(Gegenwind 348, September 2017)
In und vor einem Supermarkt griff in Hamburg am 28. Juli ein Angreifer willkürlich Opfer mit einem Messer an.
Ein Freitagnachmittag auf der Fuhlsbüttler Straße in Hamburg-Barmbek. Im Edeka-Supermarkt ist viel Betrieb, Wochenendeinkauf. Aber es ist nicht wie sonst. Im Eingangsbereich stehen demonstrativ zwei kräftig gebaute Männer in Uniformen einer Security-Firma. Die Beschäftigten an den Kassen sind aufmerksamer als sonst, mustern die Kundschaft. Auch die Einkaufenden schauen sich mehr um als sonst. Das Interesse gilt nicht nur den Waren, alle wirken angespannt, beob-achten die Anderen.
Im Gang mit den Haushaltswaren ist eine Reihe von Haken leer. Edeka zuhause steht da rüber. Dort hingen kleine und große Messer. Auf Wunsch der Beschäftigten hat die Inhaberin Inga Müller sie abnehmen lassen, am Abend des 28. Juli. An diesem Freitag nahm ein 26-Jähriger um 15 Uhr das größte Messer vom Haken, riss es aus der Verpackung und stürzte sich auf einen dunkelblonden Mann. Der angegriffene Mathias P. hatte keine Chance. Der Angreifer stach ihm in die Brust, in das Herz. Während sein erstes Opfer verblutete, stach der Angreifer auf einen zweiten, auf einen dritten Mann ein. Dann rannte er auf die Straße, rief „Allahu Akbar”, Gott ist groß und griff ein Paar an, dass gerade seine Fahrräder abstellen wollte und verletzte sie. Das Messer blutverschmiert, ging er die Straße lang, rief erneut „Allahu Akbar” und versuchte, auf weitere Menschen einzustechen. Sechs Männer stellten sich ihm in den Weg, hielten ihn mit Stühlen aus dem Café Coban auf Distanz, bewarfen ihn mit Steinen, trieben ihn in die Enge, bis ihn einer mit einer Eisenstange niederschlug.
Eine Zivilstreife der Polizei tauchte auf, hielt dass Ganze offensichtlich für eine Schlägerei und gab einen Warnschuss ab. Es war ein terroristischer Anschlag. Ein Toter, mehrere Schwerverletzte, denen es aber nach Operationen besser geht. Die „Allahu Akbar”-Rufe, von denen bald in vielen Schilderungen die Rede war, zeigten unmittelbar einen islamistischen Hintergrund der Tat an.
Eine Stunde später patrouillierte eine schwerbewaffnete Antiterroreinheit der Polizei, 17 Streifenwagen waren vor Ort - Präsenz zeigen. So tun, als ob man alles im Griff hat. Zwei Stunden nach dem Messerangriff hielt Polizeisprecher Timo Zill eine Pressekonferenz auf der Fuhlsbüttler Straße ab: Es sei wohl ein Einzeltäter gewesen, zu den Hintergründen der Tat könne er noch nichts sagen. Bald macht der Name des Täters die Runde: Ahmad A., 26 Jahre, geflohen aus dem Gaza-streifen.
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, SPD, erklärt noch am Freitagabend: „Offensichtlich handelte es sich um einen Ausländer, der ausreisepflichtig war, aber nicht abgeschoben werden konnte, weil er keine Papiere hatte.” Scholz wie auch zahlreiche Bundespolitiker von SPD und Union beschäftigen sich in ihren Statements wenig mit der Tat, sondern nutzen die Gelegenheit, die Verschärfung des Asylrechtes und der Abschiebepraxis zu befürworten: „Das zeigt umso dringlicher, dass diese rechtlichen und praktischen Hindernisse bei der Abschiebung beiseite geräumt werden müssen. Diese Gewalttäter setzen darauf, unsere freie Gesellschaft mit Angst zu vergiften.” Zeitgleich wurde die Flüchtlingsunterkunft in Hamburg Langenhorn im Kiwittsmoor, in der Ahmad A lebte, von einer schwerbewaffneten Antiterroreinheit durchsucht. Gefunden wurde in dem 12 Quadratmeter großen Zimmer, das sich Ahmad A. mit einem zweiten Geflüchteten teilte, in seinem Spind ein Wimpel, wie ihn der IS benutzt.
