(Gegenwind 354, März 2018)

Auftaktveranstaltung in Kiel zum Integrationsgesetz

Das Land will ein „Integrationsgesetz”

Auftaktveranstaltung in Kiel

Der Innenminister war da, der Ministerpräsident grüßte per Video, weil er bei Koalitionsverhandlungen in Berlin gebraucht wurde. Rund 150 Besucherinnen und Besucher waren gekommen, alle in irgendeiner Funktion oder in einer Position tätig, die mit Integration oder Migration zu tun hat. Es geht um ein Projekt der Landesregierung: Man will die Integration von Migrantinnen und Migranten fördern, ihre Teilhabe an der Gesellschaft ermöglichen, und dazu soll ein Gesetz geschaffen werden.

Klar ist: Einwanderung, Asylverfahren, Aufenthaltsrecht und Einbürgerungsrecht liegen in der Kompetenz des Bundes. Zwar gibt es eine konkurrierende Gesetzgebung, aber wenn der Bund seine Möglichkeiten nutzt, und das tut er, haben die Länder wenig zu entscheiden. Allerdings müssen die Länder, dazu gehört auch Schleswig-Holstein, das Bundesrecht umsetzen. Für Ermessensentscheidungen geben die Länder zumindest Leitplanken vor, innerhalb derer sich die Entscheidungen von Ausländerbehörden und anderen Behörden bewegen - ermessensleitende Hinweise oder so genannt. Auch unklare Rechtsbegriffe werden gelegentlich durch Erlasse des Landes konkretisiert und interpretiert.

Da ist der Gedanke logisch, gerade jetzt Strukturen und Akteure bei der Integration in einem Gesetz festzulegen.

Teilhabe

Integration besteht darin, dass alle, Einheimische wie Einwanderer, an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens teilhaben sollen, wenn sie dies möchten. Natürlich möchten einige sich nicht politisch betätigen, andere hassen Sport, es gibt auch solche, denen keine Religion zusagt - kein Problem. Aber alle sollten vergleichbare Chancen haben.

Das schließt ein, dass es sich um ein Gesetz für alle handelt.

Längst nicht alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens lassen sich gesetzlich regeln. So kann ein solches Gesetz den Zugang zu Sprachkursen und Nachhilfeunterricht regeln. Erwünscht ist aber auch eine gute Nachbarschaft, hier kann die Landesregierung aber nicht gesetzlich vorschreiben, wer zur Grillparty im Garten eingeladen wird und wer nicht. Allerdings kann eine Gemeinde, die für ein Straßenfest die Absperrungen organisieren soll, dafür sorgen, dass niemand ausgeschlossen wird.

Zeitplan

Die Landesregierung hat bereits im Herbst 2017 „Expertengespräche” geführt. Im Dezember 2017 hat das Kabinett beraten. Dabei wurde beschlossen, ein „Artikelgesetz” zu entwerfen. Im ersten Artikel wird dann ein ausformuliertes Integrationsgesetz beschlossen. In den weiteren Artikeln werden andere Gesetze geändert, um sie den neuen Bedingungen anzupassen, also das Schulgesetz oder das Kita-Gesetz, das Gesetz über den Flüchtlingsbeauftragten oder das Bildungsurlaubs-Gesetz.

Zunächst soll es aber eine öffentliche Diskussion geben. Am 31. Januar ging es bei der landesweiten Auftaktveranstaltung um die Wünsche und Ideen von Wohlfahrtsverbänden, Beratungsstellen, Vereinen und Migrantenorganisationen. Dem sollen sich im Februar bis Juni thematische Veranstaltungen an einzelnen Orten verteilt über das Land anschließen, wo über Schule und Hochschule, den ländlichen Raum und Partizipationsgremien, die Verwaltung, die Ausbildung und Arbeit, Gesundheit und Pflege, die Aufnahme von Migrantinnen und Migranten, die Bekämpfung der Diskriminierung oder auch die Organisation der Verwaltung diskutiert wird.

Im Herbst will die Regierung über einen Entwurf diskutieren, der Ende des Jahres im Kabinett besprochen wird. Bis zum März 2019 soll es eine Anhörung dazu geben, die soll voraussichtlich nicht nur konventionell, durch Anschreiben an Verbände, stattfinden, sondern auch für alle online zugänglich sein.

Bis Mai 2019 will die Regierung dann alle Kritik und alle Vorschläge sichten und eventuell auch berücksichtigen, so dass dann ein fertiger Entwurf dem Landtag zugeleitet wird. Und dort dauert es nochmal ein paar Monate, alles zu diskutieren, zu verändern und abzustimmen - die Regierung rechnet damit, dass das Parlament das Gesetz bis zum Jahresende verabschiedet, so dass es zum 1. Januar 2020 in Kraft treten kann.

