(Gegenwind 347, August 2017)
Anfang August 2014, vor drei Jahren, begann in Shingal ein Völkermord: Milizen des „Islamischen Staates” rückten von Mossul aus nach Norden vor, in das Siedlungsgebiet der Jesiden. Männer und alte Frauen wurden ermordet, jüngere Frauen entführt, vergewaltigt und verkauft oder verschenkt. Kinder wurden von den Eltern getrennt, um sie zu „Soldaten des IS” auszubilden.
Viele Jesiden flohen nach Deutschland. Hier haben Jesiden aus der Türkei seit 1961 eine neue Heimat gefunden, später kamen Jesiden aus Armenien und Syrien dazu. Und jetzt, als die Jesiden aus dem Irak fliehen mussten, wollten viele dahin, wo schon viele leben: Nach Deutschland. Innerhalb weniger Monate hat sich die Zahl der hier lebenden Jesiden vermutlich von 100.000 auf 200.000 verdoppelt.
Während früher Flüchtlinge aus Syrien oder Armenien meistens nicht anerkannt wurden, beschloss das Innenministerium in Berlin, Jesiden aus dem Irak automatisch anzuerkennen. So konnten viele auch einzeln kommen („illegal”, wie alle Flüchtlinge), dann aber nach der Anerkennung den Familiennachzug organisieren.
Das „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge” erstellt seit einigen Jahren Statistiken über die Religion von Antragstellerinnen und Antragstellern. In den Jahresberichten wird die Zahl der Jesiden aus einem halben Dutzend Herkunftsländern so ausgewiesen:
2010 | 4.397 |
2011 | 4.800 |
2012 | 5.044 |
2013 | 5.276 |
2014 | 6.465 |
2015 | 18.685 |
2016 | 42.861 |
Dazu kommen die Familienangehörigen.
Sie werden, wie alle Flüchtlinge, nach Herkunftsländern sortiert und auf alle Bundesländer verteilt. Dabei wird keine Rücksicht darauf genommen, wo schon Jesiden leben, so dass viele in Gegenden ohne jesidische Selbstorganisationen landen - zum Beispiel in Schleswig-Holstein. Wir haben einige Jesiden oder jesidische Familien besucht und interviewt. In diesem Heft drucken wir Interviews mit Jesidinnen und Jesiden aus dem Irak ab.
Wenn alles klappt, folgen in einigen Monaten weitere Interviews.
Reinhard Pohl
Wir schreiben „Jesiden” (deutsch). Gebräuchlich sind auch die Schreibweisen „Yesiden” (türkisch) oder „Eziden / Ezidi” (kurdisch).