(Gegenwind 342, März 2017)
Vor gut einem Jahr habe ich mir ein besonderes „Vergnügen” gegönnt: den Vortrag „Gender Irrsinn”, den Andrea Galdetzka bei der AfD in Kiel hielt. Während draußen vor der Tür eine Gruppe gegen die Partei demonstrierte, ging ich in die Höhle der Löwen und einiger Löwinnen, um zu erfahren, was man und frau dort denken.
Der Vortrag war kein Vergnügen. Zunächst war Gender das Thema, daraus abgeleitet wurde die Behauptung, die Geschlechter sollten beim Gender Mainstreaming abgeschafft werden. Wie bitte?
Um das halbwegs zu verstehen, muss ich weit ausholen.
Da die deutsche Sprache nicht zwischen dem biologischen und dem sozialen Geschlecht unterscheidet, also dem, was körperlich angelegt und dem, was eine Gesellschaft den Geschlechtern an Rollen, Verhaltensweisen und Eigenschaften zuschreibt, wurden die englischen Begriffe gender für das soziale und sex für das biologische Geschlecht übernommen. Dabei wird Gender als veränderbar angesehen, was unmittelbar einleuchtet, wenn man Gesellschaften betrachtet, in denen „weiblich” bzw. „männlich” ganz anders gesehen wurde als heute bei uns (Z. B. hat die Ethnologin Margaret Mead darüber bei SüdseeinsulanerInnen berichtet).
Beim Gender Mainstreaming handelt es sich nun um ein Konzept und eine Methode, die die EU und die Bundesregierung 1999 von der 4. Weltfrauenkonferenz in Beijing übernommen haben. Es sieht vor, dass Regierungen und alle AkteurInnen konsequent eine geschlechterbezogene Perspektive in allen Politiken und Programmen einbeziehen und vorab eine Analyse der Auswirkungen von Entscheidungen auf Frauen bzw. Männer erstellen sollen. Als Methode beinhaltet Gender Mainstreaming also einen Prüfauftrag, der - in der Politik - klären soll, ob ein geplantes Gesetz ein Geschlecht benachteiligt. Sollte dies der Fall sein, sind die politischen Gremien zu Korrekturen aufgefordert, um Benachteiligungen zu verhindern. Wie dies geschieht, ist eine politische Entscheidung. Solche Prüfaufträge liegen ganz im Rahmen üblicher Gesetzesfolgeabschätzungen. Nachdem Maßnahmen wie Frauenquoten und die Einrichtung von Frauenbeauftragten und -ministerien nicht so erfolgreich waren wie erhofft, um die Situation von Frauen zu verbessern, sollte durch Gender Mainstreaming von ganz oben (top down) mehr Wirkung erzeugt werden.
Dazu hilft ein Blick auf die Rechtsgrundlagen. Eine ist der Vertrag zur Gründung einer Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag von 1957, wiederholt geändert) und eine andere die Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women (CEDAW). Letztere wurde 1979 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen beschlossen, von Deutschland ratifiziert und hat daher Gesetzesrang. In dem EG-Vertrag heißt es: Bei allen Politiken und Maßnahmen in der ganzen Europäischen Gemeinschaft wirke diese darauf hin, Ungleichheiten zu beseitigen und die Gleichstellung von Männern und Frauen zu fördern. Demgegenüber geht es in der CEDAW um die Aufhebung von Diskriminierung und zwar ausdrücklich die von Frauen. Diskriminierung bedeutet dabei, dass Frauen aufgrund des Geschlechts Menschenrechte und Grundfreiheiten nicht aberkannt oder eingeschränkt werden dürfen, weder im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, staatsbürgerlichen noch einem sonstigen Bereich. In diesen Rechtsgrundlagen tauchen also zwei verschiedene Begriffe auf: Gleichstellung und Diskriminierung.
Ja, meine ich, wie Beispiele zeigen. Ruth Heß, eine Theologin, hat sich dazu in einem Interview mit der taz Nord am 2./3.7.2016 geäußert. Sie war damals Gleichstellungsbeauftragte der Bremischen Evangelischen Kirche. Auf Gender Mainstreaming angesprochen, erklärte sie, dieses sei schlicht ein Instrument, um Chancenungleichheit abzubauen. Da ginge es letztendlich darum, Köpfe zu zählen, wie viele Frauen, wie viele Männer hier und dort. „Nein!” möchte ich ausrufen und mir die Haare raufen: „Ums Zählen geht es gerade nicht!”
