(Gegenwind 340, Januar 2017)
Das Bundeskartellamt hat am 28. Oktober grünes Licht gegeben, dass der Lebensmittelriese Rewe die vergleichsweise kleine Konsumgenossenschaft coop Kiel schlucken darf und sich damit jetzt auch im Norden noch kräftiger gegen ihre bundesweite Konkurrenz in Stellung bringt. Die Behörde hatte monatelang geprüft, ob der Zusammenschluss zu einer zu großen Einzelhandels-Marktmacht im Norden führt - dies wurde von ihr nun verneint. Das Kartellamt begründete das damit, dass Rewe und Coop bereits seit fast zehn Jahren in einer Einkaufskooperation verbunden seien, über die Coop bis zu 70 Prozent seiner Waren beschaffe. Als unabhängiger Wettbewerber spiele coop deshalb in diesem Bereich schon lange keine bedeutende Rolle mehr.
Gegen diese Entscheidung hat Deutschlands größter Lebensmittelhändler, wie ein Edeka-Sprecher und die Wettbewerbsbehörde am 15. November bestätigten, Beschwerde eingelegt. Nach Einschätzung von Edeka habe das Bundeskartellamt bei der Genehmigung nicht durchgehend die gleichen Maßstäbe angelegt wie im Fall Kaiser's Tengelmann. Zwar hatten Rewe und coop im Zuge des Genehmigungsverfahrens insgesamt elf Filialen an die mittelständische Bartels-Langness-Gruppe (famila) verkauft; diese Einschnitte reichen Edeka aber nicht. Der Poker im Lebensmittelhandel geht also in eine weitere Runde.
Die „Großen Vier” des Lebensmittelhandels - Edeka, Rewe, Aldi und die Schwarz-Gruppe mit dem Discounter Lidl - teilen sich bundesweit mehr als 85 Prozent des Lebensmittelmarktes untereinander auf. Da konnte auch coop auf Dauer nicht gegen halten. Das traditionsreiche konsumgenossenschaftliche Unternehmen betreibt in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Hamburg rund 200 sky- und plaza-Märkte.
Die REWE Group ist in 20 europäischen Ländern präsent. In Deutschland erwirtschafteten im Jahr 2015 rund 232.000 Mitarbeiter in rund 10.000 Märkten einen Umsatz von 38,2 Milliarden Euro - und ist damit nach Edeka zweitgrößter Lebensmittelhändler. Die in Deutschland bekanntesten Marken der Rewe-Lebensmittel-Verkaufssparte sind: „Rewe”, „Penny” (Discounter) und „Perfetto” (Lebensmittel- und Feinkostabteilungen in Karstadt-Warenhäusern (25,1 % Anteil durch Rewe). Darüber hinaus gehören der toom Baumarkt und der Baumarkt-Discounter B1 zur REWE-Group.
Nach offiziellen Verlautbarungen gründen coop und Rewe jetzt eine gemeisame Gesellschaft, in die coop ihr komplettes operatives Geschäft einbringt. Im Gegenzug erhält coop von Rewe eine Millionen-Finanzspritze. Das Joint Venture mit Rewe sichert nach Auskunft der Vorstände die Sky- und Plaza-Märkte von coop und die Arbeitsplätze der dort Beschäftigten. In einer gemeinsamen Mitteilung erklären die beiden Unternehmen, die bereits bestehende Partnerschaft damit „auf eine neue strategische Stufe” heben zu wollen. coop könne so „noch besser” von Synergien mit Rewe profitieren. Man wolle den „genossenschaftlichen Gedanken” weiterhin mit Leben füllen und „aktiv die Weichen für eine sichere Zukunft” stellen. Klingt alles ganz moderat und einvernehmlich. Dass Rewe aber auch ganz anders agieren kann, zeigt ein Blick auf Kaiser's Tengelmann. Denn bei dem Poker um die Zerschlagung jener Einzelhandelskette ist neben Edeka und Markant auch Rewe nach wie vor maßgeblich beteiligt.
