(Gegenwind 366, März 2019)

Wolf im Nationalpark bayerischer_Wald,_Neuschönau
Dieser Wolf lebt nicht in Schleswig-Holstein, sondern im Bayerischen Wald. (Foto: Austriaca - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0

Naturschutz

Zu viele Wölfe?

Einhundertfünfzig Jahre lang war Schleswig-Holstein ein „wolfsfreies Gebiet“. Denn solange ist es ungefähr her, dass die Wölfe hierzulande ausgerottet wurden, die früher selbstverständlich zum Land gehörten. Erst seit die EU und das Bundesnaturschutzgesetz (§ 7) den Wolf unter Schutz gestellt hat, breitet er sich langsam wieder aus. Seit einigen Jahren leben wieder Wölfe in Deutschland, seit 2007 auch in Schleswig-Holstein.

In Schleswig-Holstein gibt es ein „Wolfsmanagement“. Wolfsberater werden vom Land bezahlt und arbeiten mit Jägern und Nutztierhaltern zusammen, stehen außerdem für Fragen zur Verfügung. Hier gibt es drei Stellen und zusätzlich 60 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Zur Zeit leben zwei oder drei Wölfe in Schleswig-Holstein. Es gibt hier aber kein Rudel, also keine Familie, sondern nur Einzeltieren. Wenn ein Nutztier getötet wird, also zum Beispiel ein Schaf, wird nach Möglichkeit die DNA gesichert, damit können einzelne Tiere identifiziert werden. So kam 2016 der Wolf „GW491m“ von Brandenburg aus her, er fraß bei St. Peter Ording ein Schaf. Danach verschwand er nach Dänemark, wo er eine Familie gründete, das „Ulfborger Rudel“. Seitdem sind zwei Söhne und zwei Töchter von ihm aus Dänemark durch Schleswig-Holstein gezogen: „GW924m“, „GW930f“, „GW931f“ und „GW932m“.

2017 kam der Wolf „GW781m“ hierher, Spuren wurden in Dithmarschen, Nordfriesland, Rendsburg-Eckernförde und Schleswig-Flensburg. Er ernährte sich von Wildtieren. Zur Zeit lebt er an der Nordküste Dänemarks.

2018 fiel der Wolf „GW924m“ auf: Im Kreis Pinneberg und Steinburg fraß er mehrere Schafe, dazu überwand er auch hin und wieder einen Zaun. Das machen Wölfe selten, weil sie meistens von ihren Eltern lernen, wie man Rehe jagt. Wenn sie aber auf den Geschmack kommen, merken sie bald: Die Schafe in Schleswig-Holstein sind so gezüchtet, dass sie nicht mehr weglaufen, wenn ein Raubtier kommt. Das nutzen auch verwilderte Hunde, die oft auch mehrere Tiere töten, weil sie eben nicht weglaufen, sondern nur zugucken. Den Wolf „GW924m“ will das Umweltministerium jetzt aus dem Naturschutz ausnehmen und abschießen lassen.

Dagegen gibt es auch Wölfe, die sich gut verstecken können: Im Mai 2018 war die Wölfin „GW930f“, eine Schwester des Pinneberger Wolfes, in Dithmarschen. Sie zog dann weiter, vermutlich nach Süden, aber lebt bisher so unauffällig, dass niemand weiß, wo sie ist. Ihre Schwester „GW931f“ war im Mai 2018 im Kreis Pinneberg. Sie wurde allerdings beim Versuch, die Autobahn A23 bei Tornesch zu überqueren, am 13. Mai überfahren und starb.

Im Kreis Segeberg lebt seit langem die Wölfin „GW1120f“. Sie lebt allerdings versteckt im Wald und frisst ab und zu ein Reh. Man weiß nur, dass sie aus Sachsen-Anhalt stammt, aber nicht, was sie sonst so treibt. Von Schafen und Bauernhöfen hält sie sich fern.

Emotionale Diskussion

Wenn es um Wölfe geht, werden Diskussionen schnell emotional. Der Wolf ist das am weitesten verbreitete Säugetier an Land, und objektiv gesehen verläuft das Zusammenleben friedlich. Die Angst aus dem Märchen, Wölfe würden Menschen töten, ist statistisch Unsinn.

