(Gegenwind 349, Oktober 2017)
Die Linke distanziert sich von ihrer Bundestagskandidatin Sarah Rambatz, der wegen der Frage nach antideutschen Filmtipps in zahllosen Kommentaren Vergewaltigung und Ermordung angedroht wird - es waren allein bei Facebook über tausend Hatekommentare, in rechten Blogs, auf Twitter und unter Artikeln über sie ungezählte Weitere.
„Der Spielfilm Inglourious Basterds ist fiktional, die Nazimorde in Deutschland sind es nicht”, erklärte der Redner des Hamburger Bündnisses gegen Rechts auf der Auftaktkundgebung der Demonstration „Zeit für einen Aufschrei - Unsere Alternative heißt Solidarität!” gegen die AfD am 9. September. Eine klare Anspielung auf die mediale Skandalisierung eines Facebook-Posts von Sarah Rambatz und eine Stellungnahme zur Hetze gegen sie. Am 4. September hatte Sarah Rambatz eine Frage in der geschlossenen Facebook-Gruppe „Deutsch mich nicht voll” gepostet: „Antideutsche Filmempfehlungen? ... & Alles, wo Deutsche sterben <3”. Sie bekam 145 Filmempfehlungen, bevor sie den Thread löschte - am häufigsten, so Sarah Rambatz am Wochenende im Gespräch mit dem Autoren, wurde ihr Inglourious Basterds empfohlen, in dem ein jüdisches Kommando 1944 im von Deutschen besetzten Frankreich zahlreiche Nazis auf unterhaltsame Art eliminiert.
Aber so geschlossen kann eine Facebookgruppe, noch dazu mit über 4.000 Mitgliedern nicht sein, dass nicht jemand einen Screenshot macht, diese in Foren einstellt, wo sich deutschnational empört wird und ihn mit alarmistischem Begleittext dem Parteivorstand von Die Linke zuschickt. Seit der Post öffentlich gemacht wurde, und von zuerst Hamburger, dann bundesweiten Medien skandalisiert wurde, wird sich empört und Sarah Rambatz bedroht, mit Vergewaltigung, Folter und Ermordung. Um sie zum Schweigen zu bringen, wie diese Beispiele von Androhung sexualisierter und anderer Gewalt zeigen: „Für mich gehörst Du zwangssterilisiert und abgeschoben”; „Diese Nutte gehört totgebumst und dann zerhackt”. Die Gewaltandrohungen sind häufig sexualisiert - denn besonders wird sich darüber empört, dass sie als Frau eine antideutsche Position vertrete. „Im Internet hat sich der Screenshot schnell verbreitet, meine Verwandten, Freund*innen und ich bekamen Mord- und Vergewaltigungsdrohungen und der Druck auf mich stieg enorm an”, so Sarah Rambatz auf Nachfrage des Autoren: „Die Berichterstattung im Anschluss hat die Sache natürlich extrem verschärft.” Etwa die Hamburger Morgenpost, die am 7. September auf dem Titelbild als Überschrift druckte: „Sie wollte Deutsche sterben sehen” - darunter ein Portraitfoto und klein der Satz: „Bundestagskandidatin Sarah Rambatz erhält nach Facebook-Post Morddrohungen.” Auf Seite 14 dann auf einer ganzen Seite der Artikel: „Linken-Kandidatin sorgt für -Eklat: ‚Alles, wo Deutsche sterben’”. Es war bereits die zweite Ausgabe der regionalen Boulevardzeitung mit einem größeren Artikel, der die Suche nach antideutschen Filmtipps skandalisierte. In zwei Tagen gab es auf den Seiten der Zeitung über 900 Kommentare von Lesenden - darunter viele Hasserfüllte voller Gewaltandrohungen, bei deren Löschung die Hamburger Morgenpost kaum hinterher kam.
Auch die Familie von Sarah Rambatz wird bedroht: „Nettes Haus wo du wohnst das macht grade die Runde zusammen mit Fotos deiner Eltern. Die sollen wohl gefragt werden was sie bei dir falsch gemacht haben.” Auf seiner Facebookseite forderte ein Redakteur des „Hamburger Abendblattes” einige frühere und jetzige Hamburger Abgeordnete der Linken dazu auf, sich von Sarah Rambatz zu distanzieren. Kersten Artus, ehemalige Bürgerschaftsabgeordnete, kam dem gerne nach: „Da ich hier ... gefragt wurde: Ich teile die Auffassung aus der Stellungnahme des Landesverbandes und Danke für die schnelle Reaktion.” Wenige Einträge über ihrem fordert ein Mann für ihre Genossin die „Geschlossene Psychiatrie”.
