(Gegenwind 337, Oktober 2016)

Abdo Dohaim

„Das ist meine Heimat”

Interview mit Abdo Dohaim aus Lübeck

Gegenwind:

Kannst Du Dich als erstes vorstellen?

Abdo Dohaim:

Ich bin Abdo Dohaim, 25 Jahre alt. Ich komme aus dem Jemen, aus Taiz, aber ich bin in Sanaa aufgewachsen, weil mein Vater dort gearbeitet hat und meine Mutter auch.

Gegenwind:

Warum bist Du hergekommen?

Abdo Dohaim:

Ich habe in meiner Heimat Germanistik studiert. Weil ich damals eine gute Leistung erbracht habe, habe ein Stipendium des „Deutschen Akademischen Austauschdienst” (DAAD) erhalten. Damit durfte ich in Deutschland fünf Monate lang Sprachkurse besuchen, danach sollte ich in meine Heimat zurück. Das hat nicht geklappt, weil damals mein Vater vom IS entführt wurde, er ist dabei gestorben. Deshalb kam ich zu spät nach Deutschland, das war auch nicht einfach wegen der Unruhen damals. Ich habe viel Geld bezahlt, um mich nach Saudi-Arabien bringen zu lassen, und von dort kam ich in die Türkei, und von dort nach Deutschland. Mein Vater war auch Dolmetscher, und er hat für das Verteidigungsministerium gearbeitet. Er war auch Diplomat, hat fünf Jahre lang in Großbritannien gearbeitet. Deswegen wurde er entführt, sie behaupten, dass er viele Informationen von Militärangehörigen hatte, von Militärs der NATO. Ich bin also nach Deutschland gekommen, konnte noch für zwei Monate den Sprachkurs besuchen. Danach wollte ich in den Jemen zurück, aber da waren ja alle Flughäfen gesperrt. Ich bin zur saudi-arabischen Botschaft gegangen, um zu klären, ob ich nach Saudi-Arabien fliegen darf. Sie haben gesagt: Nein, Du brauchst eine Bürgschaft, also eine Verpflichtungserklärung, aber ich kenne niemanden in Saudi-Arabien. Für mich bürgt niemand. Aber ohne diese Bürgschaft gibt es kein Visum. Ich habe dann die Beratungsstelle hier in Deutschland gefragt, was ich machen kann, wenn das Visum zu Ende ist. Ich wollte zu meiner Familie zurück, weil meine Mutter und meine Schwestern in meiner Heimat sind. Die Beratungsstelle bei der Ausländerbehörde hat gesagt, Du kannst nicht zurück. Wenn Du hierbleiben willst, kannst Du einen Asylantrag stellen. Das habe ich gemacht, noch in Berlin, und dann bin ich nach Neumünster geschickt worden und am Ende in Lübeck gelandet.

Gegenwind:

Wie ist Dein Asylverfahren weiter gegangen?

Abdo Dohaim:

Ich habe vor einem Monat meine Anhörung gehabt. Das war im Juni in Neumünster. Das wird jetzt bearbeitet, aber ich weiß nicht, wann ich die Entscheidung bekomme. Ich habe eine Zusage vom „Bundesamt für Migration und Flüchtlinge” bekommen, dass ich ab Oktober dort als Dolmetscher arbeiten kann.

Gegenwind:

Kannst Du jetzt einzelne Personen und Gruppen im Jemen einschätzen? Wie ist Deine Meinung über den ehemaligen Präsidenten Saleh?

Abdo Dohaim:

Ali Abdullah Saleh war zu achtzig Prozent ein Diktator. Aber er hat den Jemen gut regiert. Er hatte immer einen guten Kontakt zu den Stämmen, er wusste, wie der Jemen funktioniert. Es gibt dort die Stammesführer, und Saleh war selbst am Anfang ein Stammesführer. Er wurde dann erst Soldat und dann später Präsident. Er hat viel Erfahrung, er konnte gut mit den Menschen im Jemen umgehen. Und das hat ihm ungefähr 30 Jahre Amtszeit eingebracht. Ich finde ihn klug, aber er hat die Korruption im Jemen immer ignoriert. Die Regierung war schlecht, richtig korrupt, und er hat das gewusst, aber ignoriert, damit er der Freund aller Stammesführer bleibt.

Gegenwind:

Wie siehst Du seinen Nachfolger, Hadi?