Menschen werden getötet von:

  1. Menschen
  2. Mücken (weltweit rund 725.000 im Jahr)
  3. Schlangen (50.000 bis 100.000 im Jahr)
  4. Hunden (rund 25.000 im Jahr)
  5. Tsetsefliegen (rund 10.000 im Jahr)
  6. Wanzen (rund 10.000 durch Übertragung von Krankheiten)
  7. Skorpionen (rund 5.000 im Jahr)
  8. Bandwürmern (rund 2.000 im Jahr)
  9. Krokodilen (rund 1000 im Jahr)
  10. Elefanten (rund 500 im Jahr
  11. Quallen (rund 150 im Jahr)
  12. Rehen und Hirschen (rund 120 im Jahr durch Autounfälle)
  13. Tigern (rund 100 im Jahr)
  14. Bienen (rund 50 im Jahr, allergischer Schock)
  15. Spinnen (rund 50 im Jahr)
  16. Ameisen (rund 30 im Jahr)
  17. Kühen (rund 25 im Jahr)
  18. Pferden (rund 20 im Jahr)
  19. Leoparden (vielleicht 15 im Jahr)
  20. Haien (rund 10 im Jahr)

Vom Wolf sind keine Angriffe auf Menschen nachgewiesen. Das liegt vermutlich daran, dass Wölfe seit langem gejagt werden und sich deshalb vom Menschen fernhalten. Sie werden erschossen, weil sie Konkurrent bei der Jagd auf Rehe waren und weil sie gelegentlich Nutztiere wie Schafe als Nahrung verwenden. Kühe und Pferde sind nicht betroffen, gelegentlich sind auch Ziegen die Opfer, die sich aber eher wehren oder weglaufen.

Schafe kann man durch Zäune schützen. Sie sollten allerdings über 1,50 Meter hoch und stromführend sein - für die Versicherung oder eine staatliche Entschädigung reichen allerdings etwas über einem Meter, deshalb begnügen sich die meisten Schafhalter damit. Systematisch schützen Schafhalter ihre Schafe vor allem im Herzogtum Lauenburg, weil es dort die meisten Wälder gibt - und seit Jahren keinen Angriff auf Schafe. Die Zäune schließen das also aus.

An der gesamten Westküste gibt es meistens sehr einfacher Zäune, die nur den Sinn haben, die Schafe am Weglaufen zu hindern. Wölfe, vor allem aber Hunde werden durch solche Zäune nicht abgehalten. Im Prinzip sind Schäfer aber verpflichtet, ihre Schafe vor Hunden und Wölfen zu schützen, insbesondere wenn schon Tiere getötet wurden. Amtstierärzte könnten das bei einer Kontrolle auch anordnen, machen das aber normalerweise nicht.

Von den getöteten Schafen werden rund 80 Prozent von (verwilderten) Hunden und rund 20 Prozent von Wölfen getötet. Insbesondere wenn Landwirte eine Entschädigung verlangen, werden die Reste getöteter Schafe entsprechend untersucht. Das Ergebnis dauert aus technischen Gründen mehrere Wochen. Die meisten gemeldeten Tötungen durch Wölfe stellen sich zwar nachträglich als Tötungen durch Hunde heraus, diese späteren Mitteilungen werden aber selten in Zeitungen abgedruckt.

Wie groß ist das Problem?

In Schleswig-Holstein leben rund 200.000 Schafe, die rund 1.100 Betrieben gehören (Landwirtschaftsministerium). Von ihnen werden jedes Jahr rund 11.000 getötet - von Menschen (Statistikamt Nord). Rund 100 Tötungen von Schafen werden Wölfen angelastet, meist durchlaufenden Wölfen, das wird aber oft nicht bewiesen. Vermutlich sind es nicht einmal 20 Proeznt davon.

Aus Sicht der Schafe ist also der Mensch das Problem.