Dazu ein Beispiel aus Rostock. Wissenschaftlerinnen hatten vor Jahren stolz berichtet, die Stadt sehe es als ihre wichtigste Aufgabe an, alle personenbezogenen Daten geschlechtsspezifisch zu erfassen. Dadurch würden nun die städtischen Museen erstmalig nach Besuchern und Besucherinnen unterscheiden, also Köpfe zählen. „Was soll das?”, frage ich da. Wenn sich zeigt - was niemanden wundern wird -, dass mehr Frauen als Männer in Kunstmuseen gehen, was folgt daraus? Sollen diesen Gelder gekürzt werden, da sie kein geschlechterausgewogenes Publikum ansprechen? Wenn ja, gilt das gleiche auch für Fußballstadien? Wo ist da Diskriminierung? Wer oder was hindert Männer daran in ein Kunstmuseum zu gehen? Wodurch werden die Chancen von Frauen ins Fußballstadion zu gelangen begrenzt? Hier handelt es sich um ein völlig falsch verstandenes Gleichstellungskonzept.
Ein zweites Beispiel macht es vielleicht noch klarer. In den 1980er Jahren, lange vor Gender Mainstreaming, begann das Bemühen, Frauen für Männerberufe zu gewinnen. (Die Begriffe Frauen- bzw. Männerberuf sind definiert als Beruf, in dem Menschen eines der beiden Geschlechter zu mindestens 70 Prozent beschäftigt sind.) Ziel der Kampagne „Frauen in Männerberufe” war letztendlich mehr Frauen in besser bezahlte Berufe zu bringen. Einige Jahre später wurde eine Aktion speziell für Mädchen mit demselben Ziel ins Leben gerufen, der Girls Day. Dann wurde das Gleichstellungskonzept noch mal verändert, indem ein Boys Day dazu kam, um Jungen für Frauenberufe zu interessieren. Damit sollte wohl gezeigt werden, dass Gleichstellung nicht nur Frauen im Blick hat. Aber welche Benachteiligung würde beendet, wenn beide Geschlechter zu fifty-fifty auf Berufe verteilt sind, die davor als Frauen- bzw. Männerberufe galten?
Rein statistisch betrachtet im unausgewogenen Geschlechterverhältnis. Aber ist die Berufswahl, die dieser Verteilung zugrunde liegt, das Ergebnis einer Diskriminierung? Werden Mädchen von bestimmten Berufen ausgeschlossen? Wird Jungen der Zugang zu anderen erschwert? Warum Anstrengungen unternehmen, um auf ein fifty-fifty-Verhältnis der Geschlechter zu kommen? Hintergrund der Aktionen war doch die ungleiche Bezahlung in Männer- und Frauenberufen. Diese ist diskriminierend, meine ich, und zwar dann, wenn die Anforderungen an Zugang und Qualifikationserwerb für beide Berufe sehr ähnlich sind (z. B. Sozialpädagogin und Ingenieur), die Bezahlung jedoch sehr ungleich.
Warum sollen aber dann Jungen für Frauenberufe interessiert werden? Dafür gibt es nur einen optischen Grund: gleich viele Köpfe hier wie dort. Statt dessen müssten Anstrengungen gemacht werden, die ungleiche Bezahlung aufzuheben oder wenigstens abzubauen. Wie der Wandel vom ausschließlichen Girls Day zum zusätzlichen Boys Day zeigt, führt das Bestreben, die Kampagne auf beide Geschlechter auszudehnen, noch weiter vom Diskriminierungsansatz weg. Es geht nur noch um Statistik.
