(Gegenwind 334, Juli 2016)

Jan Stubben

Repression

„Observation im erweiterten Wohnzimmer”

Interview mit Jan Stubben, jetzt 33, über die Zeit, als er 23-jährig im Café Flop während eines Antifa-Jugendcafes von einer am 18. Mai enttarnten ehemaligen verdeckten Ermittlerin angesprochen wurde.

Gegenwind:

Du hast 2006 und 2007 den Einsatz der Verdeckten Ermittlerin (VE), die sich „Astrid Schütt” nannte, im Bergedorfer Jugendzentrum miterlebt?

Jan Stubben:

Von 2002 bis 2015 war ich im Café Flop, im Jugendzentrum Unser Haus e. V. aktiv bei der Organisierung des laufenden Betriebs dabei. Wir haben eine Selbstverwaltung, da gibt es viel zu tun. Das Jugendzentrum Unser Haus e. V. gibt es schon seit 30 Jahren, Bergedorfer Jugendliche haben sich davor lange dafür eingesetzt, ein selbstverwaltetes Jugendzentrum zu bekommen. Das immer noch jährlich stattfindende Wutzrock-Festival Umsonst & Draußen wurde 1979 initiert, um das Jugendzentrum durchzusetzen. Es wird im Jugendzentrum geplant. Seit einem Jahr habe ich mich aus den organisatorischen Tätigkeiten zurückgezogen, bin aber noch mindestens einmal die Woche im Café Flop, um mich mit meiner Gruppe dort zu treffen.

Gegenwind:

Die VE war ja auch im Café aktiv. Ist sie dir aufgefallen?

Jan Stubben:

Nein, als ich von der Recherchegruppe vor fünf Monaten vor der öffentlichen Enttarnung erfahren habe, dass „Astrid Schütt” gar nicht so heißt und uns als Verdeckte Vermittlerin ausgeforscht hat, hat mich das ziemlich geschockt und sehr gewurmt: Denn sie hat mich als Ersten angequatscht und ausgefragt, und ich habe ihr sogar die Gruppe empfohlen. Als sie so reinkam, habe ich gar keinen Verdacht geschöpft. Sie sah zwar etwas komisch aus, mit ihrer Jogginghose, Trainingsjacke und Base-Cap, aber ich war selbst gerade zwei Jahre in Stuttgart gewesen, wo mich Leute argwöhnisch betrachtet haben, als ich in einem autonomen Zentrum dort aktiv werden wollte. Da wollte ich es gerne selbst anders machen. Die VE hat sich dann äußerlich schnell angepasst, in ihrer Kleidung, und sie hat sich Dreadlocks machen lassen, die waren damals ja sehr verbreitet unter Linken. Heute wäre wohl ein Kurzhaarschnitt angesagt, Dreadlocks würden mittlerweile ja als rassistische Aneignung der Kultur früher kolonialistisch Unterdrückter gelten... Es hatte jedenfalls niemand einen Verdacht, sie könnte eine verdeckt auftretende Polizistin sein, die uns ausforschen soll. Da hat einfach niemand mit gerechnet. Wir sind schließlich ein Jugendzentrum mit jeder Menge Freizeitangeboten, nicht die Schaltzentrale der linksradikalen Szene. Bei uns wird gekickert, Dart gespielt, es gibt eine Tanzgruppe, Gesellschaftsspiele, eine Gartengruppe, einen Probenraum, eine Kung-Fu-Gruppe. Es gibt ein Frühstücksbuffet für Familien, auch eine Table-Top-Spielgruppe. Wenn die uns schon beobachten, welcher Aufwand wird dann wohl erst betrieben, um die Szene im Schanzenviertel oder auf St. Pauli auszuforschen?

Gegenwind:

An wem war „Astrid Schütt” interessiert?

Jan Stubben:

Wir hatten 2006 eine Antifa-Jugendgruppe, die haben ein Antifa-Jugendcafé organisiert, dabei habe ich am Tresen geholfen. Dort hat mich Astrid O. angesprochen. Ich habe ein Lied von Freundeskreis gesungen und sie hat mir angeboten, mir ihre CD von Freundeskreis zu brennen. Dass hat sie dann auch gemacht, das war ihr Einstieg. Damals gab es im Antifa-Jugendcafé öfter Veranstaltungen, zu denen auch Leute aus Hamburg kamen, so hat sich niemand gewundert, als sie aus Altona kam.

Gegenwind:

Dann hat sie auch Minderjährige observiert?

