(Gegenwind 366, März 2019)
Am 24. Januar beschloss der Schleswig-Holsteinische Landtag ein neues Vergabegesetz. Die Jamaika-Koalition stimmte in einer hitzigen Debatte für den Gesetzentwurf, den das Wirtschaftsministerium im Juli 2018 in den Landtag eingebracht hat, ohne eine einzige Änderung am Gesetzestext vorzunehmen. Einige Abgeordneten wehrten sich zudem gegen die Vorwürfe der Unterschriftenaktion des Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein (BEI) zusammen mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB-nord), mit dem Gesetz würden Menschenrechte gefährdet und ausbeuterische Kinderarbeit nicht ausreichend verhindert.
Was war passiert? Im Dezember 2018 hatte die Initiatoren der Aktion die mehr als 3200 Unterschriften für die Petition „Kein Steuergeld für Kinder- und Zwangsarbeit. Für Umweltschutz und Faire Arbeit - hier und weltweit.“ symbolisch an den Wirtschaftsausschuss übergeben und offiziell beim Petitionsausschuss des Landestages eingereicht. Die Hoffnung bestand da noch, dass die Landtagsabgeordnet*innen aufgrund des Drucks der vielen Unterstützenden zumindest kleine Änderungen einbringen würden.
Dem folgte im Januar die große Ernüchterung: im Wirtschaftsausschuss wurde der Gesetzentwurf der Landesregierung im Beisein des Wirtschaftsministers Dr. Bernd Buchholz unverändert mit den Stimmen der Fraktionen CDU, der Grünen, FDP und AfD angenommen - alle Punkte seien doch „ausdiskutiert“. Angesichts von mehr als 3.000 Unterschriften von Bürger*innen, die sich in der Petition explizit für eine verbindliche Verankerung von Umweltschutz und Menschenrechten im neuen Vergabegesetz ausgesprochen und an die Abgeordneten gewendet hatten und dies im Entwurf nur als freiwillige Möglichkeit der Vergabestellen auftaucht, kann dies wohl kaum gesagt werden.
In ausführlichen Stellungnahmen - sowohl schriftlich als auch in der sechsstündigen mündlichen Anhörung im Landtag am 15.11.2018 - verdeutlichten zivilgesellschaftliche Verbände wie das BEI und die Gewerkschaften, dass ohne konkrete und verbindliche Vorgaben an alle Vergabestellen in Land und Kommunen, Sozialstandards entlang der Lieferkette zu berücksichtigen (z.B. der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO), nicht mehr gewährleistet sein kann, dass mit Schleswig-Holsteinischen Steuergeldern Ausbeutung finanziert wird.
Bisher sah das Tariftreue- und Vergabegesetz (TTG) der Vorgängerregierung wenigstens ab einem Auftragswert von 15.000 € vor, dass bietende Unternehmen Nachweise vorlegen müssten, dass bspw. das Verbot ausbeuterischer Kinderarbeit entlang der Lieferkette eingehalten wird. Besonders „sensible“ Warengruppe waren hierfür genannt, bei denen Nachweise Pflicht waren, inkl. Anwendungshinweisen welche Zertifikate und Siegel diese vertrauenswürdig darlegen könnten.
Die neue Landesregierung hatte aber bereits im Koalitionsvertrag festgeschrieben, die fälschlich als diese betitelten „vergabefremde“ Kriterien aus dem Vergaberecht als verpflichtendes Kriterium zu entfernen und den „bürokratischen Aufwand“ für den Mittelstand somit zu verringern. Dass öffentliche Stellen gerade mit der Forderung nach und Kauf von ökologischen und sozial verträglich hergestellten Produkten einen deutlichen Einfluss auf Unternehmen in Schleswig-Holstein ausüben können, dass sich deren Produktion mehr an Nachhaltigkeitskriterien orientiert, spielte für die Koalitionäre keine Rolle. Auf eine parlamentarische Anfrage antwortete das Wirtschaftsministerium sogar, dass auch die im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen (Agenda2030 bzw. Sustainable Development Goals (SDG)) im Falle des Vergabegesetzes nicht berücksichtigt werden - auch wenn diese gerade die Nachhaltige Beschaffung durch öffentliche Stelle als wichtige Stellschraube für die Erreichung globaler Nachhaltigkeit benennt.
Auch die Bundesregierung bekräftigte im Dezember 2016 noch, dass zur Umsetzung des Nationalen Aktionsplans Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) Bund, Länder und Kommunen in der öffentlichen Beschaffung einer besonderen Verantwortung unterliegen, „ihrer staatlichen Schutzpflicht nachzukommen und sicherzustellen, dass mit öffentlichen Mitteln keine negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte verursacht oder begünstigt werden“. Mit dem jetzt verabschiedeten Gesetz unterläuft die Landesregierung und das Parlament diese Schutzpflicht.
Zwar wird im Gesetz weiterhin die Möglichkeit aufgezeigt, soziale Kriterien zu berücksichtigen, nicht aber verpflichtend für alle Beschaffungsstellen. Genau diese Beliebigkeit wurde seit Monaten von zivilgesellschaftlichen Akteuren als unverantwortlich kritisiert.
Seit Anfang 2018 hatte u.a. das BEI mit Lobbygesprächen, Netzwerktreffen mit Experten, einer Demonstration mit den Gewerkschaften vor dem Landtag und einem parlamentarischen Fachgespräch am 14.06.2018 für die verbindliche Berücksichtigung von Sozialstandards in der Lieferkette im neuen Vergabegesetz geworben. Die Unterschriftenaktion seit September wurde zudem von vielen Eine -Welt-, Umwelt- und gewerkschaftlichen Gruppen unterstützt.
Durch diesen politischen Druck konnten aber nun keine Änderungen am Gesetzestext erreicht werden, einzig führte dieser dazu, dass die jahrelange Forderung des BEIs nach einer zentralen Kompetenzstelle für Nachhaltige Beschaffung, welche kommunale wie Landes-Beschaffungsstellen bei Ausschreibungen unterstützt und Informationen dazu verbreitet, aufgegriffen wurde. In den letzten Haushaltsverhandlungen 2018 wurden als politischer Kompromiss Mittel für ein „Kompetenzzentrum nachhaltige Vergabe“ eingestellt, mit denen das Umweltministerium nun diese Aufgabe angehen kann. Wenigstens dadurch erhofft sich das BEI, dass mehr Kommunen und das Land aktiv die Einhaltung von Umweltschutz und Menschenrechten entlang der Lieferkette in Ausschreibungen verankern. Hierbei werden allerdings wiederum die lokalen zivilgesellschaftlichen Akteure gefragt sein, sich in ihren Regionen und Kommunen dafür einzusetzen und nachzufragen, welche Kriterien bei der Vergabe von Steuergeldern herangezogen werden. Bei vielen Waren, die tagtäglich von öffentlichen Stellen eingekauft werden, findet die Produktion in Ländern des Globalen Südens statt - ob es der Kaffee und Lebensmittel oder die Dienst- und Berufsbekleidung, die Pflastersteine aus Asien und die IT-Geräte sind. Viele Anbieter und Initiativen zeigen hier seit Jahren auf, dass eine nachhaltige Produktion möglich ist - diese sollten von der öffentlichen Hand gefördert und bevorzugt eingekauft werden. Die Einhaltung von Menschenrechten sollte uns das wert sein.
Markus Schwarz
Experte für Nachhaltige Beschaffung, Fairen Handel und Unternehmensverantwortung beim Bündnis Eine Welt Schleswig-Holstein e.V.