Und dieser Trend greift um sich. Er hat auch das Bundesgleichstellungsgesetz erfasst (in seiner Fassung von 2016), was Frauenverbände und JuristInnen auf den Plan rief. Sie haben auf eine Verschlechterung für Frauen hingewiesen, die entsteht, weil Frauen und Männer gleichermaßen gefördert werden sollen in Bereichen, in denen sie jeweils unterrepräsentiert sind. Das hält der Juristinnenbund für unzulässig, da der Grund für eine Förderung stets die strukturelle Diskriminierung eines Geschlechts war. (Eine strukturelle Benachteiligung liegt zum Beispiel dann vor, wenn Teilzeitbeschäftigte eine schlechtere Beurteilung ihrer Tätigkeit erhalten, mit der Begründung, sie seien ja nicht die ganze Zeit im Betrieb, würden also nicht so viel leisten. Bei Beurteilungen muss es aber um die Qualität der erbrachten Leistung in der vertraglich vereinbarten Zeit gehen. Da nun überwiegend Frauen in Teilzeit beschäftigt sind, handelt es sich hierbei um eine strukturelle Diskriminierung von Frauen.) Die Juristinnen bemerken bezogen auf die vorgesehene Förderung beider Geschlechter auf der Grundlage von Unterrepräsentanz zu recht, dass, wenn Männer in Frauenjobs eine Minderheit bilden, dies in der Regel deshalb der Fall ist, weil solche Jobs mit zu wenig Macht oder Geld ausgestattet und deshalb für Männer weniger attraktiv sind - und nicht weil Männer diskriminiert werden. Im neuen Gleichstellungsgesetz dagegen heißt es, Männer seien in diesen Bereichen zu fördern, unabhängig davon, ob dies durch eine strukturelle Benachteiligung verur-sacht wurde oder nicht. Da aber Artikel 3 des Grundgesetzes dem Abbau von strukturellen Benachteiligungen dienen solle, sei Männerförderung völlig fehl am Platz, so die Juristinnen. Den GesetzgeberInnen gilt aber offenbar: Statistik schlägt Struktur. Es fällt wohl leichter zu zählen als zu denken.
Mit dem Begriff Gleichstellung kann man/frau leicht in eine Köpfe-Zählen-Falle geraten, wenn nämlich eine gleiche Verteilung der Geschlechter angepeilt wird, statt nach strukturellen Ursachen für das unausgewogene Zahlenverhältnis zu fragen. Dieses Gleichstellungsverständnis ist inzwischen auch ins Gender Mainstreaming eingegangen. Eine ungleiche Verteilung der Geschlechter beim Ausüben einer Sportart oder der Nutzung von Verkehrsmitteln veranlasst das der Humboldt Universität angegliederte Gender Kompetenz Zentrum, Maßnahmen zu entwickeln, die zu einem ausgewogeneren Geschlechterverhältnis führen. Dagegen öffnet sich ein ganz anderes Fenster, wenn nach struktureller Benachteiligung gefragt wird: Dann müssen nämlich Maßnahmen gegen Diskriminierung entwickelt werden. Eine gleiche Verteilung von Frauen und Männern beseitigt noch lange keine strukturellen Probleme. Mehr noch: Sie bieten rechter Kritik am Gender Mainstreaming eine offene Flanke, wie ich zeigen werde.
Dazu halte ich mich an das Buch „MenschInnen - Gender Mainstreaming - Auf dem Weg zum geschlechtslosen Menschen” von Barbara Rosenkranz, einer österreichischen Politikerin der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ). Sie vertritt dieselben Thesen wie die Referentin bei der AfD Kiel, begründet sie aber ausführlicher. Rosenkranz geht zunächst auf den Begriff „Gender” des Gender Kompetenz Zentrums ein. Danach steht Gender für ein gewandeltes Verständnis von Geschlecht, das nicht natürlich gegeben sei, sondern Ergebnis verschiedener gesellschaftlicher Faktoren. Das biologische Geschlecht sei nicht die Grundlage von Gender, sondern immer ein Teil davon. Daraus macht die FPÖ-Politikerin nun, die Gender-Theorie gehe weit über die vordergründig behauptete Gleichstellung hinaus. Sie sei nichts weniger als die Abschaffung biologisch bedingter Geschlechter, das Ende von Mann und Frau. Darin sieht sie des Pudels Kern. Die wahren Hintergründe hinter dem Gender Mainstreaming seien die Aufhebung der Geschlechtsunterschiede.
Rosenkranz stößt sich vor allem daran, dass nicht nur gesagt wird, soziale Geschlechterrollen seien erlernt, sondern dass zum Umlernen aufgefordert wird. Man solle sich bewusst machen: Eine biologische Frau, ein biologischer Mann müsse nicht zugleich das soziale Geschlecht, also die als weiblich bzw. männlich geltenden Eigenschaften annehmen. Damit lösten sich alle Normen auf. Auch würden alle sexuelle Lebensformen gleichgestellt, folgert Rosenkranz. Ein neuer Mensch solle geschaffen werden. Das habe schon der Marxismus gewollt, meint sie und will damit wohl sicher gehen, dass sie den Beifall aus der richtigen, sprich der rechten Ecke bekommt. Solchen Vorhaben setzen sie und andere Rechte die Natürlichkeit, die Biologie der Geschlechtsrollen und der Heterosexualität entgegen.
