(Gegenwind 362, November 2018)
Eine der jüngsten Kreistagsabgeordneten in Schleswig-Holstein ist Justine Schmidt von den Grünen im Kreis Plön. Dort ist die CDU mit 19 Sitzen stärkste Fraktion, gefolgt von der SPD mit 13 und den Grünen mit 11 Sitzen. FDP, UWG, Linke, KWG und AfD haben zwei oder drei Abgeordnete, zwei Abgeordnete sind fraktionslos.
Gegenwind:
Kannst Du Dich als erstes vorstellen?
Justine Schmidt:
Ich bin Justine Kathleen Schmidt. Ich bin 22 Jahre alt und absolviere meine Ausbildung in der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Schleswig-Holsteinischen Landtag. Nebenbei gehe ich zur Abend-schule. Seit Mai 2018 bin ich Kreistagsabgeordnete. Dort wurde ich von der Fraktion in den Ausschuss für Schule, Kultur und Sport sowie in die Trägergesellschaft Jobcenter und Verwaltungsrat Regionales Berufsbildungszentrum entsandt. Hier ist es mir besonders wichtig, „bürgernah” zu arbeiten. Ich möchte nicht nur an meinem Schreibtisch sitzen und mich durch Anträge graben, sondern auch mal praktisch hinter die Kulissen schauen.
Gegenwind:
Als Du in den Kreistag gewählt wurdest: Hattest Du damit gerechnet, mit Deinem Platz auf der Liste? Oder war es überraschend?
Justine Schmidt:
Es war für mich nicht so überraschend. Ich hatte eine große Fan-Gemeinde. In meiner Stadt Preetz habe ich täglich Wahlkampf betrieben. Meine Mutter war mir da eine große Hilfe, die hat alles gegeben. Ich bin regelmäßig mit ihr über den Wochenmarkt spaziert und wir haben auch Haustürwahlkampf betrieben, meine eigenen Flyer verteilt, mit einigen Geschäften wie dem Sonnen-studio, Cocktailbar oder unserem Bioladen Facebook-Aktionen gestartet, in denen sie für mich warben. Ich bin aber auch direkt zu den Bürgern gegangen und habe gefragt „Was gefällt euch hier nicht, was kann ich ändern?” und zusätzlich habe ich viel online geworben. Ich wollte einfach mal einen anderen Wahlkampf machen, etwas woran sich Menschen erinnern können. Ich brauchte 19,8 Prozent, um in den Kreistag zu kommen und es waren dann 19,8 Prozent - witzig, dass es genau hinkam!
Gegenwind:
Wie bist Du im Kreistag angekommen? Wie wurdest Du aufgenommen? Dort sind ja mehr Männer, und im Durchschnitt sind sie eher dreimal so alt wie Du.
Justine Schmidt:
Im Kreistag war es ein gemischtes Verhältnis. Viele waren verwundert und einige begeistert, dass ich diese Modernität zum Vorschein brachte. Als ich bei den Grünen im Januar antrat, war ich gerade Auszubildende geworden, frisch von der Schule weg. Man muss sich erst mal durch-setzen und das Selbstvertrauen haben gegenüber Jurist*innen, ehemaligen Bundestagskandidant*innen und anderen erfahrenen Persönlichkeiten. Dagegen musste ich mich erst mal behaupten. Das galt auch für meinen eigenen Ortsverband Preetz. Viele fahren gerne ihre Schiene und neue Ideen werden un-gern angenommen. Vor allem wenn jemand Junges auftaucht und von Digitalisierung und neuen Zielen spricht, gefällt es nicht allen. Aber es gab auch andere, die gerade das klasse fanden. Die gerade darauf gesetzt haben. Der Kreistag besteht fast nur aus älteren Menschen. Aber meine Fraktion meinte: wir brauchen auch junge Leute die sich einbringen und Modernität voraussetzen. Das hat mir viel Kraft gegeben, denn das war und bin ich nun mal: jung und modern.
Gegenwind:
Wie hast Du die Wahl des Kreispräsidenten erlebt? Das war ja im Kreis Plön relativ speziell, weil Werner Kalinka von der CDU gegen den Wunsch vieler anderer Abgeordneter antrat, und zwar in einer Menge Wahlgänge immer wieder...
