(Gegenwind 355, April 2018)
Anfang Februar saß ich zwei Wochen lang im Lübecker Knast. Ich war für den einen Tortenwurf auf Beatrix von Storch verurteilt worden und hatte mich dafür entschieden, die Geldstrafe abzusitzen. Ich bereue diese Entscheidungen nicht. Im Gegenteil: Ich würde es wieder tun. Es war spannend einen Einblick in den Knast zu bekommen. Auch deswegen, weil die Zahl links-politischer Gefangener so hoch ist, wie seit Jahren nicht mehr. Daher möchte ich in diesem Artikel nicht nur über meine Erlebnisse berichten, sondern ausgehend von diesen eine allgemeinere Kritik an Knästen formulieren.
Die Staatsanwaltschaft hatte es zuerst mit einem Strafbefehl über 800 Euro (20 Tagessätze a 40 Euro) versucht. Gegen diesen hatte ich Einspruch eingelegt - auch um den darauf folgenden Prozess als politische Bühne für AfD-Kritik nutzen zu können. Beim Prozess konnte ich - mit Hilfe von Laienverteidigung - erwirken, dass meine Strafe auf 150 Euro (15 Tagessätze à 10 Euro) gesenkt wurde. Verurteilt wurde ich, weil der Tortenwurf laut Gericht eine „symbolische Missachtung von Frau von Storch” war und daher eine Beleidigung darstellte.
Bei Tagessätzen gibt es mehrere Möglichkeiten zu reagieren: Bezahlen, in Sozialstunden umwandeln lassen oder - wie ich - so lange nicht bezahlen, bis man eine Ersatzfreiheitsstrafe bekommt. Jeder Tagessatz ist ein Tag Knast. Auch Mischformen sind möglich: Also ein paar Tage absitzen und den Rest der Strafe zahlen, selbst wenn die Haft schon begonnen hat. Als kleiner Tipp: Angezahlte Tage dürfen nicht mehr vollstreckt werden, 1 Cent genügt dafür.
In meinem Umfeld landen immer mal wieder Menschen aus politischen Gründen in Haft. Dadurch war das Thema Knast präsent in meinem Leben und ich hatte schon theoretische Texte dazu gelesen. Solche Analysen sind wertvoll, aber ich wollte meine Kritik mit praktischer Erfahrung abgleichen. Daher hatte ich schon länger mit dem Gedanken gespielt bei einem Tagessatz-Urteil in den Knast zu gehen. Beim Tortenwurf-Prozess waren die Umstände günstig.
Die symbolische Bedeutung passte: Es ging darum zu zeigen, dass der Staat soweit geht, Menschen für kreative Proteste gegen die AfD und deren rassistische, sexistische und homophobe Politik einzusperren. Jetzt könnte man entgegnen, dass ich selbst mich durch meine Entscheidung in den Knast gebracht habe. Damit leugnet man, dass Knast nur dadurch funktionieren kann, dass es Menschen gibt, die aus „Erfüllung ihrer beruflichen Pflicht” heraus Strafen vollstrecken und die Türen der Gefängnisse geschlossen halten.
Es war eine gute Gelegenheit auf die Absurdität von Knästen hin zu weisen. Wenn man für so etwas absurdes wie einen Tortenwurf in den Knast kommt, dann fällt vielleicht auf, dass andere Haftgründe nicht weniger absurd sind. Da wären zum Beispiel Menschen, die nur ihr Bedürfnis nach Bewegungsfreiheit ausleben und dafür eingesperrt werden, dass sie gegen die Residenzpflicht verstoßen, „illegal” Grenzen überquerten oder aber einfach nur ohne Fahrkarte Zug gefahren sind.
Strafe und Knäste sind nicht dazu geeignet gesellschaftliche Konflikte zu lösen. Denn die Ursachen für „Kriminalität” werden nicht angegangen. Um beim Beispiel des Fahrens ohne Ticket zu bleiben: Wer vorher das Geld für ein Zugticket nicht hatte, wird es auch danach nicht haben. Stattdessen droht die Gefahr, dass Menschen bei einem längeren Knastaufenthalt ihren Job oder ihre Wohnung verlieren und sich danach in einer noch präkereren Situation als vorher befinden.
