(Gegenwind 342, März 2017)

Amina

Aminata Touré kandidiert für den Landtag Schleswig-Holstein:

„... sonst entscheiden viele alte Männer”

Aminata Touré ist Mitglied im Landesvorstand von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN. Sie kandidiert im Wahlkreis 11 (Neumünster/ Boostedt) für die Landtagswahl und wurde am 28. Januar auf den Listenplatz 11 gewählt.

Gegenwind:

Wie bist Du zu den Grünen gekommen? Was hast Du dort bisher für Aufgaben übernommen?

Aminata Touré:

2012 habe ich ein Praktikum beim Flüchtlingsbeauftragten Schleswig-Holstein gemacht. Dabei ist mir bewusst geworden, dass sich viele Missstände in der Flüchtlings- und Integrationspolitik nicht verändert, nicht verbessert haben im Vergleich zur Situation, als meine Eltern nach Deutschland gekommen sind. Das hat mich ziemlich schockiert, deshalb habe ich beschlossen, dass ich mich politisch einbringen muss. Ich habe dann alle Parteiprogramme durchforstet und da war BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN für mich, die einzige Partei, die den menschenrechtlichen Kompass hatte, so wie es meinen Vorstellungen entsprach und heute noch entspricht. Gleichzeitig denkt die Partei Umweltpolitik mit. Diese beiden Bereiche zusammen zu denken ist notwendig, denn das eine bedingt das andere. Wenn es unserer Erde nicht gut geht, dann kann es uns Menschen nicht gut gehen. Wenn es der Erde gut geht, aber uns Menschen nicht, ist das auch problematisch.

Gegenwind:

Wann sind Deine Eltern nach Deutschland gekommen?

Aminata Touré:

Das war 1992.

Gegenwind:

Also in der Zeit, als noch das Ausländergesetz galt und fast alle Asylanträge abgelehnt wurden...

Aminata Touré:

Genau.

Gegenwind:

Und wie haben Sie es geschafft zu bleiben?

Aminata Touré:

Wir sind ewig lange in Kettenduldungen gewesen. Irgendwann waren wir dann an dem Punkt, an dem meine Eltern alle Bedingungen erfüllt haben, um hier bleiben zu können. Das war wohl bemerkt nach 12 Jahren. Sie hatten schon längst Deutsch gelernt und auch jeweils einen Job gehabt. Das war alles aber nicht unkompliziert und von Eigeninitiative geprägt. Letzten Endes bekamen wir dann den deutschen Pass.

Gegenwind:

Wie bist Du in die Grünen reingekommen? In welchem Verband bist Du gestartet? Klappt das, wenn man von außen kommt?

Aminata Touré:

Ich bin bei der GRÜNEN JUGEND gestartet. Ich habe mir gedacht, ich versuche es erstmal in der Jugendorganisation. Ich fand sie ziemlich nett, sie haben mich gut aufgenommen. Dann wurde ich darüber Delegierte für den Landesparteitag und dafür war es notwendig, dass man auch in der Partei BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNE Mitglied ist, sonst darf man nicht mit entscheiden. Ich habe mich dann entschieden Mitglied zu werden. Meine Entscheidung zur GRÜNEN JUGEND zu gehen, war ja auch daran gekoppelt, dass ich mich mit der Programmatik der Partei BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN auseinandergesetzt hatte. Dort habe ich mich dann an der Landesarbeitsgemeinschaft „Migration und Flucht” beteiligt.

Gegenwind:

Du hast ja auch kommunal schon kandidiert. Wie bist Du dazu gekommen?

Aminata Touré:

Wir hatten 2013 Kommunalwahlen in Kiel. Bei uns GRÜNEN sind die Listen quotiert und wir ermutigen junge Frauen Politik zu machen. Damals ist Luise Amtsberg auf mich zugekommen, meine jetzige Chefin und fragte, ob ich für Gaarden-Süd als Direktkandidatin kandidieren möchte. Zu diesem Zeitpunkt habe ich bei einem Projekt mitgemacht von der Türkischen Gemeinde, bei dem Menschen mit Migrationshintergrund Kinder mit Migrationshintergrund als eine Art Pate/Patin fungierten und deshalb war ich oft in Gaarden, weil mein Patenkind dort lebte.