Wenn nun von politischer Seite mit einem statistischen Gleichstellungskonzept gearbeitet wird, kann tatsächlich der Eindruck von Gleichmacherei erzeugt werden, wenn überall Frauen und Männer je zur Hälfte vorkommen, überall das Gleiche tun sollen. Darin sehe ich eine offene Flanke für die Rechten. Diese können sich an Gleichmacherei abarbeiten, statt sich mit einer Maßnahme zur Beseitigung einer Diskriminierung auseinandersetzen zu müssen. Vom Ziel einer fifty-fifty-Verteilung der Geschlechter auf deren Abschaffung zu schließen, ist jedoch grotesk.
Rosenkranz glaubt das Ende von Frau und Mann als des Pudels Kern für das Gender Mainstreaming ausgemacht zu haben. Da frage ich nun umgekehrt nach dem Kern ihres Pudels. Die Betonung der Biologie und der Natürlichkeit der Heterosexualität scheint mir nur vordergründig. Gleich zu Anfang benennt sie ihr Hauptanliegen: Etwas gegen die „demographische Bedrohung”, die Gefährdung der Zukunft Österreichs zu unternehmen. Ihrer Meinung nach muss nämlich jede Generation von der ihr nachfolgenden zahlenmäßig zumindest ersetzt werden. Aber damit liegt sie falsch. Jede Gesellschaft muss ihre bevölkerungspolitischen Ziele mit ihren Möglichkeiten abstimmen, die eigene Bevölkerung zu ernähren. Wenn die Versorgung einer stark wachsenden Bevölkerung nicht gewährleistet ist, kann es sinnvoll sein zu fördern, was ein Bevölkerungswachstum bremst. Für Rosenkranz ist so eine Situation kein Thema, sicher auch gar nicht wünschenswert. Denn gleich zu Anfang schwärmt sie vom alten Rom, wo Augustus Menschen mit drei und mehr Kindern Vorteile eingeräumt und so zur Ausdehnung des römischen Imperiums beigetragen hat. Schwebt ihr ein neues Weltreich vor? Zum Schluss lobt sie das heutige Frankreich mit einer Geburtenrate von 1,9 Kindern pro Frau. Es freut sie besonders, dass einheimische FranzösInnen reichlich Nachwuchs haben, nicht nur Familien mit Migrationshintergrund. Das überrascht nicht bei einer rechten Politikerin. So steht Bevölkerungswachstum am Anfang und Ende ihres Buchs, ist ihr A und O, der Kern ihres Pudels. Wahrscheinlich hat sie eine Alterspyramide wie die von 1910 in Deutschland vor Augen, einen Tannenbaum. Was der Pudel wohl davon hält?
Die AfD thematisiert in ihrem Grundsatzprogramm ebenfalls das, was sie „demografische Fehlentwicklungen” nennt: die niedrige Geburtenrate. Für deren Erhöhung müssten deutsche, nicht etwa eingewanderte Frauen sorgen, denn die deutlich höhere Kinderzahl von MigrantInnen verstärke den ethnisch-kulturellen Wandel der Bevölkerungsstruktur. Zahlreiche Kinder aus deutschstämmigen Familien unterer Schichten sind ebenfalls weniger erwünscht. Dagegen sollten bildungsnahe, mittlere Einkommensschichten für große Familien sorgen können, ohne ein Armutsrisiko einzugehen. Auch Rosenkranz geht es um höhere soziale Schichten, insbesondere um Akademikerinnen, die zu einem großen Teil kinderlos blieben. Zahlreiche Kinder sollen den erwünschten Schichten und Ethnien mehr Gewicht verleihen gegenüber denen, die klein gehalten werden sollen, nicht nur zahlenmäßig. Von den Frauen der Eliten meint Rosenkranz, dass sie ein Leben ohne Kinder vorziehen. Stimmt das?
Darüber habe ich keine Information, aufschlussreich ist jedoch der Kinderwunsch allgemein. Dieser lag für Frauen gemäß dem Bericht der Sachverständigenkommission „Siebter Familienbericht 2005” in Deutschland bei 1,75, bei Männern dagegen nur bei 1,59 Kindern; die letzte Zahl liegt immer noch deutlich über der tatsächlichen Kinderzahl, die seit längerem nicht höher als 1,4 Kinder pro Frau kommt. Angesichts ihrer Betonung der Biologie wundert es, dass Rosenkranz sich auf die übliche, frauenbezogene Statistik stützt und den an der Fortpflanzung ja ebenfalls beteiligten Männern keine Beachtung schenkt. Fragen, warum nicht nur der Kinderwunsch höher liegt, als die tatsächliche Geburtenrate, sondern auch der von Frauen größer ist als der von Männern, sollten gestellt werden; die Antworten wären für die Politik wichtig.
