(Gegenwind 334, Juli 2016)
In der Nacht zum 18. Mai stellte eine Hamburger Recherchegruppe ein Dossier über die ehemalige Verdeckte Ermittlerin „Astrid Schütt” online. Nach „Iris Schneider” und „Maria Block” die dritte Enttarnung innerhalb von 18 Monaten.
„Wir hatten hier eine Antifa-Jugendgruppe mit politischen Diskussionsrunden und Infoveranstaltungen - da wollte sie gerne aktiv mitmachen”, erinnerte sich Jan Stubben gegenüber der „Bergedorfer Zeitung”. Der Sprecher des selbstverwalteten Jugendzentrums „Unser Haus” in Hamburgers östlichstem Bezirk erfuhr bereits Monate vor der Enttarnung der Verdeckten Ermittlerin (VE), die sich als „Astrid Schütt” ausgab, dass Astrid O. vom Staatsschutz des LKA von Ende 2006 bis April 2013 auf die heimliche Ausforschung der linken Szene angesetzt war. Denn im Rahmen der offensichtlich gründlichen Recherche wurden auch Informationen zum Einstieg der Ermittlerin über das „Café Flop” des Jugendzentrums „Unser Haus” zusammengetragen. Die Recherchergruppen, die bereits die VE Iris P. und Maria B. im nachherein enttarnten, scheinen mittlerweile einige Routine im Enttarnen von Undercover Polizistinnen in der linken Szene zu haben. Nach Iris P. alias „Iris Schneider”, von 2001 bis 2006 tätig, und Maria B. alias „Maria Block”, tätig von 2008 bis 2012 ist Astrid O. die dritte Undercover-Agentin, die innerhalb von 18 Monaten im nachherein enttarnt worden ist durch ein auf verdeckteermittlerinhh.blackblogs.org eingestelltes Dossier.
Das „Café Flop” ist ein von Jugendlichen viel genutzter Ort. Die damals 25-jährige Polizistin suchte dort 2006 gezielt den Kontakt zu der Antifa-Jugendgruppe. Als die Gruppe sich zerstritt, verlagerte sie zusammen mit einigen der Jugendlichen ihre Aktivitäten nach Altona und organisierte dort das ab Oktober 2008 regelmäßig stattfindende Antifa-Jugend-Café „Mafalda” in einem Wohnprojekt mit. Bis zur Beendigung ihrer Ausforschungstätigkeit im April 2013 wurde sie auch auf weitere antifaschistische Aktivitäten angesetzt, auch auf die Rote Flora als linkem Zentrum und die dort aktive Antirepressionsgruppe. Astrid O. gründete Ende 2009 mit einigen Jugendlichen zusammen die nicht mehr bestehende Gruppe „Nella Faccia”, die sich an Antifaaktivitäten beteiligte. „Hier bot sich der lange gesuchte Türöffner in die Hamburger linke Szene”, so die Recherchegruppe in ihrem Dossier: „Entscheidend hierbei war die relative Unerfahrenheit an politischer Organisation der gesamten Gruppenmitglieder.” Nella Faccia bestand, mit Ausnahme der zu diesem Zeitpunkt 29-jährigen Astrid O. „aus jungen Personen, die im Umgang mit Sicherheit in politischen Strukturen ungeübt waren.”
Jugendliche zu observieren, die sich gegen Nazis wehren, ist der Staatsschützerin also in mehreren Gruppen gelungen - von Bergedorf ausgehend, wo Nazis auf den Straßen präsent sind wie sonst kaum in Hamburg: „Wir sind hier ja nur ein Jugendzentrum für politisch Interessierte und alles andere als ein Treffpunkt der krassen linksextremistischen Szene”, so Jan Stubben zur „Bergedorfer Zeitung”: „Wenn der Staatsschutz schon uns bespitzeln lässt, dann frage ich mich, wie viele Ermittler wohl erst in der Schanze hocken.”