Jan Stubben:

Zum Teil ja, sicher. Im Endeffekt war sie auch auf Minderjährige angesetzt. Im Café Flop und in den ganzen anderen Räumen im Haus sind auch sehr viele Minderjährige, die hier ihre Freizeit verbringen, die zum Kickern oder Tischtennisspielen kommen. Kontakt mit Minderjährigen ist da unvermeidlich gewesen.

Gegenwind:

Gab es 2006 einen Anhaltspunkt für begangene oder geplante mögliche schwere Gewalttaten aus den Gruppen in Eurem Haus, die den Einsatz einer VE des LKA aus deren Sicht rechtlich begründen könnten?

Jan Stubben:

Überhaupt nicht. Es gab im Jugendzentrum zwar eine Reihe von Polizeieinsätzen, aber da ging es immer um Ruhestörung. Mittlerweile haben wir das mit den Anwohnenden aber gut geregelt. Vor drei Jahren gab es mal eine Drogenrazzia im Haus, wo aber kaum etwas gefunden wurde. Den offenen Handel mit Drogen im Haus haben wir nie toleriert, kann aber sein, dass im großen Gartengelände mal Leute verbotene Substanzen tauschen. Wegen schweren Straftaten oder deren Planung war die uniformierte Polizei nie im Haus, es gab auch keine Ermittlungsverfahren, gar nichts. Nur eben die verdeckte observierende Polizistin.

Gegenwind:

War die auch bei dir oder anderen in den Wohnungen?

Jan Stubben:

Nein, wir haben uns immer im Café getroffen oder auch mal bei Konzerten woanders, etwa im Hafenklang. Das Café Flop ist ein erweitertes Wohnzimmer für viele Jugendliche. So eine Art erweiterte Großfamilie, wo wir uns treffen konnten. Da fiel die Ermittlerin nicht auf, sie musste auch zu niemandem in die Wohnung, konnte alle im Jugendzentrum sehen. Wobei das rechtlich ja wohl auch als Eindringen in eine Wohnung zu bewerten ist. Ein Freund von mir hat sich ziemlich geärgert, als ihm klar wurde, dass die vielen Biere, die er Astrid Schütt am Tresen vom Café Flop ausgegeben hat, von einer Verdeckten Ermittlerin getrunken wurden, die die Zeit im Café auch noch als Arbeitsstunden abgerechnet hat.

Jan Stubben

Gegenwind:

Entwickelt sich die Stimmung im Jugendzentrum deshalb eher in Richtung Abschottung?

Jan Stubben:

Wie soll das gehen? Etwa, dass Leute, die zusammen linke Politik machen wollen, zusammen ein Restaurant betreiben, und so genau wissen, von welcher Arbeit sie Leben? Selbst das wäre keine Garantie. Und um etwas zu erreichen, muss man schließlich offen in die Gesellschaft sein. Gerade wenn die Gesellschaft sich so nach rechts entwickelt wie jetzt, kann die linke Szene sich nicht abschotten. Wer in diesem Land, wo Kontrolle zentral ist, auf linken Widerstand setzt, gerät nun mal in den Blick der Polizei. Eine V-Leute-freie linke politische Struktur ist nicht möglich. Wenn der Staat will, kann er in linke Gruppierungen immer jemanden reinbringen, der dich beobachtet.

Gegenwind:

In Bergedorf sind viele Jugendliche antifaschistisch aktiv?

Jan Stubben:

Ja, das liegt auch daran, dass es hier ein paar bekannte Nazis gibt. In den 90er Jahren waren in Bergedorf und vor allem in Lohbrügge viele Nazis unterwegs, sie waren in den Stadtteilen auf der Straße präsent. Jetzt sind es weniger. Früher ist das Café Flop regelmäßig von Nazis angegriffen worden, auch nach 2002 noch - ich selbst habe vier Angriffe miterlebt.

Gegenwind:

Wie ist der Einstieg von „Astrid Schütt” bei euch gelaufen?

Jan Stubben:

Sie hat erzählt, sie sei gerade aus Italien zurück, hätte länger auf Sardinien gelebt und wolle jetzt wieder in Deutschland leben. Sie war nett und offen, interessiert an den Leuten - da ging es schnell, sie wurde freundlich aufgenommen. Die Antifa-Jugendgruppe war offen und freute sich über den Neuzugang. Es waren so sechs, sieben Leute, die waren so 17, 18 Jahre alt. Drei von ihnen gingen noch zur Schule, waren in der gymnasialen Oberstufe. Es war aber keine explizite Jugendgruppe, wo keine Älteren mitmachen durften. Die Verdeckte Ermittlerin erzählte, sie sei 21, heute wissen wir, sie war damals schon 24 Jahre alt.