Abdo Dohaim:

Als Mensch gut, er ist gut ausgebildet, aber er hat nicht genug Erfahrung, um den Jemen zu regieren. Er kann nicht gut mit den Stammesführern umgehen. Wer den Jemen regieren will, muss gut mit den Stammesführern umgehen. Es gibt im Jemen keine Demokratie, sondern alle gehören zu ihrem Stamm, und man kann nur regieren, wenn man gut mit den Stammesführern umgehen kann. Jemen ist so.

Gegenwind:

Wie beurteilst Du die Huthi-Miliz?

Abdo Dohaim:

Die Huthis sind richtig korrupt, und sie haben kein Ziel. Ihr Ziel ist, Saudi-Arabien anzugreifen. Sie wollen Saudi-Arabien erobern, vom heutigen Jemen aus bis nach Mekka, bis zum schwarzen Stein. Sie sagen, das gehört alles zum Jemen. Außerdem arbeiten sie für den Iran. Sie kriegen viel Unterstützung vom Iran, der Iran kriegt viel Unterstützung von Russland. Ich meine, sie sind böse.

Gegenwind:

Wie beurteilst Du den Südlichen Widerstand, Hirak?

Abdo Dohaim:

Sie haben das Recht, ihre Rechte als Süden zurück zu kriegen. Sie wurden diskriminiert, nach der Einheit. Das war nicht die Schuld vom Ex-Präsident Saleh, sondern von seinen Leuten, den Leuten, die mit ihm das Land regiert haben. Sie haben das ausgenutzt. Sie haben im Südjemen viele Sachen geklaut, Häuser und so weiter. Aber das heißt nicht, dass sie die Spaltung wollen. Die Spaltung ist keine Lösung. Hirak will aber die Spaltung, das finde ich dumm. Sie hassen die Leute, die aus dem Norden kommen. Ich komme nicht aus dem Norden, ich komme aus Taiz. Taiz ist zwischen Aden und Sanaa. Aber trotzdem hassen sie alle Leute, sie sagen, alle Leute aus dem Norden sind schlecht, sie haben uns beklaut, sie haben uns unterdrückt, sie haben uns diskriminiert.

Gegenwind:

Was ist Deine Meinung über al-Qaida?

Abdo Dohaim:

Al-Qaida ist gefährlich mittlerweile. Al-Qaida war ganz früh im Jemen, kurz nach der Einheit kamen sie zurück aus Afghanistan. Das war unter der Führung von Abdulmagid Al-Sandani. Al-Qaida ist eine Teil der Muslimbruderschaft. Al-Qaida ist schlimmer als die Huthis, und schlimmer als Hirak. Al-Qaida oder IS, sind zwei Namen, aber im Jemen ist das nur eine Gruppe. Sie arbeiten zusammen. Al-Qaida hat im Jemen einen großen Einfluss, und sie machen im Jemen alles schlimmer. Sie sind schlimmer als in Syrien der IS.

Gegenwind:

Welche Rolle spielt die Islah-Partei?

Abdo Dohaim:

Diese Partei neigt zu al-Qaida. Die Islah-Partei unterschtützt al-Qaida als politische Partei. Das ist nur eine künstliche Trennung, es gibt die Islah als Namen.

Gegenwind:

Ein Mitglied von Islah hat den Friedensnobelpreis bekommen.

Abdo Dohaim:

Tawakkol Karman heißt sie. Das hieß damals „Junge Revolution”, das war im Arabischen Frühling. Ich finde den Arabischen Frühling richtig schlimm. Der Arabische Frühling hat die arabischen Länder kaputt gemacht. Sie wollten die Freiheit haben. Welche Freiheit? Keine Ahnung. Alle wollten Freiheit, Freiheit. Jetzt ist Syrien kaputt, Ägypten ist kaputt, und Jemen ist auch kaputt. Viele sind gestorben, wegen der Freiheit. Sie hat den Friedensnobelpreis bekommen, aber das war nur Politik. Aber der Preis passt für sie nicht, sie hat gar nichts gemacht, sie war nur in der Opposition aktiv.

Gegenwind:

Welche Rolle spielt Saudi-Arabien?

