(Gegenwind 342, März 2017)
Esra Toguz ist Mitglied der Linken und eine der Landessprecherinnen der „linksjugend”. Mit 18 Jahren ist die Schülerin die jüngste Landtagskandidatin in Schleswig-Holstein. Sie kandidiert im Wahlkreis 14 (Kiel-Ost) und auf Platz 7 der Landesliste.
Gegenwind:
Wie hast Du Dich politisch engagiert, bevor Du Kandidatin für den Landtag wurdest?
Esra Toguz:
Ich bin seit eineinhalb Jahren bei der „linksjugend”, das ist der nahestehende Jugendverband der Linken. Das war Ende 2015. So kam ich in die Politik. Es war also nicht direkt die Partei, in die ich eingetreten bin, sondern der Jugendverband.
Gegenwind:
Gab es bestimmte Punkte, bestimmte Themen, zu denen Du Dich engagieren wolltest?
Esra Toguz:
Ja, sehr viele sogar. Krieg und Frieden, Flucht und Fluchtursachen, Überwindung des Kapitalismus und Bildungspolitik.
Gegenwind:
Wie geht man zu so einem Jugendverband? Wie bist Du aufgenommen worden?
Esra Toguz:
Ich habe die Facebook-Seite gefunden, die habe ich dann auch sofort angeschrieben. Das ist immer noch der gängigste Weg. Der Jugendverband war gerade selber noch im Aufbau. Ich bin dann zum Treffen gegangen, wurde sehr freundlich aufgenommen und herzlich eingeladen zum Mitmachen. Sie waren etwas älter als ich, lange Zeit war ich die Jüngste von allen. Mittlerweile sind unsere jüngsten Genossen*innen 14 Jahre alt. Sie haben mich seit dem ersten Treffen wie ein gleichberechtigtes Mitglied behandelt. Ich habe gemerkt, dass wir für dieselben Ziele kämpfen und dann bin ich auch dort geblieben.
Gegenwind:
Mit welchen Themen hast Du Dich als Erstes beschäftigt?
Esra Toguz:
Als erstes ging es um die aktuelle Lage in Syrien, Flucht und Fluchtursachen. In kurzer Zeit haben wir eine Veranstaltung auf die Beine gestellt, die auch sehr gut besucht war.
Gegenwind:
Hast Du Dich bei dem Gedanken, Dich politisch zu engagieren, auch mit anderen Parteien befasst? Kann man auch bei der CDU anfangen, bei der SPD, oder bei den Grünen?
Esra Toguz:
Auch wenn ich mich nicht direkt mit Parteienpolitik beschäftigt habe, wusste ich als Linke, dass es für mich nicht viele Wahlmöglichkeiten gibt. Als Pazifistin war ich mit der Außenpolitik der SPD nicht einverstanden und deshalb habe ich es recht früh ausgeschlossen den Jusos beizutreten. Es gibt auch grüne Ansätze, die ich sehr wichtig finde. Aber ich finde, dass die Kapitalismuskritik dort zu kurz kommt. Grüne Politik im Kapitalismus, das kann man nicht miteinander vereinbaren. Deswegen habe ich mich für die „linksjugend” entschieden.
Gegenwind:
Wie bist Du innerhalb der Partei von der Mitarbeit bei der „linksjugend” zur Landtagskandidatur gekommen?
Esra Toguz:
Ich habe damit angefangen, mich auch in Parteiveranstaltungen einzubringen. Dort wurde ich auch sehr herzlich aufgenommen. Als junge Frau hatte ich gute Chancen, und ich wurde auch bald gefragt, ob ich als Direktkandidatin kandidieren möchte. Ich habe erst überlegt, auch mit meinen Eltern gesprochen. Und schließlich habe ich mich entschieden, das zu machen. Und für die Liste zum Landtag lief es dann so ähnlich ab.
Gegenwind:
Wie diskutierst Du das innerhalb der Familie? Die Kandidatur bedeutet dann ja auch, Du wirst fotografiert, auf Plakaten gedruckt und bist dann im ganzen Wahlkreis zu sehen.
Esra Toguz:
Meine Eltern waren am Anfang recht skeptisch. Ich habe ihnen erklärt, wie alles ablaufen wird, was alles auf mich und auf uns zukommt. Jetzt haben sie sich daran gewöhnt und sind sehr stolz auf mich. Außerdem werden wir keinen Schwerpunkt auf Personenwahlkampf legen. Daher wird es keine Personenplakate geben. Wir setzen auf Inhalte statt Personen.
Gegenwind:
Und wie lief es auf dem Landesparteitag? Es gibt ja auch Listenplätze, die umstritten sind, Gegenkandidaturen.
