(Gegenwind 340, Januar 2017)


Was ist aus dem Flüchtlingspakt geworden?

Eine gemischte Bilanz

„Gute Stimmung, wenig Konkretes” lautete das Fazit des Flüchtlingspaktes, der im Mai 2015 von der Landesregierung vorgelegt und von anderen mit unterschrieben wurde (siehe Gegenwind 321, Seite 4). „Integration vom ersten Tag an” und „Aus Sie wird Wir” hieß es dort. Das Verfahren, nach dem der Flüchtlingspakt formuliert wurde, wurde aber alleine von der Regierung bestimmt - und die achtete darauf, dass nicht zu viele konkrete Zusagen drin-standen. Insofern ist es schwer, Punkt für Punkt zu messen, welche Zusagen erfüllt wurde.

Intelligente Verteilung

Versprochen wurde eine intelligente Verteilung: Alle Flüchtlinge sollten in der Erstaufnahme nach ihren Wünschen, ihren Qualifikationen, Bekannten und Verwandten befragt werden, damit sie nicht per Computerprogramm irgendwohin verteilt werden, sondern dorthin, wo sie die besten Möglichkeiten haben. Nichts davon hat die Landesregierung umgesetzt. Es wurde noch ein paarmal drüber gesprochen, aber es wird ausschließlich ehrenamtlichen Helfern und der Betreuung überlassen, Flüchtlinge bei einem bestimmten Verteilwunsch zu unterstützen.

Es wäre tatsächlich intelligent, das zu machen. Denn jetzt gibt es immer wieder Probleme, dass Flüchtlinge mit ländlicher Herkunft in Städte kommen und umgekehrt. Die einen wollen studieren, die anderen eine Ausbildung machen - und oft scheitert das am Wohnort.

Bessere Beratung

Hier gibt es deutliche Fortschritte: Die Zahl der Stellen wurde 2016 verdoppelt. Problem bleibt die schleppende Bearbeitung. So werden die Anträge für die Finanzierung im Dezember gestellt, das Innenministerium antwortet dann aber keineswegs, weder positiv noch negativ. Die Angestellten - oder möglichen Angestellten - sollten natürlich einen Arbeitsvertrag für den 1. Januar bekommen. Andere Ministerien schaffen das durchaus.

Das Innenministerium braucht teilweise bis April oder Mai, um die rechtzeitig eingereichten Anträge zu sichten und Bescheide zu verschicken. Die sind dann zwar rückwirkend zum 1. Januar - aber oft können die Arbeitsverträge von den Trägern der Beratungsstellen erst abgeschlossen werden, wenn die rechtsverbindlichen Bescheide da sind. Und dann verfällt das Geld einfach, nur zum Teil kann es dann durch die Einstellung von Honorarkräften doch noch einigermaßen sinnvoll eingesetzt werden.

Andere haben für solche Probleme längst Lösungen gefunden, sei es das pünktliche Arbeiten, sei es der Abschluss von „Zuwendungsverträgen”, die dann über einige Jahre eine Mindestfinanzierung vertraglich zusichern.

Koordinierung

Zugesagt wurden Koordinierungsstellen für alle Kreise, und das wurde auch umgesetzt. In allen Kreisen sind jetzt Koordinatorinnen und Koordinatoren angesiedelt, in der Regel in der Kreisverwaltung, allerdings von Kreis zu Kreis an unterschiedlichen Stellen. Unklar ist bisher, ob wirklich alle 30 Stellen für zusätzliche Arbeit eingesetzt werden, manchmal scheint es so zu sein, dass die Kreise bisher schon erledigte Aufgaben auf die neuen, vom Land finanzierten Kräfte umverteilen, so dass kein Mehrwert für die Flüchtlingsarbeit entsteht. In der Regel aber haben fast alle zwischen Ende 2015 und Mitte 2016 ihre Arbeit aufgenommen.

Aufnahme

Das größte Versagen der Landesregierung zeigt sich bei der Aufnahme der Flüchtlinge.

Im letzten Jahr wurden in aller Eile mehr als ein Dutzend Landesunterkünfte aufgebaut und größtenteils inzwischen wieder geschlossen.