Auch die AfD richtet in ihrem Grundsatzprogramm nur den Blick auf Frauen, wenn ein falsch verstandener Feminismus kritisiert wird, der einseitig Frauen im Erwerbsleben schätze, nicht aber die „nur” Mutter und Hausfrau. AfD-Leitbild ist das einer traditionellen Familie (Vater, Mutter, Kinder) mit traditionellen Geschlechtsrollen. Wir ahnen, an welche Traditionen dabei gedacht ist. Aber nicht nur der Feminismus, auch das Gender Mainstreaming wird genannt, letzteres in einer reichlich wirren Aussage: „Gender Mainstreaming und die generelle Betonung der Individualität untergraben die Familie als wertgebende gesellschaftliche Grundeinheit.” Was hier Gender Mainstreaming angehängt wird, ist nicht nur abstrus, es hat absolut nichts mehr mit dem politischen Konzept zu tun.
Wenn die AfD gegen ein Bild der voll erwerbstätigen Mutter angeht, hat sie nicht ganz Unrecht. Gerade die SPD setzt stark auf Kinderbetreuung in frühestem Alter außerhalb der Familie mit der Begründung, dass dadurch die Bildungschancen erhöht würden. Erfreulicherweise werden seit einiger Zeit kritische Stimmen dazu laut, die nicht aus dem rechten Lager kommen. Diese bemängeln die häufig schlechte Qualität von Krippen und Kitas, deren unzureichende Ausstattung, die Lern-erfolge erschweren bis unmöglich machen, und die Tatsache, dass durch mehr und frühere Kinderbetreuung Väter nicht dazu ermutigt werden, ihre Arbeitszeit zu reduzieren, um Familienaufgaben wahrzunehmen. Es sind Arbeitgeber, die von familiären Problemen unbelastete Arbeitskräfte suchen. Demgegenüber geht es der Resolution zu Sorgearbeit/Care der Frauensynode der Nordkirche von 2015 und der Care Revolution Bewegung (initiiert von Gabriele Winker) um eine staatliche Bezahlung der familiären Sorgearbeit in einer Höhe, die - anders als das Betreuungsgeld der CSU - ihren Namen verdient. Auch die Autorinnen des Buch „Die Abschaffung der Mutter” haben mit ihrer Kritik nicht gespart. Sie beklagen den Verlust an Selbstbestimmung von Müttern beginnend mit der Schwangerschaft bis zur Kitapflicht und stellen vor, wie sie selbst mit Kindern leben möchten. Sehr erfreulich ist, dass die Sachverständigen, die den 2. Gleichstellungsbericht für die Bundesregierung verfasst haben und der voraussichtlich im März erscheinen wird, die Wünsche von Eltern ernst nehmen, mehr Zeit mit ihren (Klein-)Kindern verbringen zu wollen und offenbar dafür auch Lösungsmodelle vorschlagen.
Diese Stichworte sollen als Beispiele für diskussionswürdige Denkanstöße genügen. Sie könnten Anregungen für ein auf Gleichberechtigung beruhendem Familienkonzept geben, das nicht auf frühe Fremdbetreuung setzt, um Mütter möglichst schnell wieder dem Arbeitsmarkt zuführen zu können. Ein solches Konzept sollte sich deutlich und offensiv vom traditionellen Familienbild der Rechten unterscheiden, das alte Abhängigkeiten der Frauen von ihren Partnern wieder belebt.