Distanzierungseifer prägte die offiziellen Reaktionen der Partei Die Linke: „Wir missbilligen die Äußerungen. So ein Gedankengut hat in der Linken nichts verloren. Wir haben deshalb das Gespräch gesucht und haben uns darauf geeinigt, dass Sarah Rambatz im Falle einer Wahl auf das Mandat verzichten wird und ab sofort auch keinen Wahlkampf mehr führt”, erklärte Martin Wittmaack, Pressesprecher des Hamburger Landesverbandes, dem Hamburger Abendblatt. Offenbar sind die Bedenken, dass eine antideutsche Erinnerung daran, dass viele Deutsche als Nazis sterben mussten, weil sie das Dritte Reich fanatisch verteidigten und sich an den NS-Verbrechen, an der Shoah gerne volksgemeinschaftlich beteiligten, dem Wahlkampfauftritt schaden könnten, so groß, dass dafür demokratische Regeln übergangen werden und wegen eines Facebook-Posts ein Mandatsverzicht verlangt wird. Auch die Bundesspitze übte sich in Distanzierung - allerdings wie in Hamburg nur in Person des Pressesprechers und nur in mündlichen Erklärungen, nicht in offiziellen Presserklärungen auf den Wahlkampfseiten. In Berlin spielte der Sprecher von Die Linke die Kandidatur von Sarah Rambatz herunter und empfahl den Rücktritt: „Bei dem Posting der Genossin handelt es sich um eine seltene Geschmacklosigkeit. Wir werden der jungen Frau natürlich schon sagen, dass sie mal in einer ruhigen Minute in sich gehen sollte”, so Hendrik Thalheim zum „Hamburger Abendblatt”. Aber eine Kandidatur auf Platz fünf der Hamburger Liste sei ja eh eher formaler Natur. Der Kandidat auf Platz eins der Hamburger Liste dagegen wird vermutlich gewählt werden und sieht sich in seinem Wahlkampf von Sarah Rambatz offensichtlich massiv gestört. Fabio de Masi erklärte gegenüber dem Radiosender NDR 90,3, er bekäme „das kalte Kotzen” - das Posting von Sarah Rambatz sei „keine linke Position” aber sie „ein absoluter Einzelfall”. Zu den Drohungen und der Hetze gegen seine Genossin schwieg er. Vergessen, wie er nach der Listenaufstellung lächelnd auf dem Gruppenfoto neben Sarah Rambatz stand.
Die erklärte drei Tage nach ihrem skandalisierten Post am 6. September in einer Erklärung: Es war „eine dumme, unbedachte Aktion”. Als Kernproblem benannte sie aber anders als de Masi den voranschreitenden Rechtsruck - und erinnerte an den „Slogan meiner Partei: ‚Entschieden gegen rechte Hetze!’” Sie verkündete ihren Rückzug aus dem Wahlkampf und den Verzicht auf ein eventuelles Bundestagsmandat. „Der Druck der Öffentlichkeit, aber auch durch Parteistrukturen war enorm” so Sarah Rambatz zum Autoren. Um sich zu schützen, ist Sarah Rambatz vor einer Woche abgetaucht. Der rechte Shitstorm gegen sie hält unvermindert an. Die linksjugend ['solid] ist anders als die Partei Die Linke mehrheitlich mit ihr solidarisch. Sarah Rambatz bleibt eine der BundessprecherInnen der linksjugend ['solid].
Der Hamburger LandessprecherInnenrat der linksjugend ['solid] war dagegen sehr schnell dabei und „distanziert sich in aller Deutlichkeit von ihren menschenverachtenden Äußerungen. Die von Ihr offengelegte Gesinnung” sei mit dem Grundgesetz „nicht vereinbar”. Die Gruppe Barmbek distanzierte sich „ganz klar von Sarah Rambatz Facebookpost sowie ihrem uneinsichtigen Verhalten danach”. Die Reaktion des Landesverbandes der Linken sei richtig, aber: „Niemand soll Opfer von Hetze und Mord- oder Vergewaltigungsdrohungen sein müssen.”
Der BundessprecherInnenrat der linksjugend ['solid] solidarisiert sich dagegen mit der „engagierten Genossin”, die Drohungen gegen sie „sind Ausdruck eines unerträglichen Nationalismus, Antikommunismus und Sexismus, der nicht zuletzt durch die AfD in dieser Gesellschaft salonfähiger geworden ist”. Zwar sei ihr Post missverständlich, aber die Genossin jetzt „einem massiv ekelhaften Shitstorm” ausgesetzt: „Erschrocken beobachten wir, dass gerade junge Frauen von der Öffentlichkeit für starke Meinungen oder Kommentare massiv angefeindet und bestraft werden.”
