(Gegenwind 351, Dezember 2017)

Sarah Amer

„Das Zusammenleben wird besser”

Interview mit Sarah Amer, Lehrerin bei „New Ways for Newcomers”

Gegenwind:

Können Sie sich zuerst vorstellen?

Sarah Amer:

Ich bin Sarah Amer, ich bin 23 Jahre alt. Ich komme aus Syrien. Ich bin seit zweieinhalb Jahren in Deutschland.

Gegenwind:

Sind Sie alleine hergekommen? Oder zusammen mit Familienangehörigen?

Sarah Amer:

Nein, ich bin alleine gekommen.

Gegenwind:

Wie sind Sie hergekommen?

Sarah Amer:

So wie alle. Es war schwer. Erst mit dem Schiff, dann bin ich gelaufen.

Gegenwind:

Haben Sie Asyl beantragt und bekommen?

Sarah Amer:

Nach eineinhalb Monaten habe ich das bekommen. Ich habe eine Aufenthaltserlaubnis für drei Jahre und einen blauen Pass.

Gegenwind:

Wie haben Sie das Projekt "New Ways for Newcomers" kennen gelernt?

Sarah Amer:

Es hat angefangen, als ich den B2-Kurs gemacht habe in der ZBBS. Mein Lehrer hat uns Vorschläge gemacht, er macht auch Filme. Und er fragte, wer mitmachen will, ich habe gesagt, dass ich das gerne machen will. So hat es angefangen mit kurzen Filmen. Ich musste die Texte für die Filme auf Arabisch machen. Sie heißen "Gebrauchsanleitung für Deutschland" und sind bei YouTube. Und dann hat mich ein Freund, Ehsan, angerufen und hat gefragt, ob ich Interesse habe, beim neuen Projekt mitzumachen. Es waren acht Termine, da müssen wir selbst zur Schule gehen, und dann sind wir Lehrerinnen und können selbst Unterricht machen.

Gegenwind:

Weshalb haben Sie sich entschlossen, da mitzumachen? Sie sollen damit ja Flüchtlingen, die neu nach Deutschland kommen, erklären wie alles funktioniert.

Sarah Amer:

Ja, und was für Rechte sie hier haben - nicht nur für Flüchtlinge, sondern welche Rechte die Menschen in Deutschland haben. Und auch erklären, wie das System hier ist. Wir hatten gerade Probeunterricht, und ich musste ein Thema unterrichten. Mein Thema war das Busfahren, zum Beispiel, warum muss man hier in Kiel immer in der ersten Tür einsteigen und nicht in die zweite Tür. Es ist wichtig für uns, dass wir wissen, wie das hier funktioniert.

Gegenwind:

Welche Probleme haben Ihre Landsleute oder Menschen aus anderen arabischen Ländern denn? Welche Informationen fehlen?

Sarah Amer:

Eigentlich ist alles wichtig. Deutschland ist ganz anders als Syrien. Das System, die Rechte, einfach alles. Schon das Busfahren ist ganz anders als in Syrien.

Gegenwind:

Haben Sie hier in Deutschland Fehler gemacht, als Sie neu waren?

Sarah Amer:

Ja, natürlich, es gab viele Sachen. Ich hatte schon Probleme mit der Fahrkarte. Ich wusste nicht, wo man die kauft. In Syrien steige ich ein und bezahle, oder es gibt so kleine Karten. Aber es gibt auch kleine Busse, da bezahlt man direkt. Und als ich neu war, war ich im Sophienhof. Da gab es ein paar junge Leute, da sagte mir einer, er hat keinen Ausweis, und er wollte ein Spiel für die Play Station, kannst Du das für mich kaufen? Ich habe gesagt, das mache ich gerne. Ich habe es gekauft. Und dann habe ich gesehen, es ist nur für Leute über 18 Jahre. Ich wusste nicht, dass man sowas nicht machen darf. Ich habe es später einem Freund von mir erzählt, und er sagte, das ist falsch, die durften das nicht haben, und Du solltest das nicht für die kaufen. Es wäre gut gewesen, wenn ich das vorher gewusst hätte. Man kann auch Probleme bekommen, wenn man solche Fehler macht. Es gibt auch manchmal junge Leute, die fragen, hast Du eine Zigarette. Ich wusste nicht, dass man hier fragen soll: Kannst Du mir Deinen Ausweis zeigen? Und es ist wichtig, wie wir laufen. Wenn die Ampel rot ist, bleibt man hier stehen. Und man läuft nicht einfach weiter. In Syrien kann man überall und immer laufen.

In Syrien war es auch ein gutes Gefühl, etwas anders zu machen. Da kommt ein Auto, deshalb laufen wir schnell noch vorher über die Straße. Aber das ist für unsere Sicherheit auch nicht gut. Wir hatten ein gutes Gefühl, denn Syrien ist ein diktatorisches Land. Wenn man so etwas macht, etwas anderes als das was man muss, haben wir das Gefühl, wir sind stark, wir machen etwas anders als die Diktatur das will. Aber hier ist das falsch.

Gegenwind:

Haben Sie Kontakt mit Leuten aus Jemen oder Irak?

Sarah Amer:

Ja, das habe ich.