Auch Rosenkranz spricht das wirtschaftspolitische Ziel an, die Arbeitskräftezahl zu vergrößern, um sie billiger zu machen und die wirtschaftliche Verfügbarkeit von Frauen zu erhöhen. Da fragt es sich:
Sicher ist, dass seit der ersten großen Wirtschaftskrise in der früheren BRD Ende der 1960er Jahre die Löhne sanken, sodass viele Männer nicht mehr alleinige Familienernährer sein konnten und Frauen mitverdienen mussten, was ihre Position innerhalb der Familie stärkte. Das ist bis heute so. Mehr noch, der Anteil von Männern, die mindestens zu 60 Prozent zum Familieneinkommen beitragen, geht zurück, gleichzeitig ist die Teilzeittätigkeit von Frauen mehrheitlich kein Zubrot, sondern Existenzsicherung. Sicher ist auch, dass Männer von der Änderung der Wirtschaftsstruktur seit den 1970er Jahren, dem Rückgang des industriellen und der Zunahme des Dienstleistungssektors, stärker negativ betroffen sind, während Frauen - obwohl im letzteren Bereich stark vertreten - davon nicht profitieren konnten. Das zeigen der Gender Time Gap, der Unterschied in den Erwerbsarbeitszeiten von 9 Stunden bzw. 23 Prozent (2015), der sich sogar vergrößert, der Gender Pay Gap, die Einkommensverdienstlücke zwischen Frauen und Männern, von seit Jahren gleichbleibend ca. 22 Prozent, und der Gender Pension Gap, die Kluft zwischen Männern und Frauen bei der Rente, der in Westdeutschland 42, im Osten 23 Prozent beträgt.
Der durch die technologische Entwicklung seit den 1960er Jahren gesunkene Bedarf an Arbeitskräften ging nicht zufällig einher mit dem in allen Industrieländern erleichterten Zugang zur Geburtenkontrolle, bis hin zu zunehmender Toleranz gegenüber gleichgeschlechtlichen Lebensformen, alles nicht auf Fortpflanzung und Bevölkerungswachstum ausgerichteten Verhaltensweisen.
Im Interesse der Wirtschaft liegt nun die Überrepräsentanz von Frauen bei nicht regulär Beschäftigten, sind diese doch preiswert zu haben und schnell wieder zu entlassen. Damit hat die wirtschaftliche Entwicklung ein neues, aber immer noch patriarchales Familienmodell bewusst oder unbewusst auf den Weg gebracht: Ein in Vollzeit erwerbstätiger Mann mit einer teilzeitbeschäftigten und daher finanziell vom Mann abhängigen Partnerin und früh fremdbetreuten Kindern. Armutsgefährdung von alleinerziehenden Frauen und weibliche Altersarmut sind die Folge. Widerstand von linker und feministischer Seite gegen diese Entwicklung kann gar nicht laut genug sein. Leitbild darf aber nicht die Angleichung an Männererwerbsarbeitszeiten sein. Es sollten vielmehr Wunscharbeitszeiten von Müttern und Vätern (30 bzw. 37 Wochenstunden) ernst genommen werden. Für die Idee einer 30-Stunden Woche für alle, also Aufstockung der Erwerbsarbeitszeit für die, die weniger arbeiten, und Reduktion für die, die mehr arbeiten bei angemessenem Lohnausgleich, sollte laut getrommelt werden.
Warum wollen Rechte aber nun eine Steigerung der Geburtenrate erreichen, wo doch alle Zeichen auf einen geringeren Bedarf an Arbeitskräften stehen? Die Arbeitslosigkeit könnte in Deutschland steigen, was angesichts der Digitalisierung keine unrealistische Perspektive ist. Schätzungen zufolge sollen Roboter und Hochleistungsrechner in den kommenden Jahren in Deutschland 1,5 Millionen Arbeitsplätze ersetzen. Ob Frauen, die für längere Zeiträume nicht erwerbstätig sind, wie es den Rechten vorschwebt, eine drohende Arbeitslosigkeit auffangen können, scheint mir zweifelhaft.
Da ist das AfD-Grundsatzprogramm deutlich vorsichtiger. Dort heißt es unter „Wirtschaftliche Zukunft trotz Demographiekrise”, der Bevölkerungsrückgang in Deutschland dürfe kein Tabu sein. Man geht offenbar von gleichbleibendem Wohlstand aus, obwohl der Bedarf an Arbeitskräften durch Automatisierung und Digitalisierung sinkt.
Zu fragen ist auch: Warum wollen Rechte an traditionellen Geschlechtsrollen in der Familie festhalten, obwohl diese seit Jahren auf dem Rückzug sind? Offenbar ist die Abhängigkeit der Frauen von ihren Ehemännern gewünscht. Nicht fragen muss ich, warum der Feminismus und das Gender Mainstreaming angegriffen werden und nicht die Wirtschaft und Arbeitgeber, obwohl doch deren Motive Frauen einzustellen klar erkannt werden. Die Rechten brauchen für ihr Leitbild traditioneller Geschlechtsrollen ein lila Feindbild.
Aus dem Bisherigen lässt sich zusammenfassen:
Ursula G. T. Müller