(Gegenwind 340, Januar 2017)
Am 29. Oktober fand in Kiel ein großer Kurdistan-Abend mit mehreren Hundert Besucherinnen und Besuchern in der „pumpe” statt. Bei der Veranstaltung „Kurdistan - Land der Berge” handelte es sich um eine weitere Veranstaltung der ZBBS-Reihe „Bühne frei für Geflüchtete”. Hier standen auf der Bühne unter anderem Êvar Mohammed (Foto rechts oben), geflüchtet aus Syrien, und Shene Tofik (Foto rechts unten), geflüchtet aus dem Irak. Beide moderierten den Abend, sie hatten den Abend aber auch in den letzten Wochen zusammen mit anderen vorbereitet. Wir sprachen mit ihnen über die Veranstaltung und über Kurdistan.
Gegenwind:
Ihr habt ja mit anderen zusammen die Kurdistan-Veranstaltung organisiert. Könnt Ihr euch erst mal vorstellen?
Shene:
Ich heiße Shene, bin 27 Jahre alt. Ich wohne seit 16 Jahren in Deutschland. Ich arbeite jetzt als Arzthelferin. Ursprünglich komme ich aus Suleymania im Norden vom Irak, aus Kurdistan. Wir sind Ende 2001 aus dem Irak nach Deutschland gekommen. Wir haben aber jahrelang keine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Der Asylantrag ist abgelehnt worden. Wir hatten nur eine Duldung, und es war für uns nicht einfach. Wir durften zum Beispiel nur in einem Umkreis von 30 Kilometern verreisen. Erst 2008, als wir nach Kiel umgezogen sind, haben wir eine Aufenthaltserlaubnis bekommen.
Êvar:
Ich heiße Êvar, ich bin 20 Jahre alt. Ich komme aus Syrien. Ich bin seit zweieinhalb Jahren in Deutschland. Ich bin mit meinen Eltern und Geschwistern gekommen. Wir haben Asyl beantragt, und nach neun Monaten haben wir die Aufenthaltserlaubnis bekommen. Wir kommen aus Kobane, aber wir haben zuletzt in Raqqa gelebt. Aber wir sind schon in die Türkei gegangen, als die Probleme anfingen. Den Islamischen Staat haben wir nicht miterlebt.
Gegenwind:
Wie habt Ihr die ZBBS kennen gelernt?
Êvar:
Durch Freunde. Wir wussten nicht, wo es Beratung gibt und wo es Deutschkurse gibt. Freunde haben mir von der ZBBS erzählt, und letztes Jahr bin ich dorthin gegangen, habe mich zum Deutschkurs angemeldet und Deutsch gelernt. Danach habe ich viele Flüchtlinge unterstützt, ich habe gedolmetscht, hauptsächlich beim Arzt und im Krankenhaus. Ich habe viele begleitet und ihnen mit der Sprache geholfen.
Shene:
Ich war 2008 neu in Kiel, ich kannte niemanden. Ich habe dann eine Familie hier kennen gelernt, die haben mir gesagt, dass es die ZBBS gibt und dass es dort Kurse gibt. Ich hatte keinen Deutschkurs gemacht, aber ich konnte schon super deutsch sprechen. In Niedersachsen hatten sie mich einfach in eine Schulklasse gesteckt, am Anfang verstand ich gar nichts, aber nach einem oder zwei Jahren konnte ich Deutsch. Das ist heute besser geregelt. Ich habe hier eine Ausbildung angefangen als Fachkraft für Pflegeassistenz, das dauert bis 2012, und dann habe ich die Ausbildung als Arztheferin gemacht und 2015 abgeschlossen. Ich bin jetzt seit ungefähr einem Jahr auch bei der ZBBS, ich habe bei vielen Projekten mitgemacht. Ich dolmetsche jetzt auch, vor allem für Flüchtlinge.
Gegenwind:
Wie habt Ihr mit der Vorbereitung von der Veranstaltung angefangen? Wer hatte die Idee?
Shene:
Die Idee hatte Idun Hübner von der ZBBS. Sie hat gesagt, dass Kurdistan jetzt dran ist. Sie hat uns darauf angesprochen, und wir haben gerne geholfen. Wir haben alle zusammen daran gearbeitet und alles vorbereitet.
Gegenwind:
Wie lange habt Ihr daran gearbeitet?
Shene:
Ungefähr fünf Wochen.
Gegenwind:
Wie viele wart Ihr in der Vorbereitung?
Shene:
Sechs Personen.
Gegenwind:
Wie habt Ihr die Ideen zusammengetragen, was Ihr machen wollt, welche Programmpunkte Ihr vorbereitet?