Vor dem Supermarkt entstand seit Freitag abend ein kleiner Gedenkort. Kerzen, Grablichter, Blumen werden niedergelegt, auch Beileidsbekundungen und kurze Statements. Die reichen von „Barmbek hat Herz, Barmbek hilft” bis hin zu „An diesem schrecklichen Anschlag trägt die Politik schuld, die so viele Ausländer ins Land gelassen hat.” Auch eine Woche später bleiben immer wieder Passanten stehen und verweilen einen Moment, legen neue Blumen dazu. „Es hätte jeden von uns treffen können”, meint eine ältere Frau. „Dass macht mir Angst”, pflichtet ihr eine andere Passantin bei. Schnell entwickelt sich eine kleine Gesprächsrunde, in der es auch um das Risiko weiterer islamistischer Anschläge geht. Und um das Bleiberecht oder die Abschiebung von Geflüchteten. Als ein jüngerer Mann von „zu vielen Asylanten redet”, wird ihm auch widersprochen.
Jeder hier weiß, wer den Messerangreifer gestoppt hat. Der Hamburger Senat hat auch schnell reagiert und sieben Männer für ihre Zivilcourage mit dem Ian-Karan-Preis geehrt. Fünf der sieben kennen sich aus der As-Sahaba-Moschee, die vor drei Jahren in einer ehemaligen Sparkassenfiliale einen Häuserblock vom Edekamarkt entfernt aufgemacht wurde. Einige von ihnen tranken nach dem Freitagsgebet im Café Coban gerade einen Tee, als der Messerangriff begann. Am Gedenkort steht ein Gruppenfoto mit dem Text „Dank an die Barmbeker Helden”. Ahmad A. soll versucht haben, mit der Gruppe, die ihn stoppte, zu reden: „Aber Euch meine ich doch nicht, ich will Christen töten.”
Der Messerangriff hat im Stadtteil als Terrorangriff gewirkt und insbesondere viele der in Barmbek zahlreichen Älteren in Angst und Schrecken versetzt - obwohl der Angreifer aus der Nachbarschaft heraus gestoppt wurde. Sowohl Bürgermeister Scholz als auch Hamburgs Innensenator Andreas Grote vermieden es, von einem terroristischen Akt zu sprechen - ebenso wie Bundeskanzlerin Angela Merkel, die von eine „grausamen Attacke” sprach, während Innenminister Thomas de Mazière von einer „schrecklichen Attacke” sprach. Dies steht in bizarrem Kontrast zu dem Gerede von „Linksterrorismus” und „"bürgerkriegsähnlichen Zuständen” wegen der Sachbeschädigungen beim G20-Protest, kam es Anfang Juli doch zu keiner Tötung, keinem Tötungsversuch.
Auch als nach fünf Tagen die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen übernahm, mochte kaum jemand offiziell von einem terroristischen Angriff sprechen. Dabei entspricht der Barmbeker Anschlag der bekannten IS-Strategie: „Ungläubige” da angreifen, wo man lebt, mit dem, was gerade zur Hand ist. Und sei es eben das Fleischmesser aus dem Sortiment „Edeka zuhause”.
Der Innensenator baute bei seiner Pressekonferenz einen Widerspruch dazwischen auf, das Ahmad A. mit der Ausländerbehörde bei der Vorbereitung seiner Abschiebung willig kooperierte und psychisch labil sei. Auf der anderen Seite habe es auch Anhaltspunkte für eine islamistische Orientierung gegeben. Eine Entgegensetzung, die Flüchtlingsbetreuende für realitätsfremd halten. Auch der Psychologe Ahmad Mansour hat festgestellt, dass psychische und persönliche Krisen die Aufnahmebereitschaft für islamistische und dschihadistische Ideologien erhöhen. Die Geschichte von Ahmad A. liest sich wie eine Parabel über die viel zu geringe psychosoziale Unterstützung für Geflüchtete. Da hat ein Mitbewohner aus der Flüchtlingsunterkunft schon Anfang 2016 der Polizei gemeldet, dass Ahmad A. laut betet, in andere Zimmer eindringt und „Allahu Akbar” ruft; eine Belästigung und Bedrohung von Geflüchteten. Eine Mitarbeiterin eines Flüchtlingscafés meldete, wie der „Spiegel” berichtet, der Polizei, Ahmad A. sei in einem langen, typisch islamistischen Gewand aufgetaucht und habe gedroht: „Der Terror wird auch hierher kommen.”
Diese und weitere Hinweise blieben folgenlos. Dabei wäre es so naheliegend wie notwendig, auf Warnungen von Geflüchteten aus Unterkünften und von Betreuenden zu hören, wenn es um religiösen Fanatismus geht: Schließlich sind die anderen Geflüchteten diejenigen, die am meisten unter Islamisten in ihrem Lebensumfeld leiden - vom Tugendterror bis hin zu Messerangriffen in Flüchtlingsunterkünften, für die es kaum Aufmerksamkeit gibt. Ein Staatsschützer vom LKA 7, der von Meldungen zu Ahmad A. etwas mitbekam, versuchte ihn laut „Spiegel” als Informanten zu gewinnen - als Ahmad A. dies ablehnte, verlor der Staatsschützer das Interesse an ihm.
Gaston Kirsche