(Gegenwind 337, Oktober 2016)
Gegenwind:
Kannst Du dich zuerst vorstellen?
Mohammed Abotaleb:
Mein Name ist Mohammed Abotaleb. Ich bin 35 Jahre alt und komme aus Sanaa, der Hauptstadt des Jemen.
Gegenwind:
Warum bist Du nach Deutschland gekommen?
Mohammed Abotaleb:
Aus mehreren Gründen. Vor allem wegen des Krieges und der Verfolgung durch den IS.
Gegenwind:
Wann bist Du hergekommen?
Mohammed Abotaleb:
Ich bin im letzten Jahr, 2015, in Deutschland eingereist.
Gegenwind:
Kannst Du erzählen, welche Probleme Du konkret im Jemen hattest?
Mohammed Abotaleb:
Ich selbst habe mehrere Selbstmord-Attentate erlebt. Ich habe sie, Gott sei Dank, überlebt. Der IS verfolgt bestimmte Schichten der Gesellschaft, bestimmte Menschen aus der Gesellschaft, darunter Geschäftsleute, Fachleute, die angeblich zur Huthi-Bewegung gehören. Die werden von der IS gezielt angegriffen. Und die IS hat auch Namenslisten, darauf ist auch mein Familienname.
Gegenwind:
Wie bist Du nach Deutschland gekommen?
Mohammed Abotaleb:
Ich bin normal geflogen, ich bekam noch einen Flug vom Jemen aus. Der ging nach Jordanien, und von dort aus konnte ich nach Berlin.
Gegenwind:
Du hast hier Asyl beantragt. Wie steht es mit Deinem Verfahren?
Mohammed Abotaleb:
Ich weiß es nicht. Das ist eine Frage, die kaum ein Flüchtling aus dem Jemen beantworten kann. Ich habe mich im Januar diesen Jahres als Asylbewerber gemeldet, und den Asylantrag konnte ich erst am 28. Juni stellen. Solange habe ich warten müssen.
Gegenwind:
Ich möchte zu einigen Politikern oder Parteien im Jemen Deine Einschätzung wissen. Was hältst Du von dem ehemaligen Präsidenten Saleh?
Mohammed Abotaleb:
Der ehemalige Präsident Saleh ist ein korrupter Ex-Präsident. Er ist korrupt. Ich gehörte zu denen, die gegen ihn protestiert haben, die an Demonstrationen gegen diesen Präsidenten teilgenommen haben. Die Korruption war unbeschreiblich. Die Korruption hat ein Niveau erreicht, das wir sie nicht mehr bekämpfen konnten oder wollten. Es ging nur noch, indem dieser Präsident zurücktritt. Er war meiner Meinung nach kein Diktatur, aber er war korrupt.
Gegenwind:
Wie schätzt Du den jetzigen Präsidenten Hadi ein?
Mohammed Abotaleb:
Der ist für mich kein Präsident. Er ist eine Marionette, er ist ein Verräter, er ist alles, aber kein Präsident.
Gegenwind:
Wie schätzt Du die Huthi-Miliz ein?
Mohammed Abotaleb:
Die Huthis sind eine jemenitische Bewegung. Sie haben keine religiösen Ziele auch wenn sie so beschuldigt werden, sie haben nur politische Ziele. Sie haben auch an den Demonstrationen gegen den Ex-Präsidenten Saleh teilgenommen. Sie sind stark, allerdings haben sie einen Mangel an politischer Erfahrung. Sie sind Gewinner, und sie sind Gegner des IS. Sie bekämpfen den IS ernsthaft, ganz im Gegensatz zu dem sogenannten Präsident Hadi. Sie sind die einzigen, die den IS in jeder Hinsicht bekämpft haben und bekämpfen wollen, und das ist das wichtigste, was für mich als ehemaliger Opfer des IS zählt und das liegt mit Sicherheit im Interesse der internationalen Gesellschaft. Ich wünschte lediglich, sie würden auf ihren Slogan verzichten.
Gegenwind:
Wie schätzt Du den Südlichen Widerstand ein, also Hirak?
Mohammed Abotaleb:
Die nennen wir die Separatisten. Das ist auch eine jemenitische Bewegung, sie sind Jemeniten und haben jedes Recht, sich vom Norden zu trennen obwohl sie meiner Meinung nach übertreiben. Sie haben aber auch keine politische Erfahrung und kein Programm. Diese Bewegung hat sich gespaltet. Hirak hatte mehr als eine Chance, ihre Ziele durchzusetzen, aber dadurch, dass sie sich nicht einig sind, haben sie alle Gelegenheiten verpasst. Darüber hinaus hängen sie sich an jeden, der stark ist, oder besser gesagt, an jeden, den sie für stark halten, was nicht unbedingt der Fall sein muss.
