(Gegenwind 340, Januar 2017)
Am 8. und 9. Dezember fand mitten in der Freien und Hansestadt Hamburg das jährliche Treffen des OSZE-Ministerrats mitsamt Entourage statt, am 7. und 8. Juli 2017 folgt der G 20-Gipfel.
„Das ist schon eine besondere Größenordnung. Bei anderen Einsätzen reichen ein oder zwei Seelsorger”, schwärmte der evangelische Pastor Patrick Klein am 22. November im katholischen Domradio. Während Hamburger Zeitungen seit Monaten Pläne der sich allmählich vergrößernden Sperrgebiete rund um die Veranstaltungsorte veröffentlichen, in internen Polizeimedien die Einsatzvorbereitung für die „Sonderlage” erörtert wird und Hamburgs Grüne betonen, dass auch die Beteiligung der Zivilgesellschaft an den Gipfeln voll wichtig sei, erfährt die Polizeiseelsorge unverdienterweise weniger Beachtung. Dabei ist auch sie schon vollauf vorbereitet. Der evangelische Pastor Patrick Klein teilt sich ganz ökumenisch ein Büro mit dem katholischen Diakon Marc Meiritz, im prächtigen, vor Glas und Stahl nur so glänzenden Hamburger Polizeipräsidium, neben dem die hochmotivierten, für den ständigen Abruf kasernierten Einsatzhundertschaften ungeduldig die Tonfas putzen und ihre Schilde polieren. Die kirchlichen Freunde der Polizei bereiten derzeit den Seelsorgeeinsatz beim OSZE-Ministerratstreffen am 8. und 9. Dezember vor. „Das hier ist so eine Art Mini-Lagezentrum für Seelsorge gewesen in den letzten Wochen”, plauderte Diakon Meiritz im Domradio. Für den Großeinsatz von 13.700 Polizeibeamten beim OSZE-Gipfel sei der Einsatz von 25 evangelischen Pastoren und katholischen Pfarrern, Diakonen und Pastoralreferenten eingeplant.
Die Polizei hat 3.000 Einsatzwagen, 23 Wasserwerfer, 18 Panzer sowie Hunde- und Pferdestaffeln zu Land im Einsatz. Auf Alster, Elbe, Fleeten und Kanälen - also sämtlichen Wasserwegen - sind 35 Polizeiboote stationiert. Für die Überwachung der Flugverbotszone gegen Drohnen sind zehn Helikopter vorgesehen. Der Flughafen Fuhlsbüttel ist - auch für die Delegationen - offen, ansonsten ist der Luftraum zwischen Neumünster und Lüneburg gesperrt. Selbst Kampfflugzeuge der Luftwaffe der Bundeswehr sind einsatzbereit.
Auf etwa 3.500 Teilnehmende am OSZE-Gipfel freut sich die Freie und Hansestadt: Von den Außenministern der USA, Russlands, aber auch der Türkei sowie 54 weiterer Staaten und deren Delegationen bis hin zu deren jeweils eigenem Sicherheitsdienst, nicht zu vergessen die Berichterstattenden im Pressezentrum. Abordnungen kommen so aus allen Staaten Europas, den USA, Kanada, den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und der Mongolei. Die OSZE ist im internationalen Konfliktmanagement diplomatisch aktiv und hat derzeit etwa 2.500 Mitarbeitende bei 17 Feldmissionen von Südosteuropa bis Zentralasien als Beobachtende im Einsatz, am bekanntesten ist die Beobachtermission in der derzeitig unfriedlichen Ostukraine zur Kontrolle der Waffenruhe.