Ich bin aus einer unglaublich privilegierten Situation heraus in den Knast gegangen. Im Gegensatz zu den meisten Häftlingen hätte ich im Notfall jeder Zeit das Geld zahlen können und hatte solidarische Menschen im Rücken. Die meisten Gefangenen hingegen befinden sich schon vor ihrem Haftaufenthalt am Rande der Gesellschaft. Menschen mit Geld und gesellschaftlicher Macht landen deutlich seltener im Knast, weil sie gute Anwält*innen bezahlen können, der Anreiz für bestimmte Straftaten wie Diebstahl oder Schwarzfahren meist komplett fehlt und höhere Tagessätze problemlos bezahlt werden können. Dadurch hilft Knast dabei die bestehende Gesellschaftsordnung inklusive ihrer hierarchischen Struktur aufrecht zu erhalten.
Trotz meiner Privilegien war ich durch den drohenden Knast-Aufenthalt ziemlich angespannt. Knast be-ginnt nicht erst in dem Moment, in dem die Zellentür hinter einem zuschlägt. Seitdem der Gerichtsprozess vorbei war, wartete ich darauf, den Brief mit dem Haftantrittstermin zu bekommen. Klar, ein grober Zeitraum war absehbar, aber letztendlich war es Zufall, dass der Knast-Aufenthalt sich genau zwischen Vorlesungsende und den Beginn der Prüfungen quetschen ließ.
Als dann im Januar der Termin feststand, war ich froh, dass ich von Knast-erfahrenen Freund*innen unterstützt wurde, die mir letzte meine Fragen beantworten konnten. Solltet ihr jemals über einen Haftaufenthalt nachdenken, dann sucht euch Unterstützung. Es fallen immer organisatorische Aufgaben an, die ihr aus dem Knast heraus nicht selbst erledigen könnt. Beim Haftantritt selbst war es unglaublich bestärkend von den Rufen solidarischer Genoss*innen begleitet zu werden: „Wir sind nicht alle, es fehlen die Gefangenen!”
Meine Haft an sich war wenig spektakulär. Die ersten Tage gingen schnell rum, weil sie mit allem möglichen Aufnahme-Prozeduren gefüllt waren. Natürlich hatte ich versucht alle möglichen Gegenstände mit rein zu nehmen - die meisten wurden mir aus fadenscheinigen Gründen (Drogenschmuggel und Verletzungsgefahr) abgenommen. Danach wurde es monotoner. Beim Blick aus dem Fenster sah ich nichts als Stacheldraht, Überwachungskameras und hohe Mauern. Mein Tag war strikt durch strukturiert. Es gab feste Essenszeiten, täglich eine Stunde Hofgang und eine Stunde Sport. Kritisches Hinterfragen wurde einem gezielt ab trainiert. Fragte ich bei Maßnahmen nach einer Begründung wurde wahlweise mit Strafen gedroht oder es hieß von der Wärterin: „Weil ich das sage.”
Nach einer Woche wurde ich vom geschlossenen in den offenen Vollzug verlegt. Dort waren Macht und Kontrolle subtiler. In der JVA Lübeck ist man in einem hübschen Reihenhaus mit Ententeich und Grill im Garten untergebracht. Die Zellentüren sind immer offen und mit den Wärter*innen hat man kaum Kontakt. Der Zaun vorm Fenster ist unglaublich niedrig. Das war für mich aus psychischer Sicht deutlich anstrengender, da ich mich nun selbst zwingen musste nicht über den Zaun zu klettern. So wurde die Kontrolle von außen in meinen Kopf verlagert.
Rückblickend hat meine Haft für mich nicht viel verändert. Ich finde Knäste nach wie vor scheiße und denke, dass niemand im Knast landen sollte.