Abdo Dohaim:

Saudi-Arabien spielt seit langer Zeit eine sehr große Rolle im Jemen. Saudi-Arabien regiert den Jemen, egal ob Ali Abdallah Saleh Präsident ist oder Hadi. Es gab davor einen Präsidenten, der hieß Ibrahim Alhamdi. Alhamdi war gut, er hat den Jemen drei Jahre lang regiert. Er hat den Jemen nach vorne gebracht, wirtschaftlich und politisch. Saudi-Arabien hat gefühlt, dass er gefährlich für den Einfluss auf das Land ist, deshalb hat man Ali Abdullah Saleh unterstützt, um ihn zu stürzen. Und dann hat man Alhamdi gestürzt, um den Jemen weiter von Saudi-Arabien aus zu regieren. Und jetzt wurde Saleh zu einem gefährlichen Menschen für Saudi-Arabien, deshalb hat Saudi-Arabien angegriffen. Denn jetzt ist Saleh ein Huthi, das hat zu dem Angriff auf den Jemen geführt.

Gegenwind:

Welche Rolle spielt der Iran?

Abdo Dohaim:

Der Iran spielt jetzt eine große Rolle. Es geht um die Religion. Es sind Schiiten, das verbindet sie mit al-Huthi. Es gibt anscheinend ein großes Duell zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, aber der Kampf findet im Jemen statt, und der Jemen ist das Opfer. Der Iran unterstützt die Huthi, das stimmt wirklich. Ich habe mit Leuten, die für al-Huthi gearbeitet haben, gesprochen. Sie waren damals Freunde von meinem Vater. Ich habe auch mit Leuten gesprochen, die für Saudi-Arabien gearbeitet haben. Und mein Vater hat mir auch viel darüber erzählt, was sie machen. Der Iran spielt eine ganze große Rolle.

Gegenwind:

Welche Rolle spielen die USA?

Abdo Dohaim:

Die USA spielt eine große Rolle, natürlich. Sie unterstützen Saudi-Arabien. Saudi-Arabien ist das Land für das Öl. Und sie haben gute Beziehungen zu Amerika. Der Iran unterstützt al-Huthi, und Iran bekommt Unterstützung von Russland. Der Krieg ist zwischen Russland und Amerika.

Gegenwind:

Wer unterstützt al-Qaida? Und wer bekämpft al-Qaida?

Abdo Dohaim:

Der größte Unterstützer von al-Qaida ist Saudi-Arabien. In Saudi-Arabien regieren die Wahabiten, und Wahabiten sind verwandt mit Sunniten. Sunniten neigen zu al-Qaida, wenn sie einen religiösen Hintergrund haben. Amerika weiß das, aber es macht nichts dagegen.

Gegenwind:

Die USA sagen, sie bekämpfen al-Qaida im Jemen.

Abdo Dohaim:

Sie bekämpfen al-Qaida, aber das ist nur eine Behauptung. Sie fliegen mit Kampfjets und vor allem mit Drohnen. Aber sie wissen, dass Saudi-Arabien al-Qaida unterstützt, denn al-Qaida führt jetzt einen Kampf in Marib, das ist eine Stadt östlich von Sanaa. Dort findet ein Kampf zwischen al-Huthi und al-Qaida statt. Al-Qaida führt diesen Kampf. Sie behaupten, dass sie der Widerstand sind, aber sie sind nicht der Widerstand, sie sind al-Qaida. Saudi-Arabien unterstützt sie, damit sie im Krieg Saudi-Arabien entlasten.

Gegenwind:

Welche Rolle spielt die Europäische Union im Jemen?

Abdo Dohaim:

Die Europäische Union spielt keine Rolle im Jemen. Die Europäische Union macht, was Amerika sagt. Amerika ist die der Hauptspieler.

Gegenwind:

Hast Du Wünsche, was die Europäische Union oder Deutschland machen sollten?

Abdo Dohaim:

Es wäre gut, wenn die Europäische Union oder Deutschland eine gute Lösung für den Jemen finden kann. Zum Beispiel: Keine Spaltung, aber al-Huthi bleibt im eigenen Gebiet, kann die Waffen behalten, darf sich aber nicht nach Saudi-Arabien verbreiten. Nötig ist ein Kompromiss, ein Frieden. Die Leute, die im Hirak sind, brauchen auch Unterstützung. Aber es ist schwierig, sehr schwierig. Es sind ja al-Huthi, Hirak und al-Qaida, also drei Seiten. Da könnte Deutschland was machen, vermitteln. Jetzt verkauft Deutschland Waffen an Saudi-Arabien, und Saudi-Arabien verteilt diese Waffen unter den Sunniten im Jemen. Ich habe nichts gegen Sunniten, aber viele sind strenggläubig, die neigen zu al-Qaida. Die Waffen gehen als al-Qaida, und die sind überall. Nicht nur im Jemen, sondern überall in Arabien. Al-Qaida wird eines Tages auf der arabischen Halbinsel dominieren. Das ist wirklich gefährlich.