Gegenwind:

Gibt es Unterschiede zu denen, die aus Syrien kommen?

Sarah Amer:

Ja. Mit jemenitischen Leuten habe ich nicht viel Kontakt, aber ich habe auch mal einen Kurs gemacht über Grundrechte. Und ich denke, die Syrer sind ein bisschen offener. Die aus dem Jemen sind traditioneller. Zum Irak gibt es auch Unterschiede, aber es kommt darauf an, aus welcher Stadt die Leute kommen. Aber es gibt viele Unterschiede.

Gegenwind:

Kann man solche Kurse entwerfen, die dann für alle geeignet sind? Oder muss man für jedes Land, für Syrien, Irak oder Jemen, eigene Kurse machen?

Sarah Amer:

Nein. Die Leute sind alle Araber. Für die Sprache heißt das, es ist die Gleiche. Und zweitens haben wir oft die gleichen Probleme, bei den Rechten, bei der Politik, beim System. Im Irak gibt es ja auch keine Demokratie. Aber es ist die Aufgabe für mich als Lehrerin, zu wissen, welche Schüler aus dem Irak und welche aus Syrien kommen. Ich muss als Lehrerin nicht nur die Information haben, ich muss auch wissen, wie ich sie weitergebe. Ich muss auch die Religion kennen, denn wenn es um Rechte geht, kommen politisches System und Religion zusammen.

Gegenwind:

Welche Unterschiede sind sonst noch wichtig? Ist es wichtig, ob die Flüchtlingen Christen oder Muslime sind? Ob sie Araber oder Kurden sind?

Sarah Amer:

Ja, das ist wichtig, da gibt es viele Unterschiede. In Syrien gab es viele Christen, in jeder Stadt, in jedem Ort gab es eine Kirche. Und in der Schule gab es überall Religionsunterricht. Auch wenn nur eine Schülerin christlich ist, kommt eine Lehrerin. Und die Christen waren immer ein bisschen anders, es gibt Unterschiede, und die muss man als Lehrerin kennen. Und bei Kurden und Arabern sind die Unterschiede oft sehr groß. Die Menschen sind gleich, aber sie haben andere Ziele. Manchmal ist es kompliziert, wenn Kurden und Araber zusammen sind, das finde ich schade.

Gegenwind:

Als Sie ankamen, lebten Sie da in der Unterkunft in Neumünster?

Sarah Amer:

Ja, aber nur eine Woche und fünf Tage.

Gegenwind:

Gab es da Angebote? Gab es Kurse? Welche Kurse sollte es geben?

Sarah Amer:

Es gab eine Lehrerin, die Ruben heißt, sie kam jeden Tag und gab uns Unterricht in Deutsch. Das war sehr gut und sehr wichtig, denn wir brauchten den Unterricht. Aber ich war nur eine Woche und fünf Tage da, und ich hatte auch Glück mit meinem Zimmer, das war alles gut. Ich hatte ein Problem mit einem Mann aus dem Jemen, der hat zu viel geredet über Frauen und Kopftuch. Wir waren dann bei der Polizei und haben uns beschwert. Danach hat er sich bei uns entschuldigt.

Gegenwind:

Was ist denn wichtiger: Unterricht für Männer oder Unterricht für Frauen?

Sarah Amer:

Für beide ist es wichtig.

Gegenwind:

Gibt es große Unterschiede, was man unterrichten muss?

Sarah Amer:

Ja. Die Männer denke anders, und auch die Frauen denken anders.

Gegenwind:

Wollen Sie Männer und Frauen lieber im gleichen Kurs unterrichten oder...

Sarah Amer:

Ja, unbedingt.

Gegenwind:

... lieber getrennt?

Sarah Amer:

Nein, ich will beide zusammen unterrichten. Nur wenn beide da sind, bekommen sie allmählich das Gefühl, wir sind gleich, wir haben gleiche Rechte. In Syrien war immer vormittags der Unterricht für Frauen, und nachmittags der für Männer. Das ist nicht gut. Dann bekommen die Männer nicht mit, was die Frauen sagen und dass Frauen stark sind. Wenn Frauen und Männer im gleichen Kurs sind, und es geht um Frauenrechte, dann können Männer hören, wenn Frauen ihre Meinung sagen. Die Frauen können hören, welche Meinung ein Mann hat.

Gegenwind:

Wann wollen Sie anfangen zu unterrichten?

Sarah Amer:

Es ist noch nicht klar, aber bald.

Gegenwind:

Was ist das Ziel der Kurse?

Sarah Amer:

Dass die Flüchtlinge das Land kennen lernen und ihre Rechte kennen lernen. Das ist auch mein Ziel. Ich will, dass alle wissen und alle verstehen, wie man mit Deutschen in Deutschland zusammen lebt. Es ist sehr wichtig, dass wir gute Beziehungen mit den Deutschen haben und nicht nur Kontakte mit Arabern. Und für das Problem des Rassismus: Das kommt auch daher, weil manche Menschen nicht wissen, wie alles funktioniert. Sie machen nicht etwas falsch, weil sie das wollen, sie wollen nichts kaputt machen, sie wissen es nur nicht. Und wenn wir diesen Unterricht machen, bin ich sicher, das Zusammenleben wird besser.

Interview: Reinhard Pohl

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