Innerhalb der linken Szene ist man sich schnell einig, dass links-politische Gefangene nicht in den Knast gehören. Auch bei Kleinstdelikten wie Schwarzfahren und Diebstahl findet man schnell Zustimmung, wenn man deren Freilassung fordert. Aber spätestens bei Nazis und Mörder*innen hört diese Zustimmung auf. Dabei wäre es gerade an dieser Stelle besonders wichtig, den emanzipatorischen Ansatz konsequent beizubehalten. Schaut man sich nämlich Kriminalitäts-Studien sieht man, dass höhere Strafen in der Tendenz dazu führen, dass Menschen die gleiche Straftat nochmal begehen. Wenn das Ziel also wirklich - wie bei Gefängnisstrafen so oft behauptet wird - die Reduzierung von Gewalt ist, dann kann einsperren keine Lösung sein erreicht Einsperren sein Ziel nicht.
Gerade Mord entsteht oft aus einer konkreten Situation heraus. Die Wiederholungswahrscheinlichkeit geht gegen null. Vor 20 Jahren war der klassische Mordfall im Frauenknast bspw. die Ehefrau, die jahrelang von ihrem Mann misshandelt wurde und keinen anderen Weg mehr sah aus dieser Situation zu entkommen.
Bei Nazis wäre es fatal, wenn man diese zusammen mit anderen Nazis isoliert. Genau das machen die sie ja selbst schon in Provinz-Dörfern und Internetforen - werden Nazis nicht mehr damit konfrontiert, wie menschenverachtend ihre Meinungen sind, steigern sie sich immer mehr in ihre Ideologien rein. Im Knast können sieht man sich ja täglich.
Ich behaupte nicht, dass es keine Gewalt mehr gibt, wenn man alle Häftlinge frei lässt. Aber auch eine Reduktion der bestehenden Gewalt wäre schon ein Fortschritt, und dies ließe sich durch die Abschaffung sämtlicher Knäste erreichen. Doch bis dahin:
Klar, am liebsten wäre es mir, wenn alle Gefangenen einfach frei gelassen werden. Aber so lange es Knäste gibt sollten politische Aktivist*innen sich öfter dafür entscheiden Tagessätze abzusitzen. Alleine finanziell lohnt sich das: Bei einem Gefängnis-Aufenthalt zahlt der Staat ordentlich drauf, anstatt sich von unseren Soli-Geldern mästen zu lassen. Für mich musste der Staat knapp 2.000 Euro bezahlen, und das bei 150 Euro Strafe.
Bei Tagessätzen hat man immer eine Notfall-Reißleine - denn es ist jeder Zeit möglich den Rest der Strafe zu zahlen oder sogar von vornherein zu planen, dass man nur wenige Tage reingeht. Ein Knast-Aufenthalt hilft dabei auszutarieren, welche Repressions-Risiken man bei politischen Aktionen eingehen will.
Aktivist*innen haben zudem oft mehr öffentliche Aufmerksamkeit als die üblichen Häftlinge. Diese kann man gezielt nutzen, um auf Missstände aufmerksam zu machen. Im Knast selbst kann man Widerständigkeit stärken und z.B. Flyer von der Gefangenen-Gewerkschaft verteilen.
Die Kämpfe im Knast benötigen Unterstützung von außen. Ich selbst möchte meine Knast-Erfahrungen nutzen, um diesen Sommer auf Anti-Knast-Vorträge zu machen halten. Lasst uns darüber reden, wie wir gemeinsam mit Inhaftierten kämpfen können und wie eine Welt ohne Knäste aussehen kann! Schreibt mir gerne, wenn ihr mich für einen Vortrag einladen möchtet: julia-pie@riseup.net
Auf meinem Blog habe ich darüber geschrieben, was ich im Knast erlebt habe: subtilus.blogsport.de/anarchist-black-cross/tortenwerferin-im-knast/
Julia Pie