Antje Möller, innenpolitische Sprecherin der Bürgerschaftsfraktion der Grünen, wurde im Urlaub von der Enttarnung der Verdeckten Ermittlerin „Astrid Schütt” überrascht: „Der Vorwurf lautet ja, dass in die Organisation eines Antifa-Cafés vor allem für Jugendliche die Beamtin zur Lageaufklärung eingeschleust wurde”, so Möller gegenüber dem Autor in einem ersten Statement: „Das wäre für mich ein besonders kritischer Teil des Auftrages. Wenn Jugendliche aus polizeilicher Sicht auffällig werden, sind die Erziehungsberechtigten zu kontaktieren.” In der rotgrünen Koalition gibt es offensichtlich Gesprächsbedarf zum Ressort des von der SPD gestellten Innensenators Andy Grote, seit dem 20. Januar im Amt, nachdem sein amtsmüder Vorgänger Michael Neumann mitten in der Legislaturperiode zurückgetreten war. „Man wird das Gefühl nicht los, dass es eine Never-Ending-Story ist”, so Antje Möller: „Es muss zu einer Aufklärung des Einsatzes kommen, dafür ist der Innenausschuss der richtige, um nicht zu sagen bewährte Ort.” Antje Möller hat in diesem Gremium des Landesparamentes wie auch Christiane Schneider viele kritische Fragen gestellt, von denen zahlreiche beantwortet wurden.
„Die Polizei scheint den Einsatz verdeckt ermittelnder Beamtinnen in linken Szenen exzessiv zu betreiben”, erklärte Christiane Schneider, innenpolitische Sprecherin der Faktion Die Linke in der Hamburgischen Bürgerschaft in einer Erklärung: „Die Polizei setzt nach eigenen Angaben, so in der Sitzung des Innenausschusses vom 5. November 2015, keine verdeckt ermittelnde Beamtinnen in rechten und rechtsextremen Strukturen ein, und zwar weder in der Gegenwart noch in der Vergangenheit, also auch nicht in den Hochzeiten des militanten Rechtsextremismus in Hamburg.” Bei antifaschistischen Aktiven werden dagegen schon Jugendgruppen observiert. „Es ist dringend geboten, dass die Polizei ihr Konzept des verdeckten Ermittelns in politischen Szenen offenlegt”, so Christiane Schneider. Wie Antje Möller fordert sie Aufklärung im Innenausschuss.
„Der Einsatz von VE dient real der Ausforschung linker Strukturen und Aktivitäten”, konstatiert Andreas Blechschmidt, Aktivist aus der Roten Flora im Gespräch mit dem Autor: „Aber beim offiziellen Grund für den Einsatz von VE - zur Ermittlung von Straftaten und zur Gefahrenabwehr - gab es noch nie Ergebnisse.”
Seit 27 Jahren gab es kein Ermittlungsverfahren gegen Leute aus der Roten Flora wegen der dort geplanten oder stattfindenden Aktivitäten. Der polizeiliche Auftrag der Aufklärung und Prävention von Straftaten passt auch nicht mit der mehrjährigen Dauer des Einsatzes und der konkreten Observation zusammen. Astrid O. war „eine Woche auf dem Fusion-Festival und hat mit mir und Anderen in der Parkplatzcrew als Ordnerin gearbeitet”, so Andreas Blechschmidt: „Dass passt alles nicht zum offiziellen Auftrag”.
Nach der Niederlage des Nationalsozialismus und damit auch der Gestapo wurde aus gutem Grund das Trennungsgebot von Geheimdienst und Polizei eingeführt. „Dass wird in Hamburg seit mindestens 25 Jahren unterlaufen und mit den Füßen getreten”, so Andreas Blechschmidt. „Unmittelbare Gefahr für Sicherheit und Ordnung” - so lautet das Kriterium für den Einsatz von VE. Um den Einsatz von VE zu rechtfertigen, wurde öfters ein Ermittlungsverfahren nach StPO nachträglich nachgeschoben. Gerne setzte der Staatsschutz aber auch jahrelang Beamte und besonders Beamtinnen zur Lageaufklärung ein - kurz: BfL. Die haben zwar geringere Befugnisse als VE, dafür bedarf es laut Polizeirecht aber noch nicht einmal einer staatsanwaltlichen Anordnung für ihren Einsatz - die Polizeiführung entscheidet alleine. „Wahrscheinlich war auch Astrid O. zuerst als BfL und erst später offiziell als VE eingesetzt”, so Andreas Blechschmidt: „Als Zeitpunkt für die Erweiterung der Einsatzbefugnisse von einer BfL zur VE vermuten wir das Ermittlungsverfahren, offiziell gegen unbekannt, nach der Aktion gegen drei Streifenwagen vor der Lerchenwache”. Die wurden im November 2009 vor dem Polizeirevier des Schanzenviertels abgebrannt. Vermutlich um die Wachhabenden daran zu hindern, gleich aus der Wache zu stürzen und die Verfolgung aufzunehmen, wurde die Eingangstür der Wache verrammelt. „Staatsschutz und Staatsanwaltschaft konstruierten daraus die Absicht, die Polizisten in der Wache zu verbrennen und ermittelten offiziell wegen Mordversuchs”, so Andreas Blechschmidt, der damals bemerkte, dass er observiert wurde.