Vor fünf Monaten hatte eine große Mehrheit der coop-Genossenschaftsvetreter für einen Einstieg von Rewe gestimmt. Die coop-Besitzer - das sind die rund 76.000 Genossenschaftsmitglieder - behalten zwar ihre Anteile und bekommen jährlich wie bisher eine Dividende ausgeschüttet und können weiterhin mit ihrer Rabatt-Karte vergünstigt einkaufen. Der Pferdefuß: Nach Recherchen von NDR (ndr-online 26.6.16) hat sich Rewe aber weitreichende Kontrollen über das zukünftige Geschäft zugesichert; so ist beispielsweise die Umwandlung von Sky-Supermärkten in Rewe-Märkte vertraglich geregelt.
Zwar soll es in dem Joint-Venture einen Aufsichtsrat geben, in dem die Hälfte der Mitglieder aus den Reihen von coop stammt. Sie sind aber gehalten, nach den Vorgaben von Rewe abzustimmen. „Sollte ein Aufsichtsratsmitglied innerhalb von zwölf Monaten mindestens drei Mal anders als von Rewe Markt vorgegeben abstimmen und damit das von Rewe Markt gewünschte Abstimmungsergebnis verhindert haben, ist coop auf Verlangen von Rewe Markt verpflichtet, das entsprechende Aufsichtsratsmitglied abzuberufen.” Ein Ersatzmitglied werde dann von Rewe gestellt. Eine Regelung, die bei Michael Herte, Finanz-Experte der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein, für Staunen sorgt: „So eine Klausel stellt ja im Grunde eine bessere Entmündigung dar.” Der Grundgedanke einer Genossenschaft, die Mitbestimmung ihrer Mitglieder, gehe damit verloren. „Wie passt das zusammen: eine kundennahe, norddeutsche Genossenschaft und der Handelsriese Rewe?”
Die Coop wurde 1899 als Allgemeiner Konsumverein für Kiel und Umgegend gegründet. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden 1946 elf Konsumgenossenschaften in Schleswig-Holstein wiedergegründet und verschmolzen zu coop. Das Besondere an diesem Modell: Jeder Genosse hat das gleiche Stimmrecht - unabhängig von seinem Anteil. coop ist mit seinen aktuell etwa 9.800 MitarbeiterInnen (darunter etwa 700 Auszubildende) der größte privatwirtschaftliche Arbeitgeber Schleswig-Holsteins. 1,277 Milliarden Euro Umsatz (Stand 2013) machen die coop zu Deutschlands größter Konsumgenossenschaft. Auf der Rangliste der deutschen Lebensmittelhandelsunternehmen steht sie nach Gesamtumsatz auf Platz 17. 2008 entstand eine Einkaufsallianz mit der Rewe. Anfang 2016 informierte der coop-Vorstand über den Plan, ein Joint Venture mit der REWE Group zu gründen - getrieben von großen Finanzproblemen. Insgesamt wurde für 2015 ein Jahresfehlbetrag von 14,5 Millionen Euro ausgewiesen. Im ersten Quartal 2016 hatte sich die Lage weiter zugespitzt. Die Banken weigerten sich, weitere Kredite für nötige Investitionen zu vergeben. Das Joint Venture also für beide Seiten eine win-win-Situation? „Wenn das Kartellamt so entscheidet, dann ist das eine gute Lösung für die Beschäftigten”, sagte Frank Schischefsky von der Gewerkschaft ver.di-Nord. „Denn ansonsten wäre die coop pleite gewesen. Sie war ja in wirtschaftlicher Not.” (ndr-online 28.10.16).
Als zunehmend wichtiger Bereich bei Rationalisierungsprozessen im Einzelhandel erweist sich die Handelslogistik. Im Zuge des enormen Wettbewerbsdrucks treten logistische Fragen immer stärker in den Vordergrund. Riesige Investitionssummen werden derzeit für die Automatisierung im Lagerbereich aufgewandt. Alle großen Handelsunternehmen investieren in hochtechnisierte Auslieferungsläger, oft mit vollautomatisierter Kommissionierung. In diesen neuen Lägern kann - so eine Faustregel - mit der Hälfte des Personals die doppelte Menge an Ware kommissioniert werden. Viele Kommissionier-Arbeitsplätze sind gefährdet - das kann also auch über kurz oder lang das Lager und den Fuhrpark von coop Kiel betreffen.
