(Gegenwind 337, Oktober 2016)

Naesah Samrah

„Im Islam ist das haram, das ist verboten”

Interview mit Naesah Samrah aus Neumünster

Gegenwind:

Kannst Du Dich als erstes vorstellen?

Naesah Samrah:

Ich heiße Naesah Samrah, ich komme aus dem Jemen, und zwar aus dem Südjemen. Ich bin 1973 geboren. Im Jemen habe ich als Lehrerin gearbeitet. Ich habe auf der Universität Aden Geschichte studiert. In Deutschland bin ich seit 2001. Ich bin verheiratet und habe drei Kinder. Der Älteste ist 14 Jahre alt, ich habe einen neunjährigen Sohn und eine fünfjährige Tochter.

Gegenwind:

Warum bist Du hergekommen?

Naesah Samrah:

Ich habe im Jemen geheiratet und bin dann mit meinem Mann hierher gekommen. Mein Mann ist Deutscher, wir sind also ganz normal umgezogen.

Gegenwind:

Bist Du hier berufstätig?

Naesah Samrah:

Ja, ich arbeite bei der Diakonie Altholstein als ArabischDolmetscherin. Im Moment ist sehr viel zu tun, weil die meisten Flüchtlinge Arabisch sprechen. Vor einigen Jahren waren es noch wenige, aber jetzt sind es viele. Ich bin aber sehr zufrieden, denn ich kann den Flüchtlingen als Dolmetscherin viel helfen. Hier in Neumünster sind sie meistens, wenn sie ganz neu in Deutschland sind, sie können kein Deutsch und sie brauchen eine Dolmetscherin. Und es gibt nicht viele, die die deutsche und die arabische Sprache können.

Gegenwind:

Zur Situation im Jemen: Wie beurteilst Du den ehemaligen Präsidenten Saleh?

Naesah Samrah:

Dieser Mensch ist ein Diktator. Er war 33 Jahre Präsident in dem Land. Das passiert nur in diesem Land. Ich bin aus dem Südjemen, dort ist alles mit der Vereinigung schlechter geworden als vorher. Wenn man sich Aden ansieht oder andere Städte, vorher und jetzt, ist alles schlechter geworden. Er hat nichts gemacht, nur Geld in die Tasche gesteckt. Geld für sich selbst und seine Familie. Und das ist nicht normal, wenn jemand 33 Jahre Präsident ist. Das ist nur normal, wenn es ein Diktator ist. Warum will sich Saleh nicht an die Regeln halten? Weil er Vorteile für sich selbst und seine Familienmitglieder haben will. Man darf nicht vergessen, dass der Jemen auch Reichtümer besitzt. Es gibt Öl, es gibt eine Landwirtschaft, es gibt einen Reichtum an Tieren, es gibt einen Reichtum an Fischen. Diesen Reichtum wollte er nicht zu einem Vorteil für das Land machen, sondern für sich selbst.

Gegenwind:

Was hältst Du von seinem Nachfolger, Präsident Hadi?

Naesah Samrah:

Hadi wurde in einer schlechten Zeit Präsident. Er ist jetzt Präsident, aber von was? Im Jemen ist alles gestoppt, was soll er machen? Überall ist Krieg, im Süden wie im Norden. In dieser Zeit kann er überhaupt nichts machen. Wo ist er? Manchmal im Jemen, oft in Saudi-Arabien.

Gegenwind:

Wie beurteilst Du die Huthi-Miliz?

Naesah Samrah:

Das sind schlechte, schlechte Leute. Die denken nicht an das Volk. Was wollen sie in diesem Krieg? Ich weiß nicht, was sie wollen, warum sie das machen. Warum will Al-Huthi sich nicht an der Regierung beteiligen? Führen Sie Krieg im Interesse des Jemen, im persönlichen Interesse oder im Interesse anderer Länder, werden sie gesteuert? Die Leute im Jemen arbeiten, sie könnten etwas besser machen, aber sie denken nur an sich. Sie denken nicht an das Volk.

Gegenwind:

Im Süden gibt es eine Bewegung für die Unabhängigkeit. Wie beurteilst Du die?

Naesah Samrah:

Meinst Du Hirak?

Gegenwind:

Ja.