Nach Untersuchungen des Landwirtschaftsministeriums in Kiel wurden 2010 bis 2014 70 Schafe von Hunden getötet, aber nur fünf von Wölfen. 2016 waren es 21 getötete Schafe durch Hunde, vier durch Wölfe. Es gibt wenig Informationen von Jägern dazu - immerhin eine Statistik: In der Saison 2015/16 wurden 4098 Katzen und 2 Hunde erlegt.

Diskutiert wurde in Schleswig-Holstein in den letzten Wochen vor allem über den Wolf „GW924m“ im Kreis Pinneberg. AfD, CDU und FDP sprachen sich für den Abschuss aus. Nachdem das Umweltministerium erklärt hatte, ein Abschuss sei wohl rechtmäßig und würde auf Antrag genehmigt, waren auch SPD und Grüne dafür. Damit kein einzelner Schafhalter den Antrag stellen musste, stellte das Umweltministerium ihn selbst und genehmigte den Abschuss natürlich auch.

Nach Umfragen sind 70 bis 80 Prozent der Bevölkerung gegen den Abschuss. Dafür sind vor allem einzelne Verbände.

BUND Schleswig-Holstein für Wolfsschutz

Der BUND Schleswig-Holstein nannte die Genehmigung zum Abschuss „nicht akzeptabel“. Die Zäune, die der Wolf überwunden habe, seien höchstens 1,08 Meter hoch gewesen, das schafften Hunde spielend. Ein Abschuss würde dazu führen, dass ein anderer Wolf in genau das Revier einwandere. Wenn die Zäune nicht erhöht würden, hätten Schafhalter über kurz oder lang wieder das gleiche Problem.

Wenn Zäune schützen sollten, müssten sie mindestens 1,20 Meter hoch sein.

NABU: Abschuss „nachvollziehbar“

Der NABU zeigte dagegen Verständnis für die Entscheidung des Umweltministeriums. Das begründete er ausführlich. Der Wolf in Pinneberg, so der NABU, verhalte sich untypisch. Normalerweise würde ein Wolf, der einen Zaun überwinden will, versuchen, drunter durchzukriechen. Dass dieser Wolf sechsmal oder achtmal gesprungen sein, müsste er gelernt haben, alle anderen Wölfe aber nicht. Zumindest einer der betroffenen Schafzüchter sei als sehr zuverlässig bekannt, er war zweimal betroffen. Ein Wolf, der einen Zaun von 1,08 Meter überspringen könnte, würde auch einen Zaun von 1,20 oder 1,40 Meter schaffen. Und zu viel Aufwand könnten Schafzüchter nicht betreiben, da die Schafe häufig auf andere Weiden umziehen müssten.

Herdenschutzhunde hält der NABU für die meisten Züchter für nicht praktikabel. Sie sind teuer in Anschaffung und Unterhalt, und oft müssten Schafhalter ihre Schafe auf acht bis zwölf Weiden verteilen - das würde zu teuer.

Mildere Mittel hält der NABU auch für nicht praktikabel. So sei vorgeschlagen worden, den Wolf mit Gummigeschossen zu erschrecken oder mit einem Betäubungsgewehr zu betäuben und schlafend umzusiedeln. Dazu müsste man aber möglicherweise wochenlang Wache halten, um ihn zu erwischen. Und der NABU sieht die Gefahr, dass der inzwischen fast erwachsene Wolf eine Wölfin trifft, Kinder zeugt und ihnen die Schafjagd beibringt. Denn wenn ein Wolf das gelernt hat, weiß er eben, dass Schafe eine viel einfachere Beute sind als Rehe.

Todesurteil?

Die Genehmigung zum Abschuss ist ein Todesurteil, allerdings ist die Vollstreckung schwierig. Der Wolf darf nur in seinem Revier geschossen werden, damit nicht versehentlich ein anderer Wolf getötet wird. Das Revier kann der Wolf aber jeden Tag verlassen, er kann Dutzende von Kilometern in einer Nacht laufen.

Insofern ist die Genehmigung zum Abschuss erst der erste Schritt. Der zweite wäre, ihn auch zu erwischen.

Reinhard Pohl

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