Esra Toguz:
Das lief sehr solidarisch ab. Alle haben sich in einer Rede vorgestellt. Dann wurde abgestimmt und ich habe dann Platz 7 erhalten.
Gegenwind:
Planst Du denn die Zukunft? Der 7. Platz ist ja auch kein Platz, mit dem Du automatisch überhaupt keine Chance hast. Bei einem guten Ergebnis für die eigene Partei könntest Du einen Vollzeit-Job bekommen.
Esra Toguz:
Im Moment ist es für mich noch sehr weit weg. Aber falls es dazu kommen sollte, wäre das auch kein Problem. Nach dem Abitur habe ich noch nichts Festes geplant, deshalb wäre es kein Problem.
Gegenwind:
Was sind die Schwerpunkte für die Partei im Wahlkampf? Und was sind Deine persönlichen Schwerpunkte?
Esra Toguz:
Meine eigenen Schwerpunkte sind Bildungspolitik, Kinderarmut und alles was Jugendliche in diesem Land angeht. Die Schwerpunkte der Partei lassen sich von den Stichworten soziale Gerechtigkeit und Zusammenhalt ableiten. DIE LINKE tritt z.B. für bezahlbare Wohnungen, sichere und gut bezahlte Arbeitsplätze, mehr Personal im Gesundheitswesen, eine beitragsfreie KITA, kostenfreies Schulessen und für Solidarität mit Geflüchteten ein.
Gegenwind:
Womit rechnest Du im Wahlkampf? Man erkennt an Deinem Namen, dass Du nicht aus einer alten deutschen Familie kommst, sondern das zumindest Deine Eltern eingewandert sind.
Esra Toguz:
Ja, an meinem Namen und auch mein Aussehen weisen daraufhin. Das hat sicherlich auch seine positiven Seiten.
Gegenwind:
Rechnest Du damit, dass es auch Leute gibt, die nicht wollen, dass eine eingewanderte Kandidatin über deutsche Politik entscheidet?
Esra Toguz:
Ich denke, dass es eher wenig sein wird. Vielleicht vereinzelt, von Leuten aus bestimmten Parteien, aber sonst rechne ich nicht damit. Außerdem gibt es auch andere Kandidaten, bei denen man am Namen erkennt, dass sie nicht aus einer deutschen Familie kommen und wahrscheinlich auch eingewandert sind. Da bin ich nicht die Einzige.
Gegenwind:
Es gibt immer wieder Versuche der türkischen Botschaft, auf Abgeordnete zuzugreifen, die erkennbar aus der Türkei kommen. Die Botschaft will ihnen sagen: Kümmert Euch auch um die türkischen Interessen. Fürchtest Du, dass Du auch angesprochen wirst? Oder denkst Du, bei Dir versuchen sie es gar nicht erst?
Esra Toguz:
Ich glaube, dass Mitglieder aus der Linkspartei dafür bekannt sind, dass sie der türkischen Regierung kritisch gegenüber stehen und deshalb nicht gefragt werden. Als alevitische Kurdin rechne ich nicht damit.
Gegenwind:
Gibt es innerhalb der Linken Kontakte mit Abgeordneten, die aus der Türkei stammen?
Esra Toguz:
Ja, das betrifft vor allem die Abgeordneten im Bundestag. Im Rahmen des Programmes „Parlamentarier schützen Parlamentarier” gibt es Patenschaften mit Abgeordneten aus der Türkei, vor allem sind HDP Abgeordnete betroffen.
Gegenwind:
Es gab in letzter Zeit auch in Kiel Auseinandersetzungen zwischen türkischen Demonstranten und kurdischen Demonstranten. Hast Du das verfolgt? Warst Du daran beteiligt? Rechnest Du damit, dass daraus auch Probleme im Wahlkampf auf Dich zukommen können?
Esra Toguz:
Beteiligt war ich nicht. Ich habe vermutet, dass es zu Auseinandersetzungen kommen wird, was im Moment häufig der Fall ist. Andere Familienmitglieder oder Bekannte von mir waren dort, insofern bin ich über alles gut informiert.
Gegenwind:
Wenn Du für den Landtag Schleswig-Holstein kandidierst, dann steht ja im Landtag der Kapitalismus selbst nicht zur Abstimmung.
Esra Toguz:
Ja, klar.
Gegenwind:
Was kann eine linke Fraktion im Landtag erreichen, um die eigenen Themen voran zu bringen?
Esra Toguz:
Mit der Arbeit im Landtag können wir erreichen, dass sich die Gesellschaft insgesamt mehr nach links bewegt. Und wir können im Landtag dafür kämpfen, dass es im Land gerechter zugeht.
Interview: Reinhard Pohl