Gegenwind:

Fiel das nicht auf?

Jan Stubben:

In der Antifa-Jugendgruppe war sie zwar mit Abstand die Älteste, aber im Haus gab es auch ältere Leute. Ich war ja auch schon 23. Anfang der 2000er Jahre gab es viele Veranstaltungen, die nicht nur Jugendliche ansprachen. Viele, die sich mal dort engagiert haben, kommen - wie ich - auch später noch gerne ins Haus. Das Unser Haus e. V. ist seit 30 Jahren ein selbstverwaltetes Jugendzentrum, zwar mit einer staatlichen Grundfinanzierung, aber ohne bezahlte Stellen. Die Polizei hat also in ein staatlich gefördertes Jugendzentrum eine verdeckte Ermittlerin zur angeblichen Vermeidung schwerer Straftaten eingeschleust. Dabei war die Förderung immer auch umstritten. Der Bergedorfer CDU-Vorsitzende Dennis Gladiator hat etwa 2002 gesagt: Wenn ihr euch von eurer Antifa-Gruppe trennt, dann kürzen wir euch die Mittel nicht. Tja, dann wurden die Mittel eben 2002 um ein Drittel gekürzt.

Gegenwind:

Was hat die Antifa-Jugendgruppe getan?

Jan Stubben:

Die haben sehr viel Energie auf Bildungsarbeit verwandt, darauf, Jugendlichen Politik und Engagement nahezubringen. Dass haben sie sehr gut gemacht. Mit Veranstaltungen und anderen Aktivitäten wie Demonstrationsteilnahmen. Die Gruppe war gut vernetzt in die linke Szene in der Stadt. Sie waren aber jetzt nicht so militant unterwegs mit geheimen Treffen, um Nazis zu jagen oder so. Glaube ich jedenfalls nicht. Ich war ja nicht in der Gruppe, habe sie aber im Cafébetrieb und bei ihren Veranstaltungen erlebt.

Gegenwind:

Trotzdem beob-achtete die Verdeckte Ermittlerin die Gruppe weiter?

Jan Stubben:

Ja, sie hatte auch ein gutes freundschaftliches Verhältnis mit einem Mädchen aus der Gruppe, die am besten in der linken und Antifa-Szene nach Hamburg rein vernetzt war. Mit der zusammen ist sie nach dem Ende der Antifa-Jugendgruppe Ende 2007 zusammen nach Altona gegangen, wo sie dann wohl zusammen im Antifa-Jugendcafé Mafalda mitgemacht haben. Sie ist danach nur noch selten nach ins Jugendzentrum gekommen.

Gegenwind:

Hat die Verdeckte Ermittlerin eine aktive Rolle bei der Auflösung der Antifa-Jugendgruppe gespielt?

Jan Stubben:

Nein, sie hat sich da wohl rausgehalten. Die VE hat ja dann zusammen mit einem in der Gruppe zuvor sehr aktiven Mädchen ihren Schwerpunkt nach Altona verlagert. Im Café Flop gibt es aber weiterhin antifaschistische Aktivitäten und Veranstaltungen, auch, will sich durch die Antifa-Jugendgruppe ein großes Umfeld an vielen interessierten Jugendlichen entwickelt hat.

Gegenwind:

Im Jugendhilfeausschuss der Bezirksversammlung Bergedorf war der verdeckte Einsatz von Astrid Schütt jetzt auch Thema?

Jan Stubben:

Ja, bei der Sitzung am 31. Mai. Die Parteienvertreter von SPD und CDU haben dass mehr ausgesessen, wollten das Thema schnell vom Tisch haben. Cornelia Frieß von der Linken hat den Antrag gestellt, den Einsatz zu missbilligen. Mit den Stimmen der Linken, Grünen und der freien Träger der Jugendhilfe wurde in einem Beschluss, ich zitiere, der „Protest des Jugendhilfeausschuss gegenüber diesem Missbrauch der Jugendeinrichtung Unser Haus e.V.” artikuliert und gefordert, „dass derartige Handlungen in Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit künftig unterbleiben”.

Seit einiger Zeit haben wir auch wieder staatliche Zuschüsse wie 2001, die Kürzungen sind zurückgenommen worden. Wir sind für das Jugendamt das preisgünstigste Jugendzentrum in ganz Hamburg, acht Stunden geöffnet an sechs Tagen die Woche.

Interview: Gaston Kirsche

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