Gegenwind:
Welche Rolle spielt al-Qaida?
Mohammed Abotaleb:
Al-Qaida spielt eine große Rolle, eine sehr große Rolle im ganzen Land. Aber keine gute Rolle. Al-Qaida ist eine terroristische Bewegung, die von der ganzen Welt als Terroristen angesehen.
Gegenwind:
Wer unterstützt al-Qaida im Jemen?
Mohammed Abotaleb:
Ohne Zweifel Saudi-Arabien. Wer hat Al-Qaida gegründet? Waren es nicht die Saudis? Das ist jedem bewusst und ist ja kein Geheimnis.
Gegenwind:
Welche Rolle spielt der IS?
Mohammed Abotaleb:
Wie oft habe ich die Frage gehört? Was ist der Unterschied zwischen Al-Qaida und IS? IS sind die gleichen Leute wie al-Qaida. IS ist einfach deren modernere Name. Aber es sind die gleichen Leute. Früher hießen sie Al-Qaida und heute heißen sie IS. Wo ist al-Qaida jetzt? Sie existiert nicht mehr. Man hat einfach „al-Qaida” durch „IS” ersetzt.
Gegenwind:
Welche Rolle spielt die Islah?
Mohammed Abotaleb:
Islah ist eine politische Partei, die aber leider von außen regiert und gesteuert wird, nämlich von Saudi-Arabien. Islah vertritt die salafistische Version des Islam (Wahabismus). Mit anderen Wörter die Islah stellt die Islamische Bruderschaft im Jemen dar, auch wenn sie es leugnen. Bemerkenswert ist die enge Beziehung zwischen dieser Partei und den IS-Kämpfern und Führern. Viele der IS-Kämpfer und Führer haben als Mitglieder der Islah Partei angefangen.
Gegenwind:
Welche Rolle spielt Saudi-Arabien für den Jemen?
Mohammed Abotaleb:
Bis vor zwei Jahren hat Saudi-Arabien das Land inoffiziell gesteuert und regiert. Aber nachdem Ex-Präsident Hadi geflüchtet ist, hat Saudi-Arabien die Kontrolle des Jemen verloren. Und das ist der Grund, weshalb sie den Krieg entzündet haben.
Gegenwind:
Und welche Rolle spielt Saudi-Arabien in diesem Moment?
Mohammed Abotaleb:
Sie sind die Bombe, die das Land zerstört. Sie führen einen Krieg, einen brutalen Krieg, den wir auch nicht verstehen und der von der ganzen Welt ignoriert wird. Dieser Krieg hat nur das eine Ziel, nämlich den Jemen zu zerstören. Wie können die Saudis behaupten, die Huthis zu bekämpfen, indem sie Tausende von Zivilisten töten, darunter Tausende Kinder und Frauen. Schulen, Krankenhäuser, Brücken, Moscheen, Fabriken, Universitäten, archäologische Stätten, Tankstellen und vieles wurden verwüstet. Wie könnte das zugunsten des Jemen sein?
Gegenwind:
Welche Rolle spielt der Iran?
Mohammed Abotaleb:
Iran wird beschuldigt, Waffen ins Land zu liefern, das wurde aber nie bewiesen. Allerdings spielt Iran eine politische Rolle, die dem Jemen mehr geschadet als geholfen hat. Der Iran hat Saudi-Arabien provoziert und hat dadurch den Saudis einen Grund gegeben, den Krieg zu entzünden.
Gegenwind:
Welche Rolle spielen die USA?
Mohammed Abotaleb:
Die USA spielen eine große Rolle. Sie unterstützen Saudi-Arabien in diesem Krieg. Sie unterstützen den Krieg logistisch und auch militärisch. Sie liefern Waffen ohne Ende, sie verkaufen die Waffen an Saudi-Arabien. Und sie unterstützen Saudi-Arabien auch politisch, nicht nur militärisch.
Gegenwind:
Du hattest vorhin gesagt, die Huthis würden den IS ernsthaft bekämpfen. Bekämpfen die USA al-Qaida und IS auch ernsthaft?
Mohammed Abotaleb:
Nein, das glaube ich nicht.
Gegenwind:
Welche Rolle spielt Russland im Moment?
Mohammed Abotaleb:
Im Moment spielt Russland nur eine politische Rolle. Aber eine schwache politische Rolle. Vielleicht ändert sich das bald. Bisher hat Russland keine ernsthafte Rolle im Konflikt im Jemen gespielt.