Gegenwind:

Wie ist im Moment die Situation im Jemen für diese Gruppen und für die Bevölkerung?

Abdo Dohaim:

Die Lage ist schlecht. Wenn Du die Wirtschaft ansiehst, das ist schlimmer als jemals. Die Verhältnisse sind schlimmer als die, die wir jahrelang hatten. Man kann es schwer beschreiben. Ich telefoniere jeden Tag mit Freunden, und die sagen, es ist unglaublich. Ich glaube, es ist schlimmer als in Syrien. In Syrien ist auch Krieg, aber sie bekommen Hilfe, es gibt auch medizinische Hilfe. Aber im Jemen gibt es die Seeblockade, es gibt keine Hilfe.

Gegenwind:

Gibt es eine Seite im Krieg, der Du Erfolg wünscht?

Abdo Dohaim:

Ich finde keine Seite. Alle sind schlimm. Ich habe mir schon oft überlegt, für welche Seite ich sein könnte, aber ich habe keine gefunden. Alle führen Krieg, entweder für Saudi-Arabien oder für andere, niemand kämpft für sein Land.

Gegenwind:

Hast Du eine Idee, wann der Krieg zu Ende sein könnte? Wie lange dauert er noch?

Abdo Dohaim:

Der Krieg dauert noch lange, noch mindestens zehn Jahre. Vielleicht mehr als zehn Jahre. Auch wenn der Krieg in zehn Jahren beendet ist, bleibt die Lage schlecht. Für die Menschen, die unschuldig am Krieg sind, bleibt die Lage schlecht.

Gegenwind:

Du suchst jetzt hier in Deutschland Arbeit. Wie müsste der Jemen in zehn oder zwanzig Jahren aussehen, damit Du Dir überlegen würdest, wieder in den Jemen zu wollen?

Abdo Dohaim:

Wenn der Krieg im Jemen zu Ende ist, und es eine gute Regierung gibt, dann hoffe ich, dass ich in den Jemen zurück kann. Irgendwann, aber da ist meine Heimat. Ich habe immer Heimweh, dort habe ich meine Familie. Und ich bin der älteste Bruder, ich habe die Verantwortung für meine Familie. Ich habe noch sechs Geschwister, alle jünger als ich. Und ich bin jetzt der Haupt-Finanzierer für die Familie. Jeden Tag denke ich an sie. Ich will jetzt studieren, meinen Master machen, ich arbeite nebenbei. Egal, ob ich dann irgendwann die deutsche Staatsbürgerschaft kriege oder nicht, ich will irgendwann in meine Heimat zurück. Aber erst, wenn dort Frieden ist.

Gegenwind:

Was muss es denn für eine Regierung geben? Muss sie demokratisch sein?

Abdo Dohaim:

Ja, sie muss demokratisch sein. Ich finde es auch gut, wenn al-Qaida nur noch eine Partei ist. Die Huthi-Milizen sind ziemlich klug. Sie kämpfen, aber sie haben eine Partei, die sie im Ausland vertreten kann. Aber al-Qaida hat gar nichts. Al-Qaida kämpft, ohne zu sagen, welche Ziele sie hat. Al-Qaida will einfach die islamische Herrschaft, sie wollen die ganze Welt beherrschen. Das kriegen sie nicht hin. Aber Demokratie bedeutet, es gibt einen Präsidenten, aber alle vier Jahre muss es einen neuen Präsident geben. Es muss Plätze in der Verwaltung geben, die ausgeglichen verteilt werden. Das ist das, was ich will. Jeder kann, egal wer er ist, schiitisch oder sunnitisch, al-Qaida oder was anderes, einen Platz bekommen. Jeder muss seine Meinung sagen können, das wird dann diskutiert. Aber nur so kann sich das Land entwickeln.

Interview: Reinhard Pohl

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