„Die OSZE ist mit 57 Teilnehmern”, verkündete der Hamburger Senat, „die einzige sicherheitspolitische Organisation, in der alle europäischen Länder, die Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion sowie die USA und Kanada vertreten sind.” Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, OSZE, ist hervorgegangen aus der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, KSZE, welche dem Hamburger Senat als „Fundament der Sicherheitsarchitektur in Europa” gilt, als institutionalisierter Ausdruck der sogenannten Entspannungspolitik der 70er Jahre. Außenminister Frank-Walter Steinmeier, SPD, hat sich für die Übernahme des jährlich wechselnden Vorsitzes eingesetzt und schon Ende 2015 eifrig erklärt: „Deutschland übernimmt den OSZE-Vorsitz 2016 auch im Gedenken an das reiche Erbe von Helmut Schmidt.” Schmidt, für die SPD eine Ikone, hat den Handel mit der Sowjetunion und ihrem Wirtschaftsverbund, dem RGW, Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe, zugunsten der Bundesrepublik forciert und war an der Gründung der OSZE maßgeblich beteiligt.
Das Engagement der OSZE für den Frieden auf Erden präsentiert Hamburgs Senat so: „Die Schaffung von umfassender und ungeteilter Sicherheit, Konfliktverhütung und Konfliktmanagement in allen Phasen von Konflikten und Krisen sowie der Schutz von Menschenrechten, demokratischen und rechtsstaatlichen Standards.”
Steinmeier betonte im November 2015, Hamburg sei total geeignet für den OSZE-Gipfel, weil: „Keine andere Stadt in Deutschland steht so sehr für Weltoffenheit, Toleranz und internationale Vernetzung wie Hamburg.” Friedlich liegt es da, am Zusammenfluss von Elbe und Alster, das selbsternannte „Tor zur Welt”, in dem gesellschaftliche Konflikte im Stuhlkreis gelöst werden und die Polizei als Streitschlichterin so lange besonnen auf diejenigen einredet, die von den gesellschaftlichen Normen abweichendes Verhalten praktizieren, bis sie von ihrem schändlichen Tun freiwillig ablassen. Denn: „Dialog” ist das Zauberwort für die einjährige Amtsperiode des deutschen OSZE-Vorsitzes. Bereits am 12. Januar fand im Weltsaal des Auswärtigen Amtes in Berlin die Auftaktveranstaltung zum deutschen OSZE-Vorsitzjahr statt, unter dem Motto: „Kultur des Dialogs - Dialog der Kultur”. Steinmeier brachte lobpreisend einen Toast aus auf die „Schlüsselrolle der OSZE als Forum für Dialog, Verständigung und gemeinsames Bemühen um Konfliktlösung - nicht nur im Ukraine-Konflikt”.
Um dem gutem Beispiel seines Parteifreundes Steinmeier zu folgen, griff Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz im Januar den Vorschlag der Bundeskanzlerin, den G 20 - Gipfel am 7. und 8. Juli 2017 ebenfalls in Hamburg stattfinden zu lassen, gerne auf. Als guter Gastgeber des traditionellen Matthiae-Mahls im Hamburger Rathaus sagte er erfrischend spontan zu, ohne lange mit dem Senat Rücksprache zu halten, als Merkel in ihrer Rede vor hunderten geladenen Gästen des Senates erklärte, dass Hamburg 2017 den G20-Gipfel ausrichten werde: „Ich glaube, das trifft sich gut mit der Weltoffenheit Hamburgs.” Seit 1356 feiern die Hamburger mit ihren Gästen das Matthiae-Mahl - was hier festlich vereinbart wird, gilt. Und erstmal die Synergieeffekte - nach dem OSZE-Gipfel ist Hamburg als Gastgeberin richtig in Übung, um ein halbes Jahr später den G 20-Gipfel auszurichten. Und ein paar Tausend Servietten mehr für die Festbankette zu falten.
Während die Basis der in Hamburgs Senat mitregierenden Grünen von diesem großen Wurf im Februar erstmal überfordert waren, bewies Hamburgs zweite Bürgermeisterin, die Grüne Katharina Fegebank, einmal mehr ihren Sinn für ihr hohes Amt. Tapfer wiederholte sie bis zum Sommerinterview im Regionalsender NDR immer wieder: „Meine Haltung ist, dass sich demokratisch gewählte Regierungschefs überall auf der Welt treffen müssen, um sich zu beraten und sich auszutauschen.” Auch mittenmang im Tor zur Welt. Die wollen doch nur spielen. Sanft betonte Fegebank: „Wir haben immer gesagt, dass wir einen G20-Gipfel so stadtverträglich wie möglich gestalten wollen und müssen, um die Akzeptanz der Bevölkerung in den nächsten Monaten zu bekommen und ihnen auch zu erklären was passiert.”