Êvar:
Wir haben uns alle zusammen getroffen. Wir haben dann besprochen, welche Sachen wir machen können, was wir vorbereiten können. Eine Frau war dabei von einem neuen kurdischen Verein hier in Kiel, dem „Zentrum für Beratung und Integration kurdischer Migranten e.V.” in Kiel-Mettenhof. Die machen selbst einen Kurdisch-Kurs und einen Musik-Kurs. Sie hat uns viele Programmpunkte vermittelt, wir konnten die Musik organisieren und den Tanz.
Gegenwind:
Aus welchen Ländern kamen diejenigen, die die Vorbereitung gemacht haben?
Êvar:
Es waren Kurden aus Syrien und zwei aus dem Irak.
Gegenwind:
Habt Ihr auch Kurdinnen oder Kurden aus anderen Ländern angesprochen, zum Beispiel aus der Türkei oder aus dem Iran?
Shene:
Ja, angesprochen haben wir viele. Aber die hatten alle leider keine Zeit. Wir hatten auch das Problem, dass in den fünf Wochen Zeit für die Vorbereitung die Herbstferien lagen, da war es für uns schwer, alle zu erreichen. Viele waren auch nicht in Kiel in der Zeit.
Êvar:
Es war ein Mädchen dabei aus dem Iran, die hat uns auch geholfen, aber die war keine Kurdin. Aber sie hat uns auch sehr geholfen.
Gegenwind:
Aus welchen Ländern kam denn die Mode und der Tanz und die Musik, die Ihr vorbereitet habt?
Shene:
Das kam aus Syrien und auch aus dem Irak. Aus der Türkei war leider nichts dabei.
Êvar:
Die Musik war auch teilweise auf Kurmanci, teilweise auf Sorani.
Gegenwind:
Ihr hattet auch eine Präsentation über die Geschichte Kurdistans vorbereitet. Um welche Länder ging es dabei?
Shene:
In der Präsentation haben wir die Situation der Kurdinnen und Kurden in vier Ländern vorgestellt. Ich habe vor allem über die Situation der Kurden im Nordirak erzählt, weil ich von dort herkomme und dort geboren bin, ich bin ja aus Suleymania. Aber es ging dann auch um die Situation der Kurden in Syrien, der Türkei und dem Iran. Da hat uns auch meine Freundin Annika geholfen.
Êvar:
Ja, Annika hat uns viel geholfen. Sie hat über die Kurden in der Türkei und im Iran berichtet. Sie hat auch bei der Modenschau mitgemacht und ein schönes Kleid getragen. Ich habe über Syrien gesprochen. Wir durften als Kurden in Syrien nicht zur Schule gehen, wir durften nicht arbeiten. Viele haben keine Aufenthaltserlaubnis. Wir durften auch nicht in unserer Kultur leben. Ich habe erzählt, welche Kultur wir haben, welche Kleidung wir tragen.
Gegenwind:
Shene, die Situation im Irak ist ja etwas anders. Wie hast Du die Situation dargestellt?
Shene:
Wir Kurden aus dem Irak haben es leichter als andere Kurden. Damit meine ich die Kurden aus Syrien, Türkei und Iran. Da wir eine eigene Regierung haben, haben wir etwas zu sagen. Wir können uns frei bewegen und frei in unserem Land leben.
Gegenwind:
Woher kam denn das Publikum, das bei Eurer Veranstaltung war? Kamen die Besucherinnen und Besucher aus verschiedenen Ländern?
Shene:
Ja, unser Publikum kam aus verschiedenen Ländern, aus der Türkei, Irak, Syrien, aus dem Iran, aus Russland, auch viele natürlich aus Deutschland. Es gibt ja viele Kurdinnen und Kurden, die in Deutschland geboren sind, und es sind auch viele Deutsche gekommen.
Gegenwind:
Waren sie mit dem Programm und der Präsentation zufrieden?
Shene:
Ja, ich glaube, alle waren zufrieden. Viele haben uns gelobt.
Êvar:
Ja, ich habe das auch gehört, dass alle zufrieden waren.
Gegenwind:
Wie sind denn überhaupt die Kontakte mit Kurdinnen und Kurden hier in Kiel? Habt Ihr Kontakt mit anderen Vereinen, mit kurdischen Vereinen, mit jesidischen Vereinen, mit alevitischen Vereinen?
Êvar:
Ich habe Kontakt mit Vereinen von Kurden aus der Türkei. Ich war ein paarmal da. Wir haben dort auch Karten verteilt mit der Einladung zur Veranstaltung.
Shene:
Ich habe auch Kontakt mit den Vereinen von Kurden aus der Türkei. Ich habe aber vor allem viele Freunde und Freundinnen, die als Kurden aus der Türkei kommen. Ich habe nicht nur Kontakte, ich bin auch zweimal zu Demonstrationen gegangen. Wir halten immer zusammen. Nur für die Vorbereitung der Veranstaltung hatte diesmal leider niemand Zeit.