Gegenwind:

Du hast damals den Einzug in die Ratsversammlung nicht geschafft, obwohl die Grünen gut abgeschnitten haben.

Aminata Touré:

Ja, wir hatten im Vergleich zur vorigen Wahl zugelegt, aber ich hatte keinen Listenplatz, war nur Direktkandidatin. Außerdem ging ich danach direkt nach Spanien, da machte ich ein Auslandssemester. Das wäre zusammen also nicht gegangen. Wenn es geklappt hätte, hätte ich mich entscheiden müssen. Aber ich habe einen sehr engagierten Wahlkampf gemacht und hatte auch viel Spaß dabei.

Gegenwind:

Jetzt kandidierst Du in Neumünster. Wie bist Du dazu gekommen? Wie hat der Kreisverband Neumünster Dich aufgenommen?

Aminata Touré:

Ich bin sehr gut aufgenommen worden. Ich war ja eigentlich immer Kielerin, aber ich bin im letzten Jahr nach Neumünster gewechselt. Wir sind ein relativ kleiner Kreisverband und da kann man jede Womanpower gebrauchen. Gerade mit dem Themenschwerpunkt Flüchtlingspolitik und Antirassismus. Wir planen gerade den Wahlkampf und das macht Spaß. Wir sind klein, aber oder vielleicht gerade deshalb familiär.

Gegenwind:

Was für einen Wahlkreis hast Du übernommen?

Aminata Touré:

Neumünster-Boostedt ist der Wahlkreis. Die Wahlbeteiligung in Neumünster war letztes Mal ziemlich gering, nur knapp über 50 Prozent. Es wird auch deshalb ein harter Wahlkampf, weil viele wohl von der Politik insgesamt enttäuscht sind. Letztes Mal hat die SPD mit fast 40 Prozent gewonnen, dahinter die CDU mit ungefähr 38 Prozent, wir Grünen hatten rund 8 Prozent. Wir wollen aktiver werden, viel mit Menschen sprechen und einen aktiven Wahlkampf machen!

Gegenwind:

Als Du zuerst die Parteiprogramme durchgesehen hast: Warum hast Du Dich gegen die CDU, gegen die SPD und gegen die Linke entschieden?

Aminata Touré:

Die CDU war mir immer zu konservativ, ich war ja damals gerade 19, als ich der Partei beigetreten bin. Vom Gefühl her war ich eher SPD-lerin, weil auch meine Familie eher SPD gewählt hat. Aber mir hat der feministische, frauenpolitische Aspekt dort nicht gefallen bzw. zu schwach vertreten. Da stachen die Grünen am meisten heraus. Die Grünen fördern Frauen in der Partei stark, das gab es bei den anderen Parteien nicht. Ich fand die Schwelle zum Hingehen dort auch am niedrigsten. Man kann überall einfach hingehen und mitmachen und ich habe mich sofort sehr wohlgefühlt. Die Linke habe ich mir auch angeguckt, aber ich hatte den Eindruck, dass das eine krass männerlastige Partei ist. Gerade als junge Frau, die sich im Politikbetrieb noch nicht auskennt, war mir das zu weit weg.

Gegenwind:

Was sind die Schwerpunkte der Grünen im Wahlkampf?

Aminata Touré:

Ökologisch - gerecht - weltoffen. Wir sind die einzige Partei, die einen ökologische Schwerpunkt hat und die sich um dieses Thema kümmert. Wir setzen auf Nachhaltigkeit in allen Bereichen: Klima- und Ressourcenschutz, Wirtschafts- und Mobilitätspolitik und natürlich auch in der Umwelt- und Naturschutzpolitik. Stichwort Gerechtigkeit: für uns ist die 100% Schulversorgung im Schulbereich wichtig. Für uns ist das Thema Gerechtigkeit aber auch ein Querschnittsthema. Wir haben dann natürlich eines der dringendsten Fragen der Zeit, wie gelingt Integration. Wir haben das hier in Schleswig-Holstein gut organisiert, es geht aber auch immer besser und vor allem geht es immer weiter.

Als übergeordnetes Thema ist für uns wichtig, die Bedeutung der Demokratie und der damit einhergehenden Freiheit deutlich zu machen. Das werden wir im Wahlkampf auch fokussieren.