Denn als bürgernahe Tagungsorte für beide Gipfel erkor Hamburgs Senat die städtischen Messehallen aus. Die sind nicht nur schön groß und geräumig - hier finden sonst nicht nur Messen für den Hausgebrauch statt wie die Hanseboot, auf der gut betuchte Hanseaten einmal mehr die existenzielle Frage umtreibt, ob dieses Jahr eine neue Motorjacht oder nicht doch lieber eine Segeljacht angeschafft werden sollte. Nein, auf der Aircraft Interiors Expo oder der größten Schiffbaumesse der Welt SMM stellen etwa Rüstungswerften wie Lürssen auch schon mal größere Kriegsschiffe vor, die selbstverständlich der nachhaltigen Verteidigung dienen. So bieten die Hamburger Messehallen auch den hochwichtigen Gipfelteilnehmenden genug Platz, um sich zu entfalten.
Gleichzeitig grenzen die Messehallen direkt an die verwinkelten, teilweise engen Straßen des Hamburger Karolinenviertels und des Schanzenviertels, die nicht nur von der Tourismuszentrale der Stadt als pittoreskes Ambiente mit leicht verruchtem Flair vermarktet werden, sondern auch eine lebendige radikale linke Szene beherbergen, denen der polizeiliche Staatsschutz und der Inlandsgeheimdienst gerne auch mit verdeckten ermittelnden Beamtinnen und Beamten seine Aufmerksamkeit zukommen lässt. Die Hamburger Polizeiführung begleitet linke Demonstrationen in diesen Vierteln gerne mit einer Umkesselung. Auch wenn eine Demonstration wie im Dezember 2013 vor dem linken Zentrum Rote Flora fünf Minuten zu früh startet, greift die Hamburger Polizeiführung gerne ein, führt ihrerseits vor, was sie so an Einsatztechnik und Körpereinsatz zu bieten hat, lässt den lästigen Formalkram wie das Demonstrationsrecht mal außen vor und führt fürsorglich vor, wie gefährlich so ein bürgerkriegsmäßiger Durchmarsch in Kampfmontur doch sein kann.
Fürsorglich hat Hamburgs Polizeiführung sich rechtzeitig zum großen OSZE-Dialog auch einen gepanzerten Transporter angeschafft, den Radpanzer „Survivor I” - plus neue Sturmgewehre, Helme und Schutzwesten. Mitte November präsentierte Hamburgs Innensenator Andy Grote, SPD, sichtlich stolz alles zusammen auf dem Gelände der Hamburger Polizeiakademie. Etwa zehn Tonnen ist der neue Polizeipanzer schwer, gepanzert gegen Beschuss aus Sturmgewehren, und für den Straßenkampf auch bis zu 100 Stundenkilometer schnell. Hamburg, hat sich die militärähnliche Ausstattung 4,5 Millionen Euro kosten lassen - on top zu den regulären Ausrüstungs-Ausgaben der Polizei. Polizeipräsident Ralf Martin Meyer erklärte visionär:„Wir wissen nicht, was auf uns zukommt und in welcher Dimension es auf uns zukommt.” Derart blumig begründete er, warum 70 Streifenwagen mit Schutzwesten und Helmen der höchsten Schutzklasse sowie mit Sturmgewehren ausgerüstet werden. Hamburg habe, so Meyer, 330 Helme und Westen bestellt. Das führe aber zu Lieferengpässen, weil die Rüstungsindustrie von der großen Nachfrage überrascht wurde. Westen und Waffen kommen erst nach und nach in Hamburg an. „Wir hätten es gern noch etwas früher gehabt”, erklärte Meyer dem Handelsblatt: Entscheidend sei aber, den Termin vor dem OSZE-Gipfel eingehalten zu haben. Für ein ordentliches Bürgerkriegsszenario muss eben Geld in die Hand genommen werden. Hamburgs Mobiles Einsatzkommando MEK, vergleichbar mit den ebenfalls beim Gipfel präsenten SEKs anderer Bundesländer und der GSG 9, ist so hochgerüstet. Das MEK hat an einem streng geheimen Ort in Hamburgs Innenstadt Quartier genommen und kann den Leerlauf beim Bereitschaftsdienst so ungestört mit dem Blankputzen der neuen Ausrüstung verbringen.