Im Flüchtlingspakt ging es aber um ein systematisches und langfristig gedachtes Aufnahmemanagement. Die Landesregierung wollte vier Erstaufnahme-Einrichtungen neu bauen, und zwar in Flensburg, Kiel, Lübeck und Heide, jeweils auf dem Gelände der Universität bzw. Fachhochschule oder in unmittelbarer Nähe.

Alle Flüchtlinge sollten sechs Wochen dort bleiben, einen „Willkommenskurs” erhalten und in der Zeit auch den Asylantrag stellen, möglichst dazu schon angehört werden. Der Willkommenskurs sollte einige Grundkenntnisse der Sprache vermitteln, außerdem sollten alle eine erste Orientierung zum Leben in Deutschland erhalten.

Diesen Teil des Paktes hat die Landesregierung nicht eingehalten. Die Willkommenkurse gibt es in der versprochenen Form nicht, und die Unterkünfte gibt es nicht. Stattdessen nutzt man in Glückstadt, Boostedt, Neumünster und Rendsburg noch immer alte Kasernen, dazu wurden Containerdörfer aufgebaut.

Letztlich hat das Innenministerium sich in der gesamten Zeit weder an den Interessen der Flüchtlinge noch an dem eigenen Konzept orientiert, sondern ausschließlich an der Verfügbarkeit von Grundstücken und der Laufzeit von Miet- und Pachtverträgen. So ist für die Flüchtlinge und deren Unterstützer mehr als ungünstig, dass gerade in Glückstadt ein „Ankunftszentrum” des Bundesamtes eingerichtet wurde und jetzt landesweit Flüchtlinge dort ab 8 Uhr morgens zur Antragstellung und Anhörung bestellt werden - das verlangt indirekt von den Ehrenamtlichen, einen Tag Urlaub zu nehmen und ab 4 Uhr morgens aktiv zu werden.

Auch das „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge” ist dem Land mit der Planung der „Ankunftszentren” in die Quere gekommen. Hier werden seit Ende Mai die neu ankommenden Flüchtlinge in Gruppen eingeteilt. Die mit besonders guter oder besonders schlechter Bleibeperspektive, also zum Beispiel die aus Syrien auf der einen und Albanien auf der anderen Seite, bekommen jetzt „Schnellverfahren”. Das sind zwar nicht die propagierten 48-Stunden-Verfahren, zumal das Land energisch Widerspruch gegen schnelle positive Bescheide eingelegt hat. Anerkannte Flüchtlinge können nämlich nicht mehr aus Kreise verteilt werden, sondern müssen eigentlich selbst eine Wohnung suchen und die Mietkostenübernahme beim Jobcenter beantragen, was natürlich nach zwei Wochen in Deutschland für die meisten unmöglich ist. Aber auch so bedeutet das für die später Anerkannten, dass sie bereits zehn Tage nach der Ankunft auf die Kreise verteilt werden. Die Abgelehnten bleiben bis zur Ausreise in der Landesunterkunft.

Bei den „Schnellverfahren” fehlt bisher die gedolmetschte Beratung, mit den wenigen Mitteln können die Betreuungsverbände nur wöchentliche Gruppenberatungen anbieten, die leider längst nicht alle erreichen.

Die andere Hälfte der Flüchtlinge erwartet ein „komplexes Verfahren”. Sie bleiben also weiterhin sechs Wochen in der Landesunterkunft, im Falle eines Dublin-III-Verfahrens länger: Das bedeutet, dass der Asylantrag zunächst als „unzulässig” abgewiesen wird, um sie in ein Land zurückzuschicken, durch das sie während der Flucht gereist sind, in der Regel als Italien, Polen oder Ungarn. Das Asylverfahren dauert jetzt zwischen 19 Monaten (Afghanistan) und 36 Monaten (Jemen), das Bundesamt will das bis zum nächsten Herbst auf drei Monate verkürzen.

Flüchtlingsunterkunft

Dennoch war der Plan eigentlich gut:

Vier Landesunterkünfte, neu und mit dem Zweck angepassten Grundriss, in zentraler Lage in größeren Städten, einheitliche sechs Wochen Verbleib, die mit einem Willkommenskurs sinnvoll gefüllt werden. Warum ein guter Plan gegen eine schlechte Planlosigkeit ausgetauscht wurde, ist der Öffentlichkeit nie erklärt worden.