Gegenwind:
Was haltet Ihr denn davon, dass es hier in Kiel Vereine von Kurden aus der Türkei, Vereine von Kurden aus Syrien, Vereine von Kurden aus dem Irak gibt? Wäre es nicht besser, wenn man gemeinsame Vereine hat?
Êvar:
Ich finde das nicht gut, dass es diese verschieden Vereine gibt. Aber viele Kurden halten es mit Abdullah Özalan, und andere halten es mit Masud Barsani. Jeder hat eine andere Meinung, und deswegen sind wir nicht zusammen in einem Verein. Aber wir, die Gruppe, die die Veranstaltung vorbereitet hat, will, dass wir besser zusammen arbeiten.
Shene:
Ich finde es eigentlich traurig, dass wir diese verschiedenen Vereine haben. Aber wenn es darauf ankommt, halten wir trotzdem zusammen. Es ist schwierig durch die Politik und durch die unterschiedlichen Meinungen.
Gegenwind:
Habt Ihr schon Pläne? Wollt Ihr weitere Veranstaltungen machen? Was wollt Ihr nächstes Mal anders machen? Oder seid Ihr noch erschöpft von einer Veranstaltung?
Êvar:
Erstmal freuen wir uns, dass wir dabei waren, dass wir moderieren durften und dass alles gut geklappt hat. Konkret planen wir nichts, aber wir sind immer gerne bereit, wieder bei der Vorbereitung einer Veranstaltung zu helfen.
Shene:
Ich bin auch gerne wieder dabei, wenn wir etwas für Kurden machen wollen.
Gegenwind:
Habt Ihr nach der Veranstaltung schon von Wünschen für eine weitere Veranstaltung gehört?
Shene:
Die Leute waren zufrieden. Aber es ist immer so. Einige sagen hinterher immer, sie hätten dies und das anders gemacht. Aber wir haben auch viel gelernt und werden sicherlich nächstes Mal einiges anders machen. Aber es war für uns das erste Mal. Ich hatte zum ersten Mal im Leben ein Mikrophon in der Hand. Vorher war ich sehr aufgeregt, aber auf der Bühne war ich ganz ruhig.
Gegenwind:
Habt Ihr Euch hinterher schon zusammengesetzt, um drüber zu sprechen?
Shene:
Zusammengesetzt nicht, aber wir haben viel telefoniert. Wir haben mit allen drüber gesprochen. Und wir waren eigentlich sehr zufrieden.
Êvar:
Ja, es hat alles geklappt. Und wir haben noch viele Ideen. Wir haben dieses Mal vieles gemacht, aber wir konnten auch vieles nicht machen, das versuchen wir nächstes Mal.
Shene:
Nächstes Mal müssen vor allem Kurdinnen und Kurden aus allen Ländern mitmachen. Dafür müssen wir uns richtig Mühe geben, dass die anderen auch dabei sind und aus ihren Ländern etwas vorbereiten.
Gegenwind:
Noch was anderes: Ihr macht ja nicht nur diese Veranstaltung, sondern helft seit langem Flüchtlingen, die neu kommen. Wie funktioniert es mit der Aufnahme und der Integration?
Shene:
Durch die ZBBS habe ich viele Flüchtlinge kennen gelernt. Ich finde, es hat sich vieles geändert hier in Deutschland. Wenn ich überlege, was wir alles damals durchgemacht haben, es war echt schwierig für uns. Wir durften gar nichts machen, keinen Deutschkurs, wir durften nicht arbeiten. Ich habe zum Beispiel damals einen Ausbildungsplatz bekommen, aber weil ich keine Aufenthaltserlaubnis hatte, musste ich die Ausbildung wieder abbrechen. Aber heutzutage ist es besser. Ich bin eigentlich zufrieden, wie die Flüchtlinge aufgenommen werden, das hat sich alles geändert, in eine positive Richtung.
Gegenwind:
Vielen Dank.
Interview: Reinhard Pohl
In verschiedenen Kultureinrichtungen Kiels veranstalten Geflüchtete regelmäßig Abende zu ihren Herkunftsländern. Nicht die Flucht und Fluchtwege stehen bei diesen Veranstaltungen im Vordergrund, sondern die Vielfältigkeit und die Besonderheiten der verschiedenen Herkunftsländer. Durch Theater, Tanz, Musik, Filme, Vorträge und Kulinarisches teilen Geflüchtete ihr vielfältiges und unterschiedliches Wissen und ihre Erinnerungen und Eindrücke mit einem interessierten Publikum. So ergeben sich neue Begegnungen und Räume zum gemeinsamen Austausch.
Idun Hübner
ZBBS