Alleine beim OSZE-Gipfel werden bis zu 500.000 Überstunden für die Hamburger Polizei anfallen, rechnet deren Personalratsvorsitzender Freddi Lohse vor. Denn wie beim G20-Gipfel dürfen Alle bei der Hamburger Polizei, die nicht anderweitig eingesetzt sind, bei der „Sonderlage” OSZE-Gipfel dabei sein: Etwa 4.000 Beamte, denn damit niemand den Gipfel verpasst, wurde eine generelle Urlaubssperre verhängt. Eingeladen hat die Polizeiführung noch 6.000 Beamte aus anderen Bundesländern und von der Bundespolizei.
Die werden nicht nur damit beschäftigt sein, die Sperrzonen rund um die Messehallen und das Hamburger Rathaus zu bewachen. Nein, sie werden auch damit beschäftigt sein, an Kontrollpunkten die Zivilgesellschaft nach Ausweispapieren zu fragen. „Bei Bedarf nimmt die Polizistin oder der Polizist einen Datenabgleich vor. Das kann erfahrungsgemäß einige Minuten in Anspruch nehmen”, heißt es in einem internen Konzept der Innenbehörde vom August.
Polizisten können auch Anwohner bis zur Haustür begleiten - „um vor Ort zu prüfen, ob ihr Name auf dem Klingelschild steht oder ob ihr Schlüssel passt”. In den Wohnungen darf sich sogar frei bewegt werden: Selbst an Fenster und auf Balkone dürfen Anwohner laut dem Konzept „unbesorgt treten”. Für Eltern empfiehlt sich das Bevorraten mit Spielen: Denn auch Kinder müssen draußen bei Ansprache einen Kinderausweis vorzeigen, auch hier sind „Datenabgleiche” möglich. „Wir wären Ihnen sehr dankbar, wenn Sie an den beiden Tagen des OSZE-Ministerrats in den oben genannten Straßen keine großen Feiern oder Kindergeburtstage veranstalten würden, die sich leicht verschieben lassen”, diese Bitte der Stadt wurde von einigen Anwohnern nicht verstanden: An 362 Tagen sind doch alle Feiern erlaubt! Dass müsste doch wohl reichen. Wie groß die Sperrgebiete letztendlich sind, wird sich erst noch zeigen - im Moment (der Artikel entstand am 7. Dezember) umfassen sie nur kleine Zonen rund um die Messehallen, so ist die nur 1.500 Meter von den Messehallen entfernte Rote Flora etwa außen vor. Hamburgs Innenbehörde hat aber schon zugesagt: Auch wer nichts mit den Sperrgebieten zu tun hat, wird an der hohen Polizeidichte in der Stadt partizipieren können, überall werden uniformierte und zivile Beamte präsent sein. Denn die Delegationen sind in den großen Hotels in der ganzen Stadt untergebracht, rund um die Messehallen, rund um die Binnenalster, bis hin zum neuen Luxushotel The Westin in der Elbphilharmonie. Endlich ein klares Signal dafür, wie sich der 880 städtische Millionen teure Bau der Elbphilharmonie auszahlt! Und zwischen den Tagungsorten Rathaus und Messehallen wird auch gependelt werden. So ergeben sich für die Zivilgesellschaft vielfältige Gelegenheiten, den Staatsgästen in ihren Karossen im Vorbeifahrten huldvoll zu winken.