Koordiniert wird der gesamte Prozess von einer Gruppen von Staatssekretärinnen und Staatssekretären aus allen Ministerien, die Arbeitsgruppe wird von Torsten Geerdts aus dem Innenministerium geleitet - der ist vor allem für den Bereich „Integration” zuständig.

Zweck des Gesetzes

An wen richtet sich das Gesetz? Bei den bisherigen Integrationsgesetzen der Länder (Berlin, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Bayern) ist es verschieden. In Bayern wendet sich das Gesetz nur an Ausländerinnen und Ausländern und gibt ihnen ihre Pflichten vor, sich an Regeln und Kultur in Bayern anzupassen. Die anderen drei Gesetze wenden sich an alle Menschen, die im Bundesland leben.

Auch für Schleswig-Holstein wäre es sinnvoll, die Teilhabe und Integration für alle Menschen zu regeln, dabei auch die möglichen Beiträge für ein friedliches Zusammenleben für alle Einwohnerinnen und Einwohner des Landes zu nennen.

Bei der Auftaktveranstaltung kündigte die Landesregierung ein „Integrations- und Teilhabegesetz” an. Einige fragten, ob es sich nicht besser um ein „Teilhabe- und Integrationsgesetz” handeln sollte.

Ziele

Im Gesetz könnten auch Ziele genannt werden. Ein Beispiel: Wenn Migrantinnen und Migranten gleichen Zugang zum Öffentlichen Dienst haben sollen, müsste der ungefähr so zusammengesetzt sein wie die Gesamtbevölkerung. Wenn es gleichen Zugang für alle zu den Einrichtungen des Sozialstaates geben soll, müssten dort kostenlose Dolmetscherinnen und Dolmetscher zur Verfügung stehen - sonst gibt es keinen gleichberechtigten Zugang.

Im Gesetz kann man regeln, ob man etwas „anstrebt” oder Quoten festlegt: Es gibt jetzt zum Beispiel eine „Behindertenquote”, und Betriebe, die diese nicht erfüllen, müssen eine „Behindertenabgabe” bezahlen. Es könnte auch Förderprogramme geben, solange es eine Benachteiligung gibt.

Begriffsbestimmung

In einem Integrationsgesetz (oder Teilhabegesetz) geht es um Einheimische und MigrantInnen. Doch wer ist einheimisch? Wer ist Migrantin? Dazu gibt es verschiedene Definitionen, die von einer Staatsangehörigkeit oder der der Eltern ausgehen. Wer mindestens einen Elternteil hat, der mit ausländischer Staatsangehörigkeit geboren wurde, ist Migrantin oder Migrant, heißt es zum Beispiel in einigen Definitionen, nach denen dann Statistiken erstellt werden.

Aber die Betroffenen sind nicht immer damit einverstanden. Es gibt hier geborene Menschen, deren Eltern eingewandert sind, die sich selbst als Teil der Community ihrer Eltern sehen. Und es gibt andere, die sehen einen Elternteil als „migrantisch” an, sich selbst aber als einheimisch. Sollte man es den Menschen selbst überlassen, sich für die Zugehörigkeit zu einer Bevölkerungsgruppe zu entscheiden? Die Verfassung von Schleswig-Holstein legt das in Artikel 6 nahe: Danach entscheidet jede und jeder selbst, Mitglied einer (nationalen) Minderheit oder der nationalen Mehrheit zu sein. Das ist eine Möglichkeit, mit der wir Schleswig-Holsteiner seit langem gut leben.

Teilhabe

Die Teilhabe ist ein weiter Bereich, der so oder so organisiert werden kann. Natürlich dürfen auch ausländische Eltern für den Elternbeirat kandidieren, ausländische Arbeitnehmer für den Betriebsrat. Nur wenn Sprachkenntnisse und Informationen fehlen, funktioniert das trotz eines formellen Rechts nicht.

Andererseits gibt es „Partizipationsgremien”, Runde Tische und Foren. Dort werden Informationen geteilt, Forderungen entwickelt, teilweise werden diese Gremien auch mit Rechten versehen: Sie können in der Ratsversammlung reden oder auch an Ausschuss-Sitzungen teilnehmen. Aber hier werden Migrantinnen und Migranten auch separiert, sie nehmen eben nicht teil an den „normalen” Gremien, sondern haben einen eigenen Ausschuss.

Vielleicht ist das für eine Übergangszeit die beste Möglichkeit, ein Integrationsgesetz sollte solchen Gremien aber vor allem klare Rechte geben.