Angesichts der anhaltenden Hetze gegen Sarah Rambatz haben neun aktive Basismitglieder von Die Linke Hamburg am 10. September dem Autoren für diesen Artikel eine Solidaritätserklärung mit Sarah Rambatz übergeben - siehe Abdruck auf Seite 5.
„Absolut daneben” ist es, so Katharina König, Abgeordnete für Die Linke im Thüringer Landtag, im Gespräch mit dem Autor, „wenn jemand Drohungen und Beleidigungen von Rechts ausgesetzt ist und als Reaktion keine Solidarität aus der Partei kommt, sondern Distanzierung”. Gerade angesichts der realen Angriffe von rechts sei Solidarität angesagt. Das Posting war unglücklich formuliert, aber es sei doch klar, dass es um fiktionale Filme gehe, um deutsche Geschichte, nicht um das reale Töten von Menschen: „Mir ist zuerst Inglourious Basterds eingefallen”. Der Zeitpunkt sei ungünstig, mitten im Wahlkampf, aber der Umgang mit ihr „ist völlig daneben”. Sie kenne Sarah Rambatz nicht persönlich, aber durch das Internet habe sie mitbekommen, wie „versucht wird, sie einzuschüchtern und fertig zu machen”. Für Katharina König steht deswegen „Solidarität an erster Stelle”. Aber aus der Partei Die Linke „haben sich nur Einzelne solidarisiert”, stellt sie verärgert fest.
In der linksjugend ['solid] gibt es auch Mitglieder, die den Facebook-Post inhaltlich verteidigen: „Nazis und Deutsche waren im II. Weltkrieg nun mal eine nahezu identische Masse”, so Yannic Plonz aus dem Thüringer Landesverband im Gespräch mit dem Autor, „es ist Ausdruck eines Rechtsrucks in der Gesellschaft, wenn darauf nicht mehr angespielt werden darf”. Im Weltkrieg „mussten viele Deutsche sterben, weil nur so die Befreiung Europas vom NS-Regime erkämpft werden konnte”. Nichts anderes sei doch mit dem kurzen Facebook-Post genmeint gewesen. Aber auch in der Partei Die Linke und der linksjugend [‚solid] würden Viele dem Rechtsruck nachgeben und der Hetze gegen Sarah Rambatz nichts entgegensetzen.
„Ich war über diesen Umgang mit Sarah bestürzt”, erklärte auch Hartmut Liebs dem Autor: „Ein flapsiger Spruch in einer nichtöffentlichen Gruppe reicht heutzutage für einen massiven rechten Shitstorm.” Hartmut Liebs, Mitglied der Linken Berlin, war früher bei den Piraten - und hat aus dieser Zeit reichlich Erfahrung mit schlimmen Shitstorms, Stichwort Bombergate. Er sieht die offiziellen Reaktionen der Linken kritisch: Da „tritt man sowohl aus Hamburg und aus der Bundespartei auch noch nach. Die Rechten werden immer stärker und aggressiver, sie sind offenbar der Meinung, ihre Zeit sei gekommen. In diesen gefährlichen Zeiten brauchen wir Zusammenhalt, kein taktisches Zaudern.”
Am Hamburger Hauptbahnhof bei der Demo gegen die AfD, wo der Redner ähnliches sagte, glänzten die Funktionäre der Partei Die Linke weitgehend durch Abwesenheit - der Wahlkampf forderte offensichtlich vollen Einsatz an den Ständen - sonst hätten sie mitbekommen können, dass ihre Distanzierung von Sarah Rambatz in der außerparlamentarischen Linken als Einknicken gegenüber rechter Hetze und als Entsolidarisierung wahrgenommen wird. Und zwar nicht nur von Antideutschen.
Gaston Kirsche
Sarah, wir stehen hinter Dir! Wir sprechen uns hiermit konsequent gegen rechte Gewalt und die Dir gegenüber erfolgten Drohungen gegen Deine Person aus und stellen uns dem entschieden entgegen. Kein Fußbreit der Gewalt und faschistischen demokratiefernen Logiken. Du wirst von Rechtsradikalen mit Morddrohungen und Drohungen Dir sexualisierte Gewalt anzutun bedroht weil Du eine LINKE Politikerin bist. Das lehnen wir entschieden ab. Gemeint sind wir alle, die wir uns für mehr soziale Gerechtigkeit, Antifaschismus, Antirassismus, Antikapitalismus, (Queer-)Feminismus und Frieden einsetzen.