Gegenwind:

Und was sind Deine persönlichen Schwerpunkte?

Aminata Touré:

Für mich ist es ganz wichtig junge Menschen anzusprechen. Wir haben in Schleswig-Holstein das erste Mal die Möglichkeit, dass auch 16-Jährige wählen dürfen. Dafür haben sich die Grünen stark gemacht und das auch durchgesetzt. Ich glaube, im Moment steht unsere Demokratie auf dem Spiel, weil sie von vielen Seiten angesägt wird. Da ist es wichtig, den Menschen deutlich zu machen, dass sie Teil dieser Demokratie sind. Sie sollten möglichst früh politisiert werden, egal in welche Richtung. Sie müssen mobilisiert werden und verstehen, dass es um ihre Zukunft geht. Mir geht es vor allem darum, gerade Menschen mit Migrationshintergrund zu sagen und zu zeigen: Wenn wir uns einbringen, wenn wir uns selbst viel zutrauen, wenn wir partizipieren, dann ist es möglich. Diese Zielgruppe will ich natürlich besonders in Neumünster ansprechen. Ich will gerade den jungen Frauen klarmachen, dass sonst viele alte Männer über sie entscheiden. Da muss man nur in die Vereinigten Staaten gucken. Ich habe immer noch das Bild vor Augen mit Trump und dahinter seine sechs Berater, die darüber entschieden, was mit den Körpern von Frauen passieren soll. Ich habe mich um Jahre zurück gefühlt und das können wir nur verhindern, indem wir uns mehr einbringen. Gerade für Frauen sind die Hürden hoch, es ist oft nicht gewollt, das müssen wir zusammen auflösen.

Gegenwind:

Wenn Du Wahlkampf auf der Straße machst, Veranstaltungen machst, an Podiumsdiskussion teilnimmst, kommen nicht nur junge Frauen. Mit welchen Problemen für Dich persönlich rechnest Du?

Aminata Touré:

Ich hatte schon meine erste Podiumsdiskussion als Direktkandidatin in Neumünster, im Vicelinviertel. Da habe ich gemerkt, dass es eine ziemlich krasse Frustration über Politik insgesamt gab. Damit muss man irgendwie umgehen, weil immer von „der” Politik gesprochen wird, wie über etwas, was nichts mit einem selbst zu tun hat. Und wenn man als junger Mensch sowas zum ersten Mal macht, ist man eben nicht seit 30 Jahren dafür verantwortlich. Man muss den Leuten deutlich machen, dass sie ein Recht haben zu kritisieren und sich darüber zu beschweren, was falsch läuft. Aber gleichzeitig muss man verstehen, dass man ein Teil davon ist, dass man sich einbringen kann, wenn man möchte. Man muss nicht Mitglied einer Partei werden. Auch außerhalb von solchen Podiumsdiskussionen kann man auf einzelne Kandidat*innen zugehen und Einfluss nehmen. Es ist eine Aufgabe der politischen Parteien, das noch deutlicher, noch transparenter zu machen. Aber es ist auch Aufgabe der einzelnen Bürgerin und des einzelnen Bürgers, sich dann auch einzubringen, sich zu informieren, wie man das machen kann. Politik muss im Dialog stattfinden und wenn von vornherein solche Fronten aufgebaut werden, wird es schwierig, dann kann man auch nicht an Lösungen arbeiten.

Gegenwind:

Kann es auch Vorbehalte geben: Du bist zu jung, Du kannst es nicht?

Aminata Touré:

Auf jeden Fall. Das wird es wahrscheinlich sehr oft geben. Das mag vielleicht auch berechtigt sind, dass man mich zu jung für die Politik insgesamt findet. Aber die Hürde ist ja nicht wirklich da, ich darf mit 24 Jahren Politik machen. Aber wenn Menschen das so sehen, dann ist das ihr gutes Recht. Ich glaube, dass man manchmal aber auch eine paradoxe Erwartungshaltung jungen Menschen gegenüber hat. Einerseits wird uns nachgesagt, dass wir uns zu wenig einbringen und andererseits hör ich dann oft, dass ich zu jung sei. Was denn nun?

Gegenwind:

Kann es auch Vorbehalte geben: Du bist nicht deutsch genug, Du darfst nicht über uns entscheiden?