Die Polizei bereitet sich so gründlich vor, dass es gleich zwei Vorbereitungsstäbe OSZE/G20 gibt: Bei der Bundespolizeidirektion Hannover unter der Leitung von Kai Hewelt, bei der Polizei Hamburg unter der Leitung von Hartmut Dudde. „Zweifellos stellt der G20-Einsatz im kommenden Jahr gegenüber dem OSZE-Ministerratstreffen die größere Herausforderung dar” so Hewelt in der Zeitschrift „Bundespolizei kompakt” 05/16: „Dennoch werden wir sowohl bei der Planung als auch bei der Herangehensweise die gleiche Intensität anstreben.” So intensiv wird der größte Polizeieinsatz Hamburgs seit der Flutkatastrophe von 1962 vorbereitet, das ein Meeting das nächste jagt. Aber, keine Bange, die Sonderlage ist im Griff: „Wir sind im Soll!”, so Dudde. Ganz im Geiste der OSZE sollen Kompetenzkonflikte dadurch vermieden werden, dass die Bundespolizeidirektion Hannover und die Polizei Hamburg eng zusammenarbeiten, bis hin zur „Bildung von Gemeinsamen Einsatzabschnitten”.
Bereits Anfang April hat Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer den Vorbereitungsstab OSZE und G20-Gipfel eingesetzt. Meyer zeigte Toleranz und setzte den Leitenden Polizeidirektor Hartmut Dudde als Leiter und Gesamteinsatzführer ein. Denn Dudde ist Anfang der 0er-Jahre unter dem damaligen rechtspopulistischen Innensenator Ronald Schill aufgestiegen und Leiter der Bereitschaftspolizei geworden. Gemeinsam mit dem damaligen, auch von Schill unterstützten Gesamteinsatzleiter Peter Born war Dudde in den 0er Jahren für zahlreiche von Gerichten später als rechtswidrig festgestellte Demonstrationseinsätze verantwortlich. Der damalige Innensenator Michael Neumann, SPD, hatte Hartmut Dudde 2012 dann zum Nachfolger von Born als Gesamteinsatzleiter ernannt. Von diesem Posten wurde Dudde 2015 abgelöst. Jetzt ist er wieder der oberste Entscheider der Einsätze. Und widmet seine Aufmerksamkeit wieder der radikalen linken Opposition: „Die größte Herausforderung sind in meinen Augen nicht nur die Tagungsorte und deren Schutz,” so Dudde im „Polizeispiegel” der gelben Deutschen Polizeigewerkschaft, „sondern die Örtlichkeiten, wo und in welchem Umfang und in welcher Intensität mögliche Gegenaktionen stattfinden könnten”. Dudde freut sich, „meinen Vorbereitungsstab mit ganz tollen Menschen zu besetzen”, die mit „viel Herzblut” dabei seien, etwa „die Einrichtung einer Groß-Gefangenensammelstelle in Containern nach bayerischem Vorbild” zu betreiben. Der Polizeistab hat „gute Kontakte zum G20-Stab der Senatskanzlei” und wird dort offensichtlich gehört. Dudde erklärte hochmotiviert frei heraus, neben der Feuerwehr Hamburg und dem BKA auch Gespräche „mit der Bundeswehr” geführt zu haben. Die „waren durchweg erfreulich und zielführend”. Welchen Beitrag die Bundeswehr zur „Konfliktverhütung” leisten wird, ist aber wohl noch eine Überraschung für die Zivilgesellschaft.
Am Wochenende vor dem OSZE-Gipfel findet auch eine Vorbereitung von Protest statt: Eine „Aktionskonferenz gegen den G20-Gipfel 2017” tagt am 3. und 4. Dezember in der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Die Einladenden legen aber Wert darauf, dass ihre Aktivitäten sich ausschließlich gegen den G20-Gipfel richten, wie Werner Rätz von „attac” auf einer Pressekonferenz im November betonte. Dass wollte allerdings Yavuz Fersoglu von NAVDEM, dem Demokratischen Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland so nicht stehenlassen und sprang in die Bresche: Selbstverständlich würde die kurdische Gemeinde gegen die OSZE-Tagung protestieren, dort sei ja der türkische Außenminister offizieller Teilnehmer. Und die Türkei würde Kriegsverbrechen in Kurdistan verüben, etwa durch die Bombardierung von Stadtteilen.