Justine Schmidt:
Ich war vorher super gespannt auf die CDU. Ich dachte, es ist so eine große Partei, mit Angela Merkel an der Spitze im Bundestag. Und im Kreistag musste ich dann erleben: das ist wie im Kindergarten. Als wenn sich die Kinder wegen einer Schaufel schlagen und mit Sand bewerfen. Ich war enttäuscht.
Gegenwind:
Was ist denn aus Deiner Sicht passiert? Er ist ja Landtagsabgeordneter und war auch schon früher Kreispräsident.
Justine Schmidt:
Kalinka ist ja mehrfach als Kreispräsidenten angetreten und viermal gescheitert. Es wurde dann von der CDU zum Ausdruck gebracht, dass die neuen Kreistagsabgeordneten sich doch bitte fügen sollen und den Kandidaten der stärksten Fraktion, Herr Kalinka, wählen. Im Endeffekt sollte man also seine eigene Meinung preisgeben und das tun, was die CDU verlangt. Ich finde es aber gut, wenn man antritt. Verliert man einmal, ist das in Ordnung. Man kann es auch ein zweites Mal probieren. Aber muss man es zum dritten und vierten Mal probieren? Irgendwo muss man doch etwas Stolz besitzen und den bewahren wollen, oder?
Gegenwind:
Hat er Dir auch leidgetan?
Justine Schmidt:
Nein! Das ist eigene Schuld. Das liegt an seinem Verhalten.
Gegenwind:
Hast Du mitgekriegt, wie es in der CDU gelungen ist, die Kurve zu kriegen und für den fünften Wahlgang einen anderen Kandidaten zu präsentieren?
Justine Schmidt:
Ich denke, dass die CDU gar nicht die Kurve bekommen hat. Diese Partei musste den anderen Fraktionen einen wählbaren Kreistagspräsidenten stellen. Sie wussten, sie kommen so nicht weiter. Kalinka würde jedes Mal schlechter dastehen und der CDU weitere Schande bereiten. Somit hat die CDU Herrn Leyk gestellt, der dann auch gewählt wurde.
Gegenwind:
Warst Du damit zufriedener?
Justine Schmidt:
Nein. Herrn Leyk finde ich sehr nett, ich arbeite ja auch mit ihm in der Trägergesellschaft Jobcenter zusammen. Aber ich weiß auch, dass er die rechte Hand von Herrn Kalinka ist. Es ist im Grunde genommen egal, wen man jetzt gewählt hat. Die Stimme kommt trotzdem von hinten, von Herrn Kalinka.
Gegenwind:
Was sind im Kreistag die wichtigsten Themen? Was ist am Wichtigsten bei den Diskussionen und Beschlüssen? Der Kreistag kann ja keine Gesetze beschließen, sondern nur Gesetze ausführen.
Justine Schmidt:
Auf jeden Fall ist der Haushalt wichtig, das ist das A und O im Kreistag. Dann sind die Themen Digitalisierung, Bildung, Wohnen und Bauen, Umwelt sowie der Öffentliche Nahverkehr sehr wichtig. Am wichtigsten ist es, dass die Fraktionen anständig miteinander umgehen, arbeiten und sich einigen können.
Gegenwind:
Was sind Deine wichtigsten Themen im Kreistag?
Justine Schmidt:
Mein wichtigstes Thema ist Bildung. Besonders wichtig für mich sind Schulen, um ein faires Miteinander zu schaffen. Wichtig ist mir auch die Digitalisierung in Schulen. Wenn der Nachwuchs fit für die digitale Arbeitswelt der Zukunft werden soll, müssen auch Schulen ihren Unterricht anders gestalten.