Integrationsbeirat

Es könnte auch ein solches Gremium auf Landesebene eingerichtet werden. Es gab ja in den 90er Jahren einen „Runden Tisch”, der sich alle sechs Monate im Innenministerium traf. Hier trafen sich Migrantenselbstorganisationen, Wohlfahrtsverbände und andere Akteure mit Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Ministerien und Behörden.

Ein solches Gremium könnte auch als „Dachverband” der örtlichen Runden Tische oder Foren fungieren, vielleicht auch die Gründung solcher Gremien in den Landkreisen anstoßen, wo es sie heute noch meistens nicht gibt. Es lohnt sich aber nur, wenn solche Gremien nicht nur klare Rechte haben, sondern auch finanzielle Mittel, um den Mitgliedern Unkosten zu ersetzen, um die eigene Öffentlichkeitsarbeit zu finanzieren und anderes mehr.

Interkulturelle Öffnung

Quer durch alle Bereiche ist das Problem, dass niedrigschwellige Angebote meistens eine hohe Schwelle für Einwanderer haben: Die Sprache. Weder die Erziehungsberatung noch die Schwangerschaftsberatung oder die Schuldenberatung bieten gedolmetschte Beratung an. Die gibt es erst nach Straftaten oder bei einer stationären Aufnahme - und hier, bei den besonders teuren Interventionen, sind MigrantInnen deshalb weit überrepräsentiert.

Das Gesetz sollte festlegen, wie eine von allen angestrebte „Öffnung” praktisch funktionieren kann. Es muss klar werden, was „interkulturelle Kompetenz” ist, wie sie bei Einstellungen oder Beförderungen bewertet wird, sich Fortbildung also auch auszahlt, nicht nur zu einer (ungeliebten) Pflicht erklärt wird. Punktesysteme oder Quoten werden immer diskutiert, diese Diskussion wird auch in der Entstehungsgeschichte dieses Gesetzesvorhabens eine Rolle spielen.

Integrationsbeauftragte

Wir haben im Land, in den Kreisen und kreisfreien Städten, in den Ämtern und Gemeinden ein buntes Gemisch von Flüchtlingsbeauftragen, Integrationskoordinatoren, Ausländerbeauftragten und vieles mehr. Vielleicht kann das neue Gesetz eine verlässliche Struktur schaffen, die dann netzartig im ganzen Land zusammen arbeitet. Gerade Einwanderer hoffen auch oft auf eine einheitliche Bezeichnung, damit sie vor Ort die Ansprechpersonen schneller finden.

Bisher sind die „Koordinierungsstelle für eine integrationsorientierte Aufnahme” bei allen Kreisen angesiedelt, aber an unterschiedlichen Stellen und mit unterschiedlichen Aufgaben. Sie sind in der Regel 2016 geschaffen worden und sind für Flüchtlinge zuständig. Es gibt aber auch andere Stellen wie das „Referat für Migration” in Kiel, das schon älter ist und in der Anfangszeit gerade für Einwohner mit unsicherem Aufenthaltsstatus (also AsylantragstellerInnen im Verfahren) nicht zuständig war. Sinnvoll wäre es, wenn alle Stellen für das gesamte Spektrum der Teilhabe zuständig wären, also für einheimische und eingewanderte Menschen.

Integrationszentren

Sinnvoll wäre es auch, bestimmte Einrichtungen in einem Haus zu haben: Ausländerbehörde, Beratungsstelle, Deutschkursträger und Kita, dazu das Jobcenter. Dazu könnten Büroräume und Veranstaltungsräume für Vereine und Initiativen kommen.

Solche Integrationszentren will das Land vermutlich nicht schaffen: Wenn sie als Pflicht der Kreise und kreisfreien Städte im Gesetz auftauchen, müsste das Land sie auch bezahlen. Aber es gäbe die Möglichkeit, solche Integrationszentren als wünschenswert ins Gesetz zu schreiben und auf Landesebene einen Fonds einzurichten, aus dem sie bei freiwilliger Einrichtung gefördert werden könnten. Für Einwanderer wäre es einfacher, alle unter einem Dach vorzufinden.

Rechte für MigrantInnen?

Es gibt für verschiedene MigrantInnen sehr verschiedene Rechte. Vieles entscheidet sich am Status, es gibt ja (ausländische) EhepartnerInnen, StudentInnen, Flüchtlinge, Besucher, Menschen ohne Papiere... Ein Gesetz wie das geplante Integrationsgesetz könnte eine Linie nach unten einziehen: Alle sollten ein Recht auf Beratung, Zugang zu Einrichtungen, Recht auf Dolmetscherin oder Dolmetscher haben. Nur mit solchen Grundrechte kann man für andere Rechte kämpfen, denn die Information und der Zugang sind Voraussetzung für alles Weitere.