Betreuungspauschale

Hier wurde eine klare Verbesserung versprochen. Nach Meinung der Kommunen wurde das Versprechen auch weitgehend eingehalten.

Allerdings muss man Abstriche machen: Der Betrag wurde stark erhöht, wird jetzt aber nicht mehr pro Quartal bezahlt, sondern einmalig mit der Verteilung (Zuweisung). Das ist natürlich ungerecht, wenn Flüchtlinge schnell anerkannt werden und wegen der phantasielosen Computer-Verteilung dann vom Land in die Stadt umziehen, entstehen die Kosten in der Stadt, die Pauschale bleibt aber in der ersten Gemeinde oder beim Amt, die den Flüchtling gerade einmal gesehen haben. Das das Land die Pauschale ohne Zweckbestimmung und ohne Nachweis verteilt, als pauschalen Haushaltszuschuss, macht die Sache nicht besser.

Besser wäre es, eine Integrationspauschale pro tatsächlich anwesender Person zu bezahlen, die tatsächlich zweckbestimmt für die Integration ist. Dabei muss das Geld nicht personengebunden ausgegeben werden, es sollte weiterhin möglich sein, davon zum Beispiel Kleiderkammern oder Fortbildungen von ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern zu finanzieren. Aber eben nicht die Renovierung des Feuerwehrhauses, was heute möglich ist.

Sprachkurse

Die Intergrationskurse wurden auf Bundesebene teilweise geöffnet, so dürfen jetzt Flüchtlinge aus Syrien, Irak, Iran, Eritrea und Somalia auch schon während des Asylverfahrens teilnehmen. Ansonsten bleibt das unbefriedigende Nebeneinander von diesen Integrationskursen für „Zugelassene” sowie STAFF-Kursen und ehrenamtlich angebotenen Kursen sowie an vielen Orten auch gar nichts.

Die Landesregierung hätte sich kräftiger für Deutschkurse (Integrationskurse) für alle einsetzen sollen, und enttäuschend ist, dass sich die Landesregierung dem Trend rechter Parteien angeschlossen hat und aus „Integration vom ersten Tag an” ein „... außer für Roma” gemacht hat, verschämt „vom Westbalkan” genannt. In den Landesunterkünften wurde gleichzeitig die ordentliche Beschulung abgeschafft, was besonders die Flüchtlinge aus den sogenannten „sicheren Herkunftsländern” hart trifft, die ja nicht verteilt werden (außer nach einer der seltenen Anerkennungen).

Willkommensbehörden und Zuwanderungsabteilungen

Die Umbenennungen sind in vollem Gang, allerdings gibt es bisher kaum inhaltliche Veränderungen. Beim großen Startkongress im Mai 2015 war noch die Rede davon, Ausländerbehörden (Zuwanderungsbehörden) wären die „Visitenkarte der Willkommenskultur”.

Zum Teil liegt es schlicht am fehlenden Personal. Mehrere Behörden hatten 2015 und 2016 in bestimmten Zeiten Öffnungszeiten praktisch abgeschafft, um liegengebliebene Vorgänge abzuarbeiten. Bei anderen waren zwar die Stellen da, nicht aber die dazu gehörenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, so dass sich wochen- oder monatelange Wartenzeiten ergaben. Selbst wenn man dann freundliche empfangen wird, kann man sich nach einigen Monaten Warten auf den Termin nicht mehr wirklich willkommen fühlen.

Foren und Runde Tische

Hier hat die Landesregierung nichts gemacht. Es sind auch keine neuen Kreise zur Koordinierung entstanden, im Gegenteil, das „Forum der Vielfalt” in Elmshorn ist praktisch eingeschlafen.

Der AWO-Landesverband hat eine Koordinierung eingerichtet, die sich bemüht, die vorhandenen Runden Tische zu unterstützen und den Erfahrungsaustausch zu fördern.

Wohnungsbau

Alles, was im Pakt versprochen wurde, ist vermutlich mehr oder weniger in Arbeit. Nur: Bei den Flüchtlingen ist noch nichts angekommen.

Das Land versucht, den (sozialen) Wohnungsbau im Rahmen der vorhandenen Strukturen anzukurbeln. Neue Ideen sind bisher ausgeblieben.