Ein weiteres Thema ist das Jobcenter. Ich bin von der Fraktion in die Trägergesellschaft entsandt worden. Mir ist es hier besonders wichtig hinter die Kulissen zu schauen, um mich besonders gut auf die Tätigkeiten vorzubereiten. Darum habe ich mit dem Leiter des Jobcenters, Herrn Dürr, eine Hospitation vereinbart und am 2. Oktober einen ganzen Tag im Jobcenter Preetz verbracht. Einige Bürger*innen verurteilen das Jobcenter, andere sind wiederum dankbar diese Hilfe in Anspruch nehmen zu können. Es ist das Tabuthema der Gesellschaft, das ich mir näher anschauen wollte. Ein großes Thema war geflüchtete Menschen zu beschäftigen. Die Sachbearbeiter*innen versuchen geflüchtete Menschen zu motivieren, in Deutschkursen unterzubringen, Abschlüsse anzuerkennen und in Jobs oder Praktika zu vermitteln. Auf der anderen Seite durfte ich mir Eindrücke über Hartz-4-Empfänger*innen und Menschen verschaffen, die sich in der Situation befinden, bald Arbeitslosengeld II beantragen zu müssen. Hier werden Termine für Arbeitsuchende vereinbart, um Probleme zu besprechen, Hilfesuchen-den Leistungen zu gewähren oder um Berufsaussichten zu erläutern. Sie werden hier an die Hand genommen und resozialisiert. Hervorzuheben ist, dass die Arbeitslosigkeit von September 2017 bis September 2018 von 3077 Arbeitslosen auf 2732 sank. Das ist ein toller Fortschritt, an dem ich an-knüpfen möchte. Mein Ziel ist es, möglichst allen Jugendlichen das Absolvieren einer Berufsausbildung durch bessere Förderungen und Maßnahmen zu ermöglichen, sowie Verzögerungen der Antragsbearbeitungen zu minimieren und auch Konzepte für berufliche Integration von Alleinerziehenden zu verbessern.
Gegenwind:
In der Lokalpresse gab es auch Kritik an Dir. Traditionell, seit langen Jahren, kommen die Landfrauen in den Kreistag und übergeben eine Erntekrone. Und ein paar Abgeordnete waren nicht da, Du auch nicht, und Ihr wolltet auch nicht. Warum?
Justine Schmidt:
Es ist gut, was die Landfrauen leisten, das kritisiert niemand. Diese Übergabe findet nur für Landfrauen statt, aber nicht für andere Berufsgruppen. Da frage ich mich „Warum nicht?”. Andere leisten auch hervorragende Arbeit, die wir genauso ehren sollten. Dann sollen wir noch aufstehen und klatschen. Ich finde das albern, ich stehe nur beim Vaterunser auf, nicht für fremde Personen.
Gegenwind:
Und die Jahre alte Tradition?
Justine Schmidt:
Man muss nicht jede Tradition weiterführen, vor allem ist das erzwungen.
Gegenwind:
Wie sieht denn Dein Vorschlag aus?
Justine Schmidt:
Ich habe im Grundsatz damit kein Problem, dass die Erntekrone gefeiert werden soll. Der Wunsch wäre, dass die Übergabe in einer eigenen Feierstunde außerhalb der Kreistagssitzung vorgenommen wird. Ich finde es fraglich, dass allen Kreistagsabgeordneten so was aufs Auge ge-drückt wird. Dann sitzen müssen, zuhören müssen, dann aufstehen müssen, dann klatschen müssen.
Gegenwind:
Wie funktioniert es mit dem Zusammensitzen mit der AfD in einem Raum? Ihr habt ja eine Zwei-Mann-Fraktion der AfD und zusätzlich Frau Kaiser als Einzelabgeordnete der AfD, die letztes Mal fast rausgeflogen wäre, weil sie nicht auf den Präsidenten hören wollte.
Justine Schmidt:
Ich behandle alle Kreistagsabgeordneten mit Anstand, egal welche Parteizugehörigkeit vorliegt. Wenn mir jemand eine Frage stellt, der bekommt auch eine Antwort. Ansonsten schenke ich der AfD keine weitere Aufmerksamkeit und in diesem Interview auch keine weiteren Zeilen. Das wäre vergeudete Zeit.
Gegenwind:
Was möchtest Du am Ende der Wahlperiode erreicht haben? Was möchtest Du persönlich erreichen, was wollen Die Grünen erreichen?
Justine Schmidt:
Mir ist es wichtig, dass wir als Fraktion an einem Strang ziehen und gemeinsame Ideen entwickeln und Ziele umsetzen, besonders dass wir den Wohnungsmarkt vorantreiben. Ich möchte aber auch in der Bildung einiges auf die Beine gestellt haben und Schulen digitalisieren. Ein weiteres Ziel ist, möglichst allen Jugendlichen das Absolvieren einer Berufsausbildung durch bessere Förderungen und Maßnahmen im Jobcenter zu ermöglichen. Mir liegt es am Herzen, meine Ideen als Kreistags-abgeordnete zu verwirklichen, dafür kämpfe ich.
Jetzt kommt erst einmal ein Buchprojekt mit einem gemeinsamen Ortsverband auf mich zu.
Gegenwind:
Vielen Dank!
Interview: Reinhard Pohl