesamt für Verfassungsschutz aufklären, wer die Drahtzieher des linksextremistischen Netzwerkes sind und inwieweit sich Schüler bereits radikalisiert haben“.
Womit die AfD und Wolf allerdings nicht gerechnet hatten, war die Standhaftigkeit der Ida-Ehre-Schule und die Fähigkeit der Antifagruppierungen, eine breite und gar nicht klandestin im öffentlichen Raum agierende Solidaritätskampagne zu starten: Denn die AAO ist keine abgeschottete militante Gruppe, sondern eine diskursive Antifa. Im Gespräch mit der Lokalzeitung „Hamburger Morgenpost“ erklärten drei Jugendliche: „Das Kriminellste, das wir je getan haben, ist Sticker aufzukleben.“ Und stellen klar: „Unsere Gruppe ist nie durch Gewalt aufgefallen und wir haben auch nie gewalttätige Aktionen ausgeführt“, so ein sich Jan nennender Aktivist. „Wir denken, dass eine antifaschistische Positionierung gerade in Deutschland gesellschaftlicher Konsens sein sollte“, erklärte Lotte, Schülerin der Ida-Ehre-Schule, der „Morgenpost“, und: „Ich finde es einen Skandal, dass man sich vor dem Hintergrund der Shoah für antifaschistische Arbeit rechtfertigen muss.“
Die Ida-Ehre-Schule ist kein leichtes Opfer für die AfD. Elternrat, Schülervertretung und Schulleitung haben sich von der AfD nicht aus dem Konzept bringen lassen. „Neben einem Artikel, der nahezu vollständig das ‚wording’ der SKA der AfD-Fraktion übernimmt, wurde in einem Kommentar zu diesem Artikel, der von demselben Autor stammte, die These aufgestellt, die Lehrer*innen der Ida Ehre Schule seien entweder zu naiv oder würden selber linksextremistischen Sichtweisen folgen,“ so die Schulleitung in einer Erklärung vom 21. März zu den Vorwürfen. Gegenüber der Aufregung über Antifa-Aufkleber wird nüchtern festgestellt: „Die in der SKA monierte Aufklebersammlung auf einer Pinnwand entstand im Rahmen einer Projektvorhabens des Oberstufenprofils „Sich Einmischen - Kunst als kulturelle Kompetenz“. Die Klasse hat gemeinsam beschlossen, eine Fläche im Klassenraum für Schüler*innen-Interessen einzurichten.“ Auch die Kollegiale Leitung des Elternrats der Ida-Ehre-Schule wehrt sich gegen die Darstellung der AfD, so Malte Willms: Zum Vorwurf , es gäbe Aufkleber erklärte er dem Autoren, dass überrasche ihn „Total! Sticker & Graffiti in einer Schule kannte ich bis dahin nicht.“ Knut Benzner antwortet weniger ironisch, es überrasche ihn „überhaupt nicht! Ganz im Gegenteil.“ Auf Nachfrage, ob solche Projekte wie dass des Kunstprofils mit der Stickerwand üblich sind, erklärte Malte Willms: „Hoffentlich!“, Knut Benzner: Ja natürlich. Gegen die Skandalisierung durch die AfD stellte die Schulleitung fest, „dass ein Klassenraum kein öffentlicher Raum ist, sondern hier im Rahmen von didaktisch-pädagogischen Ansätzen Bildung betrieben wird.“ Woraus folgt, dass die durch die AfD in ihrer Anfrage praktizierte „Veröffentlichung von Aufnahmen aus geschützten Räumen, insbesondere unter Ignorierung des Datenschutzes durch Nennung von Klasse/Raumnummer hoch problematisch ist“. Hiervon war in den ersten aufgeregten Zeitungsartikeln keine Rede, stattdessen sei im Sinne der AfD skandalisiert worden: „Von Seiten der Schulleitung zeigen wir uns entsetzt über den Umgang von Teilen der Presse mit den erhobenen Vorwürfen.