DAZ-Unterricht

Die Zahl der Stellen für Lehrerinnen und Lehrer ist wie versprochen kräftig erhöht worden. Das hat zwar 2016 noch nicht gereicht, um wirklich alle Kinder so zu fördern, wie sie es benötigen und verdient haben. Da aber zur Zeit weniger Flüchtlinge kommen, werden sich Angebot und Bedarf vermutlich im nächsten Jahr treffen.

Berufliche Bildung

Hier konnte die Landesregierung die Zusagen, alle entsprechend ihrem Bedarf zu fördern, nicht einhalten. Im Gegenteil: Im Sommer 2016 hat sie versucht, alle jungen Flüchtlinge mit dem 18. Geburtstag aus den Berufsschulen zu werfen, weil nicht genug Plätze geschaffen werden konnten.

Längerfristig gesehen ist das das Dümmste, was man machen kann. Die jungen Flüchtlinge sind oft überdurchschnittlich motiviert, deutsch zu lernen und einen Schulabschluss zu machen - und das ist oft die Voraussetzung für eine Berufsausbildung. Dabei ist es Zufall, ob sie die Berufsschule mit 16, 17 oder 18 Jahren beginnen können. Die Obergrenze von 18 Jahren unabhängig von den Chancen im Leben schafft eine Vielzahl von Einzelnen, die jetzt ohne große Chancen dastehen, irgendwann auf eigenen Füßen zu stehen.

Dabei zeigt das vielgeschmähte Bayern, wie es geht: Dort bleiben junge Flüchtlinge teils in den Berufsschulen, bis sie den möglichen Abschluss erreicht haben, auch wenn sie 23, 25 oder 27 Jahre alt sind.

Die Regelungen für BAFÖG, für Duldungen zur Ausbildung (bei abgelehnten Flüchtlinge) und der BAB wurden erleichtert, sind aber immer noch so kompliziert, dass Flüchtlinge nicht durchblicken, ihre deutschen Helfer nur schwer.

Arbeitsmarkt

Es hat sich sicherlich einiges verbessert, aber ein Grundproblem bleibt: Noch immer scheut man davor zurück, im ausreichenden Maße Dolmetscherinnen und Dolmetscher zu bezahlen. So wird oft jahrelang mit der Beratung und der Anerkennung mitgebrachter Qualifikationen gewartet, bis die Betroffenen ausreichend Deutsch gelernt haben - verlorene Jahre, für die alle ein Vielfaches dessen bezahlen, was die Verständigung in der ersten Phase der Orientierung kosten würde.

Hier war und ist der Flüchtlingspakt allerdings ausreichend vage formuliert, dass keine weiß (und wissen will), ob er eingehalten wird oder nicht.

Gesundheitskarte

Die versprochene Gesundheitskarte, die die im Einzelfall aufwändig ausgestellten und erteilten Krankenscheine ersetzen sollte, ist tatsächlich gekommen. Es ging zwar nicht so schnell wie angekündigt, aber es hat geklappt.

Hier ist auch die Dolmetscher-Bezahlung durch die Stellen, die die Kosten übernehmen, schon seit längerer Zeit auf Landesebene geregelt. Ein Ärgernis bleibt, dass einige Behörden (vor allem in Kiel das Amt für Soziale Dienste und das Amt für Grundsicherung) permanent gegen die gesetzlichen Regelungen verstoßen, insbesondere wenn die beauftragten Dolmetscher wenig Erfahrung haben.

Fazit

Es gibt Licht und Schatten. Insbesondere das vollkommen misslungene Aufnahmekonzept des Landes bleibt ein dickes Minus, das sich auch nicht beschönigen lässt. Es fehlte einfach der Wille, das vorgelegte Konzept ernsthaft umzusetzen, und der Wille fehlt jetzt im Wahlkampf erst recht.

Am 9. November soll die nächste landesweite Flüchtlingskonferenz in Lübeck stattfinden. Innenminister Studt hat schon vorgebeugt, indem er im Landtag erklärte, nicht jeder Punkt des Flüchtlingspaktes habe umgesetzt werden können. Er schob das aber auf die Verhältnisse, es haben sowohl bei den Zahlen eintreffender Flüchtlinge als auch in der Bundesgesetzgebung Veränderungen gegeben. Beides ist richtig. Zu dem, was das Land zugesagt und nicht eingehalten hat, sagte er allerdings nichts.

Reinhard Pohl

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