Der damalige Innensenator Michael Neumann hatte im Spätsommer 2015 im Innenausschuss zugesagt, eine Vermischung der Befugnisse durch einen zeitgleichen Einsatz sowohl als BFL als auch als VE, wie bei Iris P. geschehen, werde es in Zukunft nicht mehr geben. „Ich halte es für sehr wichtig, den Verdacht einer möglichen Vermischung aufzuklären”, erklärte Antje Möller jetzt nach den ersten Presseberichten über Astrid O. Sie geht nicht davon aus, dass es unter dem seit 20. Januar amtierenden neuen Innensenator Andy Grote, wieder von der SPD, einen neuen Kurs in Sachen VE gibt: „Das kann ich mir nicht vorstellen, bisher waren diese Einsätze nie Entscheidungen durch die jeweiligen Senatoren.” Gegenüber der taz erklärte Andy Grote im Interview zur Amtseinführung über VE: „Nicht alles, was in der Vergangenheit geschah, ist geeignet, fortgesetzt zu werden.”
Zu erklären haben die für den ja auch zurückliegenden Einsatz von Astrid O. Verantwortlichen in der Staatsschutzabteilung des LKA Hamburg so einiges. „Und es geht auch um Aufklärung zur Dauer des Einsatzes. Warum die jetzt in die Öffentlichkeit geratene VE über so viele Jahre zur Beobachtung in der Szene war, erschließt sich mir nicht”, so Antje Möller: „Zur Dauer des Einsatzes stellen sich Fragen: was ist das Ziel eines solch langjährigen Einsatzes, was kommt dabei heraus, wie rechtfertigt die Polizei diese langjährigen Einsätze?”
Die Polizeiführung gibt sich zur erneuten Enttarnung wortkarg. Polizeisprecher Timo Zill bestätigte auf Nachfrage nur: „Eine Hamburger Polizeibeamtin ist betroffen.” Astrid O. ist jetzt wie die beiden anderen enttarnten VE im regulären Polizeidienst. Ein verdeckter Einsatz scheint gut für die Karriere zu sein. „Die LKA-Beamtin Astrid O. war von Ende 2006 bis April 2013 in verschiedenen Zusammenhängen unter dem Decknamen „Astrid Schütt” in der linken Szene in Hamburg aktiv”, so die Recherchegruppe in ihrem im Internet eingestellten Dossier. Im April 2013 hat sie sich unter dem Vorwand, in Italien in einem Restaurant professionell Kochen lernen zu wollen aus den politischen Strukturen zurückgezogen. Im Dossier wird ihre Legende demontiert: „Tatsächlich ist sie aber nach einer längeren Urlaubszeit im Oktober 2013 in den Polizeidienst im Alsterdorfer Polizeipräsidium zurückgekehrt, wo sie unseren Recherchen nach auch derzeit noch tätig ist.”
Die Recherchegruppe aus dem Umfeld der Roten Flora untersuchte die politischen Aktivitäten von Astrid O. rückblickend. „Im Rahmen der Recherche zu Iris P. ist viel Know-How entstanden, das jetzt im Rahmen der Recherche zu Astrid O. auch sehr nützlich war”, so Andreas Blechschmidt: „Etwa beim Auffinden von Informationen”.