Naesah Samrah:

Das sind sehr gute Leute. Warum? Weil sie nicht mehr möchten, sie sind nur gegen das, was die Huthis machen oder Abdallah Saleh. Die Huthis und Abdallah Saleh sagen, der Südjemen kann alleine nichts machen. Das stimmt nicht, wir können viel machen. Ich bin für „Hirak Al Janubi”. Ich sage „bravo”, sehr gut gemacht. „Hirak Al Janubi” möchte nicht mehr, dass das Unrecht von Saleh und Huthi in ihrem Heimatland, im Südjemen praktiziert wird. Wir sind Zeugen von viel Ungerechtigkeit gegenüber den Menschen im Süden. Im Süden gab es einen Gesundheitssektor und einen Bildungssektor, es gab Geschäfte und Fabriken, alles funktionierte und war für alle verfügbar. Wie ist es heute? Das Gegenteil, Wasser und Strom sind nicht verfügbar, die Menschen können mit dieser Ungerechtigkeit nicht leben. Deshalb sagen die Menschen, dass sie von dem Unrecht genug haben. „Hirak Al Janubi” versprechen, dass sie die Bevölkerung von der Unterdrückung des Südens durch Salah und al-Huthi befreien, den ganzen Südjemen.

Gegenwind:

Wäre es für den Süden besser, wenn er sich vom Norden trennt?

Naesah Samrah:

Ja, das ist mein Wunsch. Ich liebe den Süden, ich möchte das gerne. Ich bin aus dem Süden, ich sage „ja”. Die im Norden sagen „nein”, sie möchten den Krieg. Aber es gibt natürlich im Norden auch andere, im Süden auch andere, die Meinungen sind unterschiedlich. Ich denke, wir stehen besser da als Südjemen. Jetzt haben wir keine Firmen, wir haben keine Schule, es gibt keine Arbeit. Was machen die Leute? Sie stehen auf der Straße. Wer geht denn zu al-Qaida? Das sind diese Leute, die Minderjährigen, die keine Arbeit haben. Sie machen den Jemen kaputt. Warum? Sie haben keine Schule, keinen Beruf, gar nichts. Al-Qaida hat Geld, bietet ihnen Geld an.

Gegenwind:

Was macht al-Qaida im Moment im Jemen?

Naesah Samrah:

Sie machen sehr, sehr schlechte Sachen. Warum ist al-Qiada im Südjemen? Warum nicht im Norden? Hast Du von al-Qaida im Nordjemen gehört? Nein! Es gibt sie nur im Südjemen. Warum? Weil sie den Südjemen kaputt machen sollen. Aber wir sind stark. Trotz al-Qaida, trotz Daesch, trotz Huthi, trotz Saleh: Wir sind stark.

Gegenwind:

Daesch ist ja neu im Jemen, es gibt sie seit etwas mehr als einem Jahr. Wie sind die entstanden? Was machen sie?

Naesah Samrah:

Wir im Südjemen denken: Daesch oder al-Qaida, das ist nicht das, was es im Irak gibt, oder al-Qaida aus Afghanistan. Nein. Sie haben damit nichts zu tun, in Jemen gehören beide Organisationen einer Person. Er ist ein Diktator wie Abdullah Saleh. Das ist Ali Mohsen al-Ahmar. Der General Ahmar. Al-Qaida und Daesch gehören ihm. Wir haben kein al-Qaida oder Daesch aus dem Irak oder aus Afghanistan. Bei uns gehört alles einer Person. Sie machen alles kaputt im Südjemen.

Gegenwind:

Was macht Saudi-Arabien? Und warum?

Naesah Samrah:

Saudi-Arabien hat es nicht schlecht gemacht. Saudi-Arabien hilft jetzt dem Norden, aber es hilft auch Südjemen. Saudi-Arabien hilft uns, die Emirate helfen uns. Wenn die beiden Länder nicht gekommen wären, wären wir unter der Diktatur von Abdallah Saleh und den Huthis. Ich hoffe, Saudi-Arabien und die Emirate machen alles gut, im ganzen Jemen, aber besonders im Südjemen. Ich sage, gut gemacht, Saudi-Arabien hilft den Leuten.

Gegenwind:

Was macht der Iran im Jemen?

Naesah Samrah:

Wer ist der Iran? Und wer ist Huthi? Das ist das Gleiche. Die Familie, der Imam Huthi hat früher lange regiert. Jetzt führen sie Krieg, und mit der Hilfe vom Iran. Iran und Huthi ist jetzt das Gleiche, Schiiten.

Gegenwind:

Was machen die USA im Jemen?

Naesah Samrah:

Die USA guckt. Sie haben gar nichts gemacht. Sie gucken beim Krieg zu und verdienen Geld. Wenn es keinen Krieg im Jemen gibt, keinen Krieg im Irak, keinen Krieg in Syrien, verdienen die kein Geld. Dann kauft keiner Waffen.