Gegenwind:
Was macht die Europäische Union? Was wünscht Du Dir von der Europäischen Union?
Mohammed Abotaleb:
Die Europäische Union ist, was den Jemen betrifft, geteilt. Einige Länder wie Großbritannien und Frankreich unterstützen Saudi-Arabien, sowohl militärisch als auch politisch. Andere Länder wie Deutschland oder Italien verhalten sich neutral, möglichst neutral, oder sie versuchen sich nicht einzumischen. Das hat natürlich politische und ökonomische Folgen, weil Saudi-Arabien ein sehr wichtiger wirtschaftlicher Partner von der Europäischen Union ist und es könnte zu Problemen führen, wenn sie sich politisch äußern würden. Oder wenn sie versuchen, die Lage im Jemen zu ändern zugunsten des jemenitischen Volkes.
Gegenwind:
Spielt Deutschland eine Rolle im Jemen?
Mohammed Abotaleb:
Nein, leider nicht. Leider!
Gegenwind:
Wie steht es jetzt um den Krieg? Was passiert gerade? Gewinnt eine Seite?
Mohammed Abotaleb:
Es gewinnt niemand, aber der Jemen verliert. Der Jemen verliert vieles. Der Jemen verliert Menschen, er verliert die Wirtschaft, er verliert alles. Das Land ist fast 100 Jahre zurückgeworfen.
Gegenwind:
Gibt es von den Beteiligten am Krieg jemanden, dem Du den Sieg wünschst?
Mohammed Abotaleb:
Ich würde mich freuen, wenn der Krieg aufhört. Dadurch kann der Jemen gewinnen. Ich bin ein Jemenit. Ich stehe gegen Saudi-Arabien und ihr Fanatismus, in jeder Hinsicht. Ich bin davon fest überzeugt, dass Saudi-Arabien nie eine gute Rolle für den Jemen spielen wird. Und das ist nicht nur seit Anfang dieses Krieges, sondern seit den 60er Jahren. Die Saudis haben schon damals eine negative Rolle im Jemen gespielt, indem sie die im Jemen verbreitete wahabitische Ausbildungslager und Schulen gebaut haben. Sie haben ihre Kräfte eingesetzt, Druck ausgeübt, dass der Jemen sich nicht positiv entwickeln konnte. Der heutige Krieg ist ein Ergebnis für die damalige Projekte der Saudis. Aber der Krieg muss erstmal aufhören.
Gegenwind:
Hast Du eine Idee, wie lange der Krieg noch dauern wird?
Mohammed Abotaleb:
Das ist nicht absehbar. Wir haben das Vorbild Irak und Syrien. Der Krieg läuft seit vielen Jahren, und ich glaube nicht, dass der Jemen eine Ausnahme sein wird. Es sind die gleichen Leute, die diesen Krieg lenken. In Syrien, im Irak, im Jemen sind es die gleichen Beteiligten, warum sollte Jemen eine Ausnahme sein?
Gegenwind:
Was sollte sich im Jemen ändern, damit Du Dir überlegen könntest, dort wieder zu leben?
Mohammed Abotaleb:
Das ist schwierig zu beantworten. Solange der IS existiert, gibt es für mich keine Rückkehr.
Gegenwind:
Wie siehst Du Deine Zukunft? Bleibst Du in Deutschland?
Mohammed Abotaleb:
Ich warte jetzt auf die Bewilligung meines Asylantrages. Und ich bin optimistisch, es ist für mich nur eine Frage der Zeit, und ich glaube an die deutschen Gesetze. Ich kenne das Land ganz gut, ich kann Deutsch, ich habe hier teilweise studiert, und ich habe eine gute Perspektive. Ich habe mehrere Arbeitsangebote erhalten. Nur dadurch, dass ich leider noch nicht anerkannt bin, darf ich diesen Landkreis nicht verlassen und nicht woanders arbeiten. Ich bin jetzt aber hier eingestellt, ich arbeite, werde bezahlt. Aber eben ausschließlich in diesem Landkreis.
Gegenwind:
Was machst Du denn?
Mohammed Abotaleb:
Ich arbeite für einen Verein namens „pro regio” als Integrationslotse in Eckernförde. Hier leben ungefähr 400 Flüchtlinge, die meisten sind arabisch-sprachig aus Syrien und aus dem Irak, und ich bin einer der zwei oder drei Personen in der Stadt, die Arabisch und Deutsch können. Aus diesem Grund wurde ich eingestellt.
Interview: Reinhard Pohl