Aminata Touré:

Ja, bestimmt. Als junge Schwarze Frau muss man sich immer damit auseinandersetzen, das man nicht angeblich nicht „deutsch” aussieht. Da werden oft Fragen gestellt, wer ich eigentlich bin und wo ich herkomme. Und ob ich wirklich deutsch bin. Aber unsere Gesellschaft verändert sich und das hat sie schon immer und deutsch ist eben vieles. Ich bin es auch. Ich bin der Meinung, dass man das auch in den Parlamenten sehen muss. Und wenn ich eine der Abgeordneten im Landtag bin, werde ich auch viele Menschen vertreten, die schon immer in Deutschland gelebt haben, aber auch Menschen, die dazu gekommen sind und bisher ziemlich unsichtbar waren.

Gegenwind:

Vielleicht gehört zu den Zielen Deines Wahlkampfes auch, eine ganze bestimmte Partei aus dem Landtag heraus zu halten.

Aminata Touré:

Ja!

Gegenwind:

Die haben jetzt auch einen Schwarzen Kandidaten aufgestellt. Ärgert Dich das? Freut Dich das?

Aminata Touré:

Weder - noch. Ich finde es eher erschreckend, dass jemand zu einer bestimmten Minderheit gehört und dann einer Partei, einem Verband beitritt, der alles tut, um solche Minderheiten grundsätzlich fernzuhalten von der Gesellschaft und dem Land, in dem sie leben. Das hat ein bisschen was Selbstzerstörerisches oder Masochistisches. Sowas soll es geben, es kann auch sein, dass dieser Mensch solche Ansichten tatsächlich vertritt. Es ist einfach paradox. Das hält mich aber definitiv nicht davon ab, ihn inhaltlich genauso hart zu stellen.

Gegenwind:

Gibt es in Neumünster immer noch Probleme mit Nazis?

Aminata Touré:

Ja. Die Szene ist immer noch da, Neumünster hatte damit ja immer ein Problem. Aber ich betone an der Stelle auch immer gerne, dass es durchaus viele Kräfte in Neumünster gibt, die dagegen halten. Bündnisse gegen Rechts, die sich immer wieder auf die Straße stellen, wenn irgendwelche Nazidemos organisiert werden. Das letzte Mal war es vor ungefähr zwei Monaten, als die Nazis aus ganz Schleswig-Holstein hierher kamen und durch die Stadt laufen wollten. Das werden wir als Partei auch weiterhin machen: Dagegen halten! Spätestens zur Demonstration am 1. Mai.

Gegenwind:

Der Landesparteitag hat Dich auf den Platz 11 der Liste gewählt. Du musst Dich also ernsthaft damit beschäftigen: Es könnte ein Beruf werden. Welches Ergebnis brauchst Du? Wie planst Du? Der Platz liegt ja auf der Grenze, es könnte für einen Sitz im Landtag reichen oder auch nicht.

Aminata Touré:

Ja, genau. Ich kann nicht so richtig planen. Ich plane, einen Wahlkampf zu machen, wie ich ihn auch gemacht hätte, wenn ich nicht auf Platz 11 gelandet wäre. Als Mitglied des Landesvorstandes richte ich auch den gesamten Wahlkampf mit aus. Das spornt einen doppelt an, wenn man weiß, es geht auch um den eigenen Platz. Wie viele Prozente wir oder ich letztlich brauchen, hängt auch davon ab, wie viele Parteien in den Landtag reinkommen, das kann man also schwer vorher ausrechnen. Wir müssen einen guten Wahlkampf machen, Menschen von unseren Ideen überzeugen und sie zu ihren machen. Es entscheidet sich am Abend der Wahl, ob es reicht.

Gegenwind:

Wie planst Du Dein Leben? Du bist dann Mitte Mai voll beschäftigt oder gar nicht beschäftigt?

Aminata Touré:

Also, derzeit arbeite ich als Persönliche Referentin und wissenschaftliche Mitarbeiterin für Luise Amtsberg, MdB. Ich will weiter studieren, also in jedem Fall noch einen Master draufpacken. Ob ich nun gewählt werde oder nicht. Es wird also bis zuletzt spannend sein.

Interview: Reinhard Pohl

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