“ Es wurde „die Sichtweise der AfD-Fraktion bzw. die Wortwahl aus deren SKA übernommen, ohne dass die betroffene Schule die Zeit hatte, faktenbasiert zu antworten“. Die Kritik an der Anfrage der AfD und der ihr im „wording“ folgenden Berichterstattung ist in der Schule verbreitet. Für Malte Willms vom Elternrat ist der Autor des Abendblatt-Artikels ein „Lakai der AfD“, Knut Benzner dagegen wundert sich, wie jemand so etwas verfassen kann. In und um die Schule wird viel über die Denunziation durch die AFD diskutiert, „die Drähte laufen heiß“, so Malte Willms: „Kämpferisch aufgrund der Anfeindungen, freudig-erregt angesichts der Solidarität.“ Es gäbe Reaktionen zu hauf, viele positive, „mich hat die Bandbreite überrascht und erfreut“ so Knut Benzner. Die Erklärung der Schulleitung wurde „einhellig positiv“ aufgenommen, so Malte Willms: „Einzig eine deutlichere Kritik am Vorgehen der Schulaufsicht wurde partiell eingefordert.“
Kaum waren die explizit antifaschistische Stellungnahme der Schulleitung und eine ebenso deutliche des Elternrates bekannt, begann sich die öffentliche Debatte zu drehen. Währenddessen versammelten sich an zahlreichen Schulen in Hamburg Lernende vor dem Eingang mit Transparenten wie „Hier ist auch Antifa Area - Solidarität mit der Ida-Ehre-Schule“ und stellten Fotos davon ins Internet. Innerhalb einer knappen Woche wurde eine große Solidaritätsdemonstration organisiert, auf der 3.000 Jugendliche erklärten: „Antifaschismus ist kein Verbrechen!“
In einer „Aktuellen Stunde“, einer Debatte in der Hamburgischen Bürgerschaft am 27. März forcierten nur die AfD und die FDP die Stigmatisierung von Antifagruppen als „linksextremistisch“, „gewalttätig“, „nicht auf dem Boden der Verfassung stehen“. Die Grünen hatten ihre Zurückhaltung gegenüber dem Schulsenator als Mitglied des rotgrünen Senates ebenso abgelegt wie die SPD. Die Grüne Antje Möller forderte „Denunziation und Bespitzelung nicht gesellschaftsfähig zu machen“. Die AfD versuche, antifaschistische Haltung „an den Rand des Verbotenen“ zu bringen. Überraschend klar äußerte sich auch die Schulexpertin der CDU-Fraktion: „Sie haben übereilt gehandelt, die Denunziationsplattform der AfD unnötig geadelt“, so Birgit Stöver. Die „Nacht-und-Nebel-Aktion“ der Schulaufsicht in den Ferien habe einschüchternd gewirkt.
Die Fraktionschefin der Linken Sabine Boeddinghaus erklärte, „diese unselige Debatte und das unerträgliche Jubelgeheul der AfD hätten vermieden werden können, wenn sich die Behörde und der Schulsenator von Anfang an hinter die Ida-Ehre-Schule gestellt hätten“. Das AfD-Portal sei „ein Kultur- und Tabubruch“, gehöre „sofort abgeschaltet“. Außerdem betonte sie ihre Solidarität mit der Ida Ehre Schule.
In der von Schulleiter Kevin Amberg und der gesamten Leitungsgruppe unterzeichneten Erklärung heißt es zum Schluss klar: „Die Ida Ehre Schule ist stolz auf ihre Schüler*innen, die sich politisch äußern, betätigen und positionieren.“ Dreimal haben Lerngruppen den Bertini-Preis gewonnen für Projekte, welche an die Schicksale von jüdischen Schülern erinnern und die Geschichte der bis zum Jahr 2000 „Jahnschule“ genannten, 1934 als nationalsozialistische Kaderschmiede gegründeten Vorgängerin aufgearbeitet haben. „Wir verwahren uns in aller Schärfe dagegen, dass im aktuellen Diskurs eine Verschiebung in die Richtung stattfindet, dass Antifaschismus an Schulen nicht gewünscht sei oder der freiheitlichen, demokratischen Grundordnung widerspreche. Im Gegenteil, ohne einen konsequenten Antifaschismus ist dies nicht möglich. Gerade im Geiste der Namensgeberin unserer Schule ist dies auch ein Teil des schulischen Leitbildes der Ida Ehre Schule. Wir fühlen uns Ida Ehre verpflichtet“, einer Überlebenden der Shoah.
Gaston Kirsche