Der aggressiv geführte Preiswettbewerb hat eine bittere Kehrseite: Die Millionen, die in den Preiskriegen verpulvert werden, versuchen die Unternehmen durch Kürzungen beim Personal wieder auszugleichen. Die Personalkosten sind zu einer Restgröße, zu einem Mittel im Wettbewerb geworden. Während früher der Tarifvertrag Maßstab für die Bezahlung der Beschäftigten war, sind heute Verbandsflucht und/oder OT-Mitgliedschaft (Mitgliedschaft ohne Tarifbindung) an der Tagesordnung. Jüngstes Beispiel: Im Juni 2015 ist die Metro-Tochter Real aus der Tarifbindung des Einzelhandels ausgestiegen.
Weit verbreitet ist die Tarifflucht in der Handelslogistik. Üblicherweise geschieht dies durch Ausgliederung von Logistikfunktionen in eine „eigenständige” Tochtergesellschaft. Der Handelsprozess wird damit formalrechtlich in mehrere Teile zergliedert. Handelslogistische Tätigkeiten werden dann zu Tätigkeiten der Speditions- und Transportwirtschaft umdeklariert. Mit der Konsequenz, dass dann Tarifverträge zur Anwendung kommen, die den Beschäftigten im Durchschnitt um 15 Prozent schlechtere Leistungen bieten.
Die rigide Personalpolitik schlägt sich auch in den Personalstrukturen nieder. Vor zwanzig Jahren arbeitete die Mehrzahl der Beschäftigten noch in Vollzeit - heute ist nur noch gut ein Drittel in Vollzeit beschäftigt, ein Drittel arbeitet in Teilzeit, fast ein Drittel sind Minijob.
Aus Anlass des Rewe-coop-Deals hat Schleswig-Holsteins Wirtschafts- und Arbeitsminister Reinhard Meyer (SPD) sich angesichts dieser Entwicklung nichts Geringeres vorgenommen als die Marktmacht der vier großen Lebensmittel-Einzelhändler, Edeka, Rewe, Lidl und Aldi zu begrenzen. Wohl an: Also schreibt er Anfang August einen Brief an „seinen” Bundeswirtschaftsminister, in dem er diesen auffordert, ein Gesetz zu erlassen, durch das die Einkaufspreise der Einzelhandelsunternehmen transparent zu machen seien. Ihre Marktmacht hat nach Auffassung der Landesregierung in Kiel zur Folge, dass kleinere und mittelständische Händler schlechtere Einkaufskonditionen erhalten und deswegen an Wettbewerbsfähigkeit einbüßen, wodurch wieder der Konzentrationsprozess beschleunigt werde. Auch Lieferanten und Landwirte geraten durch die Marktmacht der Großen unter Druck. Es besteht auch die Gefahr, dass mangels Wettbewerb die Preise für Verbraucher steigen.
Schleswig-Holstein will deswegen die Bundesregierung davon überzeugen, per Gesetz eine Vergleichbarkeit bei den Einkaufspreisen herzustellen. Also bei den Preisen, zu denen die Einzelhändler ihre Waren beziehen, ehe sie diese zum Verkauf anbieten. Um dies zu erzielen, schlägt die Landesregierung vor, das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB), das derzeit novelliert wird, um einen Zusatz im Paragrafen 20a zu ergänzen. „Die Neuregelung besagt vereinfacht ausgedrückt, dass Handelsunternehmen beim Einkauf von Markenwaren nicht ungerechtfertigt schlechtere Einkaufskonditionen erhalten dürfen als andere Handelsunternehmen”, schreibt der sozialdemokratische Landeswirtschaftsminister Reinhard Meyer in seinem Brief an Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD). Der Landesregierung geht es nicht darum, Einkaufspreise festzuschreiben, diese zu kontrollieren oder Preisverhandlungen zu unterbinden. Unterschiede etwa über Skaleneffekte oder Logistikvorteile sollen bestehen bleiben. Die Preisbildung soll aber einsehbar und dadurch vergleichbar für Dritte werden.
Wenn das Kabinett in Berlin nicht reagiert, will das Land das Gesetz im Bundesrat durchbringen. Meyer geht davon aus, dass seine Vorschläge bei der Gesetzesreform im Bundeskabinett berücksichtigt werden. Aber noch wartet er auf eine Antwort von Gabriel.
Günther Stamer