Gegenwind:

Macht Russland etwas im Jemen?

Naesah Samrah:

Ich habe von Plänen gehört, aber Russland ist noch nicht im Jemen. Ich habe gelesen, ich gucke, sie planen etwas in Aden oder Hadramaut. Aber ich weiß nicht, ob die-se Information stimmt.

Gegenwind:

Was macht die Europäische Union?

Naesah Samrah:

Da habe ich überhaupt nichts gehört. Ich höre immer nur von Arabischen Ländern oder vom Iran, dass die was machen.

Gegenwind:

Wie ist die Situation im Jemen zur Zeit?

Naesah Samrah:

Die Situation ist ganz schlecht. Gerade gestern gab es einen Anschlag im Jemen [gemeint ist der Anschlag in Aden am 29. August 2016]. Ich habe mit meiner Mutter telefoniert und gefragt: Warum? 60 junge Männer sind tot, die meisten Minderjährige. Diese Jungen sind die Zukunft. Sie suchten Arbeit. Warum werden sie getötet? Weil sie Soldaten werden wollten? Sie möchten doch nicht Soldaten werden, sie möchten arbeiten, sie brauchen ein bisschen Geld. Sie brauchen Arbeit, um zu leben. Sie sagen, wir haben hier eine Chance, Arbeit zu bekommen. Dieser Attentäter, dieser Mann, dieses Schwein, warum hat er das gemacht? 60 Männer, 60 Jungen sind tot. Ich habe auch die Videos aus den Krankenhäusern gesehen, das viele Blut, die vielen Verletzten, warum? Im Islam ist das haram, das ist verboten. Das ist haram, haram. Wenn Du Moslem bist, darfst Du die Jungen nicht töten. Aber der Mörder ist kein Moslem. Er weiß es nicht, aber im Koran steht alles: Du darfst nicht töten. Er sagt „Allah-ho-Akbar”, aber er weiß nicht, was im Koran steht. Nein, in unserer Religion darf man das nicht machen.

Gegenwind:

Wie lange dauert der Krieg noch?

Naesah Samrah:

Man weiß nicht. Wenn die großen Länder sagen „Stopp”, dann ist der Krieg vorbei. Und wenn es keine Länder mehr gibt, die Waffen verkaufen, und keine Länder mehr, die Waffen einkaufen, dann ist der Krieg vorbei. Aber es gibt viele Länder, die mit dem Verkauf von Waffen gute Geschäfte machen, sie sind die Nutznießer des Krieges und des Tötens von Menschen. Guck nach Syrien. Bei uns ist der Krieg jetzt zwei Jahre, das ist noch gar nichts. Syrien, guck mal, Irak. Man weiß es nicht, wann es zu Ende ist.

Gegenwind:

Was wünscht Du Dir für den Jemen? Was sollte man dort ändern?

Naesah Samrah:

Ich wünsche mir eine gute Zukunft für den Jemen. Zuerst muss der Krieg zu Ende sein. Wenn der Krieg zu Ende ist, möchte ich wieder hin und gucken, wie es meinem Land geht. Ich möchte nach Aden. Aber erst muss der Krieg zu Ende sein, und dann wünsche ich dem Volk eine gute Zukunft. Ich will zurück zu dem früheren Leben vor die Einheit. Im Südjemen konnte jeder anständig leben. Ich möchte, dass die Demokratie zurück kommt. Ich möchte, dass die Hochschulbildung zurück kommen. Ich möchte eine gute Zukunft für die jungen Leute, weil die jungen Leute die Zukunft sind. Diese Zukunft kann nur der südliche Jemen aufbauen, ohne die falsche Einheit. Jetzt gibt es kein Wasser, keinen Strom. Das Essen ist viel zu teuer. Die Leute arbeiten, aber sie verdienen nichts. Das ganze Land muss wieder aufgebaut werden. Es gibt keine gute Zukunft für die Leute, die jetzt dort sind, aber vielleicht für ihre Kinder. Aber jetzt bin ich traurig, sehr sehr traurig . Ich liebe den Jemen, aber mein Herz ist traurig. Aber wir im Süden haben viel Geduld, wir im Süden sind das Land der Zivilisation. Wir haben schöne Provinzen und schöne Städte. Wir haben Aden, Lahij, Abyan, Schabwah, Hadramaut, Al-Mahrah, Sokotra. Ich liebe mein Land Südjemen.

Interview: Reinhard Pohl

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