Bei einigen Grundrechten ist es auch sinnvoll, sie auf gesetzlicher Basis ohne Kontrollen zu geben, das gilt ja jetzt bereits für den Zugang zu Schulen für Kinder oder teils auch beim Zugang zu einer Notfall-Behandlung.

Diskriminierung

Jede Teilhabe kann scheitern, wenn es Diskriminierung gibt. Diese äußert sich, Beispiel Discothek, nicht nur in der Zurückweisung von Jungs mit schwarzen Haaren durch den Türsteher. Diese äußert sich auch darin, dass bestimmte Gruppen von MigrantInnen zu bestimmten Einrichtungen gar nicht mehr hingehen, weil sie Diskriminierung vermuten und deshalb resignieren.

Auch hier muss es klare Rechte, vor allem aber Informationen in einer verständlichen Sprache geben. Außerdem muss das Integrationsgesetz die Frage beantworten, ob es die Einschränkungen des Diskriminierungsschutzes aus dem AGG toleriert: Die Diskriminierung ist nur verboten, wenn sie wegen der dort aufgezählten Kriterien erfolgt.

Es gibt ja schon Einrichtungen in Schleswig-Holstein, die hier unterstützen, sie müssten nur ausreichende Ressourcen haben, um landesweit vergleichbare Hilfe anbieten zu können.

Religionen

Mehrere Jahre lang hat die Landesregierung mit muslimischen und alevitischen Organisationen verhandelt, um zu einem Staatsvertrag zu kommen. Diese Staatsverträge existieren mit einigen christlichen Kirchen und jüdischen Gemeinden bereits. Die Verhandlungen wurden von der letzten Regierung, der rot-grün-blauen, ergebnislos abgebrochen.

Ein Teilhabegesetz müsste auch klären, wie die Zusammenarbeit des Staates mit unterschiedlichen Religionen läuft, sowohl mit deren Organisationen als auch mit nicht Organisierten und religionslosen Einwohnerinnen und Einwohnern des Landes.

Integrationspauschale

Das Land zahlt den Gemeinden einen Pauschalbetrag pro Flüchtling, der ihnen zugeteilt wird. Es gibt allerdings zwei Probleme: Der Flüchtling selbst kann nach der Anerkennung umziehen, die Pauschale bleibt bei der Gemeinde. Und niemand kontrolliert, ob das Geld wirklich für die Integration ausgegeben wird.

Besser wäre es sicherlich, eine Pauschale pro Migrantin oder Migrant zu geben, z.B. alle drei Monate nach den tatsächlichen Zahlen. Dann wäre das Geld immer da, wo es auch gebraucht wird. Und es sollte ein Minimum an Bestimmungen geben, wofür das Geld verwendet werden darf und wofür nicht.

Erfolge messen

Im Gesetz sollte es nicht nur klare Ziele geben, sondern diese müssen auch gemessen werden. Es muss also eine Berichtspflicht geben, die vor allem die Landesregierung betrifft, aber auch die Kommunen, die zuarbeiten müssten.

Dabei sollte man bedenken: Gerade in der Polizei, bei den Lehrerinnen und Lehrern, in den Behörden kann man nicht von heute auf morgen 15 % MitarbeiterInnen (und Chefs) mit Migrationshintergrund haben. Die Ausbildung dauert, im ersten Schritt geht es eher um eine entsprechende Berufsberatung an den Schulen.

Aber dennoch sollte es nicht nur abstrakte, sondern auch konkrete Ziele geben. Und die Landesregierung sollte zu einem Mindestmaß an Rechenschaft über Fortschritte verpflichtet werden.

Auftaktveranstaltung

Bei der Auftaktveranstaltung hörten wir natürlich zuerst schöne Reden vom Innenminister und einem Migrationsforscher, außerdem gab es lustige Filme von einem integrationswilligen syrischen Filmemacher.

Anschließend wurden zu verschiedenen Themenfeldern Ideen gesammelt, aber wenig diskutiert. Die Landesregierung und ihre Vertreterinnen und Vertreter sagten auch nicht genau, was sie mit den Ideen machen würden. Das wird man also sehen.

Im Februar sollten die thematischen Veranstaltungen starten. Einladungen wurde bis zum Redaktionsschluss dieses Hefts noch nicht verschickt.

Reinhard Pohl

Veranstaltung zum Integrationsgesetz: 25. April, 18.30 Uhr, Elmshorn. Referent: Torsten Geerdts. Veranstalter: Einwandererbund e.V., www.ewbund.de

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