Seite an Seite möchten wir mit Dir für eine bessere Welt streiten. Als LINKE-Parteimitglieder möchten wir uns konsequent hinter eine Genossin stellen, der mit Mord und sexualisierter Gewalt gedroht wird, weil sie eine LINKE ist.
Unterzeichner_innen: Kevin Kumeth (Linksjugend ['solid]), Vivien Kaffka (Sprecherin der Landes- und Bundesarbeitsgemeinschaft DIE LINKE.queer), Jan Vahlenkamp (LAK Shalom Hamburg), Janna Eilers (LAK Emanzipatorische Queerfeminist_innen Hamburg), Rike Vogel (LAG DIE LINKE.queer Hamburg), Nadine Berger (LAK Shalom Hamburg), Stefan Niebuhr (SDS Uni Hamburg), Anna Rinne (Landesparteitagsdelegierte Bezirk Hamburg Mitte von DIE LINKE), Tjark Kandulski (engagiert im Bezirk Wandsbek bei DIE LINKE).
„Ich finde Dein Posting bei Facebook zu Filmen, an dem sich in der Presse und Partei alle aufgehangen haben, zwar auch schwierig und davon distanziere ich mich, dennoch rechtfertigt das auf keinen Fall Mord- und Vergewaltigungsdrohungen an Deiner Person, diese verurteile ich aufs Schärfste”, sagt Janna Eilers (LAK Emanzipatorische Queerfeminist_innen Hamburg) dazu.
„Dein an antifaschistische Tarantinofilme erinnernder satirischer Post bei Facebook, der Aufhänger des Shitstorms und der Mord- und Vergewaltigungsdrohungen gegen Dich war, mit einer Gleichsetzung von Nazis mit Deutschen spielte, wurde von Presse und Rechtsradikalen genutzt, um an Dir ein Exempel zu statuieren, an einer Parteifrau mit unbequemer Position”, kommentiert Nadine Berger (LAK Shalom Hamburg).
„Wenn der Kontext von Sarahs Posting nicht vollständig ignoriert wird, dann setzt dies den Fokus auf die Debatte die wir aufgrund dessen eigentlich führen sollten, nämlich: Stellt es vor dem Historischen Hintergrund der Deutschen Geschichte und ihrer medialen Aufarbeitung im Film eine Geschmacklosigkeit dar, Filme sehen zu wollen in denen Deutsche sterben oder stellt eine solche Herangehensweise den Ausdruck einer selbstkritischen und reflektierten Lebensführung im Bezug auf den Umgang mit der eigenen Geschichte dar? Ich möchte über diese Frage nicht entscheiden. Wer Sarahs Post geschmacklos findet sei auf die Stellungnahme auf ihrer Facebookseite verwiesen in welcher sie sich dafür entschuldigt eine solche Lesart ermöglicht zu haben”, sagt Tjark Kandulski (engagiert im Bezirk Wandsbek bei DIE LINKE).
„Wenn eine Genossin, die selbst Deutsche ist, in Deutschland, in einer Facebook-Gruppe, die hauptsächlich aus Deutschen besteht, nach Filmen „wo Deutsche sterben” fragt, dann müsste doch eigentlich jedem klar sein, dass das Ironie ist. Dass jetzt der braune Sumpf in Allianz mit besorgten Bürgern Mordphantasien freien Lauf lässt, die hier eben nicht ironisch intendiert sind, ist der eigentliche Skandal”, konstatiert Jan Vahlenkamp (LAK Shalom Hamburg).
„Es liegt hier also ein gesamtgesellschaftliches Problem mit DIE LINKE und antifaschistischem Engagement vor, dies wurde auf Sarah Rambatz' Schultern ausgetragen. Es wurde im Bundestagswahlkampf irgendetwas vermeintlich oder nicht Perfektes gesucht, was in der Presse zu Lasten von DIE LINKE hochgekocht werden konnte und einseitig aus dem Kontext gerissen wurde. Es ging um Filme, die sich mit der Shoah oder mit Nazis beschäftigen”, kommentieren Anna Rinne (Landesparteitagsdelegierte für den Bezirk Hamburg Mitte von DIE LINKE in Hamburg) und Vivien Kaffka (Sprecherin der LAG und BAG DIE LINKE.queer).
„Ich danke allen Personen, die sich solidarisch mit Sarah erklärt haben und hierdurch wahrscheinlich weitere Reaktionen der Partei verhindert haben. Sie ist kein „absoluter Einzelfall”, der nächste Shitstorm kommt bestimmt. Gemeint sind wir alle” erklärt Kevin Kumeth (Linksjugend ['solid]).