Das im Dossier enthaltene aktuelle Foto von Astrid O. steht so auch auf ihrem Facebook-Account, der mit ihrem zweiten Fake-Account „Astrid Frisur” abgeglichen wurde. Die Recherchegruppe trug vor allem aber Informationen zusammen, über die sich vorher Aktive aus verschiedenen Gruppen nicht ausgetauscht haben. Einzelne merkwürdig erscheinende Ereignisse: „Sie stellte damals auffallend viele Fragen und war in ihren Zusammenhängen mit Abstand die Älteste, was insbesondere im Rahmen des „Café Mafalda” (Jugendcafé) auffällig war.” Mit 27 Jahren war Astrid O. 2008 für die autonomen Szene nicht besonders jung, es war auffällig, dass sie trotzdem schwerpunktmässig in der Jugend-Antifa aktiv war. Auch dass Astrid O. „einen Tonfa bei sich zuhause herumliegen hatte”, einen Nahkampfknüppel der Polizei und „offensichtlich versiert in Kampfsport war, obwohl sie angab, kein Interesse daran zu haben”, wirkte widersprüchlich: „Diesen Unklarheiten wurde damals aber leider nicht ausreichend nachgegangen.” Dabei plädiert die Recherchegruppe aber nicht dafür, Spitzelverdachte überzubewerten. Vielmehr geht es um eine verbindliche, faire und über einzelne Gruppen hinausgehend transparente Klärung eines möglichen Verdachtes.
„Auf die verschiedenen Spektren der radikalen Linken in Hamburg sind bestimmt so vier oder fünf VE gleichzeitig angesetzt”, vermutet Andreas Blechschmidt: „Etwa auf die B5, die Ultras von St. Pauli, die Flora, die Antira-Aktiven, die Antifas”. Vor drei Jahren wurde von den sich radikal antiimperialistisch gebenden Leuten von der B5 ebenfalls ein VE enttarnt - das ebenso sektiererische wie israelfeindliche Spektrum des „Internationalen Zentrums Brigittenstraße 5” auf St. Pauli leistete dazu aber kaum öffentliche Aufklärung. Dies ist umso ärgerlicher, als dass die Undercover Einsätze oft auf das langfristige Aufbauen von Vertrauen angelegt sind und VE zwischen linken Gruppen hin und her wechseln können. Der 1997 in Hamburg aufgeflogene VE „Stefan” etwa war lange in der antirassistischen Glasmoorgruppe aktiv, kam dann in die Siebdruckgruppe der Roten Flora, war in der Flora aber sozusagen ein Schläfer, der sich noch nicht für das Plenum interessierte. „Wenn er nicht durch einen Zufall aufgeflogen wäre, hätte er vielleicht irgendwann als Vertreter der Siebdruckgruppe auf dem Plenum gesessen”, so Andreas Blechschmidt.
„VEs, die derzeit undercover soziale Bewegungen ausspionieren, werden ja erst in ein paar Jahren enttarnt - wenn überhaupt”, so Tina Fritsche vom Centro Sociale im Karoviertel gegenüber dem Autor: „Ich wünschte, es ginge schneller, aber die Ermittlungsgruppe macht eine solide, belastbare und seriöse Arbeit vor allem mit Blick auf das Rote Flora-Umfeld - und das geht nur mit Zeit, Sorgfalt und Geduld.” Tina Fritsche vermutet ebenfalls den Einsatz weiterer VE: „Von Recht auf Stadt über Initiative Refugees Welcome Karoviertel, kirchliche Gruppen und gewerkschaftliche Jugendorganisationen bis hin zur Kleiderkammer” für Geflüchtete. Aber sie betont auch, dass Abschottung linker Aktivitäten keine Lösung ist: „Weiterhin offene Strukturen - unbedingt. Genau das ist auch der Schutz.”. Andreas Blechschmidt betont: „Offene Strukturen sind wichtig, es kommen ja zum Glück nicht nur VE so in die Flora rein”. Während er dies sagt, lacht er. Hamburgs radikale Linke lässt sich offensichtlich nicht in die Paranoia treiben.
Gaston Kirsche