Für Proteste während des OSZE-Ministerratstreffens ist vielen linken Gruppierungen die Zeit zu kurz. Es gibt seit dem 22. November einen antiimperialistischen Aufruf zum OSZE-Gipfel, der auf wenig Resonanz stieß. Denn das „Bündnis gegen imperialistische Aggression” stößt in der Hamburger radikalen Linken auf viel Kritik: Es sitzt in dem linken Zentrum „B 5”, aus dem heraus 2009 die Aufführung des Filmes „Warum Israel” von Claude Lanzmann mit Gewaltandrohungen verhindert wurde. Für den 8. Dezember ruft das „Bündnis” zur „Demonstration gegen das OSZE-Treffen”. Im Aufruf erfahren geknechtete Völker viel Aufmerksamkeit, so heißt es etwa: „...die unterdrückten Länder und die Völker der Welt bluten jeden Tag, damit der Wohlstand und die Macht einiger Weniger erhalten bleibt”.
Ganz anders an den Start ist am Wochenende die Gruppe „noOSZE noG20” gegangen. In einer offensichtlich handwerklich solide ausgeführten und gründlich durchgeplanten Aktion wurde einer der Haupteingänge der Messehallen attackiert. 30 bis 50 Vermummte tauchten Samstagabend aus dem direkt angrenzenden Karolinenviertel auf, errichteten binnen Minuten Barrikaden auf der vierspurigen Straße und am Haupteingang, setzten diese in Brand, wofür auch der Brennwert eines dort geparkten Motorrades eingesetzt wurde, während andere Farbbeutel und Steine an die Glasfassade warfen. Das Portal fing Feuer, die Glastüren barsten. Nach wenigen Minuten verschwanden die Aktiven wieder im verwinkelten Karolinenviertel. Die Feuerwehr war sportlich dabei und brauchte nur 15 Minuten zum Löschen. Niemand wurde verletzt, niemand gefasst. Von „erheblichem Sachschaden” sprach die Polizeipressestelle, der Staatsschutz darf ermitteln.
In der Erklärung „Hurra! Hurra! Die Messe brennt ...” geht die Gruppe „noOSZE noG20” auch argumentativ an den Start: „Wir haben uns zu dieser Abrissinitiative entschieden, da wir die Messe, die sich als Messe zur Welt versteht, ebenso grundsätzlich ablehnen wie die dort geplanten Herrschaftstreffen.” Kritisiert wird, dass in der Stadtplanung der Messeerweiterung die Bedürfnisse der Anwohnenden immer untergeordnet wurden. Dies wird in knapper Form für die letzten Jahrzehnte prägnant dargestellt.
Eine Kritik der OSZE selbst findet sich nicht, dafür aber eine der Gipfel und der polizeilichen Planungen. Und die hochmotiviert klingende Aufforderung, „dem G20 in Hamburg Tschüss sagen”. So hat die Gruppe „noOSZE noG20” wenig Chancen, beim Polizeiseelsorger Klein Gehör zu finden: „Wenn Beamte beschimpft und angepöbelt würden, dann habe er auch keinen Beweggrund, mit den Demonstranten zu reden, sondern fühle sich allein für die Polizisten zuständig”, so das Domradio. Klein: „Dann bin ich Pastor meiner Gemeinde - und meine Gemeinde ist dann die Polizei.” Dialog und Konfliktfähigkeit geht eben doch am Besten diesseits der vorgestellten Frontlinie. Ob Außenminister Steinmeier aber tatsächlich darauf angewiesen ist, dass die Polizei in Hamburg zeigt, wie energisch und durchschlagend sie Konflikte im Innern lösen oder unterdrücken kann, sei dahingestellt. Die OSZE-Mitgliedsländer haben schließlich bereits in zwei Weltkriegen erlebt, in welcher Tradition von „Dialog” und „Völkerverständigung” Deutschland steht.
Gaston Kirsche